Anhang.
Gedichte,
die nicht sicher zu attribuieren sind.
Nr. 1. CANZONE. (B. Gr. 249,5)
Dies Gedicht ist überliefert in den Mss.:
C fol. 221d, Elias de Barjol;
D fol. 83b, G. d. S.;
E pag. 130a, Elias Cairel;
M fol. 69c, G. d. S.;
V fol. 105b-106a, anonym;
es ist abgedruckt im Archiv 36, p. 443 nach V.
Text und Orthographie nach C.
Handschriftenschema I:
Begründung:
x1:
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v. 37
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E, D, M, V si m’auci, sinnwidrig, in E aucizes, eine Silbe zuviel;
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x2:
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v. 14
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D, M, V perre, sinnlos;
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v. 17
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D, M, V si fehlt, eine Silbe zu wenig;
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v. 18
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D, M, V que ges non ai, falsch;
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v. 21
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D, M, V depla sinnlos;
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v. 23
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D, M, V beutat, paßt nicht zu pretz und sen:
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III u. IV vertauscht in D, M, V, sinnstörend:
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Vfehlt in D, M, V;
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x3:
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v. 25
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M, V sai, sinnlos.
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Handschriftenschema II:
Begründung:
x2:
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} wie oben;
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x3:
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x1:
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Escheint mit C zusammenzugehen und nur x3 daneben benutzt zu haben, da nur der Fehler auci (v. 37) in E und x2 gemeinsam ist, E im übrigen aber keinen der vielen Fehler und keine der selbständigen, möglichen Redaktionen in x3 zeigt. (Für die von Gröber und Mussafia festgestellte Zusammengehörigkeit von C und E vgl. auch unter Nr. 3 [240,007] das von Gröber aufgestellte Schema)
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Als Verfasser dieser Canzone wird in den Handschriften D, M: G.d.S., in C: Elias de Barjols, in E: Elias Cairel genannt, in V ist das Lied anonym überliefert. Mit der Lösung der Attributionsfrage hat sich St. Stronski befaßt (1). Seiner Argumentation möge eine kurze Analyse unseres Gedichtes vorangehen.
„Wie ein Jäger, der vergeblich jagt, wie ein Spieler, der das verlorene Spiel nicht aufgibt, also folgt der Dichter einer Liebe, die ihn zugleich bedrückt und verzehrt.“
„Doch da es als Ehre gilt, nimmt er alles Uebel gern hin um der Geliebten willen. Nur der Gedanke ist ihm unerträglich, daß man die Geliebte einst tadeln wird, wenn er infolge seiner großen Liebe zugrunde gegangen sein wird.“
„Und er fürchtet, sterben zu müssen, da sie mit ihren Blicken sein Herz gefangen genommen und ganz in das ihre eingeschlossen hat.“
„Sie aber ist die Herrlichste von allen, das ist wohl bekannt; und er liebt sie mehr als Pyramus Thisbe liebte.“
„Wird er einst für sie gestorben sein, so kann er keinen Lohn mehr empfangen; daher soll sie ihn aus Gnaden aufnehmen, da sie ihm bisher nur Uebles zugefügt hat.“
„Solche Handlungsweise fortsetzen würde aber gegen alle Schicklichkeit verstoßen, zumal er sich nicht verteidigt, außer durch Ergebenheit. Der Gedanke läßt ihn weiter auf Gnade hoffen.“
Die Analyse zeigt, daß nur die erste Strophe unseres Liedes einen einigermaßen individuellen Charakter hat, daß dagegen alle übrigen Strophen nur die für die provenzalische Canzone typischen Gedanken enthalten.
St. Stronski (a. a. O.) bemerkt zu dieser Canzone:
„Elle n’a point d’envois et ne contient aucune indication particulière. Toutefois, l’attribution à Elias (de Barjols) paraît la moins probable. Ce qui parle pour Giraut de Salignac, c’est, en dehors du nombre des mss., une certaine ressemblance de quelques motifs, peu significatifs il est vrai, qui se presentent dans cette chanson et dans les trois autres qui sont de lui. Ainsi, le début: „En atretal esperansa Cum selh que cass’e no pren M’aura tengut loniamen Amors“pourrait être rapproché du début de 249,1 : „Aissi cum selh qu’a la lebre cassada E pueys la pert e autre la rete,“et [es vers 5-6 de la str. IV : „Et ieu am la miels e may No fes Priamus (2) Tibe“ trouveraient leur pendant dans 249,1 str. II. v. 8: „Per qu’ieu l’am mais no fetz Auda Rotlan,“ et, d’autre part, dans l’affirmation produite par ce troubadour dans 249,3 str. V. : „Los livres dels auctors Sai, e dels ancessors Lor sens e las follors,“ ce qui confirme son habitude voulue de citations pareilles. L’attribution à Elias Cairel est peut-être due au même motif de „cassar“. On lit dans Cairel (133,2 str. II.) „Mas mon cor trop fol car cassa So qu’ieu non cre q’acossega”, et dans 133,10 str. IV. „Al mieu albire Folor vauc casan.“Mais naturellement, il est impossible d’affirmer que ces motifs aient suffi à causer une erreur d’attribution ... Quant à l’attribution à Elias de Barjols je crois, qu’elle ne soit que secondaire: le ms C aura changé Elias Cairel en Elias de Barjols, soit simplement que le dernier lui ait été plus connu, comme le prouve le nombre respectif de leurs chansons dans ce ms., soit encore parce que „M’aura tengut loniamen Amors ...“du début de cette chanson lui rappelait 132,1 „Amors be n’avetz tengut” (cf. 240,6). En somme, il semble que cette chanson peu intéressante d’ailleurs, sera mieux à sa place dans l’appendice de l’édition d’Elias Cairel qu’ici.“
Stronski läßt also die Frage offen, ob G. d. S. oder Elias Cairel als Verfasser unserer Canzone anzusehen sei, glaubt jedoch, größere Wahrscheinlichkeit spreche für Elias de Cairel.
Unter den Gründen, die für die Verfasserschaft G. de Salignacs geltend gemacht werden können, führt Stronski zunächst die Zahl der Mss. an. Dazu muß bemerkt werden, daß zwar D und M G. d. S. als Verfasser nennen, daß aber beide Handschriften einer und derselben Gruppe, x2, angehören. (Vgl. die Handschriftenschemata) Damit ist dieser Grund hinfällig geworden. Leider läßt das Verhältnis der Mss. überhaupt keinen sichern Schluß zur Lösung der Attributionsfrage zu. Herr Prof. Dr. Zenker hat nämlich bei der Durchsicht dieser Arbeit darauf aufmerksam gemacht, daß ein doppeltes Filiationsverhältnis der Mss. möglich ist. (Vgl. die beiden Schemata) Entweder steht C der Gruppe E D M V gegenüber (Schema I), oder aber es bestehen die beiden Gruppen C E und D M V. In diesem Falle hat E die Quelle von D M V benutzt (Schema II). Hätte das Schema I allein Geltung, so wäre damit die Verfasserschaft eines „Elias“ von vornherein gesichert, da die Handschrift C Elias de Barjols, die Handschrift E Elias Cairel als Autor nennt. Nun besteht aber Schema II, wonach C und E auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, ebensowohl zu Recht. (Die engen Beziehungen zwischen diesen beiden Handschriften sind auch durch die mehrfach erwähnten Arbeiten von Mussafia und Gröber bekannt; vgl. auch das Schema) Es ist daher in unserm Falle unmöglich, auf Grund des Filiationsverhältnisses der Mss. eine Entscheidung zwischen G. d. S. und einem Elias zu treffen.
An zweiter Stelle führt Stronski die „Aehnlichkeit einiger, allerdings wenig bedeutsamer Motive“an. Hier ist zu bemerken, daß Auda und Roland in einem Gedichte erwähnt werden, das selbst keineswegs sicher attributiert werden kann. (Nr. 2 des Anhangs.) Statt dessen könnte jedoch II, v. 40 „Si cum Jaufres Rudels fetz de s’amia“als „Pendant“angeführt werden. Andererseits findet sich, im Gegensatz zu „derartigen, beabsichtigten Anführungen bei G. d. S.“in sämtlichen Gedichten des Elias Cairel kein Beispiel aus der Literatur oder der Geschichte. (Die Namen im Kreuzliede 133,11 beziehen sich nur auf das heilige Land: arabit, persan etc.) Für die Lösung der Attributionsfrage kann diese Erwägung natürlich nur von recht geringer Bedeutung sein.
Stronski führt ferner das Motiv des „cassar“ an. Dieses findet sich bei Elias Cairel außer an den beiden von Stronski angeführten Versen noch im Liede 133,4,
v. 8-9:
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„Los ualens volon enpeigner
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Et encaussar e persegre.“
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Da alle drei Stellen jedoch nur sehr geringe Uebereinstimmung mit der Eingangsstrophe unseres Liedes zeigen, dürfte es kaum wahrscheinlich sein, daß diese entfernte Aehnlichkeit die Attribution an Elias Cairel verursacht haben sollte. Wohl aber könnte man in dieser Aehnlichkeit einen Grund für die Autorschaft des Elias Cairel sehen; doch ist die Uebereinstimmung andererseits viel zu gering, als daß sie bei der Attributionsfrage in Betracht kommen könnte.
Es ist ferner die Frage zu erörtern, ob sich andere speziell inhaltliche Uebereinstimmungen zwischen den Liedern Elias Cairels und unserer Canzone feststellen lassen. In den Gedichten E. Cairels kehren mehrfach gewisse Züge wieder, die daher als charakteristisch für diesen Trobador angesehen werden dürfen. So bezieht sich Elias Cairel wiederholt auf die Jahreszeit (3): 133,1 v. 1 „april ni may“, 133,2 v. 1-4, 133,4 v.1 „Freitz ni neus“, 133,3 v. 4 ff., 133,6 v. 1 ff. „lo dous temps d’abrils etc.“, 133,9 v. 1 „pus chai la fuelha del garric“, 133,10 v. 1 „Can la freidor irais“, 133,12 v. 12 ff. Gern verwendet Elias Cairel den Ausdruck „joi“, mehrmals zusammen mit „solatz“: 133,1 v. 9, 133,3 v. 19, 133,4 v. 14, 133,6 v. 7, 133,8 v. 7, 133,12: der siebente Vers jeder Strophe lautet: „joy e solatz“, 133,13 v. Bnm,.-13, 133,14 v. 3. Noch häufiger spricht Elias vom Singen und Versemachen:
133,1
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v. 1-4
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„Abril
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ni may
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non aten
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de far uers.“
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133,2
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v. 5-7
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„Perqu’ieu ai talan que fassa
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Saber, lai en terra grega,
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Tal uers que ma dompn’entenda.“
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133,3
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v. 1-2
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„Estat ai dos ans
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Qu’ieu no fis vers ni chanso.“
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(Auch Strophe II. und IV.)
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133,4
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v. 1-2
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„Freitz ni neus no·m pot destreigner
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Qu’ieu non chant ...“
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v. 3-4
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„. . . . . . . . . mais plagra
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Chanssoneta de leu rima.“
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133,6
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v. 9
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„Perqu’ieu farai guais motz ab son plazen.“
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133,8
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v. 1
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„Per mantener joi e chant e solatz.“
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v. 4
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„Farai chanso . . . . . .“
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133,9
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v. 2
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„Farai un guai sonet novelh.“
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133,10
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v. 34 ff.
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„Ben cuidei laisar
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Rire, iogar
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E drudaria . . .
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(Cil . . . que non a par)
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E·m fai chantar.“
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133,12
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v. 1-4
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„Si cum selh que sos companhos
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Ve rire e no sap de que
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Tot atretal vey qu’es de me
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Que fas chansos.“
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133,13
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v. 3-5
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„. . . . . per la bon’ esperansa
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. . . . . vuoill chantar.“
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133,14
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v. 7-11
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„. . . . . uauc esforssan
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De chantar
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E ies non par
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Qu’ieu chantes.“
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v. 14-15
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„Ben fora plus valen
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Mos chans . . . . .“
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Keines von diesen Motiven findet sich in unserer Canzone, wie sie auch bei G. d. S. fehlen. Sie begegnen bei Elias Cairel vornehmlich in den Anfangsstrophen. Die Anfangsstrophe unseres Liedes zeigt aber, wie wir gesehen haben, ein individuelles Gepräge ganz anderer Art.
Die Gesamtheit dieser Erwägungen ergibt, daß sich keine inhaltlichen Argumente beibringen lassen, die Elias Cairels oder G. de Salignacs Autorschaft beweisen oder auch nur wahrscheinlich machen.
Stronski hat ferner noch auf die Aehnlichkeit der Anfangsstrophen unseres Liedes und des Gedichtes Nr. 2 (B. Gr. 249,1) hingewiesen. Nr. 2 wird zwar in den Mss. Da I K dem G. d. S. attribuiert, doch ist die Verfasserschaftsfrage auch bei dieser Canzone keineswegs entschieden. Man kann daher die von Stronski angeführte Aehnlichkeit nicht zur Argumentation für die Autorschaft G. d. Salignacs verwenden.
Zur Lösung der Attributionsfrage muß endlich noch das Versschema unserer Canzone in Betracht gezogen werden. (Vgl. oben Metr.: 7a 7b 7b 7c 7c 7d 7d.) Bei keinem der wenigen Gedichte des G. d. S. ist ein ähnliches Schema verwendet worden. Von den vierzehn Liedern E. Cairels zeigt nur das folgende eine gewisse Uebereinstimmung in der Aufeinanderfolge der ersten Reime:
133,6:
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8a 8b 8b 8c 4c 6c 10d 10d 10e 10e.
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Die Reime selbst stimmen nicht mit denen unserer Canzone überein, wie die folgende Zusammenstellung zeigt:
Nr. 1.:
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ansa, en, ai, be.
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133,6:
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il, os, ir, atz, en.
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Man wird aus dem Vergleich der Versschemata jedenfalls keinen Schluß für oder wider die Verfasserschaft G. d. S.’s oder E. Cairels ziehen können.
Aus den obigen Ueberlegungen folgt also, daß weder Inhalt noch Form unserer Canzone ein Argument zur Lösung der Attributionsfrage liefern. Das Filiationsverhältnis der Handschriften aber kann ein doppeltes sein. Gilt das Schema I, so ist ein „Elias“als Verfasser gesichert, und dann ist jedenfalls, wie auch Stronski meint, Elias Cairel als Autor unserer Canzone anzusehen. Da aber das Schema II ebensowohl gelten kann, so muß die Frage unentschieden bleiben, ob Elias Cairel oder G. d. S. als Verfasser unseres Liedes betrachtet werden darf.
Fußnote:
1) St. Stronski: Elias de Barjols p. XXII der Einleitung.(↑)
2) entspricht der Lesart in C.(↑)
3) Zitiert sind nur die kürzeren Stellen nach den in B. Gr. p. 127 f. angegebenen Abdrucken der Lieder.(↑)