Zu Folquet von Romans und Folquet von Marseille.
In meiner Ausgabe des Folquet von Romans (Halle 1896. Rom. Bibl. Bd. XII) habe ich S. 6 f. die Frage erörtert, ob die schöne geistliche Alba Gr. 155, 26: Vers deus et vostre nom e de sancta Maria, welche in C dem Folquet von Marseille, im Register von C aber und in R dem Folquet von Romans zugeschrieben und in f anonym überliefert wird, von dem ersteren oder dem letzteren verfasst sei. Ich glaubte, das Gedicht dem Folquet von Marseille zusprechen zu sollen aus zwei Gründen: einmal deshalb, weil das Register von C und R dem Folquet von Romans mehrere Lieder (das Register von C drei, R fünf) unzweifelhaft fälschlich zuschreiben, ihr Zeugnis also von vornherein in hohem Grade verdächtig ist; sodann und zumeist aber aus dem Grunde, weil es mir keinem Zweifel zu unterliegen schien, dass die Alba und das in Reimpaaren abgefasste Gedicht Gr. 155, 19: Seigner deus que fezist Adam von demselben Verfasser herrühren; letzteres aber wird in der einzigen Handschrift, die es überliefert, in R, dem Folquet von Marseille zugeteilt und ich sah keinen Anlass, diese Attribution in Zweifel zu ziehen. In seiner Besprechung meiner Ausgabe im Litteraturblatt f. germ. u. rom. Phil. 1896, Sp. 166 weist nun Appel darauf hin, dafs P. Meyer, Alexandre le Grand dans la littérature française du moyen âge, Paris 1886, t. II, p. 90, Note, für Folquet von Romans in der Alba den Reim via (vita): via (via) geltend gemacht habe, und er selbst fügt noch hinzu die Reime cria V. 22 und complia im Refrain; da der Schwund der intervokalen Dentalis der Sprache von Romans, nicht der von Marseille angehöre, so falle dieses Argument für Folquet von Romans ins Gewicht, bei dem sich via = vida in der That III, 23 und XIII, 32 (ich füge hinzu: auch complia III, 5) finde. Dem, was ich über die inhaltliche Zusammengehörigkeit des Gedichts mit Gr. 155, 19 sage, lasse sich das Lied: Quan be me sui apessatz des Folquet von Romans gegenüberstellen.
Ich gebe zu, dass die von P. Meyer und Appel hervorgehobene dialektische Eigentümlichkeit, welche mir entgangen war, die Autorschaft des Folquet von Romans in hohem Grade wahrscheinlich macht, und ich räume meinen Irrtum um so lieber ein, als ich ursprünglich aus anderen Gründen selbst die Absicht hatte, das Lied diesem letzteren zu vindizieren. Erst die Erkenntnis der nahen inhaltlichen Uebereinstimmung zwischen 155,19 und 155,26 liess mich meine Meinung ändern, indem sich mir eine Handhabe, um auch jenes umfangreichere Gedicht für Folquet von Romans in Anspruch zu nehmen, nicht darbot.
Die Gründe nun, welche mir für die Autorschaft des Folquet von Romans zu sprechen schienen und welche jetzt also zu dem nach dem Vorgang P. Meyer's von Appel hervorgehobenen sprachlichen Grunde hinzukommen, sind die folgenden:
1. Wie ich S. 2 meiner Ausgabe bemerkt habe, sind die Lieder des Folquet von Marseille alle in coblas unissonans abgefasst: sämtliche Strophen sind durch die gleichen Reime gebunden. Die vorliegende Alba hingegen zeigt gleiche Reime nur in Str. I und II einerseits und in Str. III, IV, V andrerseits; da nun Str. V um vier Verse kürzer als die anderen und somit als Geleit aufzufassen ist, so haben wir regelrechte coblas doblas, und eben diese coblas doblas, Strophen, die paarweise durch den Reim gebunden sind, begegnen uns bei Folquet von Romans in No. IX, also in eben jenem Gedicht, auf dessen inhaltliche Verwandtschaft mit unserer Alba Appel aufmerksam macht. Allerdings habe ich a. a. O. bemerkt, dass die Alba als solche inhaltlich und formell aus der Reihe der übrigen, die Form der Canzone tragenden Gedichte Folquet's von Marseille heraustrete, eine abweichende Behandlung der Reime bei ihr mithin nichts Auffallendes habe. Trotzdem war mir dieser Punkt von vornherein bedenklich, insofern doch bei der Alba so gut wie bei der Canzone durchgehende Reime zulässig sind.
2. V. 19—21wird in der Alba von Christus gesagt:
e fos en crotz levatz
d'espinas coronatz
e de fei abeuratz.
Diese Verse erinnern lebhaft an eine bei Folquet von Romans VII, 46—50 gegebene Schilderung des Leidens Christi:
. . . fo en crotz levatz,
et es totz oms desesperatz
quinoi a ferm coratge,
qui ve com el fo clavellatz
per nos e batutz e nafratz.
3. Der warme Ton, die frische kräftige Sprache, der schöne lyrische Schwung der Alba gemahnen viel mehr an die Gedichte des Folquet von Romans als an die des Folquet von Marseille. Die letzteren haben wenigstens für mein Gefühl alle etwas Gekünsteltes, Reflektiertes. Die Alba würde unter ihnen vollkommen isoliert stehen, während die Charakteristik, die ich S. 33 meiner Ausgabe von den Dichtungen des Folquet von Romans gebe, auch für sie ihre volle Gültigkeit besitzt.
4. Wie die Hs. C dazu gelangen konnte, das Gedicht dem Folquet von Marseille fälschlich zuzuschreiben, wird vollkommen verständlich durch die Thatsache, dass es in dieser Hs. sich unmittelbar an die Lieder des genannten Dichters anschliesst. Der Kopist hat die Ueberschrift nur flüchtig angesehen und ohne weiteres angenommen, dass es sich noch um den gleichen Folquet handle wie bisher.
Ich denke, diese Gründe, mit dem Meyer-Appel'schen Argument zusammengenommen, dürften geeignet sein, die Autorschaft Folquet's von Romans für unsere Alba nahezu zur Gewissheit zu erheben.
Wie steht es nun aber mit dem Verhältnis der Alba zu Gr. 155, 19, von dem ich sie nicht trennen zu dürfen glaubte? Werden wir nun doch genötigt sein, für beide Gedichte verschiedene Verfasser zu statuieren, war also der von der Uebereinstimmung des Inhalts auf die Identität der Verfasser gemachte Schluss ein trügerischer? Keineswegs. Vielmehr würde meines Erachtens eben diese nahe inhaltliche Verwandtschaft der beiden Gedichte allein genügen, auch Gr. 155, 19 nunmehr dem Folquet von Romans zuzuschreiben. Dass die einzige Handschrift, welche das Gedicht überliefert, R, als Verfasser den Folquet von Marseille nennt, hat in Anbetracht der zahlreichen falschen Attributionen in R gegenüber solch gewichtigen inneren Gründen wenig zu sagen.Aber abgesehen von dem zwischen 155, 19 und der Alba bestehenden inneren Zusammenhang machen andere Gründe die Autorschaft des Folquet von Romans für 155, 19 in hohem Grade wahrscheinlich, und zwar sind diese Gründe denen, welche uns soeben ihm die Alba zusprechen liessen, vollkommen analog, nämlich:
1. Das Gedicht zeigt wie die Alba Sprachformen, welche dem Dialekt von Romans, nicht aber dem von Marseille angehören; es sind dies malenconi (melancholia) V. 21 im Reim zu demoni (daemonium) und clos (Hs. clors) V. 113 reimend mit mors (morsus).
Der Abfall des auslautenden a nach mouilliertem Laut und nach i ist ein Kennzeichen des Dialekts der Dauphiné, vgl. A. Devaux, Essai sur la langue vulgaire du Dauphine septentrional au moyen âge, Paris und Lyon, 1892, p. 222 ff. und P. Meyer a. a. O. p. 85. Die Erscheinung findet sich noch in Oysans, schwindet aber im Süden des Departements. Im Testament des Guigo Alaman von Uriage bei Grenoble, datiert vom J. 1275, Devaux p. 41, begegnen die Formen filli, mili, terci (tertia); in den Comptes consulaires de Grenoble von 1338—40, ib. p. 48, pecuni, neci (neptiam); so auch noch im heutigen Patois: abbondanci bei Champollion-Figeac, Patois de l’Isère p. 117, compagni (*compania) bei F. Mistral, Muereglie, trad. en dialecte dauphinois p. M. Rivière Bertrand, Montpellier 1881, p. 12, Z. 4. Mistral, Trésor dou Félibrige s.v. malancounie verzeichnet als heutige Formen der Dauphiné malencòni, melancòli, enconi, als marseillische Formen hingegen: malencounié, malancoulié, malencoulié, malancourié.
Sodann o aus au, das in clos — mors vorliegt, findet sich gleichfalls im Dialekt der Dauphiné, nicht aber in dem von Marseille, vgl. Devaux, o. c. p. 209; so chosa bei Guigo Alaman, desgleichen im Cartulaire de Saint Paul de Romans (13. Jahrh.) bei P. Meyer, Recueil p. 169; clos selbst in den Usages du mistral des Comtes de Vienne vom J. 1276, Devaux p. 70, ebenda eglosa (exclausa). Mistral, Trésor s. v. causo führt als heutige Formen der Dauphinéan chosa, chousa, als marseillische hingegen cauvo, cavo.
2. Wir besitzen von Folquet von Marseille kein Gedicht, das in der Form des vorliegenden, in paarweise durch den Reim verbundenen Achtsilbnern abgefafst wäre. Dagegen bedient sich Folquet von Romans eben dieses Metrums in der Epistel, No. XIII. Unser Gedicht bildet auch inhaltlich gewissermafsen ein Pendant zu dieser Epistel, insofern man es geradezu als eine Epistel an Gott auffafsen könnte, wie denn Raynouard es in der That unter die Episteln einreiht. Auch darauf möchte ich aufmerksam machen, dass in ganz analoger Weise, wie sich zu No. XIII das sich inhaltlich mit ihm vollkommen deckende Lied No. II gesellt, so neben dem vorliegenden Gedicht die inhaltlich mit ihm wenigstens sehr nahe übereinstimmende Alba stehen würde.
3. Das Bild, das der Dichter V. 100 gebraucht:
Dieus ....
met me el tieu sant habitacle
erinnert an das ganz ähnliche Bild in Gr. 155, 26 V. 67:
e·ns meta [sc. dieus] dins satenda.
4. Der Stil des Gedichtes ist der des Folquet von Romans, nicht der des Folquet von Marseille; es ist, wie die Epistel, flott geschrieben, der Ausdruck frisch und unmittelbar; keines von den Liedern Folquet's von Marseille bietet etwas Aehnliches.
Ich denke, alle diese Gründe dürften genügen, um, wie für Gr. 155,26 so auch für 155, 19 die Autorschaft des Folquet von Romans als erwiesen zu betrachten. Ich freue mich, in der Lage zu sein, die geringe litterarische Habe des Dichters um die beiden Stücke zu vermehren, die entschieden den besten Erzeugnissen der provenzalischen Lyrik beigerechnet werden müssen und geeignet sind, dem günstigen Urteil, welches ich S. 33 meiner Ausgabe über ihn glaubte fällen zu dürfen, zur weiteren Bestätigung zu dienen.(1)
Die Alba stellt sich dar als der Hymnus eines gläubigen Gemütes bei Anbruch der Morgenröte, welch’letztere offenbar als das Symbol der göttlichen Gnade, der göttlichen Erleuchtung gefasst wird. Der Dichter lässt als Türmer seinen Weckruf ertönen: „Steht auf und erhebt Euch, ihr Herren, die Ihr Gott liebt; den der Tag ist nahe und die Nacht entweicht; und lasst uns Gott loben und anbeten und ihn bitten, dass er uns Frieden gebe in all’ unserm Leben." Für sich und für seine Mitmenschen fleht er zu Gott um Vergebung der Sünden und um Bewahrung vor den Schlingen des Teufels und er schliesst mit der Bitte, der Herr möge sie alle da droben in sein himmlisches Reich aufnehmen.
Triumphierend hallt jede Strophe in den Refrain aus: „Die Nacht entflieht, es kommt der Tag mit klarem, heitrem Himmel, die Morgenröte zögert nicht, schön und vollkommen bricht sie an." Die Form ist von tadelloser Harmonie, klangvoll und prächtig rollen die Verse dahin, und die sechsmalige, in Str. III und IV sogar neunmalige Wiederholung des gleichen Reimes im zweiten Teil der Strophe malt vortrefflich das gleichmässig sich wiederholende Hornsignal des Türmers. Der poetische Wert des Gedichtes ist übrigensanerkannt, Émeric David in seinem Artikel über Folquet von Marseille,Hist. litt. XVIII, 602, nennt es „petit ouvrage plein de poésie etun des meilleurs de Folquet" und bemerkt, es scheine von allen Liedern dieses Dichters am berühmtesten gewesen zu sein. Nach Bastero, Crusca provenzale I, 83 hat Petrarca den Refrain nachgeahmt; welche Stelle er im Auge hat, vermag ich nicht zu sagen.
Senher Dieus etc. ist „die Beichte eines von dem Stachel des Gewissens geängstigten Herzens, der Angstruf eines Sünders, dendie Schrecken der Ewigkeit zermalmen".(2) Die leidenschaftliche religiöse Inbrunst dieses Bussgedichtes dürfte in der mittelalterlichen Litteratur nicht übertroffen worden sein. Krieg will der Dichter mit Gott führen im Gebet, bis er sich seiner erbarmt: „Wahrer Gott, spitze Deine Ohren (dressa tas aurelhas), vernimmmein Schreien und meine Klagen; so will ich mit Dir streiten und Krieg mit Dir führen auf den Knieen, das Haupt zur Erde geneigt,mit gefalteten Händen und mit gesenktem Haupte, so lange, bis Dich Erbarmen fasst mit mir; und oft werde ich mein Antlitzwaschen, also, dass es frisch und klar sei, mit dem warmen Wasserder Quelle, die da oben in der Stirne entspringt; denn Thränen und Klagen und Seufzer sind der Seele Frucht und Blüte. Herr Gott, an Dich richte ich mein Flehen, verlass mich nicht in dieser Not; traun, ich bin Dein leiblicher Verwandter und bin Deingeistiger Verwandter, ich bin Dein Sohn und Du mein Vater, Dumein Herr und mein Erlöser, ich bin Dein Sohn, Du mein Verwandter, habe Mitleid mit mir, u. s. w." (V. 119—138). Es ist, wiean der eben citierten Stelle, bisweilen mehr ein Stammeln als ein Reden; die gleichen Gedanken, die gleichen Worte kehren kurznach einander wieder; man hat, möchte ich sagen, den Eindruckeiner ungestüm gegen das Ufer schäumenden Brandung, die inimmer erneutem Anlauf die hemmenden Dämme zu durchbrechen trachtet. Das Gedicht schliesst, wie die Alba, mit der Bitte um Erteilung der ewigen Seligkeit in Gottes himmlischem Reiche.
Beide Gedichte stammen natürlich ungefähr aus der gleichen Zeit wie No. IX: Quan be me sui apessatz, sind also vielleicht erstnach 1228 anzusetzen. Was ihr gegenseitiges chronologisches Verhältnisbetrifft, so ist jedenfalls die Alba etwas später entstanden als das Bussgedicht, indem die hochgradige seelische Erregung, diesich in letzterem ausspricht, in ihr einer ruhigen, vertrauens vollen Stimmung Platz gemacht hat. Der Dichter zittert nicht mehr vorder drohenden Verdammnis, sondern heiteren Gemütes blickt erin den Glanz der heraussteigenden Morgenröte, erfüllt von dersicheren Hoffnung, dass seinem Flehen die Erhörung nicht versagt bleiben werde.
Durch diese beiden Gedichte erfährt also das litterarische Besitztum des Folquet von Romans einen erfreulichen Zuwachs. Ich glaube nun aber in der Lage zu sein, dasselbe noch weiter zu vermehren durch zwei Stücke, die uns den Dichter von einer ganz neuen Seite, nämlich als Novellisten, kennen lehren, die unsaber freilich leider nicht im Original, sondern nur in lateinischer Uebersetzung — und zwar das eine nur in einer kürzenden Uebersetzung— erhalten sind.
Thomas, Francesco da Barberino et la liitérature provençale en Italie au moyen âge, Paris 1883, teilt p. 143 ff. aus dem noch ungedruckten Commentar zu den Documenti d’amore des Barberino (1264—1348) zwei Geschichten mit, als deren Verfasser ein gewisser Folquet genannt wird („Folchet, qui novum hoc, licet sub latioribus verbis, reciiat"; „ut narrat Folchet"). Thomas meint, es berechtige nichts dazu, diesen etwa mit Folquet von Romans zu identifizieren. Bezüglich des Originals der einen — längeren — Geschichte bemerkt er, es scheine in Prosa geschrieben gewesen zu sein, und er fügt hinzu: „l'on peut affirmer que s’il nous avait été conservé, ce serait un des plus beaux morceaux narratifs de la prose provençale", ein Urteil, dem ich vollkommen beipflichte.
Ich glaube nun im Gegensatz zu Thomas, dass eine ziemliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass die beiden Stücke allerdings ebenden Folquet von Romans zum Verfasser haben; die Gründe fürdiese Vermutung, die ich ausschliesslich der zweiten umfangreicheren Geschichte entnehme, sind die folgenden:
1. Die fragliche Geschichte hat zum Gegenstand ein Abenteuer, das ein gewisser Hugolin von Forcalquier und eine Dame Namens Blanchemain beim Ueberschreiten der Isère zu bestehenhatten. Die Dame gerät in Lebensgefahr, Hugolin rettet sie vom Tode des Ertrinkens und erhält sie zum Danke für seine mutige That zur Frau. Nun liegt bekanntlich Folquet's Heimatsort, Romans, eben an der Isère. Auch eine andere Geschichte, welche Barberino von der Blanchemain erzählt (Thomas p. 149), zeigt uns diese in nächster Nähe von Romans, nämlich in Valence, weilend, und Thomas nimmt p. 150 an, dass sie eben in der Dauphiné zu Hause war.
2. Die Erzählung macht in ihrer detaillierten Ausführlichkeit und ihrer Anschaulichkeit durchaus den Eindruck, als sei der Verfasser entweder Augenzeuge des berichteten Vorgangs gewesen oder er habe denselben doch aus dem Munde eines Augenzeugen vernommen. Der Verfasser müsste dann also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Zeitgenosse des Hugolin und der Blanchemain oder doch nur wenig jünger gewesen sein. Nun kommt Thomas p. 151 zudem Resultat, dass die Blanchemain vermutlich um 1180geborenund 1240 noch am Leben war; die Lebenszeit ihres Gatten Hugolin begrenzt er annähernd mit den Jahren 1170—1230. In eben dieser Zeit aber lebte Folquet von Romans; wie ich S. 13 meiner Ausgabege zeigt habe, ist es wahrscheinlich, dass er um 1170 geboren war, und es steht fest, dass er sich 1233 noch am Leben befand.
3. Es sind uns nur drei provenzalische Autoren Namens Folquet bekannt: Folquet von Marseille, Folquet von Romans und Folquet von Lunel; denn der nicht näher bezeichnete Folquet, der mit Guiraut Riquier zwei Tenzonen wechselte (Gr. 153), ist, wie schon Chabaneau, Biogr. des Troub., Append. bemerkt, höchst wahrscheinlich identisch mit Folquet von Lunel, der ein Zeitgenosse des Guiraut war und wie dieser am Hofe des Grafen von Rhodez weilte .Folquet von Marseille nun kann als Verfasser der Erzählung kaumin Betracht kommen, da er schon 1199 ins Kloster ging und seitdem schwerlich mehr über weltliche Gegenstände geschrieben hat. Vor 1199 aber kann die Geschichte nicht nieder geschrieben worden sein, da ihre Aufzeichnung zur Voraussetzung hat, dass für die Person der Blanchemain bereits ein Interesse vorhanden war, was nach dem, was Thomas über ihre Lebenszeit ermittelt hat, vor 1199 nicht der Fall sein konnte. Ebenso ist, falls die unter 2 dargelegte Erwägung zutrifft, Folquet von Lunel ausgeschlossen, da er erst 1244 geboren wurde (3) und also wesentlich jünger ist als die Personen, von denen die Erzählung handelt; auch wird, wer die poetische Minderwertigkeit der uns von Folquet von Lunel erhaltenen Gedichte in Betracht zieht, kaum zweifeln, dass er die vonentschiedener schriftstellerischer Begabung zeugende Geschichte,welche Barberino uns überliefert, nicht wohl verfasst haben kann.
Somit bleibt von den uns bekannten Folquets nur Folquet von Romans; dass dieser vollkommen befähigt war, jene Erzählungzu schreiben, dürfte nach seinen uns erhaltenen Dichtungen nicht zweifelhaft sein. Allerdings muss die Möglichkeit zugegeben werden, dass der Verfasser ein vierter Folquet ist, von dem sich uns nichts Anderes erhalten hat und über den wir auch keinerlei weitere Kunde besitzen.
Immerhin glaube ich nun, dass die angeführten Erwägungen zusammengenommen die Autorschaft des Folquet von Romans für die beiden in Rede stehenden Geschichten sehr wahrscheinlich machen und wir berechtigt sind, sie seiner litterarischen Hinterlassenschaft hinzuzufügen. Ob sie in Prosa oder Versen abgefasst waren, darüber äussert sich Barberino nicht, doch dürfte wohl das erstere, wie auch Thomas annimmt, das wahrscheinlichere sein.
Die Heldin der beiden Anekdoten, Frau Blanchemain, hat nach dem, was wir von Barberino über sie erfahren, durch ihren Geist und ihre Schönheit in der höfischen Gesellschaft der damaligen Zeit eine hervorragende Rolle gespielt. Barberino teilt von ihr noch fünf andere Anekdoten mit und beruft sich für drei derselben auf eben jenen Aimeric, der in der kürzeren der beiden Folquet'schen Geschichten auftritt. Wir hören, dass sie sich auchals Dichterin versucht und viele „nützliche und berühmte Coblen" verfasst habe, desgleichen hat, wie Barberino berichtet, ihr Gatte Hugolin sich schriftstellerisch betätigt, indem er einen vermutlich poetischen Commentar zu dem nicht erhaltenen Werke des Raimonvon Anjou (4) (2. Hälfte 12. Jh.), De dominabus honorandis verfasste.
Ohne Zweifel stammen die beiden Geschichten aus einem umfänglicheren Werke Folquet's. Ob dieses nun aber vielleicht in einem Commentar zu den Gedichten der Blanchemain bestanden habe oder in einer Sammlung von Novellen, welche sei es von der Blanchemain allein, sei es teils von ihr, teils auch von anderen Persönlichkeiten handelten, das müssen wir dahingestellt sein lassen. Ich bringe nun die besprochenen vier Stücke, welche ich dem Folquet von Romans vindizieren zu dürfen glaube, als Nachtrag zu meiner Ausgabe, deren Numerierung ich fortsetze, hier gemeinsam zum Abdruck. Die Pariser Handschriften für No. XV habe ich selbst verglichen; eine Kollation des Raynouard'schen Druckes von No. XIV mit der Handschrift hatte Herr Deprez, conservateur du département des manuscrits an der Bibl. Nationale, die Freundlichkeit, mir durch Herrn Léon Pajot, archiviste-paléographe, besorgen zu lassen. Bezüglich der Orthographie bin ich bei beiden Stücken in gleicher Weise verfahren wie in meiner Ausgabe. Da Naetebus im Archiv 98, 208 gezeigt hat, dass Folquet die Deklinationsregel noch genau beobachtet, so habe ich überall die flektierten Formen eingeführt und nicht angestanden, zu diesem Behuf geringfügige Aenderungen an dem überlieferten Text vorzunehmen. Nur XIV, 4, 78 und 92 habe ich die unregelmässigen Formen belassen, da ich in den beiden ersteren Fällen kein Mittel sehe, um Abhilfe zu schaffen, V. 92 aber die sich darbietenden Emendationen mir etwas gewagt erscheinen. Alle nicht rein orthographischen Abweichungen von der Hs. habe ich durch Kursivdruck ausgezeichnet.
Die beiden Barberino'schen Anekdoten teile ich in deutscher Uebersetzung mit, da sich in einer solchen, wie mir scheint, das litterarische Verdienst von No. XVI, auf welches ich bei Entscheidung der Attributionsfrage einiges Gewicht lege, besser würdigen lässt als in dem nicht eben eleganten Latein Barberino's.
Fussnoten
1) Von dem Bischof von Toulouse haben wir danach also Gedichte geistlichen Inhalts überhaupt nicht mehr.(↑)
2) Diez, Leben und Werke 2S. 206.(↑)
3) Cf. Eichelkraut, Der Troubadour Folquet von Lunel, Berlin 1872, p. 6.(↑)
4) Nicht die Provinz Anjou, sondern der Ort gleichen Namens in der Dauphiné, vgl. Thomas p. 133.(↑)
XVI.
Francesco da Barberino, Documenti d'Amore, Bibl. Barberina in Rom, ms. coté XLVI, 18, f. 77 d, gedr. Thomas, o. c. p. 194, übersetzt ibid. p. 143.
Einst reiste Hugolin von Forcalquier mit seiner Dame über Land und es waren viele in ihrer Begleitung, darunter der Vater, zwei Brüder, drei Vettern und zwei Neffen der Dame nebst einem zahlreichen Gefolge zu Pferd und zu Fuss. Als man an einen Fluss Namens Isère gelangte, nahmen die beiden Brüder, um den Fluss zu überschreiten, die Schwester in ihre Mitte und ritten mit ihr ins Wasser. Aber die starke Strömung trennte sievon einander und trieb sie ins Tiefe, so dass die Pferde nunmehr genötigt waren zu schwimmen. Infolge dessen verliessen die Brüder ihre Schwester, der Vater aber, die Neffen und die übrigen wagten nicht, es mit dem reissenden Strom aufzunehmen. Sie befahlen den Dienern, Hülfe zu leisten, doch diese weigerten sich. Die Dame nun hielt sich auf ihrem schwimmen den Pferde mit bewundernswürdiger Sicherheit, die beiden Brüder aber trieben, nachdem sie eine Zeitlang Widerstand geleistet hatten, trotz aller ihrer Anstrengungen einem Strudel zu und versanken. Die Dame rief um Hülfe, doch niemand nahm sich ihrer an, nur beteten alle zu Gott. Als nun Herr Hugolin, der zufällig zurückgeblieben war, ans Ufer kam und die Dame, die er liebte, im Strome erblickte, da verlangte er niemandes Beistand, sondern stürzte sich zu Pferd ins Wasser und gelangte schwimmend unterhalb an sie heran; er zeigteihr, wie sie sich retten könne, da er, so im Flusse schwimmend, auf andere Weise ihr keine Hülfe leisten konnte. Das Pferd der Dame war sehr ermüdet, das Pferd des Herrn Hugolin aber frisch und kräftig; während er nun eben zu ihr sagte: „Könnte ich doch auf irgend eine Weise mein Pferd gegen das Eurige umtauschen", da geschah es durch Gottes Fügung, dass sie auf eine von der Flut bedeckte Insel gelangten, auf der ihre Pferde Grund hatten. Aber die Strömung war im beständigen Wachsen und führte gefährliche Steine mit sich, so dass es nicht rätlich war, dort länger zu verweilen. So sprang Herr Hugolin rasch entschlossen ins Wasser, ergriff die Dame, so behutsam als es in einem solchen Falle möglich war, und setzte sie auf sein Pferd. Dann bestieg er das Pferd der Dame, liess sie voraus reiten undfolgte ihr nach. Indem nun das wackere Tier in bewundernswerter Weise dem Ufer zustrebte, das andere aber, auf dem Herr Hugolin sass, entkräftet, schon nahe daran war, zu versagen und weit zurückblieb, hielt die Dame ihr Pferd mit dem Zügel an, über Herrn Hugolin weinend. Er aber ermahnte sie durch Zuruf unablässig, sich zu retten. Und während die Sachen so standen, versank das Pferd unter Herrn Hugolin. Der Vater und die andern riefen der Dame zu, siesolle sich retten, sie aber kümmerte sich um ihren Rat nicht, sondern kehrte zu Herrn Hugolin zurück und bat ihn, er möge sich an ihren Kleidern festhalten. Er nun leistete Folge, indem er den Schweif ihres Rosses ergriff; so steuerte sie mit dem Pferde auss Ufer los und rettete sich und ihn. Die Dame nun undihre Begleiter weinten, nur Herr Hugolin lachte. Als er aber hörte, warum sieweinten, sagte er: „Wenn ich schon eben, in Unkenntnis über den Tod der Brüder, lachte, so möchte ich jetzt weinen über das Leben des Vaters, der Neffenund aller derer, die so schmachvoll eine so edle Dame im Stiche gelassenhaben." So weinten denn alle zugleich und am heftigsten Herr Hugolin, daer die Augen seines Herzens (d. i. der Dame) weinen sah. Denn eben dieser Herr Hugolin hatte wiederholt um die Hand der Dame angehalten; aber weilihr Vater viel vornehmeren Standes war als er, wurde seine Bewerbung stets abschlägig beschieden. Als nun nach dem erwähnten Vorgange die Gemütersich beruhigt hatten, rief der Vater der Dame diese sowie Herrn Hugolin undeinige andere Verwandte zu sich und sagte zu Herrn Hugolin: „Dein Muthat die vom Tode errettet, der Vater, Brüder und andere nicht beigestanden haben; darum schenken wir sie Dir, dass Du sie, wie es Dir beliebt, zur Gattin oder zur Geliebten haben mögest." Mit diesen Worten nahm er ihre Hand und legte sie in die seine. Da ergriff Herr Hugolin, um sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, die, wie Folquet sagt, sehr zarte Handund antwortete: „Indem ich mit lebhaftem Dank in aller Ergebenheit dieses Geschenk empfange — und ich nehme es in dem Sinne, wie ich gleich erklärenwerde, vollkommen an —, weiss ich wohl, dass ich seiner gänzlich unwürdig bin. Damit aber ihre Ehre und die Eurige unangetastet bleibe, mache ichsie zunächst zu meiner Gattin; sodann gebe ich mich als ihr Diener in ihreGewalt; möge sie mir Mutter sein und Herrin und in allen Dingen Gebieterin. "Folquet, der diese Geschichte, aber mit grösserer Ausführlichkeit, erzählt, sagt, bei diesen Worten habe die Dame ihre Hand den beiden entzogen undgesagt: „Ein Vater, der mit all’den Seinen mein Leben preisgegeben hat, kann nicht über mich verfügen. Für ihn bin ich tot. Durch diesen hier binich gerettet worden und nur ihm gehöre ich, keinem anderen"; und indem sie ihre beiden Hände erhob, legte sie sie in die des Herrn Hugolin. Vor Freuden weinte Herr Hugolin und die Anwesenden billigten ihre Worte. Am nächsten Tage nahm Herr Hugolin sie zur Frau und dies war jene Frau Blanchemain, die nach dem Vorbilde Herrn Hugolins viele nützliche und berühmte Coblen gedichtet hat.
In hoc dico tibi quod non omnis ibi crit ad amorem dominarum dispositus. Crederem bene de aliquibus quos cognosco quod ipsi pro eis ponerent vitam suam, sed omnes non sunt dominus Ugolinus de Folcalcherio.Qui cum semel quandam suam dominam sotiaret essentque multi ad societatem domine illius, inter quos erant pater et duo fratres carnales et tres consobriniet duo nepotes illius domine ac alii de istorum familiis multi eques et pedes, et intrassent fratres ipsi duo cum intermedia sorore in flumen quod dicitur Ysdra, ut illud transirent, divisit eos ab invicem aque impetus et deduxit inaltum, ut esset illis expediens jam nautare cum equis. Deseruerunt itaque fratres sororem, et pater, nepotes et alii singuli annis impetum non audebant recipere. Imperabant famulis, et famuli renuebant. Stabat domina super equo nautante mirabiliter solida; fratres autem duo, cum se aliquantulum tenuissent et devenissent inviti ad currentes radios, defecerunt. Petebat succursum domina et nemo erat pro ea, nisi ut ad Deum funderent tutas preces. Dominus quippe Ugolinus, qui ex casu retro remanxerat, veniens ad ripam fluminiset videns dominam quam diligebat in flumine, nullius societatem petiit sed cum equo se projecit in aquam et perveniens nautando ex latere inferiori ad dominam, adsistebat ei et instruebat eam qualiter posset evadere, cum permodum alium sie nautando juvare nequieret eamdem. Erat fatigatus nimium equus domine; equus autem domini Ugolini fortis et valens, et cum diceret ipse huic domine: „Utinam possem vobis equum istum per modum aliquem permutare!" ut Deo placuit, quedam coperta insula modici spatii est inventa, coperta tamen ut possent eorum equi calcare pedibus terram. Ibi crescebat flumen continuo et lapides periculosissimos conducebat, ut non esset illis expectare securum. Mersit se in aquam subito dominus Ugolinus et cepit dominam honestate qua potuit loco tali et super equum suum posuit illam. Demum adscendens equum domine inviavit et secutus est eam. Cumque probus hic equus mirabiliter traheret se ad ripam et alius impotens jam quasi deficeret sub domino Ugolino retroque plurimum remaneret, arcebat abenas (5) domina, plorans super dominum Ugolinum. Ipse autem continuo ut evaderet cridabat ad illam; et sic se rebus habentibus, defuit equus sub domino Ugolino. Tunc cridantibus patre ac aliis ad dominam ut evaderet, ipsa nullo modo ipsorum consilio acquievit, sed rediit ad dominum Ugolinum, petens ut caperet pannos suos. Ipse autem caudam equi capiens domine voluntati consensit et illa tendens ad exitum cum equo hujusmodi evasit et ille. Ridebat solus dominus Ugolinus; plorabant domina et ceteri qui cum ea (sic). Cujus rei audita causa, inquid dominus Ugolinus: „Etsi mortem fratrum ignorans ridebam, plorare volo vitam patris, nepotum et omnium qui sic viliter tantam dominam relinquebant." Plorabant igitur omnes simul et fortius dominus Ugolinus, cum plorare videret oculos cordis sui. Erat quippe domina ista petita sepius in uxorem ab ipso domino Ugolino; set quoniam pater ejus major erat satis ad gradum, continuo negabatur. Post istud accidens horum animis repausatis pater istius domine, vocatis domina et domino U[golino] necnon et aliis de conjuntis, inquid ad dominum U.: „Quam pater, fratres, vel alii non juvarunt tua probitas libera vita morte. Eam igitur damus tibi, ut illam sicut placet uxorem habeas vel amicam", et hanc per manum capiens tradit ei. Tunc dominus Ugolinus manum ipsam, dicit Folchet, delicatissimam prerecipiens, ne forsitan perderet casum talem, respondit: „Domine, licet cum magna humilitate ac gratia recipiam donum istud quod prorsus, ut dicam inferius, jam accepto, novi ejus penitus me indignum. Ecce ut ejus conservetur honor et vester, hanc recipio primitus in uxorem; deinde ut servum illius dominio me submicto: sit michi mater et domina et inomnibus imperatrix." Folchet, qui novum hoc, licet sub latioribus verbis, recitat, loco isto sic dicit dominam quidem de duorum manibus manum traxisse et dixisse: „Mei pater potestatem non habet qui meam cum suis omnibus vitam neglexit. Quoad eum decessi. Pro isto liberata sum et ejus, non alterius, esse possum", et levans ambas manus posuit eas in manus domini Ugolini. Flevit ob letitiam dominus Ugolinus et commendaverunt singuli hunc sermonem. Die sequenti duxit eam dominus Ugolinus et hec fuit domina Blancheman que sumpto stilo domini Ugolini multas utiles et famosas gobulas fabricavit.
5 Thomas druckt: arcebat (P) abeans (sic) und überträgt: „la dame en s'éloignant pleurait etc.", lässt also arcebat unübersetzt und fasst abeans, wie es scheint, = abiens. Meine in den Text aufgenommene Konjektur abenas= habenas dürfte einleuchtend sein. Der über dem e befindliche n-Strichwird vom Kopisten auf das a bezogen worden sein. Die Dame entfernt sichnicht, sondern „zieht die Zügel an", hält ihr Pferd vom Ufer zurück, weilsie Hugolin nicht im Stich lassen will. Dazu passt dann sehr gut das folgende: Ipse autem etc. (Man könnte allerdings auch daran denken, für abeans ab ea [sc. ripa] se zu lesen: „sie hielt sich vom Ufer zurück".)
XVII.
ib. f. 45d; gedr. Thomas,o. c. p. 189, übersetzt ib. p. 148.
Als Frau Blanchemain bereits seit einem Jahre mit Herrn Hugolin verheiratet war, kam einmal, wie Folchet erzählt, Herr Aimerich zu ihr und batsie in längerer Rede, die hier nicht mitgeteilt werden kann, dass sie ihn als ihren Diener annehmen möge. Sie erwiderte: „Diese Deine so allgemeinen Redensarten könnten vielleicht etwas Unziemliches enthalten; aber bitte nur um was Du willst und, wenn es mir möglich ist, will ich es Dir gewähren. "Da sprach jener: „Nachdem Ihr so sprecht, werde ich vielleicht mit meinen Bitten noch weiter gehen." Sie entgegnete: „Bitte immerhin; denn ich weisswohl, dass ich, falls Du Ungehöriges verlangst, nicht genötigt sein werde, mein Versprechen zu halten." Und jener: „Schon längst habe ich Euch mein Herz geschenkt; darum bitte ich Euch, dass Ihr mir nun das Eurige schenkt." Da sprach jene: „Du würdest keinen schlechten Tausch machen, wenn Dir diese Bitte gewährt würde; aber, mein Freund, das ist mir nicht möglich, denn schon längst habe ich das meine ganz und gar dem Herrn Hugolin geschenkt". Durch diese Antwort geriet jener in Verwirrung und beklagte sich, dass sieihre Versprechungen nicht halte, da das Herz so beschaffen sei, dass es Herrn Hugolin als ihren Gatten lieben könne und in gleicher Weise ihn als Liebhaber. Indem nun die Dame das Gespräch kurz abschneiden wollte, sprach sie im wesentlichen folgenden Satz aus: „Wer nicht hat, ist auch nicht verpflichtet zu geben, und derjenige thut unrecht, der von seinem Freunde das Unmögliche verlangt und sich beklagt, wenn er abschlägig beschieden wird."
Cum maritum habuisset jam per annum domina Blanceman, dominum scilicet Hugolinum, ut videre potuisti si legas infra in parte prudentie VIIa, doc. VIIIIo, in glosa,(6) venit ad eam semel, ut narrat Folchet, dominus Naumerich oravitque eam longis verbis, que locus iste non patitur, ut eum inservitorem acciperet. Dixit illa: „Hec tua verba sie generalia possent forte aliquid incongruum continere; sed pete quicquid vis, et, si michi possibile fuerit, dabo tibi." Tunc ille dixit: „Et postquam sic dicitis, forte amplius petam modo." Dixit illa: „Pete; nam bene scio quod ad inhonesta, si ea petieris, non tenebor." Et ille: „Dedi vobis jam diu cor meum; peto ergo michi dari cor vestrum." Tunc illa dixit: „Malum cambium non fecisses, si hoc impleretur; sed, frater, hoc michi possibile non existit, cum jam diu dederim illud plene domino Ugolino." Ad hec responsa turbatus iste conquerebatur de ea, et quod promissa servare negligeret, cum talis nature cor esset quod poterat ut maritum amare dominum Ugolinum, et eum similiter ut amantem. Et sic ista domina volens ab hiis in paucis verbis recedere, dixit ad eum in substantia testum regule presentis.
6) Die voranstehende Geschichte. |