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Strempel, Alexander. Giraut de Salignac, ein provenzalischer Trobador. India: Pravana Books, 1916

[CdT en procés d'incorporació]

249,002- Guiraut de Salaignac

 

II. TENZONE. (B. Gr. 249,2)

Die Tenzone ist überliefert in den Mss.:

         A fol. 184d–185b,

         Da fol. 149cd,

         T fol. 79v,

         a3 pag. 530,

         I fol. 23r

und an folgenden Stellen abgedruckt:

Archiv 34 p. 186 nach A,

Studj di fil. rom. III. p. 571 nach A,

Paul Meyer: Les dern. troub. (a. a. O.) nach T,

— — : Recueil d’anciens textes p. 96 ff. nach A T Da f,

Crescini: Manualetto prov. (2. Aufl. 1905) p. 302 nach A T Da a3 f,

Bertoni: Il canzoniere prov. di Bernart Amoros p. 357 nach a3.

Text und Orthographie nach A, tornada nach f.

 

Die Tenzone besteht aus sechs coblas unisonans und zwei tornadas.

Schema: 10a’ 10b’ 10a’ 10b’ 10c 10c 10c 10b’.

Die Reime sind: atge, ia, en.

Maus p. 108 Nr. 344, darunter mehrere Tenzonen.

 

Handschriftenschema:

 

Begründung:

x1:

v. 39

A Da a3 cellui, sinnlos;

 

v. 48 ff.

A Da: fehlen;

x2:

v. 1

T f a3 Symmetrie störender Anfang;

 

v. 2

T f a3 durch v. 1 bedingt;

 

v. 42

T f a3 en fehlt; T eine Silbe zu wenig, a3 f selbständig geändert;

x3:

v.51

T a3 gay fehlt, eine Silbe zu wenig;

 

v. 52

T a3 per, eine Silbe zuviel;

 

v. 56

T a3 sabran, grammatisch falsch;

x1+a3:

v. 19

T f Can la dona, kann a3 kaum selbständig gebessert haben;

 

v. 39

siehe oben;

 

v. 47

ab, könnte a3 selbständig gebessert haben.

 

Giraut nennt das Gedicht in v. 49 „partimen“ und Paul Meyer (1) hat es danach als „partimen“ oder „jeu-parti“ bezeichnet im ausdrücklichen Gegensatze zur Ueberschrift in der Handschrift f (2): „tenso de peironet e de girart“. Auch in T steht als Ueberschrift „tenso“. Wohl im Anschluß an P. Meyer nennt L. Selbach (3) unser Gedicht „partimen“, und H. Knobloch (4) bezeichnet es als „joc-partit“. R. Zenker in seiner Preisschrift über die Tenzone hat als erster die Begriffe genau gefaßt. Danach gilt:

„... daß man unter partimen die mehrgliedrige Frage verstand, welche in der ersten Strophe proponiert wurde“(5),

und daß:

„... der correcte Ausdruck für das Streitgedicht jeder Gattung ... allein tensos“(6)

sei. Mit Recht bemerkt A. Klein (7) dazu: „Zenker beseitigte damit eine alte  Ungenauigkeit.“A. Jeanroys Tadel, „die gewissenhafteste Kritik wäre wahrscheinlich weniger choquiert über diese leichte Ungleichheit als über den Purismus Zenkers“(8), scheint mir kaum berechtigt. — Nach dem Gesagten versteht es sich, daß „Tenzone“ die allein richtige Bezeichnung für unser Gedicht sein kann.

 

Der Inhalt der Tenzone ist in den Hauptpunkten der folgende:

Giraut legt Peironet (9) eine Frage vor, die Bezug auf den Minnedienst hat. Peironet möge ihm sagen, ob für einen, der aufrichtig liebt, die Augen oder das Herz bessere Minnehelfer seien. Wie auch immer die Antwort ausfallen möge, Giraut glaubt in jedem Falle Sieger zu bleiben, sofern man nur billig urteilen werde.

Peironet erwidert, es gebe in der Welt keinen, den er in einer Liebesfrage nicht besiegen könne. Die Augen seien die Boten des Herzens und die besten Helfer der Liebe.

 

Nur dahin richte das Herz es seine Gedanken, wohin die Augen es lenken.

Giraut nennt diese Meinung töricht; denn solange einer seine Freundin sähe,  sei er wohl verliebt, doch vergäße er ihrer später leicht, weil die Augen nur in der Nähe Wirkung haben. Das Herz dagegen wirke auch in der Ferne und könne daher die Liebe beständig wach erhalten.

Peironet entgegnet, daß alles Gute und alles Böse in der Minne allein von den Augen ausgehe, wie das Beispiel Andrivets (sonst Andrieu genannt) beweise. Durch die Augen sei ihm die Liebe, aber auch die Verzweiflung ins Herz gekommen, so daß er um der Geliebten willen freiwillig in den Tod ging. Hätte er sie nicht angeschaut mit seinen Augen, würde er im Herzen sie nie geliebt haben; denn das Herz kann immer nur da lieben, wohin die Augen es zuvor geführt haben.

Giraut führt demgegenüber das Beispiel Jaufre Rudels als Beweis dafür an, daß das Herz mächtiger sei als die Augen. Er liebte seine Herrin, ohne sie je gesehen zu haben. Das müsse jeden überzeugen, daß Peironet mit seiner Ansicht Unrecht habe.

Peironet dagegen glaubt, daß das Herz der Geliebten allein einem nichts nützen könne, da nur durch die Vermittlung der Augen ein Herz mit Liebesbanden zu fesseln sei. Die ganze Gewalt der Augen könne man auch daran erkennen, daß erst durch die Augen die Liebe ins Herz hinabsteige, und das, was das Herz nicht könne noch wage, vermöchten die Augen durch ihr liebliches Aussehen.

Giraut wählt die schöne Herrin von Peirafuoc zur Richterin. Wie immer sie entscheiden werde, er will das für gut halten.

Peironet aber will die Schloßherrin von Signa anrufen. Ihr Schiedsspruch soll feststellen, wessen Meinung richtig sei.

 

Es handelt sich in unserm Gedichte also um eine jener subtilen Minnefragen, wie sie in der Tenzone mit Vorliebe erörtert werden. Die Bemerkung in der ersten Strophe, der Gegner, er möge wählen, wie er wolle, werde doch besiegt werden, ist häufig in Tenzonen (10). Desgleichen findet sich in ihnen die Exemplifizierung auf bekannte oder berühmte Liebende nicht selten. Zu denen, die am häufigsten angeführt werden und auch in der Literatur Nordfrankreichs oft begegnen, gehört der Held eines verlorenen Romans: Andrieus de France (11). Wir wissen „von Andrieus nur so viel, daß er eine Königin von Frankreich leidenschaftlich liebte und durch seine Liebe den Tod fand“(12), und A. Birch-Hirschfeld stellt fest: „daß das traurige Geschick des Andrieu eine oft von minnesiechen Troubadours ausgebeuteter locus communis gewesen ist“(13). Es ist allgemein bekannt, daß sich in der Trobador-Literatur bestimmte Gemeinplätze immer wieder finden, und Chaytor bemerkt: „Manner was even more important than matter in troubadour lyrics, and common-places were revivified by intricate rime-schemes.“(14) Ebenso ist das Schicksal Jaufre Rudels (15) und die romantische Fabel von der fernen Prinzessin ein beliebtes Beispiel der Trobadors.

Von außergewöhnlicher Bedeutung sind die beiden Gefeite dieser Tenzone geworden dadurch, daß Jehan de Nostre Dame sie kennen lernte und daraus seine phantastische Theorie über „cours d’amours“ und „arrests d’amours“ konstruierte. Er schreibt über unsere Tenzone (16):

 

„Le monge des ysles d’or (17) au catalogue qu’il a faich des poetes Provensaulx faich mention d’un dialogue d’entre Gerard, et Peyronet entreparlans ensemble par lequel est mene une question, assauoir mou (sic), qui ayme plus sa dame, ou absente, ou presente, et qui induict plus fort a aymer ou les yeux ou le coeur. Et apres auoir amene plusieurs bonnes raysons et exemples, et mesmes la piteuse hystoire de ce Jaufre Rudel, disant en l’une des coupples en telle substance. Tout homme de bon iugement cognoit bien que le coeur a seigneurie sur les yeulx, et que les yeulx ne seruent rien en amours si le coeur ne le sent, et sans les yeulx le coeur peult franchement aymer la chose qu’il n’a iamais veue, ainsi que feist Jaufred Rudel de Sauoye (18). Il ameyne aussi un autre exemple de Andre de France, qui morut par trop aymer: finalement, voyant que ceste question estoit haulte et difficile, ils l’envoyerent aux dames illustres, tenants cour d’amour a Pierrefeu et a Signe, qu’estoit cour planiere et ouverte, pleine d’immortelles louanges, aornee de nobles dames et de chevaliers du pays, pour avoir deteminaison d’icelle question ...“

 

An einer zweiten Stelle handelt es sich um eine Tenzone zwischen Raimon de Miraval und Bertran de Lamanon und um die Frage:

„Quelle des nations, est la plus noble, et la plus excellente, ou la Prouensalle ou la Lombarde.“(19)

Er fährt fort (20):

„Ceste question fut envoyee aux dames de la cour d’Amour, residents a Pierrefeu, et a Signe pour en auoir fa diffinition par arrest de laquelle la gloire fut attribuee aux Poetes Prouensaux.“

Eine dritte Stelle betrifft die Frage (21):

„... qui est plus digne d’estre ayme, ou celluy qui liberalement, ou celluy qui donne mangre soy, pour estre dict liberal. Pour en auoir la diffinition ils enuoyerent ceste question aux dames de la cour d’amour de Pierrefeu et de Signe, et ne se contentants de leur arrest, recourrurent tous deux a la souneraine cour d’amour des dames de Romanin ...“

Außerdem schreibt Nostre Dame in seiner Einleitung (22):

„Les tensons estoyent disputes d’amours, qui se faisoyent entre les chevaliers e dames Poetes entreparlans ensemble de quelque belle et subtille question d’Amours, et où ils ne s’en pouvoyent accorder, ils les envoyoyent paur en avoir la diffinition aux dames illustres presidentes, qui tenoyent Cour d’Amour ouverte et planiere a Signe et a Pierrefeu ou a Romanin (23), ou a autres, et la dessus en faisoyent arrests qu’on nommoyt Lous Arrests d’Arnours.“

Diese Nachrichten über die in unserer Tenzone erwähnten Höfe von Peirafuoc und Signe sind noch von Raynouard übernommen. Dann trat Fr. Diez an die Frage heran, „et l’édifice érigé peu à peu par Nostradamus ... est tout a fait ruiné sous les coups de l’inexorable critique de Diez.“(24) Paul Meyer (25) hat dann schlagend bewiesen, daß es allein unsere Tenzone war, die Nostre Dame veranlaßte zu der mehrfachen Erwähnung der Minnehöfe in Peirafuoc und Signe. Naturgemäß finden sich beide Orte in neueren Abhandlungen über diese Frage immer wieder erwähnt; doch geht daraus hervor, daß wir über sie tatsächlich nur aus den Geleiten unserer Tenzone wissen (26). Mit Bezug auf den Verfasser dieser Tenzone betont die H. G. (27) ausdrücklich, daß, wie oben erwähnt, nur die Handschrift DGiraut de Salignac“nennt, die übrigen Mss. aber nur „Giraut“zeigen. P. Meyer schreibt noch „Girart et Peronet ne sont connus que par ce jeu-parti“(28), obwohl sich schon vorher bei Mussafia (29) in der Beschreibung der Handschrift D die Angabe findet: „Girarz de Salaignac: En Peronet vengut m’es en corage.“In späteren Arbeiten der verschiedensten Autoren ist die Tenzone, wie oben erwähnt, oft angeführt und stets Giraut de Salignac attribuiert. Es liegt auch keinerlei Grund vor, an der Autorschaft des G. d. S. zu zweifeln. Andererseits muß aber darauf hingewiesen werden, daß diese Autorschaft keineswegs mit absoluter Sicherheit behauptet werden kann, da eben von fünf Handschriften nur D, die allerdings bereits 1254 geschrieben worden ist, den vollen Namen zeigt und ein Irrtum auch in D nicht unmöglich ist, zumal Giraut ein so häufiger Trobadorname ist. Also wird die Verfasserschaft des Giraut de Salignac, die von allen modernen Autoren als selbstverständlich hingestellt wird, und die auch hier durchaus nicht angezweifelt werden soll, bei dieser Tenzone doch nur mit einer, wenn auch in diesem Falle recht großen Wahrscheinlichkeit behauptet werden dürfen.

 

Im Anschluß an diese Tenzone soll auf die in der H. G. X, p. 351 Anmerkung aufgestellte Vermutung eingegangen werden. Die Handschrift H enthält nämlich eine Tenzone zwischen „Giraut“ und Uc de St-Circ. (B. Gr. 241) (30). Es erhebt sich die Frage, ob dieser „Giraut“ vielleicht mit Giraut de Salignac identisch ist, da doch auch für die oben besprochene Tenzone in den Handschriften A, T, a3, f nur ein „Giraut“ als Verfasser genannt wird. Von jenem „Giraut in der Handschrift H sind nur wenige Strophen erhalten, coblas échangés, in denen er dem bekannten Trobador und Verfasser der Trobador-Biographien Uc de St-Circ für Rat und Unterstützungen seinen Dank ausspricht. Gaston Paris sagt von ihm: „Guiraud le poète, qui paraît être plutôt un jongleur qu’un troubadour ...“(31) Irgend einen Grund, diesen Spielmann Giraut mit unserm Trobador G. d. S. zu identifizieren oder in Beziehung zu setzen, kann ich nicht erkennen, zumal in den wenigen erhaltenen Versen „plusieurs détails restent obscurs“(32).

 

Fußnote:

1) P. Meyer: Les dern. troubad. p. 474.()

2) Ueber die in Betracht kommenden Mss. vgl. oben.()

3) L. Selbach: Das Streitgedicht in der apr. Lyrik, p. 69.()

4) H. Knobloch: Das Streitgedicht im Prov. u. Altfr, p. 33.()

5) R. Zenker: Die prov. Tenzone p. 12.()

6) das. p. 13.()

7) A. Klein: Die altfranz. Minnefragen p. 290.()

8) A. Jeanroy: La tenson provenç. Ann. d. M. 1890, p. 288.()

9) Ueber Peironet vgl. Einleitung.()

10) H. Knobloch a. a. O. p. 23 verweist auf die Aehnlichkeit mit den Sophisten.()

11) Vgl. die Anmerkung unten.()

12) Ad. Birch-Hirschfeld a. a. O. p. 84 ff.()

13) Aehnlich Diez: Poesie der Troub. p. 188.()

14) H. J. Chaytor: The Troubadours p. 19.()

15) Vgl. G. Paris: Rev. hist. 53 p. 225 ff.()

16) Jehan de Nostredame: Les vies etc. p. 26.()

17) Fr. Diez: Essai sur les cours d’amour trad. par Roisin p. 59: „son moine des iles d’or est un oracle peu sùr, ou un oracle mal interprêté“.()

18) Merkwürdiger Druckfehler für „de sa mie“. Vgl. P. Meyer a. a. O. p. 474.()

19) Nostre Dame a. a. O. p. 60.()

20) das. p. 61.()

21) das. p. 131.()

22) das. p. 15.()

23) A. Klein a. a. O. p. 333 hat „Romain“; wohl nur Druckfehler.()

24) Crescini: La question des cours d’amours, trad. par Martel p. 6.()

25) P. Meyer: Les derniers troub. p. 474 ff.()

26) Vgl. dazu: E. Trojel a. a. O. P. Rajna: Le Corti d’amore. Milan 1900. Rowbotham: The troub. and courts of love 1895. Litbl. f. germ. u. rom. Phil. XI.7, 287. Revue d. l. rom. IV.4, 179-183.()

27) H. O. X2, p. 374. Anm.()

28) P. Meyer a. a. O. p. 474. 1869.()

29) A. Mussafia: Del Codice Estense etc. in den Sitzgsber. d. Wiener Akad. 55 p. 372. 1867.()

30) Auch B. Gr. 457,23; jetzt kritisch herausgegeben von A. Jeanroy u. Salverda de Grave „Uc de Saint-Circ“ p. 126 f.()

31) Hist. litt. XIX, p. 602.()

32) A. Jeanroy a. a. O. Anm. p. 212.()

 

 

 

 

 

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