I
Das Gedicht befindet sich in No. 856 (A.) fol. 323 und in La Vall 14 (L).
In No 856 steht über der ersten Strophe mit rother Dinte geschrieben: "Aissi commensa Folquet de Lunelh.“
Das Gedicht besteht aus fünf Strophen (1) und zwei tornadas, handelt von Liebe, hat männliche mit weiblichen Reimen gemischt, könnte also zu den canzos gezählt werden.
Jede Strophe hat 8, jede tornada 4 Zeilen, die, mit Ausnahme der fünften jeder Strophe und der ersten der tornadas, aus 8 Sylben (2) bestehen; die fünfte Zeile nämlich und in Folge dessen auch die erste der tornadas hat in L nur 7 Sylben, in A unter den sieben Malen, die sie vorkommt, nur zwei Mal 8 Sylben, so dass wir zu einer Besserung schwerlich berechtigt sind. Wir haben hier also eine seltene Mischung von Versen; siebensylbige mit weiblichem, achtsylbige mit männlichem, achtsylbige mit weiblichem Schluss. Die Verbindung des achtsylbigen Verses mit männlichem und des siebensylbigen mit weiblichem Reim, (3) der eigentlich auch acht Sylben zählt, begegnet zwar häufig in der provenzalischen Lyrik, auch findet sie sich in längeren Gedichten, wie in dem romans unseres Dichters und dem breviari d’amor; ebenso gebräuchlich ist die Vereinigung von achtsylbigen Zeilen mit männlichem und mit weiblichem Schluss; seltner aber findet sich die Zusammenstellung von siebensylbigen und achtsylbigen Versen mit weiblichem Ausgang.
Eine Eintheilung der Strophe im Sinne Dante’s scheint in unserm Gedicht nicht möglich. Dante unterscheidet nämlich, von der musikalischen Begleitung des Liedes ausgehend, Strophen, die nach einer stetigen Melodie, una oda continua, gesungen sind und solche, die eine Wiederholung eines musikalischen Theils und in Folge dessen eine diesis i. e. „deductionem vergentem de una odo in aliam“ enthalten. Nach Dante ist also eine Zweitheiligkeit der Strophe gar nicht denkbar; eine Gliederung, wie wir sie grade im provenzalischen ziemlich oft finden, und die wir auch in unserm Gedicht als die allein mögliche annehmen können. Theilen wir somit unsre Strophe, wie es die Anordnung der Reime an die Hand giebt, in frons und cauda zu je vier Zeilen, so haben wir ein Verhältniss der beiden Theile, das Dante, der nur von einer Ungleichheit sowohl an Versen als an Sylben spricht, unberührt gelassen hat.
Die tornadas (4) entsprechen, wie es auch die leys d’amors verlangen, der letzten Hälfte der Strophe, hier also der cauda.
Die Strophen zeigen alle dieselben Reime in derselben Ordnung, eine Erscheinung, wie sie im Deutschen Ausnahme, im Provenzalischen fast Gesetz ist; wir haben also nach dem Ausdruck der leys (I. 270) coblas unisonans; in Bezug auf die Reimstellung, da die frons rims crozatz (I. 170), die cauda rims caudatz (I. 168) zeigt, können sie als coblas crotz caudadas (I. 242) bezeichnet werden.
Die männlichen Reime sind rims sonans leyals (I. 154), mit Ausnahme der in Vers 25 und 28, 39 und 40, die rims simples leonismes (I. 160, 162) genannt werden können; doch sind diese, da sie sich an den entsprechenden Stellen der andern Strophen nicht wiederfinden, hier, wie grösstentheils überall, wohl mehr durch Zufall als aus Absicht entstanden.
Die weiblichen Reime sind rims simples leonismes; dieselben Reimwörter: aonda, monda, jauzionda finden sich und zwar mit derselben Bedeutung, was in den Strophen nicht erlaubt ist, in den tornadas wieder, wo „motz tornatz non es vicis“ (IV. 102).
Der achtsylbige Vers kann, wie die leys (I. 136 und IV. 86) sagen, eine pauza suspensiva haben oder nicht; tritt sie ein, so steht sie nach der vierten Sylbe und zwar nach einem accen agut; tritt sie nicht ein, so muss in der dritten Sylbe ein accen agut oder ein accen greu stehen, d. h. die dritte Sylbe darf nicht lang sein. Eine derartige Caesur könnte man in unserm Gedicht, z. B. in Vers 10, 14, 15, 18, 24 annehmen; wo sie nicht erscheint, widerspricht der Vers nicht der von den leys aufgestellten Regel.
Bezeichnet man den siebensylbigen Vers mit kleinen griechischen, den achtsylbigen mit kleinen lateinischen Buchstaben, den weiblichen Reim mit diesem Zeichen ~, die diesis durch ein Semikolon, so erhält die metrische Formel folgende Gestalt: a b b a; γ~ c~ δ δ.
Fußnoten
1) Die Strophen heissen in Dante’s Schrift stantiae, die Verszeile carmen, metrum auch fustis.(↑)
2) Nach provenzalischer Zählungsweise, wonach die letzte betonte Verssylbe auch als letzte zählt, eine Sylbe mit accen greu am Ende des Verses also nicht mitrechnet; nach Dante, der nicht nur die unbetonten Reimsylben mitzählt, sondern sogar, wenn der Vers mit einer Tonsilbe endigt, noch eine unbetonte Reimsylbe als geschwunden annimmt und zuzählt, hätten alle diese Zeilen neun Sylben, welche Sylbenzahl in Wirklichkeit nur der sechsten Zeile der Strophen und der zweiten der tornadas zukäme.(↑)
3) Man pflegt bei dieser Vermischung von jambischem und trochäischem Rhythmus zu sprechen, doch dürfen wohl derartige Begriffe in die provenz. Poesie nicht hineingetragen werden.(↑)
4) In Dante’s unvollendetem Werke wird über dieselben nicht gesprochen.(↑)