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Eichelkraut, Franz. Der Troubadour Folquet de Lunel . Berlin: W. Weber, 1872

DER TROUBADOUR

FOLQUET DE LUNEL.

 

NACH DEN PARISER HANDSCHRIFTEN

 

HERAUSGEGEBEN

VON

DR. FRANZ EICHELKRAUT.

 

BERLIN.

VERLAG VON W. WEBER.

1872

 

Herrn Professor Peisker,

seinem hochverehrten Lehrer

in dankbarer Ehrfurcht

gewidmet.

 

Folquet de Lunel lebte zu einer Zeit, wo der ritterliche Hauch, der während der Kreuzzüge den Süden Europas durchströmte, verweht war; wo die begeisterte poetische Stimmung einem kalten prosaischen Leben hatte weichen müssen; ungeselliger Egoismus war in den früher so gastlichen Schlössern der Grossen an Stelle des heiteren, mit Gesang gewürzten Zusammenseins getreten; Thor und Thür waren dem fröhlichen Bringer der Lust verschlossen. Welche Gestalt eine einst so lebenskräftige Poesie unter derartigen Verhältnissen annehmen musste, ist klar; theils kettete sie sich mit ihren Gedanken an die verschwundene goldene Zeit; theils geisselte sie in ihrem Unmuth die Urheber dieses eigennützigen, traurigen Lebens; theils haschte sie nach Gelehrsamkeit; theils wandte sie sich an das ewig Unwandelbare, an die Gottheit. Zu den Vertretern dieser letzten Richtungen zählt auch Folquet de Lunel.

Eine provenzalische Biographie von ihm ist meines Wissens nicht vorhanden — wie solche ja im Allgemeinen für die letzten Dichter fehlen —, auch bieten seine Gedichte, grösstentheils chansos, nur eine geringe Ausbeute für sein Leben. Einiges nähere findet sich in der Schlusstirade seines romans de mondana vida.

Er wurde 1244, wahrscheinlich in Lunel (1) selbst, geboren und scheint auch stets in seiner Vaterstadt geblieben zu sein, wie sich aus der zweiten tornada des vierten Gedichts und aus dem Umstand, dass er seinen ziemlich langen romans in Lunel begonnen und beendet, wohl schliessen lassen kann; (2) wenigstens ist nirgends deutlich ausgesprochen, dass er sich einige Zeit an den Höfen der von ihm gepriesenen Fürsten aufgehalten habe. (3)

Ob er ein Geistlicher gewesen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit behaupten; vielleicht könnte man aus dem Vorwurf, den ihm der Bischof von Magalona romans Vers 520 ff. desshalb macht, dass er nicht mehr von „vanetat“ singe, das Gegentheil schliessen; denn ein Bischof möchte schwerlich einen ihm untergebenen Geistlichen zum Besingen der weltlichen Freuden und Leiden auffordern.

Ebenso wenig genaues wissen wir über sein Todesjahr. Man kann folgende Fakta in Erwägung ziehen, jedoch wohl nur aus dem ersten mit einiger Berechtigung einen Schluss ziehen.

Heinrich II., Graf von Rodes, den er in fast allen seinen Liedern erwähnt und preist, stirbt im Jahr 1302 (l’Art de vérif. les dates IX. 417); nirgends in seinen Gedichten findet sich ein Klagewort über den Tod seines „car senhor.“ Seine Vaterstadt und einige umliegende Dörfer fielen im Jahr 1296 an Nordfrankreich (hist. de Lang. IV. 85), und hätte er, bei der Abgeneigtheit des Südens gegen den Norden, dieses Umstands trauernd zu erwähnen wohl Gelegenheit gehabt. Der Bruder Alfons X., Heinrich von Castilien, zu jener Zeit durch sein abenteuerliches Leben viel bekannt und wegen seines edlen, leutseligen Benehmens von den provenzalischen Dichtern geliebt, dessen Gefangennehmung mehrere Troubadours bejammern, und dessen Freilassung auch Folquet sehnlichst wünscht, wird 1293 in Freiheit gesetzt (hist. litt. XX. 556); nirgends ein Wort der Freude bei unserm Dichter. Der grosse Poesiefreund, der freigebige Alfons X. von Castilien, den Folquet, selbst mit einer nicht berechtigten Herabsetzung eines Peter III. von Aragonien (II. Ged III. Strophe), zu verehren sich gedrungen fühlte, stirbt im Jahr 1284; nirgends bei ihm ein Wort der Trauer.

Was sollen wir aus diesen Thatsachen schliessen? Wie sollen wir uns das Fehlen einer Anspielung auf die erwähnten Ereignisse erklären? Sollte unser Dichter, nachdem er das mittlere Lebensalter überschritten, in seinen Gedichten wirklich nur noch den Namen Gottes und der Jungfrau Maria zugelassen haben (romans vers 523 ff)? Das scheint doch unnatürlich; andererseits hätte die Annahme, dass Alfons’ Todesjahr (1284) auch das Folquets gewesen, obgleich keins seiner Gedichte dagegen Einspruch erheben könnte, wohl wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Auch liesse sich das Fehlen eines trauernden Worts über den Tod Alfons theils dadurch rechtfertigen, dass er ihn, sonderbarer Weise, überhaupt nur in einem einzigen Gedicht erwähnt, theils dadurch, dass jener König am Ende seiner Regierung in der That nicht mehr in demselben Grade Liebling der Troubadours gewesen zu sein scheint, wie zur Zeit seines Regierungsantritts und später. So sind wir denn auf den weiten Zeitraum des Schlusses des dreizehnten Jahrhunderts angewiesen; denn den Tod seines theuern Grafen von Rodes, den er in keinem Gedicht zu nennen unterlassen konnte, wird er schwerlich überlebt haben.

Unter den fürstlichen Häuptern, die Folquet in seinen Liedern preist, nimmt, in Bezug auf den Grad der Zuneigung des Dichters, Heinrich II., Graf von Rodes, die erste Stelle ein. Obgleich Grafen aus seinem Geschlecht, mit einer ganz geringen Unterbrechung (l’Art de vérif. IX. 412 ff), seit Beginn der provenzalischen Dichtung in Rodes herrschten, wird ihrer doch von keinem früheren Troubadour Erwähnung gethan; sei es, dass sie wirklich keine Freunde der Poesie waren; sei es, dass ihre Gunstbezeigungen zu jener Zeit neben denen von weit mächtigeren Grossen ganz verschwanden. Heinrich II. und sein Vater Hugo IV. (1227-1274) sind die beiden einzigen Grafen von Rodes, die sowohl durch eignes (4) Dichten als auch durch freigebige Unterstützung der Dichter in der provenzalischen Poesie bekannt geworden sind.

Heinrich II. scheint mannigfaches Interesse an der Verjüngung der damals ersterbenden Dichtkunst genommen und die Dichter zu genauerer Kenntniss der Meisterlieder angespornt zu haben; so wissen wir, dass er vier Dichter aufforderte, Guiraut von Calansons allegorisches Lied auf die Liebe zu kommentiren und besitzen Verse von ihm, in denen er Guiraut Riquier, einem jener vier, ein Zeugniss für seine wohlgelungene Arbeit ausstellt (Mahn W. d. Tr. IV. 232 ff). Ob unser Dichter je an Heinrichs Hof verweilt habe, und ob sein poetischer Tribut Folge von Geschenken und Unterstützungen gewesen, lässt sich aus seinen Liedern nicht ersehen.

Ein anderer Fürst, dessen Lob Folquet ein ganzes Gedicht (II.) widmet, ist Alfons X., der Weise, von Castilien (1252-1284). Sind Hugo und Heinrich von Rodes hellleuchtenden Punkten zu vergleichen, die nur wenige, in der Nähe Wandelnde anziehen konnten, so ist Alfons X. die Sonne, an deren Strahlen sich alle Troubadours jener trüben und kalten Zeit erfreuten und erwärmten; in ihn hatten alle Dichter die Hoffnung gesetzt, dass er die vergangene schöne Zeit zurückbringen, dass er nach dem eingebrochenen Abend ein herrliches Morgenroth herbeiführen würde. Und wenn je Fürstengunst allein Blüthen und Früchte einer Poesie entfalten könnte, so hätten Alfons’ Freigebigkeit und Gunstbezeigungen, die hinter keinen der edelsten Gönner der besten Troubadours-Zeit zurückstanden, diesen Erfolg haben können. (5)

Zur Bestimmung der Entstehungszeit seiner Lieder finden wir in denselben wenig Anleitung; vielleicht ist die Reihenfolge, die das Ms. giebt, und wie sie nachher im Text folgen, ganz chronologisch. Doch besprechen wir das zweite, als das einzige, das eine historische Grundlage hat, zuerst. Es muss, wie schon Diez bemerkt (Leben und Werke der Troub. 592), da es von einer bevorstehenden deutschen Kaiserwahl und dem Vakantsein des Kaiserstuhls spricht, in das traurige Jahr vor der Thronbesteigung Rudolphs von Habsburg fallen (April 1272-September 1273); denn zur Zeit der gemeinsamen Wahl Richards von Cornwallis und Alfons X. (1256) kann es Folquet, damals erst 12 Jahr alt, nicht geschrieben haben; erst nach dem Tode Richards (April 1272) wird er an die Wähler die Ermahnung erlassen haben, den kastilischen König zum definitiven Herrn Deutschlands zu machen. Mit dieser Zeitbestimmung verträgt sich zwar nicht, dass er Don Peire schon König von Aragon nennt, der, wenn er auch öfter seinen Vater in der Abwesenheit vertrat, erst 1276 den Thron bestieg; man müsste es denn dadurch rechtfertigen, dass Peter schon 1262 bei einer Theilung des Reichs zum König von Aragon bestimmt und ihm als Nachfolger geschworen wurde (Schmidt, Gesch. Arag. 169). Dieses Gedicht, das Folquet also in einem Alter von 29 Jahren schrieb, können wir füglich für das früheste der uns von ihm bekannten halten. Das erste Gedicht, da in seiner ersten tornada, nach der Lesart des Ms. La Vall 14, ein König Jacob, worunter Jacob I. von Aragonien (1213-1276) zu verstehen ist, genannt wird, könnte vor diesem entstanden sein; doch thun wir vielleicht besser, es mit den anderen zusammenzufassen und als gegen das Ende der Regierung Jacobs verfasst anzunehmen.

In allen übrigen Gedichten nämlich wird ein Graf von Rodes erwähnt, der, obgleich nur einmal (III. Ged. Vers 23) mit Namen bezeichnet, wohl stets Heinrich II. ist; denn in drei Gedichten (III, V, VII), in deren einem er namentlich angeführt wird, macht ihm der Dichter denselben Vorwurf wegen seines „maldir de sa gensor,“in einem vierten (VI.), das schon seiner künstlichen Form wegen schwerlich vor 1272 zu setzen sein möchte, lobt ihn der Dichter, weil er jetzt seine Dame liebt, also sich in dem Sinne des Dichters gebessert hat; so wären wir auch wohl berechtigt, in den beiden übrigen, (I, IV), unter dem Grafen von Rodes Heinrich II, zu verstehen; würden also diese sechs Gedichte nach 1275, dem Regierungsantritt Heinrichs, zu setzen sein. Unklar ist mir die Anspielung auf die zu erwartende Thronbesteigung des Grafen Heinrich (III. Ged. Vers 21-23); diese, ganz abgesehen von der kühnen Schmeichelei, auf das deutsche Reich zu beziehen und das Gedicht in demselben Jahr, wie das an den König Alfons, verfasst anzunehmen, gestattet schon der Umstand nicht, dass Heinrich Graf von Rodes genannt wird, was er erst von 1272 ab ist.

Der romans giebt Ort und Zeit seiner Entstehung (1284) am Schlusse selbst an.

Bevor wir zum Text übergehen, noch eine Bemerkung zu den Liedern, wobei ich das zweite, als politisches Sirventes, hier bei Seite lasse. Liest man einige Strophen seiner Gedichte, so machen sie vollständig den Eindruck von Minneliedern; das alte vielbesungene Thema der Liebe, dasselbe überschwängliche Loben und Preisen der Herzensdame in ähnlichen Ausdrücken und Wendungen, wie wir es in allen Liebesliedern der Troubadours zu lesen gewohnt sind; um so weniger können wir uns des Erstaunens erwehren, wenn wir in einigen tornadas (V. Ged. I. torn. und VII. Ged. II. torn.) ausgesprochen finden, dass seine Liebe eine noch weit imaginärere als die mancher anderer provenzalischen Dichter gewesen, dass seine Dame keine andre als die Jungfrau Maria selbst ist.

Millot (II. 139 ff.) hatte also mit seiner Behauptung, die man bisher mit Argwohn las, ganz Recht; dass er nachher noch hinzufügt, Folquet sei der Jungfrau Maria „avec tout l’enthousiasme de l’ignorance“ (II. 140) ergeben gewesen, kann wohl nur in Millot’s ignorance der provenzalischen Sprache seine Rechtfertigung finden; wenigstens aus seinen Gedichten konnte er, meiner Ansicht nach, schwerlich ein solches Urtheil herauslesen. Wenn auch selbstverständlich in ihnen, eben ihres Gegenstandes wegen, weder der geistreiche Witz eines Mönchs von Montaudon sprudelt, noch die durch wahres Lieben hervorgebrachte herzinnige Sprache eines Bernart von Ventadorn tönt, so sind sie doch mit den einförmigen, in Bezug auf Kunstwerth ziemlich tief stehenden religiösen Liedern nicht auf eine Stufe zu stellen; die, freilich sonderbare, Anwendung des so zu sagen weltlichen Styls zu diesem geistlichen Inhalt schützte sie eben vor dem ermüdenden Einerlei der religiösen Gedichte.

Hier tritt noch die Frage an uns: Sind diese sieben Gedichte, von denen, streng genommen, nur eins (II.) weltlichen Inhalts ist, die einzigen, die Folquet geschrieben? Nach der dritten Strophe des sechsten Gedichts und noch mehr nach den Versen 520 ff. des romans, wo er sagt, dass ihm der Bischof von Magalona den schmeichelnden Vorwurf mache, dass er nicht mehr von „vanetat“ singe, müssen wir wohl schliessen, dass er früher auch andere Lieder als auf „sa gensor vergues“ gedichtet und nach dem Begriff jener Zeit gut gedichtet habe. So viel mir bekannt, sind jedoch in keiner Handschrift mehr als die hier mitgetheilten enthalten.

Sämmtliche sieben Lieder finden sich in der bekannten Pariser Handschrift No. 7226 (jetzt 856); das I., III. und IV. stehen auch noch in dem Ms. La Vall 14.

Gedruckt waren bisher, meines Wissens, nur drei: das zweite bei Raynouard choix des poés. IV. 239, das dritte im Parnasse Occitanien 155 und das vierte nach der hs La Vall 14, bei Mahn Ged. d. T. II. No. 1074.

Der romans steht nur in dem Ms. La Vall 139; 13 Verse aus demselben hatte schon Raynouard (Choix V. 169) mitgetheilt, einen längeren Auszug bietet Bartsch Chrest. prov. 301 ff. Das Original habe ich sowohl in Bezug auf Wortlaut als auf Orthographie so treu wie möglich wiedergegeben.

 

Dass dem, was im Nachfolgenden über den Bau der Strophen gesagt wird, Dante’s lehrreiches Büchlein: de vulgari eloquentia (vergl. dazu Boehmer: Ueber Dante’s Schrift de vulg. eloq.) zu Grunde gelegt ist, bedarf wohl keiner Rechtfertigung mehr, wenn man bedenkt, dass wie im Allgemeinen die Italiener jener Zeit bei den Provenzalen in die Schule gegangen sind, so besonders Dante die Troubadours in der Lyrik so oft als Muster hinstellt. Anregung und Anleitung wurde mir speciell zu Theil in den Vorlesungen des Herrn Prof. Tobler und in den von demselben geleiteten Uebungen der romanischen Gesellschaft. Für alles andere, was die provenzalische Reimkunst berührt, sind natürlich die leys d’amors Quelle gewesen (vergl. dazu Ferd. Wolf in den Jahrbüchern der wissenschaftlichen Kritik. 1842. II. 423 ff.); für beides boten ausserdem Bartsch’s treffliche Abhandlungen gründliche Belehrung (Ebert’s Jahrbuch I. 171 ff. und Pfeiffer’s Germania II 268 ff.).

 

Noten

1) Stadt, nordöstlich von Montpellier.()

2) Wenn Guingené (hist. littér, XX. 556) daraus, dass der Dichter seine Lieder an die Fürsten sendet, beweisen will, dass er seine Vaterstadt nicht verlassen habe, so ist dieser Schluss wohl ungerechtfertigt, denn diese echt provenzalische Sitte bestand ja zu allen Zeiten der Troubadours-Dichtung.()

3) Selbst die Lobeserhebungen auf den Hof Alfons X. (II. Ged. 2. Strophe) können nich tzu dieser Annahme berechtigen; sie sind zu allgemeiner Natur, als dass sie nur aus eigner Anschaunng hätte fliessen können.()

4) Brinkmeier will — wohl mit Unrecht — unter dem gräflichen Theilnehmer an den Tenzonen Uc’s von St. Cyr. einen früheren Grafen als Hugo IV. verstanden wissen (die prrovenzal. Troubadours 176).()

5) Die anderen in den Gedichten vorkommenden Namen finden unter dem Text ihre Erklärung.()

 

 

 

 

 

 

 

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