Ueber Guilhem Figueira ist bisher an folgenden Stellen gehandelt worden: Nostradamus Vie des plus célèbres et anciens poètes provensaux S. 150, vgl. dazu Bartsch im Jahrbuch Neue Folge I, S. 50; Crescimbeni Istoria della volgar poesia II, 103; Millot Hist. litt. des troub. II, 448; Hist. litt. de la France XVIII, 649; Diez Leb. u. Wke. d. Troub. S. 563. — Die meisten Gedichte sind schon veröffentlicht; ich habe bei jedem einzelnen angegeben, ob und wo dasselbe schon gedruckt ist.
Der vorliegenden Bearbeitung der Lieder Guilhems liegt das gesammte handschriftliche Material zu Grunde. Die in Pariser Handschriften sich findenden echten Lieder habe ich selbst abgeschrieben, die Abschriften der Guilhem nicht zugehörenden Gedichte, die mitabzudrucken ich mich erst später entschloss, verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Prof. Alfred Schöne und des Herrn cand. phil. Alfred Risop. Herr Prof. Pio Rajna in Mailand hatte die Güte mir die Copien der in A (*) und G enthaltenen Gedichte, Herr Prof. Ernesto Monaci in Rom eine Abschrift des Gedichtes No. II aus der Handschrift H zu schicken. Für die Gedichte No. 8—10 habe ich den Abdruck in Herrigs Archiv 42, 404 und 407—8 benutzt, ebenso den ib. S. 377 sich findenden Abdruck des Gedichtes No. 6 nach O. Der Custos der Hofbibliothek in Wien Herr Josef Haupt war so freundlich die in der Estensischen Handschrift enthaltenen Gedichte für mich copieren zu lassen, und die Abschriften der in P, Q, U, c aufbewahrten Gedichte hat, durch liebenswürdige Vermittlung des Herrn Dr. Adolf Gaspary, Herr Dr. Guido Biagi in Florenz in zuvorkommender Weise besorgt. Von dem in A sich findenden Liede No. II hat Herr Prof. Edmund Stengel in Marburg mir freundlichst eine Abschrift gesandt. Allen diesen Herren fühle ich mich zu herzlichem Danke verpflichtet.
In Bezug auf die Textgestaltung und die Orthographie bin ich der Methode gefolgt, die Stimming in seinem Bertran de Born zur Anwendung gebracht und in der Vorrede zu diesem Buche auseinandergesetzt hat. Ich begnüge mich also auf das von ihm a. a. O. Gesagte zu verweisen.
Wo ich von der Ueberlieferung abgewichen bin und Conjecturen in den Text gesetzt habe, habe ich dies durch Cursivdruck der betreffenden Wörter kenntlich gemacht.
Ich habe zum Sechluss noch die mir so liebe Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen und meinem hochverehrten Lehrer Herrn Prof. Adolf Tobler meinen aufrichtigsten und wärmsten Dank auszusprechen sowol für die Belehrung, die er mir im Allgemeinen, als auch für die reiche Unterstützung, die er mir speciell bei dieser Arbeit hat zu Theil werden lassen. (↑)
2. Biographie.
Ueber das Leben des Guilhem Figueira (1) wird uns nur wenig berichtet. Die provenzalische Lebensnachricht (siehe S. 30) meldet uns kurz das Folgende. Guilhem ward in Toulouse geboren; er war der Sohn eines Schneiders und betrieb selber das gleiche Handwerk. Als die Franzosen Toulouse einnahmen (2) verliess er seine Vaterstadt und zog nach Italien. Er verstand gut zu dichten und zu singen, aber er schlug nicht den Weg ein, der so manchen seiner Genossen zu Ansehen und Ehre geführt hatte, er bemühte sich nicht um die Gunst der Grossen und Edlen, er ward kein Hofdichter, sondern gerade im Gegentheil floh er jene Kreise die er hasste, er mied nicht nur die Adligen, sondern die gebildetere feinere Gesellschaft (3) überhaupt, in der er sich nicht zu bewegen verstand. Die Sphäre, in der er wirkte und sich wohl fühlte, war eine weit andere, er suchte die untersten Schichten des Volkes auf. Nicht in der hohen Halle des Schlosses ertönte sein Lied, sondern im Wirthshaus und in der Kneipe, nicht edle Damen und stolze Ritter lauschten auf seine Worte, sondern ein verkommener Schlag Männer und Weiber der niedrigsten Art. Kam aber ein Berufsgenosse dorthin, wo Figueira sich befand, so erhob er alsbald seine Stimme und schmähte jenen und suchte ihn zu erniedrigen.
Das ist alles, was die Biographie uns erzählt. Aber vielleicht können wir aus seinen Gedichten weitere auf sein Leben bezügliche Nachrichten schöpfen.
Die bei Bartsch (Grundriss No. 217) unter Guilhem Figueira aufgeführten Lieder (4) lassen uns bezüglich der äusseren Sckicksalsfälle desselben nur wenig erfahren. Aus No. 6 (5) lässt sich ein Schluss auf die Zeit seiner Geburt ziehen. Da in dem Gedichte Friedrich II „reis” genannt wird (Zeile 34 und 49), so muss dasselbe vor dem 22. November 1220 entstanden sein, an dem Friedrich in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, und ich möchte aus Strophe 5 schliessen, dass es bald nach dem 25. Juli 1215 verfasst wurde, an welchem Tage Siegfried von Mainz Friedrich zum König krönte und dieser das Kreuz nahm. Der schwülstige Stil des Gedichtes, der von der klaren Ausdrucksweise, dem frischen Klange der übrigen Lieder gar sehr abweicht, so sehr, dass die Handschriften T und f nicht, angestanden haben, das Sirventes anderen Dichtern zuzuschreiben, lässt uns erkennen, dass wir es hier mit einer Jugendarbeit Guilhems zu thun haben. Folglich dürften wir nicht irre gehen, wenn wir annehmen, dass Guilhem um die Mitte des letzten Jahrzehntes des 12. Jahrhunderts geboren wurde. Für diese Annahme, spricht noch der folgende Umstand. In dem Gedichte No. 1, das, wie wir später sehen werden, zwischen 1244 und 1249 entstanden ist, spricht Guilhem den Wunsch aus, am Kreuzzuge theilzunehmen um seine Sünden zu büssen. Es ist nun doch wol kaum anzunehmen, dass Guilhem als Greis die Neigung verspürt hätte thatkräftig an der Eroberung des heiligen Grabes mitzuwirken, vielmehr ist zu vermuthen, dass er sich im reiferen Mannesalter befunden habe. Ist Guilhem nun um 1195 geboren, so wäre er bei Abfassung des Gedichtes 50—55 Jahre alt gewesen, und das würde vortrefflich passen.
Aus der vierten Strophe von No. 1 entnehmen wir ferner, dass Guilhem persönlich am Kreuzzuge nicht theilgenommen hat.
Ob aus der Tornada des Gedichtes No. 5, in der Guilhem seiner Canzone aufträgt die Trefflichsten in der Provence und vor allen Herrn Blacatz zu grüssen, zu schliessen sei, dass er diesen persönlich gekannt und aufgesucht habe, möchte ich dahin gestellt sein lassen. Es kann ja sein, dass Guilhem ihn, wie die Hist. litt. XVIII, 652 annimmt, auf seiner Reise nach Italien aufgesucht hat, doch halte ich es auch nicht für unmöglich, dass er ihm sein Lied auch ohne ihn persönlich zu kennen sandte, da Blacatz sich durch seine Freigebigkeit und seine Ritterlichkeit unter den Troubadours hohen Preis erworben hatte und von den Sängern seiner Zeit mit dem reichsten Lobe überhäuft wird. Cf. Diez, L. u. W. d. Trb. S. 399.
Dass Guilhem, wie Bartoli, I primi due secoli della Let. It. S. 90, behauptet, sich an Friedrichs II. Hofe aufgehalten habe, glaube ich nicht. Schon Gaspary, Sicilianische Dichterschule S. 6, Anmk. 3, bemerkt, dass man nicht annehmen dürfe, dass jeder Dichter, der Friedrich besungen hat, auch an seinem Hofe geweilt habe, und von Guilhem ist dies am wenigsten zu glauben, da er ja, wie die Biographie meldet, den höfischen Kreisen durchaus abhold war und nur in der niedrigsten Sphäre sich wohl fühlte.
Ueber die äusseren Schicksale unseres Troubadours geben uns seine Gedichte weiter keinen Aufschluss, aber sie lassen uns einen trefflichen Einblick thun in seine Anschauungen und Gesinnungen. Guilhem war ein eifriger Anhänger und glühender Verehrer Friedrichs II. In dem Gedichte No. 6 (vgl. S. 2) preist er den Kaiser, er nennt ihn rühmend frugz de pretz und frugz de conoissenza. In einem anderen Gedichte (No. 3) mahnt er den Kaiser eindringlich, die ihm von den Lombarden angethane Schmach zu rächen, sein Recht sich nicht schmälern zu lassen und sich das wieder zu erwerben, was man ihm genommen. „Der mächtige Kaiser”, fügt er hinzu, „hat so viel Verstand und Wissen, dass, wenn er mit seiner Macht gegen sie zieht, keiner wagen wird seinen Willen nicht zu thun”. Wann das Gedicht verfasst ist, ist nicht genau festzustellen, jedenfalls fällt seine Entstehung zwischen 1220, da Friedrieh „emperador” genannt wird (Zeile 8), und 1237, in welchem Jahre in der Schlacht bei Cortenuova der lombardische Bund besiegt ward. Da aber zwischen 1220 und 1226 Friedrich keinen Streit mit den Lombarden hatte (vgl. Winkelmann, Gesch. Kaiser Fried. II., Band I, S. 148—198), so muss das Gedicht zwischen 1226 und 1237 entstanden sein. Ob aber Guilhem in seinem Sirventes seinem Zorn über die Erneuerung des lombardischen Bundes und den Widerstand gegen Friedrich im Jahre 1226 Luft macht (vergl. Winkelmann I, 198 ff.) oder über die Opposition des Jahres 1231 (Winkelmann I, 403 ff.), ob er mit der dem Kaiser zugefügten Schmach das 1234 zwischen König Heinrich und den Lombarden geschlossene Bündniss meint, in dem sie dem rebellischen Sohne des Kaisers als ihrem Könige huldigten, oder die Erneuerung des lombardischen Bundes im Jahre 1235 (vgl. Winkelmann II, 13), das ist nicht zu entscheiden. (6)
Hatte der Dichter seinem Unmuthe Ausdruck verliehen über die dem Kaiser von den Lombarden zugefügte Unbill, so liess er auch seine Freude laut erschallen, als Friedrich bei Cortenuova im November 1237 an seinen Feinden blutige Rache nahm. Rühmend zählt er in seinem Gedichte (No. 7) die Waffenthaten und Erfolge des Kaisers auf, der seine Feinde in den Staub geworfen hat, denn die Lombarden erkennen seine Rechte an, Genua liefert sein Gebiet in seine Hand, niemand kann ihm widerstehen (Zeile 27—32). Jerusalem hat er erobert und einen guten Frieden mit dem Sultan geschlossen (38—40); an Papst und Geistlichkeit hat er sich treffich gerächt (21—22). Unvernünftig ist derjenige, der ihm ein Unrecht zufügt, denn nimmer verzeiht er, bis er Rache genommen hat; thöricht ist der, der mit ihm streitet, denn gar gewaltig ist seine Macht (13—17). Einem solchen Herrn gebührt die Herschaft, denn er weiss zu thun, was sich ziemt und schickt (33—34). Sein Herz ist frei von jeder Schlechtigkeit, aber voll Freigebigkeit (47—48); deshalb wird der Dichter immer denjenigen lieben, der den Kaiser preist und sein Lob verkündet (53—54). — Das Gedicht ist im Jahre 1238 verfasst, wie aus Zeile 29 und 30 hervorgeht, denn im Frühjahr 1238 fielen Savona, Alberga, Porto Maurizio, Ventimiglia und fast die ganze Riviera di ponente von Genua zu Friedrieh ab (Winkelmann II, 85).
Einen ganz anderen Ton als in dem eben besprochenen Sirventes schlägt der Dichter in dem Gedichte No. 1 an. Kein Jubel über Friedrichs Siege tönt uns daraus entgegen, keine Aufforderung zum Kampfe wie in No. 3, sondern die ernste Mahnung zum Frieden. „Ich wollte es wäre Friede zwischen Papst und Kaiser”, hebt Guilhem seinen Sang an, in dem er beide auffordert ihren Streit aufzugeben und sich zu gemeinsamem Kampfe gegen die Ungläubigen zu verbinden. Er selbst voll Reue über seine Sünden möchte theilnehmen am Kreuzzuge (Strophe 2), aber ihm fehlen die Mittel dies in ehrenvoller Weise zu thun, und so bleibt er traurig daheim (Zeile 31—33). Alle kühnen Streiter aber fordert er auf hinauszuziehen um das heilige Grab zu erobern (41—50), und besonders richtet er seine Mahnung an den Grafen von Toulouse (56—60). Zur Ermittelung seiner Entstehungszeit gibt uns das Gedicht vier Anhaltspunkte: 1) Friedrich war bei Abfassung des Gedichtes Kaiser (Zeile 2); 2) Kaiser und Papst waren mit einander im Streit und kümmerten sich nicht um das heilige Grab (Strophe 1); 3) das heilige Grab befand sich nicht in den Händen der Christen (Zeile 47); .4) Graf Raimund VII. von Toulouse lebte noch (Zeile 66) (denn an den Grafen Alfons, den Nachfolger Raimunds, den Bruder Ludwigs IX., ist die Tomada sicher nicht gerichtet). Friedrich ward 1220 Kaiser, Jerusalem befand sich von 1229—1244 in christlicher Gewalt (7), Raimund VII. starb 1249, also kann das Gedicht nur verfasst sein zwischen 1220 und 1229 und zwischen 1244 und 1249. Zwischen 1220 und 1229 kann aber das Lied nicht entstanden sein, weil von 1220—27 Kaiser und Papst nicht in offenem Kampfe mit einander waren, von 1227—29 aber, als durch Gregors IX. Bann offene Fehde zwischen ihm und Friedrich herrschte, der letztere mit ganzer Kraft den Kreuzzug in das Werk setzte, was nach Strophe 1 bei Abfassung des Gedichtes nicht der Fall war. Wir müssen also, wenn Guilhem das Gedicht nicht gerade während der Zeit verfasste, während welcher Jerusalem den Christen vorübergehend verloren ging (siehe die Anm. S. 5), die Entstehung desselben zwischen 1244 und 1249 setzen. (8) Dazu stimmt auch vortrefflich der versöhnliche, milde Ton Guilhems, der Ausdruck seiner Reue, Dinge, die verglichen mit dem kräftigen Klange seiner übrigen Gesänge uns den alternden Dichter vermuthen lassen. Vielleicht mag auch der Umstand als Bestätigung aufgefasst werden, dass Raimund VII., an den Guilhem seine Aufforderang das heilige Grab zu befreien besonders richtet, gerade im Begriffe war nach dem Morgenlande aufzubrechen, als er im Jahre 1249 starb. (Vgl. Raumer, Gesch. d. Hohenst. IV, 281 Anm. 3.)
Ebenso gewaltig wie die Liebe zum Kaiser beherscht unseren Dichter der Hass gegen Rom und die Pfaffen. Wie gründlich dieser Hass gewesen ist, davon legen zwei seiner Lieder Zengniss ab, (No. 2, No. 4). Nicht werde ich aus Furcht unterlassen, hebt er an (No. 4), ein Sirventes über die Geistlichen zu machen, und wenn es fertig sein wird, werden die meisten den Trug und die Schlechtigkeit erkennen, die von der falschen Geistlichkeit ausgehen, denn je mehr Kraft und Macht sie haben, um so mehr Böses und Missfälliges thun sie (1—9). Wahr ist es, dass unsere Hirten zu räuberischen Wölfen geworden sind, denn sie rauben nach allen Seiten. Sie zeigen zwar ein friedliches Aeussere, und sie trösten ihre Herde mit Sanftmuth, haben sie sie aber erst in ihrer Gewalt, dann lassen sie sie sterben und zu Grunde gehen (19—27). Mit heftigem Wort tadelt der Dichter das unzüchtige Gebahren der Geistlichen (28—36), tadelt er das böse Beispiel, dass sie, die vor keiner Todsünde zurückschrecken, ihrer Gemeinde geben (10—18). „Der ist todt” (d. h. der geht zu Grunde), so schliesst er sein Gedicht, „der sich in ihre Macht begiebt, denn in Toulouse weiss man in Bezug darauf die Wahrheit.” Die letzte Zeile bezieht sich zweifellos auf das viele Leid, das den Tolosanern durch den Bischof Folquet, den grausamsten ihrer Gegner, widerfahren war. Besonders im Jahre 1216 übte dieser an ihnen den niedrigsten Verrath. Als Simon von Montfort erzürnt darüber, dass die Tolosaner eine von ihm in die Stadt geschickte Abtheilung gefangen genommen hatten, heranzog um sich zu rächen, schickten diese ihm eine Deputation entgegen um ihn zur Nachsicht zu bewegen. Simon aber nahm diese gefangen und warf sie in das Gefängniss. Seine Freunde machten ihm hierüber die ernstesten Vorstellungen; Folquet allein rieth ihm sich an den Tolosanern auf das Grausamste zu rächen. Sein Rath fand Beifall. Folquet zog nun als Gesandter in die Stadt und rieth in hinterlistiger Weise den Einwohnern, sie sollten Simon entgegenziehen und sich ihm unterwerfen um ihn zu besänftigen und seine Verzeihung zu erlangen. Die Tolosaner in dem thörichten Wahne, dass der Bischof ihr Bestes wolle, folgten seinem Rathe. Als sie aber in Schaaren die Stadt verlassen hatten, lieferte sie der treulose Folquet dem Feinde in die Hände und rieth ihm die grausamsten Massregeln an. Die angesehensten Tolosaner wurden gefesselt, Truppen in die Stadt geschickt, und eine schreckliche Plünderung begann. „Foulques était la furie cruelle qui secouait ses flambeaux sur un peuple trahi par lui seul.” (Vergl. Annales de la ville de Toulouse I. 256.) Auf diese Vorgänge bezieht sich ohne Zweifel die Tornada des Gedichtes, dasselbe muss also nach 1216 entstanden sein. Ein genauerer Zeitpunkt ist nicht zu bestimmen.
Das zweite Gedicht Guilhem Figueiras, das seinem Hasse gegen die Geistlichkeit Ausdruck verleiht, ist das berühmte (9) grosse Sirventes gegen Rom, das mit den Worten beginnt „D’un sirventes far” (No. 2.) Unser Dichter stand nicht allein mit seinen Klagen und Vorwürfen gegen den Clerus, auch Peire Cardenal, Bertran Carbonel, Pons de Capdolh und andere (10) haben mit heftiger Rede und scharfem Worte die Laster der Geistlichen getadelt, keiner aber hat mit solcher Gewalt und solcher Erbitterung Rom seine Anklage in das Gesicht geschleudert wie Figueira in diesem Sirventes. In 23 Strophen (in der ganzen provenzalisehen Litteratur findet sich kein zweites Sirventes von solcher Länge) wirft er Rom seine Vergehen vor, zählt ihm alles Unglück und Elend auf, das durch sein Verschulden entstanden ist und überhäuft es mit den heftigsten Schmähungen und Verwünschungen. Betrügerisch (Zeile 11) nennt er es, verrätherisch (15), die Wurzel alles Uebels (110); masslos handle es am Grafen von Toulouse (76), den König von England habe es verrathen (13) und dem Könige von Frankreich den Tod bereitet (41). Ohne Mass sei seine Habsucht, denn für Geld verzeihe es Sünden (26), es schinde seine Herde (16) und sein Herz hänge nur an Schätzen (138). Dafür werde seine Macht aber bald zu Grunde gehen (89), und im Feuer der Hölle werde es seine Sünden büssen (45, 111, 140). — Wie gross die Wirkung dieses Gedichtes war, lässt sich daraus ermessen, dass eine fromme Dame in Montpellier mit Namen Gormonda eine Antwort darauf von demselben Strophenbau und mit den gleichen Reimen verfasste, in der sie Rom vertheidigte und den Dichter heftig angriff (No. V.) (11) Das Sirventes Figueiras muss, wie die Hist. litt. XVIII. 657 bemerkt, zwischen dem achten November 1226, dem Todestage Ludwigs VIII. (Zeile 40), und dem zwölften April 1229, an welchem Tage der Friede zwischen Ludwig IX. und Raimund VII. geschlossen wurde, verfasst sein. Pio Rajna (Giorn. di fil. rom. No. 2 S. 88) bemerkt mit Recht, dass das Gedicht noch einige Monate vor dem letzten Datum entstanden sein muss, da jener für Toulouse so wenig ehrenvolle Friede auch bei Abfassung des Gedichtes der Gormonda noch nicht abgeschlossen gewesen sein konnte, da diese sich begnügt das schlimmste Unglück auf die Tolosaner herabzuwünschen, während sie sicher triumphierend ihre Demüthigung beschrieben haben würde, wenn sie das Gedicht nach jenem Ereignis verfasst hätte. — Andrerseits ist auch der Anfangspunkt der Periode, in der das Sirventes entstanden sein muss, als welchen die Hist. litt. den 8. November 1226 angibt, weiter vorzurücken. Aus Vers 129 geht hervor, dass das Gedicht verfasst wurde, nachdem Gregor IX. Friedrich in den Bann gethan hatte, also nach dem 29. September 1227 (Winkelmann I, 280). So würde die Entstehung des Gedichts zwischen den 29. September 1227 und den Anfang des Jahres 1229 zu setzen sein.
Endlich haben wir noch eine Canzone von Guilhem (No. 5), aus der sich nichts Bemerkenswerthes ergibt. Das Gedicht muss vor 1236 entstanden sein, da der Dichter im Geleite Grüsse an Herrn Blacatz sendet, der 1236 starb. (Vgl. Diez, L. u. W. der Trb. S. 399).
Es finden sich nun in der Handschrift H, (12) und zwar nur in dieser, zwei einzelne Strophen und eine Tenzone unter dem Namen Figueira. (13) Die erste Einzelstrophe (No. 8a) bezieht sich auf einen uns unbekannten Vorgang; sie erzählt, dass Jacopis dem Guilhem Testapelada einen Käse an den Kopf geworfen habe. Auf diese Strophe antwortete Aimeric de Pegulhan mit einer anderen gleichgebauten (No. 8b), in der er von einem Schwertstreich erzählt, den Herr Auzer dem Guilhem Gautasenhada in das Gesicht gegeben habe. Die zweite Einzelstrophe (No. 9a) ist gegen Aimeric de Pegulhan gerichtet. Figueira fragt in derselben Bertran d’Aurel, wem Aimeric, wenn er stürbe, die in der Lombardei erworbenen Reichthümer hinterlassen würde. Aimeric antwortete in einer ebenfalls an Bertran d’Aurel gerichteten Strophe (No. 9b), in der er fragt, wem Figueira sein falsches, verrätherisches Herz hinterlassen würde, das voll sei von Trug, Thorheit, Schande und Unehre, wer der Herr der Trinker, wer der Führer der „putans” werden würde. Hieran schliesst sich eine Antwortstrophe von Bertran d’Aurel (No. 9c), in der er die schlechten Eigenschaften Figueiras vertheilt und Herrn Lambert die „putia” zuspricht. Den Beschluss macht eine Strophe des Herrn Lambert, der mit dem ihm Zuertheilten durchaus zufrieden ist (No. 9d). — In der Tenzone (No. 10) zwischen Figueira und Herrn Aimeric wird das Benehmen Bertran d’Aurels beim Schachspiel besprochen, der, nachdem er Guilhelm del dui Fraire Schach geboten, vom Spiele aufgestanden sei, als dieser gerade ziehen wollte.
In der Handschrift steht als Verfasser der drei. Stücke nur Figueira, ohne Vornamen, angegeben. Die Hist. litt. XVIII, 660 ff. citiert die beiden Einzelstrophen und schreibt sie Guilhem Figueira zu, Raynouard erwähnt nur No. 9, und zwar führt er dieselbe zwei Mal an, erstens unter Auzer Figueira Choix V, 55 und dann unter Guilhem Figueira Choix V, 198. Auch Millot spricht nur von No. 9 und zwar unter Auret Figene (III, 390). Diez führt im Verzeichnis in den L. u. W. d. Troub. Auzer Figueira mit einer Tenzone an, womit er No. 9 meint, und Bartsch endlich gibt in seinem Grundriss S. 108 No. 42 Auzer Figueira als Verfasser aller drei Stücke (No. 8, 9, 10) an. — Es ist nun zu entscheiden, ob die Hist. litt. Recht hat, wenn sie die in Rede stehenden Verse dem Guilhem zuschreibt, oder ob als Verfasser derselben ein sonst gänzlich unbekannter Auzer Figueira anzunehmen sei.
Wenn wir in einer Handschrift Gedichte unter dem Namen Figueira finden, so werden wir von vornherein geneigt sein sie dem Guilhem zuzuschreiben, da ein anderer Troubadour dieses Namens sonst durchaus nicht bekannt ist. Einen Auzer Figueira nun aber als Verfasser anzusetzen, dazu sind Raynouard, Diez und Bartsch durch die Strophe Aimerics, No. 9b, veranlasst worden. Diese beginnt in der Handschrift folgendermassen:
Bertram d’Aurel s. . . .
N’Auzers Figueiral deptor
Digatz a cui etc.
Raynouard druckte nun diese Stelle (Choix V, 56) auf folgende Welse ab:
Er fasste dann augenscheinlich N’Auzers Figueira als zusammengehörig auf und zwar als Subject, während er doptor als Object ansah. Doch was sollen dann diese Verse bedeuten? Der Anfang der Strophe würde dann übersetzt lauten: Bertran d’Aurel, wenn Herr Auzer Figueira Furcht hätte, saget, wem würde er sein falsches, verrätherisches Herz hinterlassen? Das gäbe doch keinen annehmbaren Sinn. Auch die Seltenheit des Namens Auzer lässt es mehr als unwahrscheinlich sein, dass der Zeile 2 genannte N’Auzers ein andrer sei als der Zeile 26 erwähnte N’Auzer lo fenhedor, der Figueiras „enoiz” und „folia” erben soll; diese beiden sind sicher identisch. Es sind also in Zeile 2 die Worte N’Auzers Figueira nicht als zusammengehörig anzusehen. Es ist vielmehr, nach Toblers Angabe, folgendermassen zu schreiben:
Bertran d’Aurel, s’aucizia
N’Auzers Figueiral deptor
Digatz a cui etc.
N’Auzers ist dann als Subject, Figueiral deptor als Object anzusehen, und der Anfang der Strophen ist also zu übersetzen: Bertran d’Aurel, wenn Herr Auzer den Figueira, den Schuldner, tödtete, wem würde er sein falsches, verrätherisehes Herz hinterlassen. Das gibt einen vortrefflichen Sinn und passt zu dem, in No. 8b Gesagten, aus dem ersichtlich ist, dass Herr Auzer und Figueira sich als Gegner gegenüberstanden, und dass der erstere den Figueira durch einen Schwerthieb verwundet hat. Was lo deptor bedeutet, ist allerdings nicht klar; vielleicht bezieht es sich auf jenen Sehwerthieb und soll bedeuten, dass Figueira jenen Hieb noch nicht heimgezahlt habe, also noch Herrn Auzers Schuldner sei.
Erklären wir die in Rede stehenden Verse auf diese Weise, so schwindet das einzige Argument, das für die Existenz eines Auzer Figueira sprach, und es liegt kein Grund mehr vor, die Verse dem Guilhem abzusprechen. Andrerseits spricht für die Autorschaft Guilhems noch das Folgende:
1) Das in der Strophe Aimerics (No. 9b) Gesagte passt vortrefflich auf unseren Troubadour, wie die Biographie ihn schildert. Andreseits fehlt uns sonst jede Bestätigung des in der Biographie Mitgetheilten durch irgend ein Gedicht Guilhems.
2) In der Strophe No. 8b spricht Aimeric, wie oben erwähnt, von einem Hieb, den Guilhem Gautasenhada (offenbar ein in Folge des empfangenen Hiebes beigelegtes Epitheton) von Herrn Auzer erhalten habe. In Herrigs Archiv 34, 413 ist nun ein Gedicht Sordels abgedruckt, (das sich auch nur in der Handschrift H befindet) welches folgendermassen lautet:
Diese Verse beziehen sich offenbar auf dieselbe Angelegenheit wie die Strophe Aimerics, denn es ist doch nicht anzunehmen, dass Herr Auzer zwei Mal verschiedenen Personen einen solchen Hieb über die Backe ausgetheilt habe, dass er von bedeutenden Troubadours wie Sordel und Aimeric zum Gegenstande ihrer Dichtungen gemacht worden wäre. Beide Dichter spielen sicherlich auf denselben Vorfall an. Von Aimeric wird nun der Verwundete Guilhem genannt, von Sordel Figueira, folglich hiess er Guilhem Figueira. Hat nun erstens Herr Auzer, wie sich aus Sordels Gedicht ergibt, einen Figueira verwundet, wird zweitens diese Verwundung in der Strophe Aimerics hervorgehoben, die gegen den Figueira genannten Verfasser der Tenzone und der Einzelstrophen gerichtet ist, so ergibt sich, dass diese beiden Figueira identisch sein müssen. Folglich hiess der Verfasser jener drei Stücke Guilhem Figueira.
Die in der Handschrift H unter dem Namen Figueira stehenden Gedichte sind also unserm Troubadour zuzuschreiben.
Es finden sich schliesslich noch vier Gedichte (No. I—IV), die Guilhem von einzelnen Handschriften zugeschrieben, von anderen abgesprochen werden. Die Zahl und Güte der Handschriften, die ihm die Gedichte absprechen, sowie der in den Liedern angeschlagene Ton, der von dem in Guilhems Gedichten sehr verschieden ist, erlauben den Schluss, dass ihm diese vier Lieder nicht zugehören. Das Sirventes (No. IV) allerdings schlägt den Ton an, den wir bei Guilhem zu finden gewohnt sind, doch spricht abgesehen davon, dass zwei Handschriften (allerdings die weniger guten) T und C das Gedicht dem Folquet de Romans zuschreiben, während es nur in M unter Figueiras Namen steht, der Umstand für die Autorschaft des ersteren, dass das Sirventes an Herrn Oth del Carret gesandt wird, der sonst bei Guilhem nicht erwähnt, aber in noch zwei Gedichten Folquets in der Tornada angeredet wird. (Herrigs Archiv 34, 426 und Bartsch Chr. 196, 4).
Was wir über Guilhem Figueira durch die provenzalische Biographie und seine Gedichte erfahren, ist also kurz zusammengefasst das Folgende. Er ward um 1195 zu Toulouse geboren, war der Sohn eines Schneiders und selbst Schneider. 1215 zog er nach Italien. Er war ein treuer Anhänger Friedrichs II. und ein entschiedener Gegner Roms. Er floh die höfischen Kreise und verkehrte in der niedrigsten Gesellschaft. In Bezug auf die Entstehungszeit der Gedichte ergab sich: es entstand No. 1 zwischen dem November 1239 und dem Herbst 1240 oder zwischen 1244 und 1249; No. 2 zwischen dem 29. September 1227 und dem Anfang des Jahres 1229; No. 3 zwischen 1226 und 1237; No. 4 nach 1216; No. 5 vor 1236; No. 6 vor 1220, wahrscheinlich 1215; No. 7 1238. Die Reihenfolge der Lieder ist, da wir die Entstehungszeit der Gedichte No. 3, 4, 5 nur so ungenau zu bestimmen vermögen, mit Sicherheit nicht festzusetzen. Gewiss ist nur, dass No. 6 die Reihe der Gedichte beginnt (vgl. S. 2), dass No. 7 und No. 1 dieselbe beschliessen. Die Entstehungszeit der Gedichte No. 8, 9, 10 ist nicht zu ermitteln. — Ueber das Todesjahr Guilhems ist uns nichts bekannt.
Es bleibt uns schliesslich noch die Frage zu beantworten: sind uns alle Gedichte Guilhems erhalten? Darauf können wir wol getrost mit „Nein’’’ antworten. Von den Gedichten niederer Art, deren er, nach der provenzalischen Lebensnachricht zu schliessen, gar manche verfasst haben muss, sind uns nur die wenigen Verse der Handschrift H erhalten. Ferner ergibt sich aus der Strophe Sordels, dass auch ein Sirventes Guilhems gegen diesen Troubadour vorhanden war, das verloren gegangen ist. Der Grund dafür aber, dass derartige Gedichte Guilhems nicht erhalten blieben, mag wol in dem zu lokalen oder persönlichen Interesse derselben zu suchen sein. Wen in aller Welt, ausser den zunächst betheiligten Kreisen, konnten solche Strophen wie No. 8 oder solche Tenzonen wie No. 10 interessieren? Was ging es das grosse Publikum an, ob sich Bertran d’Aurel beim Schachspiel gebührend oder ungebührend benommen hatte, ob Jacopis mit einem würdigen Genossen eine Schlägerei gehabt? Diejenigen Gedichte jedoch, die ein allgemeineres Interesse erwecken, sind uns erhalten geblieben, und sie legen ein ehrendes Zeugniss ab für die trefflichen Gesinnungen des Dichters. Mag immerhin die Gesellschaft, in der er sich bewegte und sich wohl fühlte, nicht die beste gewesen sein, mag der Hass gegen die höheren Kreise ihn dazu gebracht haben nur in den niedrigsten zu verkehren, so hat er sich doch die beiden Empfindungen voll und rein zu bewahren gewusst, die die besten Männer seiner Zeit kennzeichnen: innige Liebe zu dem grossen Kaiser Friedrich und glühenden Hass gegen pfäffischen Trug. Seiner Meinung aber hat er mit kräftigem Worte Ausdruck verliehen, und sein gewaltiges Sirventes gegen Rom sichert ihm einen hervorragenden Platz unter den provenzalischen Dichtern. (↑)
3. Einige Bemerkungen über das Sirventes.
Die Mehrzahl der Gedichte Guilhem Figueiras sind Sirventese. Ueber das Sirventes sagen die Leys d’amors I, 340 folgendes: „Sirventes es dictatz ques servish al may de vers o de chanso en doas cauzas, la una cant al compas de las coblas, l’autra cant al so; e deu hom entendre cant al compas, so’s a saber que tenga lo compas solamen ses las acordanzas oz am las acordanzas d’aquestas meteyshas dictios o d’autras semblans ad aquelas per acordansa”. Die Doctrina de compondre dictats (Romania VI, 354) lässt sich über das Sirventes folgendermassen aus: . . . e potz lo far (das Sirventes) en qualque so te vulles, e specialment se fa en so novell e maiorment en ço de canço. E deus lo far d’aytantes cobles com sera lo cantar de que pendras lo so; e potz seguir las rimaz contra semblantz del cantar de que pendras lo so; atresi lo potz far en altres rimes. Und ferner heisst es (ib. S. 358): Serventetz es dit per ço serventetz per ço c’om se serveix e es sotsmes a aquell cantar de qui pren lo so e les rimes. Dieser letzten Erklärung scheint Pio Rajna (Giorn. di fil. rom. No. 2 S. 89) nicht feind zu sein: or bene, sagt er, questa etimologia può ben esser la vera. Ich kann mich seiner Ansicht nicht anschliessen. Es steht allerdings fest, dass die alten Grammatiker in so weit Recht haben, dass meist (Leys: al may, Doctrina: maiorment) das Sirventes Strophenbau und Melodie von einem vers oder einer canzo entnommen habe. Dies ergibt sich daraus (16), dass Mahn Biog.² No. 105 von Guilh. Rainol besonders erwähnt wird „e si fez a toz sos sirventes sons nous”, woraus also zu schliessen ist, dass gewöhnlich die Sirventese nach einer bekannten Melodie gesungen wurden. Uc de San Circ führt selbst an, wer der Componist der von ihm benutzten Melodie sei (M. W. II, 150):
Messonget, un sirventes
M’as quist e donar lo t’ai
Al plus tost que ieu poirai
El son d’En Arnaut Plagues
und ebenso derselbe Dichter (M. W. II, 151):
Un sirventes vuelh far en aquest son d’En Gui. (17)
Ich kann jedoch nicht glauben, dass daher der Name stamme, denn diese Nachahmung ist zwar in den meisten Fällen, keineswegs aber überall eingetreten, und der Umstand, der der ganzen Gedichtsgattung den Namen gegeben, kann doch nicht ein solcher sein, der ganz nach Belieben beobachtet oder vernachlässigt werden konnte, sondern er muss das Charakteristische des Gedichtes ausmachen. Das Charakteristische des Sirventes ist aber durchaus nicht die Form, sondern der Inhalt. Das Sirventes handelt von Politik, von Krieg und Kreuzfahrt, von den Fehlern der Geistlichen und den Sünden der Reichen, es enthält Lob und Tadel, es ist strenge, herbe und kalt verglichen mit der Liebeslust und Liebesleid besingenden Canzone. Dass diese Idee dem Sirventes anhaftete, ergibt sich aus den folgenden Stellen:
E s’anc fui guais entendeire ni drutz,
Ma donam fai tot refregir del caut,
Quem tol tot gaug e tota iram dona
E me meteis e tot quan m’a promes;
E mas cansos me semhlo sirventes,
Et ieu qu’en pert lo cor e la persona M. W. I, 362
und
Galop et trot e saut e cors
Velhars e maltrait et afan
Seran mei sojorn derenan,
E sufrirai fregz e calors,
Armatz de fust e de fer e d’acier;
E mos ostal seran bosc e semdier
E mas cansos sirventes e descortz,
E mantenrai los frevols contrals fortz M. W. I, 365.
Ar farai, sitot nom platz
Chantar verses ni chansos,
Sirventes en son joyos
beginnt Guilhem Anelier sein zweites Gedicht, in dem er die Verderbnis seiner Zeit mit scharfem Worte tadelt.
Nirgends aber finden wir die nachgeahmte Melodie und Form als das Charakteristische erwähnt, nirgends einen Satz, der des Inhalts wäre: ich habe keine Lust eine neue Melodie zu erfinden, deshalb mache ich ein Sirventes. — Wie sehr der Inhalt beim Sirventes die Hauptsache war, beweist gerade der Umstand, dass es so oft sich fremder Melodien bediente. Bei der Canzone, die stets dasselbe Thema, das Glück und das Leid der Liebe, behandelte, die sich derselben Gedanken und Wendungen, ja selbst der gleichen Worte und Ausdrücke bediente, lag der Schwerpunkt in der kunstvollen Form und der gefälligen Melodie; das Sirventes aber, das seinen Inhalt möglichst rasch in die weitesten Kreise dringen lassen wollte, denn es hatte die Absicht auf das Publicum zu wirken, benutzte bekannte Formen und Melodien, um so sich möglichst leicht einzuprägen. So ist denn diese Nachahmung Sitte geworden, doch unumgänglich nothwendig war sie nicht, das beweist die 105. Biographie und die schon von Gisi, Guilhem Anelier S. 24, citierten Verse von Gaucelm Faidit:
Ab nou cor et ab novel so
Vuolh un nou sirventes bastir.
Es ist ferner zu bemerken, dass die von den Provenzalen geschaffenen Benennungen der Liederarten stets auf den Inhalt, niemals auf die Form Bezug nehmen, so z. B. bal, dansa, alba, pastorela (18). Es ist nicht anzunehmen, dass das Sirventes hiervon eine Ausnahme mache. — So kann ich der Erklärung der Doctrina nicht beistimmen.
Aber ist es nicht Anmassung die Sache besser verstehen zu wollen als die Grammatiker des 12. und 13. Jahrhunderts? (19) Ich glaube kaum, denn bei aller Ehrfurcht vor ihrem Alter haben wir doch nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht gewissenhaft zu prüfen. Und da finden wir denn, dass die Doctrina, die die eben besprochene Erklärung von dem Worte sirventes aufstellt, eine Regel über das Sirventes gibt, die als verkehrt zurückzuweisen ist. Die Doctrina sagt: e deus lo far d’aytantes cobles com sera lo cantar de que pendras lo so, e potz seguir las rimas contra semblantz del cantar de que pendras lo so; atresi lo potz far en altres rimes. Die letzte Behauptung ist richtig, die Reime des Sirventes müssen nicht durchaus dieselben sein wie in dem Gedichte, dessen Melodie das Sirventes angenommen hat. Die erste Behauptung jedoch, dass das Sirventes ebensoviele Strophen haben müsse, wie das Gedicht, dessen Melodie es angenommen hat, ist verkehrt. Dies ergibt sich, wenn wir die Gedichte des grössten Sirventesendichters, Bertran de Borns, auf das von der Doctrina Gesagte hin prüfen. Das Gedicht „Al doutz, nou termini blanc” (Stimming No. 2) hat denselben Strophenbau 7a 7*b 7*c 7*c 8d 8d 8d und dieselben Reime anc esta enta enta ais ais ais wie das Gedicht des Raimbaut d’Aurenga „Entre gel e vent e fanc” M. G. 361. Das Sirventes Bertrans hat 7 Strophen 2 Tornadas, das Gedicht Raimbauts aber nur 6 Strophen 2 Tornadas. — Das Gedicht No. 16 „Fulheta, ges autres vergiers” hat den Bau 8a 8a 8b 8b 7*c 8b 7*c und die Reime iers iers at at ata at ata. Von gleichem Bau und Reim ist das Gedicht des Raimbaut d’Aurenga „Als durs crus cozens lauzengiers” M. G. 356. Dieses hat 9 Strophen 1 Tornada, jenes 4 Strophen 1 Tornada. Bertrans Sirventes No. 29 „Non puosc mudar, un chantar non esparga” hat den Bau 10*a 10b 10c 10*d 10e 10f 10g 10h und die Reime arga anc arc omba om er ens esta; ebenso verhält sich das Gedicht des Arnaut Daniel „Sim fos amors de joi donar tantlarga” M. G. 95. Dieses hat 6 Strophen 1 Tornada, aber Bertrans Gedicht weist 5 Strophen 2 Tornadas auf. (20) — Das Sirventes No. 4 ist von gleichem Bau und Reim wie No. 17: 10a 10b 10a 10b 7*c 10a 10a; an i an i oja an an. No. 4 hat 6 Strophen 3 Tornadas, No. 17 5 Strophen 1 Tornada. Es ist mir nicht gelungen festzustellen, welches das Gedicht ist, von dem Bertran Strophenbau und Melodie genommen hat; jedenfalls aber kann nur eins der beiden Sirventese dieselbe Strophenzahl wie das zu Grunde gelegte Gedicht haben, in dem andern muss also die Regel der Doctrina nicht befolgt sein. — Dasselbe finden wir auch bei späteren Sirventesendichtern. Der der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts angehörende Folquet de Lunel folgt in seinem Sirventes „Al bon rei qu’es reis de pretz car” (ed. Eichelkraut No. II) in Form und Reim (8a 8b 8a 8b 10*c 10d 10d 10*c; ar o ar o ia an an ia) dem M. W. II, 248 abgedruckten Gedichte Sordels „Bei m’es ab motz leugiers de far”. Sordels Canzone hat 4 Strophen und keine Tornada, das Sirventes Folquets 6 Strophen 2 Tornadas. — Uc de San Circ gibt in seinem Sirventes „Messonget, un sirventes” (M. W. II, 150) selbst an, dass er es im „son d’EN Arnaut Plagues” machen wolle. Das Gedicht dieses Letzteren „Be volgra midons saubes” ist P. O. 357 abgedruckt; es hat 5 Strophen 2 Tornadas, das Sirventes des Uc de San Circ aber hat nur 4 Strophen und keine Tornada.
Es ist also hierdurch nachgewiesen, dass die von der Doctrina aufgestellte Regel, das Sirventes müsse ebensoviele Strophen haben wie das Lied, dessen Melodie man angenommen habe, falsch ist. Ist aber die eine Behauptung falsch, so sind wir sicher nicht genöthigt, an die unbedingte Richtigkeit der anderen zu glauben; weicht das Sirventes in der Strophenzahl von dem Gedichte ab, dessen Melodie es folgt, so braucht es auch nicht „sirventes” zu heissen „per ço c’om se serveix e es sotsmes a aquell cantar de qui pren lo so e les rimes.”
Derselben Ansicht wie die Doctrina soll, nach Gisis Mittheilung (Guilhem Anelier S. 24), Tobler sein. Gisi sagt: „Tobler leitet den Namen „sirventes” insofern von servire ab und nennt es ein Dienstgedicht, als es von einem anderen Gedichte abhängig, in seinem Dienste stehend betrachtet wird.” Diese Mittheilung beruht auf einem Irrthum. Tobler hat sowohl in seiner Vorlesung über provenzalische Litteraturgeschichte (Sommersemester 1877) den Namen „sirventes” anders erklärt als auch auf directe Anfrage die Unrichtigkeit der Gisi’schen Mittheilung bestätigt. Tobler sagt in seiner Vorlesung: Das Wort „sirventes” ist nicht unmittelbar von servir abzuleiten, sondern von „sirven” Diener (21), es ist „Lied eines Dienenden”, des Dichters, der sich in den Dienst eines Herrn begeben hat, in dessen Interesse er singt. Diez, Etymol. Wörterbuch II³, 427, leitet das Wort ebenfalls von sirven ab und sagt: wörtlich Dienstgedicht, d. h. ein Gedicht, ursprünglich im Dienste oder zu Ehren eines Herrn abgefasst.
Ich folge durchaus Toblers Ansicht. Das Sirventes ist das Gedicht eines Dienenden, abgefasst im Dienste und Interesse eines Herrn, dann weiter ausgedehnt im Dienste einer politischen Partei, im Interesse einer das öffentliche Leben berührenden Frage. Das war das Charakteristische an ihm, daher erhielt es seinen Namen. Gewiss hat man später nicht allemal bei dem Worte „sirventes” an seine eigentliche Bedeutung gedacht. Das Sirventes war das politische Gedicht, das Lied des Streites und Tadels, das war es, was man bei dem Worte „sirventes” empfand, wie sich aus den oben angeführten Stellen ergab. Aber dass die Empfindung für die wahre Bedeutung des Wortes nicht verloren ging, das beweist z. B. der Anfang des Gedichtes No. 4 unseres Troubadours:
Nom laissarai per paor
Qu’un sirventes non labor
En servizi dels clergatz
und die ferner von Diez. Etym. Wtbch. II³, 428, angeführte Stelle
De sirventes suelh servir L. R. I, 455.
Als Gedicht, das sich mit Fragen des öffentlichen Lebens, mit Politik etc. beschäftigte, trat das Sirventes in den entschiedensten Gegensatz zu den Liebesliedern, und so ward der Name vielleicht auf alle Nicht-Liebeslieder, also auch auf Gedichte religiösen Inhalts angewandt. Diez, Poesie d. Tr. S. 175, ist nicht dieser Meinung; er sagt in Bezug auf das Sirventes: Diese poetische Gattung bewegt sich in einem sehr grossen Wirkungskreise; sie behandelt alle Gegenstände des Lebens mit Ausschluss der Liebe und der Religion. Tobler dagegen in seiner Vorlesung über provenzalische Literaturgeschichte scheidet als erste Klasse der Sirventese die „moralisch-religiösen” aus und sagt: „vielleicht gehören auch solche Lieder hierher, die gradezu Gott und Jesum preisen”. Doch muss bemerkt werden, dass nur in der Doctrina steht: e per ço car deu parlar (nemlich das Sirventes) de senyors o de vasalls . . . . o de deu . ., während die Leys hiervon nichts sagen. Auch wird in keinem der von Tobler angeführten Gedichte dieser Art M. W. I, 100; M. W. II, 52, 199, 200; Choix IV, 438; ib. V, 26; Bartsch Dkmlr. S. 63; Anciennes poésies religieuses en langue d’oc ed. P. Meyer, das Gedicht selbst Sirventes genannt. J. Bekkers „Provenzalische geistliche Lieder des 13. Jhrhdts.”, die Tobler auch anführt, standen mir nicht zu Gebote.
Ich fasse also kurz das Gesagte zusammen: Sirventes heisst Lied eines sirven, der im Dienste und Interesse eines Herrn, weiter einer politischen Partei, einer das öffentliche Leben betreffenden Frage singt. Das Sirventes bedient sich um sich leichter einzuprägen und rascher zu verbreiten meist der Melodie, des Strophenbaues und der Reime eines vers oder einer canzo, doch ist dies durchaus nicht unumgänglich nothwendig. Folgt das Sirventes dem Strophenbau eines anderen Gedichtes, so können doch die Reime verschieden sein. In Bezug auf die Anzahl der Strophen braucht es keineswegs, wie die Doctrina behauptet, dem Liede gleich zu sein, dessen Melodie es angenommen hat. (↑)
4. Metrisches.
Prüfen wir nun die Sirventese Guilhems auf das im vorigen Abschnitt Gesagte hin, untersuchen wir, ob sie anderen Gedichten an Strophenbau und Reim gleichen und welchen, und stellen wir fest, ob sie in diesem Falle den zu Grunde liegenden Gedichten an Strophenzahl gleich sind. (22) Ich bezeichne Silbenzahl und Reim durch eine einfache Formel; die voranstehende Zahl giebt die Zahl der Silben des Verses an, der Buchstabe bezeichnet den Reim, ist dieser weiblich, füge ich ein Häkchen * bei.
Von den Nicht-Sirventesen gebe ich nur die metrische Formel an.
Die Reime sind: or or or it it en en en ir ir. Gleichen Bau und gleiche Reime hat das M. G. 40 abgedruckte Gedicht Folquets von Marseille „Ben an mort mi e lor,” das 5 Strophen und 2 Tornadas hat. Ebensoviele Strophen und Tornadas hat auch Guilhems Sirventes, doch hat die erste Tornada bei Folquet 4, die zweite Tornada nur 2 Verse, während bei Guilhem beide Tornadas 5 Verse aufweisen.
Die Strophe besteht aus drei Elfsilbern mit weiblichem Reim und Caesur nach der fünften Silbe, es folgen zwei Fünfsilbner mit männlichem Reim, dann folgt wieder ein elfsilbiger Vers mit weiblichem Reim und Caesur nach der fünften Silbe, und den Schluss macht ein Fünfsilbner mit männlichem Reim. Die elfsilbigen Verse haben Binnenreim, und zwar reimen in den ersten drei Versen die vor der Caesur stehenden Wörter unter einander, im vierten Elfsilbner reimt das Wort vor der Caesur mit dem Ende des vorhergehenden und des folgenden Verses. Man hat bis jetzt das Gedicht folgendermassen gedruckt: 5a 6*b 5a 6*b 5a 6*b 5c 5c 5c 6*b 5c. Bartsch jedoch (Ztschft. f. rom. Phil. II, 202) hat darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn man den fünfsilbigen und sechsilbigen Vers als einen Vers fasst, sich genau das Schema ergibt, das die Leys I, 116 für den elfsilbigen Vers mit der Caesur nach der fünften Silbe angeben, wovon sonst bis jetzt kein Beispiel bekannt war. Da aber gerade bei Guilhem hiervon ein Beispiel sich findet (No. 7) und ausserdem der elfsilbige Vers (wenngleich mit der Caesur nach der siebenten Silbe) noch einmal bei ihm vorkommt (No. 10), sich also augenscheinlich bei ihm einer grossen Beliebtheit erfreute, so habe ich nicht angestanden auch bei diesem Gedichte den Elfsilbner einzuführen. — Denselben Strophenbau wie dieses Gedicht zeigen (vgl. Bartsch Ztschft. II, 202) noch zwei andere, das eine ist von Gaucelm Faidit „Ab cossirier planh” (M. W. II, 86), das andere ist ein Marienlied (Bartsch, Dkmlr. S. 63 ff.). Beide haben andere Reime als Guilhems Sirventes. In dem Gedichte Faidits sind je zwei Strophen durch gleiche Reime verbunden, die sich dann aber in den anderen Strophen nicht wiederfinden. Das Marienlied hingegen, ebensowie das Sirventes Figueiras, hat in jeder Strophe neue Reime, doch so, dass der Endreim der einen Strophe zugleich als Anfangsreim der nächsten dient; die Strophen sind also coblas capcaudadas (Leys I, 168). Genau wie das Gedicht Guilhems ist, wie schon S. 8 bemerkt wurde, die Antwort der Gormonda gebildet. Das Gedicht Gaucelms hat 6 Strophen 1 Tornada, das Marienlied hat 22 Strophen, das Sirventes Figueiras 23, die Antwort Gormondas 20. (25) Dass das Marienlied mit der grössten Wahrscheinlichkeit als das dem Sirventes zu Grunde gelegte Gedicht anzusehen ist, hat Pio Rajna in einem Aufsatze im Giorn. di fil. rom. No. 2, S. 84 ff. „Un serventese contro Roma ed un canto alla vergine” nachgewiesen.
No. 3. Ja de far nou sirventes.
7a 8b 8a 8b // 8b 8b8b 8b.
Der Reim a ist es, b ist or.
Ein Gedicht gleicher Bildung habe ich nicht gefunden.
No. 4. Nom laissarai per paor.
7a 7a7b 7b // 7a 7*c 7*c 10d 10d.
Die Reime sind: or or atz atz or ia ia er er. Gleichen Bau und gleiche Reime hat ein Gedicht von Gaucelm Faidit, welches M. W. II, 91 abgedruckt ist und beginnt „Tugc ilh que amon valor”, und eines von Aimeric de Pegulhan (M. G. 204), das anfängt mit den Worten „A lei de fol camja dor”. Das Lied Gaucelms hat 7 Strophen 1 Tornada, das Lied Aimerics hat 5 Strophen 1 Tornada. Welches der beiden Gedichte Guilhem als Muster gedient hat, ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen. Dafür dass er Aimeric nachgeahmt habe, mag der Umstand sprechen, dass er mit diesem Troubadour auch sonst in Beziehung stand (vgl. No. 8, 9, 10), was uns von ihm in Bezug auf Gaucelm nicht bekannt ist.
No. 5. Pel joi del bel comensamen.
Das Gedicht ist eine Canzone 8a 8b8b 8a // 8c 8c8d 8d.
No. 6. Totz hom qui ben comensa e ben fenis.
10a 10b10b 10a // 10c 10*d 10*d 10c
Die Reime sind: is or or is en ensa ensa en. Von gleichem Bau kenne ich nur noch ein Gedicht, das jedoch andere Reime hat; es ist das Gedicht des Guilhem de Cabestanh, „En pensamen me fai estar amors” (No. II, Hüffer No. VII). Dieses hat 6 Strophen 1 Tornada, das Sirventes Guilhems ist von gleicher Länge.
Die Reime sind: eta ona eta ona eira e eira e ia e ia e. Hier finden wir den so selten vorkommenden elfsilbigen Vers (26) und zwar in der Form, wie die Leys sie geben, mit Caesur nach der fünften Silbe (wie No. 2, doch ohne Binnenreim), wovon bis jetzt kein Beispiel bekannt war (vgl. Bartsch, Ztschft. II, 202). Die Caesur ist überall männlich, so dass sich das Schema ergibt:
Hiervon ausgenommen ist Vers 58, wo die Caesur nach unbetonter fünfter Silbe steht; also das Schema ist:
Ferner ausgenommen ist Vers 60, wo der betonten fünften noch eine unbetonte Silbe vor der Caesur folgt, also das Schema
sich zeigt. — Caesur nach betonter sechster Silbe muss man wol Vers 11 annehmen:
und Caesur nach betonter siebenter in Vers 4, 28 und wol auch in Vers 38, wo also das Schema wäre
In diesem Gedichte findet sich auch der sonst nur noch ein Mal bei Folquet de Romans, Herrigs Archiv 34, 426 (vgl.. Bartsch Ztschft. III, 378), vorkommende neunsilbige Vers, und zwar nicht mit der Caesur nach der vierten oder fünften Silbe, wie die Leys I, 112 angeben, sondern nach der betonten dritten. Es ergibt sieh also das Schema
Ein anderes Gedicht von gleichem Bau ist mir nicht bekannt.
No. 8. Anc tan bel colp de joncada.
Das Gedicht ist eine Cobla: 7*a 5b 7b 7*a 7c 7c 10d 10d. (28)
No. 9. Bertram d’Aurel si moria.
Das Gedicht ist eine Cobla: 7*a 7b7*a 7b // 7*a 7b 7b7*a 7b 7b.
No. 10. N’Aimeric queus par del pro Bertram d’Aurel.
11a 11a 11a 8*b 8*b 7c 6*b
Das Gedicht ist eine Tenzone. Hier findet sich zum dritten Male bei Guilhem der elfsilbige Vers und zwar mit Caesur nach betonter siebenter Silbe, in Vers 9 nach unbetonter achter. Das Schema ist also:
und in Vers 9
Auch hier folgen (wie in No. 2) kürzere Verse auf drei elfsilbige, und zwar zwei Achtsilbner, und den Schluss macht ein Dreizehnsilbner. Doch finden sich so lange Verse sonst nicht, (29) und ich habe mit Bartsch (Ztschft. II, 197) den Vers in zwei kleinere Verse getheilt, einen von 7 Silben mit männlichem Ausgang, der mit keinem anderen reimt, und einen von 6 Silben mit weiblichem Ausgang, der mit den beiden vorhergehenden Achtsilbnern reimt.
No. I. Anc mais de joi ni de chan.
Das Gedicht ist eine Canzone: 7a 7b 7b 7a 7a 10*c 10d 10d 10*c.
No. II. En pensamen me fai estar amors.
Das Gedicht ist eine Canzone: 10a 10b10b 10a // 10c 10*d 10*d 10c.
Vgl. No. 6.
No. III. L’autrier cavalcava.
Das Gedicht ist eine Pastorelle: 5*a 5b 5b 5b 5*c 7*c 5d 7d 10d.
No. IV. Quan cug chantar eu planc e plor.
8a 8b8a 8b // 6*c 8d 8d6*c 8d 8d
Das Gedicht ist ein Sirventes mit den Reimen or ir or ir atge atz atz atge atz atz. Derselbe Strophenbau und dieselben Reime finden sich ausserdem noch in acht Gedichten. Diese sind:
1) Guiraut de Bornelh: Non puosc sufrir qu’a la dolor M. W. I, 185. 7 Strophen 2 Tornadas.
2) Guiraut de Bornelh: Non sai rei ni emperador M. G. 862. 5 Strophen 2 Tornadas.
3) Peire Cardenal: Ar mi posc eu lauzar d’amor M. W. II, 209. 5 Strophen 1 Tornada.
4) Sordel: Pois nom tenc per pagat d’amor M. G. 1273. 5 Strophen 1 Tornada.
5) Guilhem de San Gregori: Bem platz lo gais temps de pascor Stimming, B. de Born, S. 226. 6 Strophen 1 Tornada.
6) Guiraut Riquier: Coms d’Astarac ab la gensor M. W. IV, 244. 6 Strophen 2 Tornadas.
7) Guilhem Fabre: On mais vei plus trop sordejor Choix V, 196.
8) Bertran Carbonel: Cobla esparsa „Qui per bon dreg se part d’amor” Bartsch, Dkmlr. S. 20. (30)
Das Sirventes Folquets hat 6 Strophen 2 Tornadas.
No. V. Greu m’es a durar.
Genau gebildet wie No. 2.
________
Ueber die Caesur der neun- und elfsilbigen Verse habe ich bei den Gedichten No. 2, No. 7, No. 10 gesprochen. Es bleibt noch die Caesur des zehnsilbigen Verses zu besprechen, denn bei den Versen von geringerer Silbenzahl unterliegt die Caesur keiner bestimmten Regelung. Der zehnsilbige Vers hat bei Guilhem meist regelmässig die Caesur nach betonter vierter Silbe. Doch findet sich auch lyrische Caesur, d. h. Caesur hinter unbetonter vierter Silbe: 1, 20; 4, 44, 49; 6, 3, 4, 11, 38, 40, 46. Es finden sich auch Beispiele der Caesur nach betonter sechster Silbe, wie sie im Girart de Rossilho sich zeigt: 1, 39, 60; 4, 45; 6, 17; 8, 8. Es finden sich auch Fälle, wo die Caesur nach der fünften Silbe steht: 4, 18 Si fan, so dis dieus, qu’ie’n sai ben lo ver und 1, 69: que per sol volc dieus part totz enantir. Ebenso verhält es sich mit 6, 39: E la vera crotz, on non an crezensa.
In Bezug auf die Tornada (31) sind nur No. 5 un No. 7 hervorzuheben, während die anderen Gedichte sich der Regel der Leys (I, 338) fügen, indem ihre Tornada von dem Masse der zweiten Hälfte der letzten Strophe, bei der neunzeiligen Strophe (No. 4) vier Zeilen lang ist. In No. 5 aber, deren Strophe acht Zeilen lang ist, ist der Tornada ein Vers hinzugefügt, sie besteht also aus 5 Versen. No. 7 besteht aus zwölfzeiligen Strophen; es folgen aber zwei Tornadas von je zwei Zeilen.
Treffen in der Mitte des Verses ein auslautender und ein anlautender Vokal zusammen, so tritt entweder Elision ein oder Aphaerese oder Synaloephe oder endlich bleibt der Hiatus bestehen.
Elision findet sich: 1, 14, 36; 2, 34, 55, 107 etc.
Synaloephe findet sich: 1, 49, 54; 2, 9, 11, 13, 20, 22 etc.
Hiatus findet sich: a) bei unelidierbarem auslautenden Vokal: cui ai 1, 24; dieu e 2, 72 und 2, 116; viu ancar 2, 69; ieu ai 3, 3 u. ö.; b) bei elidierbarem aulautenden Vokal (a und e): que es 1, 10 und 2, 6; Roma eu 2, 88; que ieu 3, 3; anta e 3, 6 etc. Durch die Caesur gestützt wird der auslautende Vokal 1, 20 puesca // al, 4, 49 Tolosa // en und 6, 3 dona // a.
5. Vergleichende Tabelle der Reihenfolge der Lieder in den Handschriften.
6. Die provenzalische Lebensnachricht.
Die Biographie wird überliefert in B 117, I 119, K 95. Gedruckt ist sie nach B und I bei Mahn, Biogr. d. Troub., 2. Aufl. No. LXIV, Choix V, 198, P. O. 243.
Guilhems Figueira si fo de Tolosa, filhs d’un sartor, et el fo
sartres. E quan li Frances agron Tolosa, el s’en venc en Lom-
bardia. E saup ben trobar e cantar e fetz se joglars entrels
ciutadins. Non fo hom queis saubes cabir entrels barons ni entre
5
la bona gen, mas mout se fetz grazir als arlotz et a las putans
et als ostes et als taverniers. E s’el vezia venir bon home de
cort lai on el estava, el en era tristz e dolens, et ades se per-
cassava de lui abaissar e de levar los arlotz.
1. figieira B figuera K. — 2. franses aguen IK. — el] si I K. — 3. joglar I K. — entre los citaudins I K. — 4. queis] que IK. — caber I K. — 5. a las] als I K. — 6. ostes taverniers IK. taveniers B. — s’el] sil B. — vezia] vic B. — home] homen B. — venir steht hinter cort in IK. — 7. on el estava] on estava K. — el en era tristz e dolens] il n’era t. e. d. I tristz e dolens en fo K. — percassava] penava I penet K. — 8 e bis arlotz fehlt in B. — (↑)
CdT: La lettre employée par Ms. Levy est une U gotique. Le projet Corpus des Troubadours a préféré remplacer cette lettre par le sigle moderne en romain et en gras: A. (↑)
(1) Der Name findet sich in folgenden Schreibungen: Figueira, Figieira, Figuieyra, Figuera, Figera. (↑)
(2) Die Hist. litt. XVIII, 652 bezieht die Worte der Biographie „quan li Frances agron Tolosa” auf die Einnahme von Toulouse durch die Kreuzfahrer in Folge der unglücklichen Schlacht bei Muret und meint, Figueira habe im Anfang des Jahres 1215 die Heimat verlassen, als der Bischof Folquet die oberste Gewalt in Händen hatte; Pio Rajna (Giornale di filol. rom. No. 2, S. 88) bezieht sie auf den Frieden, den am 12. April 1229 Ludwig IX. mit Raimund VII. von Toulouse schloss, durch den dieser einen grossen Theil seines Besitzes verlor und in welchem bestimmt wurde, dass die Burg von Toulouse für zehn Jahre dem Könige übergeben werden sollte und dass die Mauern geschleift werden sollten (Annales de la ville de Toulouse, Paris 1771, I, 281), Ich halte die Angabe der Hist. litt. für die wahrscheinlichere, da nach dem Frieden des Jahres 1229 Toulouse selbst im Besitze Raimunds blieb, während 1215 die Stadt Simon von Montfort huldigen und Graf Raimund VI. in Marseille Zuflucht suchen musste (Annales etc. I, 253—4). Es scheint mir auch, dass die Herschaft des verhassten Feindes für den Dichter eher ein Grund sein konnte seine Heimat zu verlassen als die Verminderung des tolosanischen Gebietes und die Schleifung der Mauern. (↑)
(4) Die Zahl der Gedichte Guilhems beläuft sich auf 7, nicht, wie Bartsch angiebt, auf 8, da No. 2 and No. 3 der im Grundriss angegebenen Gedichte identisch sind, wie schon Stengel, Zeitschrift für rom. Phil. I, 388, bemerkt. (↑)
(5) Die angeführten Nummern sind die den Gedichten in vorliegender Arbeit gegebenen. (↑)
(6) Jedenfalls aber ist die Angabe der Hist. litt. XVIII, 652 „et en 1220 la ville de Milan, principal boulevard des Guelfes, ayant fermé ses portes à l’empereur Frédéric II, il (sc. Figueira) publia son sirvente contre cette ville républicaine” falsch, da Friedrich 1220 mit Mailand gar nicht in Conflict kam. Er zog im August des Jahres über den Brenner, war am 12. September in Verona, zog dann durch das Gebiet von Mantua und Modena nach Rom, wo er am 22. November zum Kaiser gekrönt wurde. (Winkelmann I, 142 ff.) Von Rom aber zog er südlich in sein Erbland und war im Januar 1231 in Capua. (ib. 153—4.) (↑)
(7) Ausgenommen in der Zeit vom November 1239 bis zum Herbst 1240. Vgl. Raumer, Geschichte der Hohenstaufen IV, 149—50. (↑)
(8) Jedenfalls verkehrt ist die Angabe der Hist. litt. XVIII, 657, die das Gedicht im Jahre 1230 entstanden sein lässt. 1230 befand sich Jerusalem in den Händen der Christen. (↑)
(9) „Chi non conosce il terribile Serventese di Guglielmo Figueira, D’un sirventes far?” Pio Rajna, Giorn. di fil. rom. No. 2, S. 84. (↑)
(10) Vgl. Brinckmeier: Rügelieder der Troubadours gegen Rom und die Hierarchie, Halle 1846. (↑)
(11) Dass das Gedicht der Gormonda, das dem Liede Guilhems an Versmass und Reim gleicht, ihm nicht auch an Strophenzahl gleichkommt, wird, wie Rajna a. a. O. S. 84 bemerkt, dadurch zu erklären sein, dass derselben nicht das ganze Gedicht, sondern nur 20 Strophen bekannt waren, wofür die Thatsache spreche, dass die Handschrift der Ambrosiana D 465 inf. ebenda ende, wo aueh das Gedicht der Gormonda schliesst. (↑)
(12) Bei der Bezeichnung der Handschriften folge ich Bartsch, Gmndriss S. 27—31. (↑)
(13) Die Handschrift schreibt Figera, doch ergibt sich die Richtigkeit der Schreibung Figueira aus den Reimen der S. 11 mitgetheilten Strophe Sordels. (↑)
(14) Um die richtige Silbenzahl zu erhalten müsste man wenigstens si avia schreiben. (↑)
(15) Die Handschrift liest abweichend von dem oben gegebenen Texte: Zeile 1 ma saill; figera; Zeile 5 llin; Zeile 6 Qa; llen; Zeile 7 maineira. (↑)
(16) Vgl. Gisi: Der Troubadour Guilhelm Anelier von Toulouse S. 24; Tobler, Giorn. di fil. rom. No. 4. S. 74. (↑)
(17) Pio Rajna Giorn. di fil. rom. No. 2. S. 90 will auch folgende Stellen in dieser Beziehung geltend machen:
Ara farai, nom puesc tener,
Un sirventes en est son gay,
Ab bos motz leus per retener Guilhem Anelier I, 1 ff. ed. Gisi
und den Anfang von Guilhems grossem Sirventes:
D’un sirventes far
En est son que m’agensa
Nom vuolh plus tarzar.
Doch dürften diese beiden Stellen nicht zu gewichtig sein, da wir Aehnliches ebenfalls in Canzonen finden:
(18)Vers und canzo, die einzigen, die auf die Form sich beziehen, sind keine provenzalischen Neubildungen. (↑)
(19)Per verità, è una pretesa abbastanza curiosa la nostra di voler dar lezione dell’arte loro ai poeti del secolo XII e XIII! Rajna a. a. O. S. 89. (↑)
(20) Stimming in seinem Bertran de Born S. 100 meint, dass Arnaut die Verse Bertrans nachgeahmt habe; ich theile diese Meinung nicht, sondern bin der entgegengesetzten Ansicht. Bertrans Sirventes ist (vgl. Stimming S. 67) 1188 verfasst, Arnaut dichtete von 1180—1200 (Diez L. u. W. d. Trb. 344); also wäre der Zeit nach beides möglich. Es scheint mir jedoch höchst unwahrscheinlich, dass Arnaut, der Meister der rims cars, diese erst von Bertran entlehnt habe, während nichts dagegen spricht, dass dieser in seinem Sirventes Form und Melodie Arnauts nachgeahmt hat, Gleicher Meinung ist Bartsch, Ztschft. III, 410. (↑)
(21) Das Gleiche sagt Gaston Paris Romania VII, 626. (↑)
(22) Der Vollständigkeit halber dehne ich die Untersuchung auch auf die Guilhem nicht angehörenden Gedichte (No. I—V) aus. (↑)
(23) Die Bogen geben die Gliederung der Strophe an; der Doppelstrich bezeichnet die Diesis. (↑)
(24) Bei diesem Gedichte und ebenso bei No. 8, 10, I, III, V lässt sich eine Gliedesung der Strophe nicht vornehmen. (↑)
(26) Die Fälle, wo er sich im Provenzalischen findet, hat Bartsch, Ztschft. II, 195 ff. besprochen. (↑)
(27) Ich folge hierbei Bartsch, (Ztschft. II, 195), der die Versstellen, bei denen der Accent beliebig fallen kann, durch Punkte, die notlrwendig betonten durch die nothwendig unbetonten durch bezeichnet. (↑)
(28) Vgl. die gleichreimige Strophe Romania II, 241; der zweite Vers ist entweder hier auf 6 oder dort auf 5 Silben zu bringen. (Tobler.) (↑)
(29) Fünfzehnsilbige Verse finden sich (Ztschft. II, 195 ff.) beim Grafen von Poitiers (Grundriss 183, 3, 4, 5) und bei Marcabru (ib. 293, 24). Die Verse des Grafen sind aber nach Tobler (Vorlesung über prov. Lit. Gesch.) durch eine Caesur in 2 siebensilbige Verse zu zerlegen, obgleich kein Binnenreim sich findet. Ein solcher theilt die fünfzehnsilbigen Verse Mareabrus in drei Verse von geringerer Silbenzahl. (↑)
(30) Diese Gedichte finden sich, ausser ²) und 4), schon in Bartsch Anmerkung zu Dkmlr. S. 20, 1, zusammengestellt. (↑)
(31) Ueber die Bedeutung des Wortes „Tornada” siehe Gisi, Guilhelm Anelier Seite 25. (↑)