Estudi introductori - Einleitende Studie - Introductory study - Estudio introductorio - Introduction - Studio introduttivo - Estudi introductòri
Appel, Carl. Der Trobador Cadenet
. Halle a. S.: Verlag von Max Niemeyer, 1920.
DER TROBADOR CADENET
In der bekannten Szene des Misanthrope setzt Alceste dem verunglückten Sonett Orontes die „vieille chanson“ entgegen:
Si le Roi m’avait donné
Paris, sa grand’ville,
Et qu’il me fallût quitter
L’amour de ma mie,
Je dirais au roi Henri :
„Reprenez votre Paris :
J’aime mieux ma mie, au gué !
J’aime mieux ma mie.“
Man hat sich viel Mühe gegeben, diese Strophe als ein altes Volkslied nachzuweisen. Daß sie ein Werk Molières selbst sei, ist ganz unwahrscheinlich. Er läßt Alceste sagen, daß „unsere Väter“ einst diese Chanson gesungen haben (v. 390). Man hat ihre metrische Form mit dem gleichen Refrain „au gué“ im 16. Jahrhundert wieder gefunden. Die Melodie, nach der Molière das Liedchen hat singen hören können und gehört haben wird, war also wohl bekannt. Das Lied selbst hat man bisher nicht entdeckt. Da ist es seltsam, sein Grundmotiv viereinhalb Jahrhundert früher bei einem provenzalischen Trobador wiederklingen zu hören. Zwei Handschriften (*) überliefern uns die Canzone des Cadenet (Bartsch, Grundriß 106, 5): Ai ! dousa flors ben-olenz.
Die Ähnlichkeit der Verse 10 und 11 dieser Kanzone mit dem Liedchen im Misanthrope soll nun gewiß nicht übertrieben werden, als ob etwa Molière und Cadenet unmittelbar aus derselben Quelle, einem südfranzösischen Volksliede geschöpft hätten. Das Motiv kehrt mit anderen Namen von Städten und Ländern immer wieder bei den Trobadors, seitdem Bernart de Ventadorn (und auch er gewiß nicht als erster) ähnlich sang: en loc de sa ricor no volh aver Piza (44, 23). (1) Aber der Trobador nennt doch, wie der volkstümliche Dichter Molière’s, gerade Paris als die Stadt die er gern für seine Liebe dahin geben würde; sein Lied hat einen so lebhaften Charakter, es erinnert, auch abgesehen von jenen Zeilen, in mehr als einem Vers an das was man als volkstümliche Art zu bezeichnen pflegt (es hat mit dieser Art auch das gemein, daß es wiederholt, s. v. 12, 18, 36, über die Sauberkeit des sprachlichen Ausdrucks hinwegsieht). So lohnt es sich doch wohl den Dichtungen eines Mannes nachzugehen, der uns ein so frisches Liedchen hinterlassen hat.
Auch die Lebensnachricht, die wir von Cadenet besitzen, hat ein mehr als gewöhnliches Interesse, da sie sich nicht nur als das Werk eines Ohren- und Augenzeugen gibt, sondern weil auch in der Tat mehrere ihrer Angaben nicht, wie die so vieler anderer „Biographien“, aus den Liedern des Dichters oder anderer Trobadors geschöpft sein können, und weil einiges was sie erzählt, auch eine gewisse Bestätigung aus den Dokumenten erfährt:
Cadenetz si fo de Proensa, d’un castel que a nom Cadenet, qu’es en la riba de Durensa, el comtat de Forcalquier. Fills fo d’un paubre cavallier. E quant el era enfas, lo castels de Cadenet si fo destruitz e raubatz per la gent del comte de Toloza e li home de la terra mort o pres. Et el en fo menatz pres en Tolsan per un cavallier que avia nom Guillem del Lantar; et el lo noiric e·l tenc en sa maison. Et el venc bos e bels e cortes, e si saup be cantar e parlar, et apres a trobar coblas e sirventes. E parti se del seignor que l’avia noirit, et anet per cortz e fetz se joglars, e fazia se apellar Baguas. (2) Lonc temps anet a pe, desastrucs, per lo mon, e venc s’en en Proensa, e nuills hom no·l conoissia. E fetz se clamar Cadenet; e comenset a far chansos, e fetz las bonas e bellas. E’n Raimons Leugiers de Dosfraires, de l’evescat de Nissa, lo mes en arnes et en honor; e’n Blacaz l’onret e·il fetz grans bes. Longa sazon ac gran ben e gran honor al segle; e pois el se rendet a l’Ospital, e lai definet. E tot lo sieu faich eu saubi per vertat per auzir e per vezer.
Das Städtchen Cadenet liegt im Département Vaucluse, am Fuß der Luberonberge, zwar nicht, wie die Lebensnachricht sagt, am Ufer der Durance, aber nur wenig von ihr entfernt. Es gehörte im 12. Jahrhundert zur Grafschaft Forcalquier. Die Ruinen eines alten Schlosses erheben sich noch heut über dem Ort.
Dort also hätten wir die Heimat unseres Trobadors zu suchen, wenn wir der Lebensnachricht Glauben schenken dürfen, und von ihr hätte er seinen Namen entnommen, als er nach einer Zeit der Joglarexistenz, in welcher er anders genannt wurde, in sein Heimatland zurückkehrte. Der Vorgang ist freilich eigentümlich. Mag der Dichter ein Interesse daran gehabt haben, sich eines unbequemen Spottnamens zu entledigen, weshalb nahm er nicht seinen eigentlichen Namen wieder an? denn daß seine Familie etwa ursprünglich den Namen Cadenet geführt hätte, sagt uns die Biographie nicht, und ein solches Geschlecht ist uns auch nicht bekannt. Wir würden wohl voraussetzen müssen, daß der Familienname des Sängers unter den kriegerischen Ereignissen, von denen die Biographie aus der Kindheit des Trobadors berichtet, verloren gegangen wäre; denn welche Veranlassung hätte ihn bestimmen sollen, seine ritterliche Abkunft zu verleugnen, wenn er sich ihrer hätte rühmen können? Dafür aber daß nun einfach ein Städtenamen als Personennamen gebraucht worden wäre, ist mir ein anderes provenzalisches Beispiel nicht bekannt. Wir kennen Verstecknamen wie Engles, Frances, Alvernhatz. Nach ihrem Muster aber sollte man eine Ableitung wie etwa Cadenetenc erwarten. Da Ableitungen von cadena: Cadeneu und Cadenat, noch jetzt als Familiennamen in Südfrankreich dienen, ist keineswegs ausgeschlossen, daß Cadenet von vornherein der eigentliche Name des Trobadors war und daß erst die Gleichheit mit dem Ortsnamen die Nachricht der Biographie veranlaßt hat. So ist vielleicht auch diese Biographie nicht so vertrauenswert, wie sie zuerst zu sein scheint.
Wenn wir in Cadenet den Heimatsort des Dichters zu sehen hätten, wäre der Trobador übrigens nicht die einzige Zelebrität seiner Vaterstadt geblieben.
In bekannten Versen, deren kurzer Rythmus wie Trommelwirbel klingt, hat Mistral den „Tambour d’Arcolo“ (Lis Iselo d’Or) besungen:
un verme de terro
sourti de Cadenet.
Seine Statue steht auf dem Marktplatz des Städtchens. Und noch einen Dritten hat die Muse der Musik der Stadt Cadenet als Sohn geschenkt: Félicien David, auch er ein fahrender Gesell, den die Wanderlust bis in den Orient geführt hat.
In welchen Kämpfen der Grafen von Forcalquier oder ihrer Lehnsherren, der Grafen von Provence, das Schloß von Cadenet durch die Toulousanischen Heerscharen zerstört und geplündert worden ist, vermag ich nicht genauer anzugeben. Die Provence war lange Zeit ein Zankapfel zwischen Toulouse und Aragon. Nach dem Tode Raymond -Berengars II., 1166, war seine einzige Tochter Douce die Erbin der Provence. Ihr Vater hatte sie dem Sohn Raymonds V. von Toulouse als Gattin versprochen. Zur größeren Sicherheit heiratete Raymond noch ihre Mutter, und besetzte nun das Land. Aber auch der Vetter Douces, Alfons II. von Aragon, glaubte Ansprüche auf die Provence geltend machen zu können. So fiel auch er in die Grafschaft ein und bis zum Jahre 1176 kämpften beide um den Besitz des Landes. Während dieser zehnjährigen Streitigkeiten dürfte der junge Cadenet, wenn wir der Biographie soweit Glauben schenken sollen, nach Toulouse entführt sein. Der Name des Ritters Guillem del Lantar, der den Knaben in seinem Hause erzogen haben soll, ist historisch nachweisbar. Er ist im Jahre 1222 gestorben. (3) Und auch eine Familie Duifraire oder Dosfraires hat es gegeben. Einen Guilhem del Duifraire treffen wir in einer Strophe Guilhem Figueiras (s. ed. Levy, S. 57). Ein Dosfraires existiert im Dép. Alpes Maritimes, also im Bistum Nizza. Die Beziehungen zu Blacatz werden durch die Gedichte Cadenets bezeugt, aus denen der Biograph diese Tatsache entnommen haben könnte. Daß Cadenet Mitglied des Hospitaliterordens geworden ist, wird uns von den Dokumenten bestätigt. Unter einer Urkunde vom 14. Mai 1239, durch welche ein Petrus Berengarius de Murmirione (Mormoiron im Dép. Vaucluse, arr. Carpentras, am Fuß des Mont Ventoux) seinen Besitz dem Hause der Hospitaliter zu Orange (domus Hospitalis Jerosolymitani Aurasicensis) schenkt, steht als zweiter Zeuge: Frater Cadanetus. (4) Die Lebenszeit des Dichters fällt hiernach also in den ersten Teil des 13. und vielleicht noch in das Ende des 12. Jahrhunderts. Und hiermit stimmt auch überein was wir über die Datierung seiner Dichtungen feststellen können.
Der Zufall gestattet uns gerade bei der Kanzone, von der wir einleitend gesprochen haben, ein ungefähres Datum anzugeben. Ihre Form ist nicht weniger als dreimal von anderen Dichtungen nachgeahmt: von einem Sirventes des Peire Cardenal (Grdr. 335, 41, MW. II, 187), einer Tenzone des Bertran de Gordo mit Peire Raimon de Toloza (Grdr. 84, 1, s. Archiv 34, 382, Zenker, Die provenz. Tenzone S. 67) und einer Tenzone des Eble und Gui d’Uisel (129, 3, s. Henry Carstens, Die Tenzonen aus dem Kreise der Trobadors Gui, Eble, Elias und Peire d’Uisel, Königsberg 1914, S. 66). Das Rügelied Peire Cardenals läßt sich nicht näher datieren. Bertran de Gordo ist in den Jahren 1209—31 nachweisbar. Peire Raimon feiert Beatritz von Este, die 1191—1226 gelebt hat (Archiv 35, 421, Bergert, Die von den Trobadors genannten oder gefeierten Damen, 1913, S. 81 f.). So werden wir wiederum in das erste Viertel des 13. Jahrhunderts gewiesen. (5) In der Tenzone der beiden d’Uisel aber werden die als Räuber berüchtigten Algais genannt, die schon in einem Gedicht Bertran de Borns vom Jahre 1187 begegnen (siehe Stimming³ Nr. 16) und deren berühmtester, Martin, im Jahre 1212 gehängt wurde (s. Carstens a. a. O. S. 19 f.). Wenn man also annehmen darf, daß es mit dem Tode dieses Martin zwecklos wurde, den Namen der Algais als Schreckmittel zu benutzen, wie es in der Tenzone geschieht („einer der Algais möge Euch den dritten Teil eines Tages in Banden halten ...“), so müßten die Verse Eble d’Uisels, um so mehr aber ihre metrische Vorlage, d. h. das Gedicht Cadenets, vor dem Jahre 1212 verfaßt sein. Die datierbaren Gedichte der Vettern d’Uisel fallen auch in der Tat in das erste Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts (s. Carstens S. 23).
Unter den anderen Liedern Cadenets werden wir zunächst bei den Sirventesen nach einem chronologischen Anhalt suchen. Wenn wir der Lebensnachricht soweit glauben könnten, hätte Cadenet zuerst gelernt Coblen und Sirventese zu dichten und erst später hätte er sich an das Verfertigen von Kanzonen gewagt. In dieser Angabe werden wir aber wohl nur eine Stufenleiter der Schwierigkeit und daher der Achtung sehen, die der Verfasser der Biographie den einzelnen Gattungen zumaß. Wir haben eine Doppelcobla und drei Sirventese unter dem Namen des Trobadors, aber nichts sagt uns, daß sie einer früheren Zeit angehören als die Kanzonen. Vielmehr trifft gerade das Gegenteil zu.
Zwei Sirventese bieten uns, soweit ich sehe, keine Möglichkeit der Datierung. Das von Bartsch als sechstes bezeichnete Stück ist eine der üblichen Klagen über den Verfall der guten alten Zeit. Es ist nur in zwei Pariser Handschriften, C und f, erhalten, deren Vergleichung mir jetzt unmöglich ist, und doch würde sie besonders erwünscht sein, denn der Abdruck Raynouards im Lexique roman (I, 362, wohl nach C) zeigt soviel Unregelmäßigkeiten der Silbenzahlen, daß nicht einmal die Form der Strophe mit Sicherheit zu bestimmen ist. Ich wiederhole (ohne Veränderung, mit Ausnahme der Verse 31, 32) den Text Raynouards: Aitals cum hieu seria.
Es ist das alte Thema vom Raubrittertum, das mit ganz anderem Sinn, in wilder Lust, schon Bertran de Born gesungen hatte:
„Trompeten, Trommeln, Fahnen und Wimpel, Feldzeichen, Schimmel und Rappen werden wir nun alsbald erschauen, und herrlich wird die Welt sein. Dem Wucherer wird man sein Geld nehmen, kein Saumtier wird je sicher seines Weges ziehen, kein Bürger ohne Furcht, kein Kaufherr der von Frankreich her kommt. Reich wird sein wer gerne raubt.“ (Mieisirventes vuolh far dels reis amdos v. 17—24).
Ein anderes Sirventes (Bartsch 106, 10) gehört offenbar den späten Lebensjahren des Dichters an. Aber es nimmt keinerlei Beziehung zu Zeitereignissen, sondern ist ein Lied aufrichtiger Reue über ein sündhaftes Dasein, das nun in Bußfertigkeit beschlossen werden soll: Ben volgra, s’esser pogues.
Anders als mit diesen beiden Sirventesen, die keinen Namen, kein Ereignis nennen, an welche sich eine chronologische Erörterung knüpfen könnte, steht es mit dem dritten Sirventes und mit der Doppelcobla. Die Doppelstrophe wendet sich an Herrn Blacatz (Nr. 24): S’ieu trobava mon compair’en Blacatz.
Es ist in diesen billigen und spießbürgerlichen Versen dieselbe Stimmung und derselbe Geist, wie in dem eben besprochenen Bußlied, aber jetzt nicht zu eigenem Nutzen gewendet, sondern zu dem des Herrn Blacatz, dem wohlbekannten Gönner vieler Trobadors, über dessen Leben wir hinlänglich unterrichtet sind. Er ist uns seit etwa dem Jahre 1194 durch Dokumente nachgewiesen und ist im Jahre 1237, vermutlich in hohem Alter gestorben. (6)
Demselben Blacatz begegnen wir nun in dem letzten und für unsere chronologische Untersuchung wichtigsten Sirventese wieder. Der Trobador schilt mit diesem Halbsirventes den Vizegrafen von Burlatz, weil er seine Trefflichkeit nicht so wie sonst gezeigt hätte (Nr. 13): De nuilla ren non es tan grans cardatz.
Für die Entstehungszeit dieses Gedichts wird uns ein erster Anhalt durch seine Form geboten. Wir finden das gleiche Reimschema a b_ b_ a a c d_ d_ c c aus Zehnsilbnern in einer ganzen Zahl von Liedern wieder, von denen die meisten einer ziemlich späten Zeit, der Mitte oder dem Ende des 13. Jahrhunderts, angehören. (7) Das älteste, und die Vorlage aller anderen, ist zweifellos eine Kanzone des Gaucelm Faidit: Chant e deport, joy, domney e solatz (MW 2, 103). Da dieses Lied die Absicht des Dichters ausspricht, sich auf den Kreuzzug zu begeben, nachdem seine Geliebte sich mit ihm ausgesöhnt hat, und da er diesen Entschluß im Jahre 1203 ausführte, (8) so wird es kurz vor dieser Zeit entstanden sein.
Damit wird uns denn ein frühestes Datum für das Gedicht Cadenets gegeben. Um ein Jahr weiter werden wir noch durch den Namen Raimon Agouts in unserem Sirventes (v. 23) geführt. Dieser südfranzösische Baron, der sich als Gönner der Trobadors, vor allem aber durch seine legendarische Freigebigkeit bei der Fürstenzusammenkunft von Beaucaire im Jahre 1174 einen weithin klingenden Namen geschaffen hatte, war im Jahre 1204, oder kurz zuvor, gestorben. (9) Aus den Worten Cadenets geht nun zweifellos hervor, daß Raimon Agout nicht mehr am Leben war, als das Sirventes entstand. Fraglich dagegen ist, ob Blacatz und ob der Markgraf von Monferrat, die in der gleichen Strophe genannt werden, noch lebten oder ob auch sie schon gestorben waren. Für den Markgrafen von Monferrat wäre das letztere gewiß, wenn die Lesung de cui fo Monferratz sicher stände. So lesen die Hdss. BK. In FP dagegen heißt es de cui es Monferratz, und zwischen diesen beiden Lesarten wird eine zweifellose Entscheidung überhaupt nicht möglich sein. Wie leicht konnte, unabhängig von jedem Abstammungsverhältnis der Hdss., ein Schreiber fo für es oder es für fo einsetzen. Von Blacatz möchte man, nach der Art wie von ihm gesprochen wird, zunächst vermuten, daß auch er schon gestorben war, ebenso wie der unmittelbar nach ihm genannte Raimon Agout. Aber wir sahen, daß Blacatz erst im Jahre 1237 starb. Es war also eine lange Spanne Zeit, die zwischen dem Tode Raimon Agouts und dem des Blacatz lag, und es ist wenig wahrscheinlich, daß sich nach einem Menschenalter noch Cadenet auf das Beispiel Raimon Agouts berufen hätte, dessen Name den Zuhörern zu jener Zeit kaum mehr als leerer Schall sein konnte.
Ein anderer Umstand noch macht die Abfassung der Verse nach dem Tode des Blacatz unwahrscheinlich. Die an Blacatz gerichtete Doppelcobla, die wir vorher kennen lernten, zeigt wiederum das gleiche Strophenschema wie das Halbsirventes. Es ist nun nicht zu vermuten, daß Cadenet zuerst diese Doppelcobla dichtete und ihr in gleicher Form das längere Sirventes folgen ließ; es liegt vielmehr durchaus nahe anzunehmen, daß die Coblen dem Sirventese nachgesungen wurden. Die Coblen aber richten sich ja an den lebenden Blacatz. Da die Worte des Sirventeses die Annahme nicht ausschließen, daß Blacatz noch am Leben war, werden wir uns hierfür entscheiden müssen.
Wer aber war nun jener Vizegraf von Burlatz, um dessenwillen das Gedicht verfaßt ist? Eine eigene Vizegrafschaft Burlatz hat es nicht gegeben. Der kleine Ort Burlats im Dép. Tarn, der noch jetzt die Reste eines Schlosses aus dem Mittelalter zeigt, gehörte im Beginn des 13. Jahrhunderts den Vizegrafen von Albi und Béziers, deren Gebiet mit dem der Vizegrafen von Carcassonne vereinigt war. Vizegrafen von Carcassonne waren im Anfang des 13. Jahrhunderts Raymond-Roger 1194—1209 und sein Sohn Raymond-Trencavel II., der bis 1263 lebte, aber schon im Jahre 1247 seine Herrschaft an den König von Frankreich abtrat. Raymond-Trencavel war, als sein Vater starb, erst zwei Jahre alt. Sein Land kam während seiner Minderjährigkeit in die Gewalt Simon von Monforts, und als der junge Vizegraf, 17 jährig, 1224 seinen Besitz angetreten hatte, wurde er bald (1227) als Anhänger des Grafen von Toulouse in Bann getan und flüchtete zum König von Aragon. Im Jahre 1240 dachte er sein Land wiederzugewinnen, aber der Versuch Carcassonne einzunehmen, blieb vergeblich, und Raimon-Trencavel mußte nach Spanien zurückkehren. Das alles ist der Annahme wenig günstig, daß er im Lied Cadenets als der Vizegraf von Burlatz gemeint wäre.
Viel eher darf man an Raimon-Roger denken; und daß er als Vizegraf von Burlatz, nicht von Carcassonne oder von Béziers, bezeichnet wird, erscheint uns dadurch erklärlich, daß er der Sohn der Azalais von Toulouse war, die wir aus der Trobadorgeschichte, und besonders aus der Biographie des Arnaut von Maruelh, als die Comtessa de Burlatz kennen. (10) Raimon-Roger starb 1209 24 Jahre alt. Der Ton des Gedichtes paßt gut zu der Annahme, daß es an einen noch jungen Mann gerichtet ist.
Trifft die hier ausgesprochene Vermutung zu, so ist das Sirventes zwischen 1204, dem Todesjahr Raimon-Agouts und 1209, dem Todesjahr Raimon-Rogers, geschrieben. Noch engere Grenzen würden wir erhalten, wenn wir in v. 24 fo für richtig halten und im Markgrafen von Monferrat Bonifaz I. sehen dürften, der 1207 gestorben ist, so daß das Lied zwischen 1207 und 1209 verfaßt wäre. Aber hier fehlt uns der feste Boden unter den Füßen.
In den Anfang des 13. Jahrhunderts verweisen uns auch die anderen wenigen Namen, die wir in den Liedern Cadenets finden. Im 18. (v. 63) und im 22. Gedicht (v. 67) wird die Königin Elionor gerühmt. Sie ist die Tochter Alfons’ II. von Aragon (1162—96), die im Jahre 1200 dem 44 jährigen Grafen von Toulouse Raimund VI. (1194—1222) als dessen fünfte Gemahlin verlobt wurde, aber, da sie noch zu jung war um zu heiraten, erst 1203 oder 1204 nach ihrer neuen Heimat kam. (11) Den Titel Reina führte sie nach der Sitte der Zeit auch als Gräfin, da sie Tochter eines Königs war.
So finden wir hier Cadenet in Verbindung mit dem Hof des Grafen von Toulouse, in dessen Land das Geschick, der Biographie zufolge, den Knaben verschlagen hatte und der in der zweiten Tornada des 16. Liedes genannt wird. Für die beiden Gedichte, in denen Eleonore erscheint, darf 1203 als frühestes mögliches Datum angenommen werden. Daß das Todesjahr Raimons VI., 1222, die äußerste zeitliche Grenze für sie ist, kann man freilich nicht mit gleicher Wahrscheinlichkeit behaupten. Eleonore überlebte ihren Gatten und konnte so auch noch später die Huldigungen der Trobadors empfangen. (12)
Der Vater Eleonorens war bereits gestorben, als sie zur Gemahlin Raimons bestimmt wurde. Wenn wir in den Gedichten Cadenets den König von Aragon als „Haupt alles Guten“ caps de totz bes (23, 38) genannt sehen, werden wir es nicht mit ihrem Vater, sondern mit ihrem Bruder Peter II. (1196—1213) zu tun haben, der bekanntlich als Verbündeter seines Schwagers in der Schlacht von Muret fiel.
Dasselbe Gedicht spricht in der Tornada von einer Gräfin von Angoulême, der Cadenet sein Lied würde zuschicken wollen, wenn sie in ihrem Lande wäre (23, 51 ff.). Der gleiche Vorwurf nicht in ihrem Lande zu sein, wird gegen eine Gräfin von Angoulême von Gaucelm Faidit erhoben. In einer Tenzone, die Albert (de Sestaron) mit ihm ausfocht, schlägt dieser die Gräfin von Angoulême als Schiedsrichterin vor (Grdr. 16, 16, Mahn Werke 2, 100). Gaucelm Faidit ist damit einverstanden: Albertz, be·m plai que la razos An a lieis qu’es valens e pros. Aber, fügt er hinzu: nostra terra fai delir, Car non vol de Fransa venir. Diez hat (L. u. W.² 438) in dieser Gräfin, wohl mit Recht, Mathilde erkannt, die 1180 ihrem Vater Wulgrin III. folgte und 1208 starb. Sie war als Gemahlin Hugos IX. zugleich Gräfin der Marche, und das wird ihre Abwesenheit von Angoulême erklären.
So führen uns denn für die poetische Tätigkeit Cadenets alle historischen Spuren auf den Anfang des 13. Jahrhunderts, im wesentlichen auf dessen erstes Jahrzehnt, zurück. (13)
Ein genaueres Bild von den Lebensschicksalen des Dichters können wir uns nicht machen, wenn wir uns mit den Angaben der sogenannten Biographie nicht zufrieden geben wollen. Schon die Frage ob Cadenet adliger Abkunft war, wie diese behauptet (fills fo d’un paubre cavallier), wird sich, wie wir sahen, nicht mit Sicherheit entscheiden lassen. Die Handschrift f, die die Namen der Trobadors, wenn es ihr richtig erscheint, mit dem Titel en versieht, schreibt in den meisten Fällen en Cadenet. (14) Aber was ist auf das Zeugnis dieses späten Manuskripts zu geben? In der Tenzone zwischen Guionet und unserem Dichter, die wir nachher kennen lernen werden und die doch die Stimme eines Zeitgenossen wiedergibt, reden sich beide Partner mit bloßem Namen an. Das soll nun freilich auch nicht als ausschlaggebend gegen den ritterlichen Ursprung des Dichters geltend gemacht werden, denn die Lebensnachricht behauptet ja, daß Cadenet eine Zeitlang die Existenz eines Spielmanns geführt hat. Da würde es ihm übel angestanden haben, sich als Ritterssohn aufzuspielen. Auch aus seiner späteren Zugehörigkeit zum Hospitaliterorden werden sich sichere Schlüsse nicht ziehen lassen. Die Frage hat ja auch geringe Bedeutung für uns. In seinen Liedern finden wir keine Spur die uns in seiner Lebensführung nach unten wiese, und der Mann, der Herrn Blacatz als compaire anreden durfte (24, 1), wird ein geachteter Genosse fürstlicher Gesellschaft gewesen sein.
Wir haben jetzt zuletzt Cadenet als Dichter von Sirventesen kennen gelernt. Seine hauptsächliche Bedeutung hat er aber als Minnesänger. Etwa 20 Lieder in eigenen Herzensangelegenheiten sind uns von ihm erhalten. An wen sie gerichtet sind, bleibt uns verborgen. Es läßt sich nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob sie sich an eine oder an mehrere Damen wenden. Aber aus der Übereinstimmung ihrer Art wird man schließen dürfen, daß alle oder fast alle in verhältnismäßig kurzem Zeitraum entstanden, so daß sie doch wohl ein und demselben Verhältnis entstammen. Auf bestimmtere Ereignisse dieses Liebeslebens wird in den Liedern nicht Bezug genommen. Nur gewisse Stimmungen treten mehr oder weniger klar aus ihnen hervor: ein zarteres oder drängenderes Werben, die Unsicherheit über das Entgegenkommen der Herrin, Ungeduld, Liebesglück, Eifersucht und endlich Entsagung. Diese Stimmungen wechseln aber nicht von einem Lied zum anderen. Sie lösen sich, wie es den Zuständen der Seele entspricht, in Augenblicken voneinander ab, gehen im gleichen Liede durcheinander. Man kann wohl ähnlich gestimmte Lieder nebeneinander stellen, einen nach innerer Chronologie geordneten Zyklus aber mit keinerlei Sicherheit aus ihnen aufbauen.
An den Anfang mag man das, nach Bartschs Zählung, 19. Gedicht stellen: Der Trobador wagt seiner Dame noch nicht von Liebe zu sprechen. Er singt von ihr, aber natürlich darf niemand ahnen wer der Gegenstand seiner Lieder ist. Pos jois mi met en via.
Über solche Mutlosigkeit setzt sich ein anderes Lied hinweg. Wohl soll man fürchten, Schlechtes zu tun. Aber wer Großes erreichen will, muß Wagemut beweisen, und so wendet sich der Sänger kühnlich an die Dame mit dem Bekenntnis seiner Liebe und hofft, daß sie ihm Milde zeigen wird (Nr. 2): Aco·m dona ric coratge.
Die freundlichen Blicke der Dame erfüllen ihn mit weiterem Mut. Er wagt es, ihr verwegene Wünsche auszusprechen. Freilich ist er im Zweifel, ob er diesen Blicken ihrer Augen auch trauen darf, aber er hofft, daß seine Liebe und ihre Gnade ihm helfen werden (Nr. 23): S’ie·us essai ad amar.
So wie die Blumen in jedem Jahr erblühen, so wird auch seine Liebe reifen, wenn die Zeit gekommen ist. So wartet er in geduldiger Hoffnung und ist einstweilen mit kleinen Freuden froh (Nr. 3): Az ome meilz non vai.
Und nun schwankt die Stimmung des Trobadors zwischen froher Zuversicht auf den Gewinn des Lohnes für sein treues Dienen, aufsteigender Ungeduld über das lange Harren, nagendem Zweifel, ob die Dame nicht nur ein kokettes Spiel mit ihm treibt (Nr. 16): Meravill me de tot fin amador.
Die Dame hat dem Sänger durch ihren freundlichen Empfang, durch den Blick ihrer Augen, nach seiner Meinung, jegliche Hoffnung gegeben. Ihre Worte aber setzten seiner Werbung ein „nein” entgegen. Was soll er glauben? Treibt sie nur ein kokettes Spiel mit ihm? (Nr. 17): Non sai cal conseill mi prenda.
Der Trobador erhebt die lebhaftesten Vorwürfe gegen die Minne, daß sie die treuen Liebenden sterben lasse, die falschen aber nicht bestrafe (Nr. 25): Tals reigna desavinen.
Wenn der Dichter nur seinem Verstände folgen wollte, würde er von seiner Liebe lassen. Aber die Treue hält ihn fest, und sie läßt ihn auch in seiner Hoffnung noch immer nicht verzagen (Nr. 22): S’ieu pogues ma voluntat.
Das lange Harren, das unsichere Verhalten der Herrin bringt den Trobador in so ungewisse Lage, daß ihm die Minne selbst die Freiheit zu lassen scheint, seiner Liebe treu zu bleiben oder sie aufzugeben. Noch aber kann er nicht von ihr scheiden (Nr. 4): Az ops d’una chanso faire.
Und aus gleicher schwankender Stimmung das folgende Gedicht (Nr. 7): Amors, e com er de me ?
Endlich scheint sich des Dichters Hoffen zu erfüllen. Zwar sind die Zweifel an der Aufrichtigkeit der Dame noch immer nicht geschwunden; aber sie hat sich ihm so milde gezeigt, daß er nun die Vergeltung aller Leiden vor sich sieht (Nr. 18): Oimais m’auretz avinen.
Doch kaum hat den Dichter seine Standhaftigkeit, wie er glaubt, wenigstens ans vorläufige Ziel geführt, kaum meint er endlich ein frohes Lied anstimmen zu dürfen, so beginnen neue Zweifel an ihm zu nagen. Ist er auch der Einzige, der sich der Gunst der Dame erfreut? (Nr. 21): S’ieu oi mais deserenan.
Er kann sich bald der quälenden Eifersucht nicht mehr erwehren (Nr. 8): Ans que·m jauzis d’amor.
Und er muß erkennen, daß die Hoffnung auf Liebesglück ein Luftgebilde war. Die Dame sendet ihn von sich fort. Noch kann er es nicht glauben, daß sie ihn verraten hat. Vielleicht ist es nur ein launisches Spiel, das sie mit ihm treibt (Nr. 12): Camjada s’es m’aventura.
Und schließlich das Finale: es hilft kein Sich-täuschen-wollen, die Geliebte hat ihn betrogen. In Trauer nimmt der Dichter Abschied von seiner Liebe zu ihr (Nr. 20): S’ieu ar endevenia.
So etwa lassen sich diese Lieder zu einem Zyklus zusammenfassen. Aber, wie wir gesagt haben, ist die hier angenommene Reihenfolge in keiner Weise sicher. Sie können in ganz anderer Ordnung entstanden sein. Ja, wenn man behauptet, daß sie sich nicht notwendig auf ein einziges Liebesverhältnis beziehen, so läßt sich dem nichts Beweisendes gegenüberstellen. Wahrscheinlich ist eine mehrfache Beziehung bei der nahen inhaltlichen Verwandtschaft der Lieder nicht. Es scheint sogar Vieles dafür zu sprechen, daß sie in verhältnismäßig engem zeitlichen Raum entstanden sind.
Sollen wir nun die Frage wieder aufrühren, ob die Liebe von der der Trobador sang, eine wirkliche war, oder ob er nur ein Thema für sein Singen suchte und aus imaginären Freuden und Schmerzen seine Lieder machte? Ich habe meine Ansicht hierüber in der Einleitung zum Bernart von Ventadorn ausgesprochen. Die Frage ist im letzten Grunde für uns unlösbar. Daß die Trobadordichtung keine lyrische Gelegenheitsdichtung in unserem Sinne ist, daß der Dichter nicht sang, um seinem Gefühl aus Herzensnot einen Weg zu öffnen, sondern daß sie immer für einen geselligen Kreis von Hörern bestimmt war, würde uns, wenn es nötig wäre, auch Cadenet wieder beweisen. „Säng ich fürder nicht mit Lust, sagt er am Eingang des 21. Liedes, so solltet Ihr, die frohen Sinn Ihr liebt, es von mir fordern“:
S’ieu oi mais deserenan
non chantava voluntiers,
vos, a cui platz alegriers,
m’en deuriatz far deman,
q’ieu sui ben tengutz
per mon joi, si l’ai,
que no sia mutz
lai
on serant li gai.
e vos cui chans platz,
aujatz e chantatz
oi mais novellas chanssos
que farai ab coindetz sos,
oder 20, 5 ff.:
voluntiers m’en sofrira
de dire cossi·m vai,
q’ieu no m’en descobrira.
mas l’amoros e·il gai
dirian: „e que fai ?
meravillas n’avem tuich gran,
segon que·s era gais antan,
cossi pot esser que non chan ?“
Es sieht nach diesen Versen nicht gerade so aus, als wäre es eine Berufsnotwendigkeit für Cadenet gewesen zu singen, als ob er von seinem Trobadortum gelebt hätte. Wir wissen von den Lebensstellungen der Trobadors zu wenig. Sie mögen zum Teil eine bürgerliche oder höfische Existenz gehabt haben, das Dichten ihnen in der höfischen Gesellschaft oder vielleicht auch schon im Kreise Gleichgestellter nur eine Feiertagsunterhaltung gewesen sein, so daß dann die Widmung an einen Grafen von Toulouse, an eine Königin Eleonore nur etwa, mutatis mutandis, dieselbe Rolle spielte, wie wenn später Corneille oder Molière ihre Werke dem Kardinal Richelieu oder Henriette von England widmeten. Die dichterische Huldigung an die Geliebte war unter allen Umständen ein geselliges Spiel. Konnte aber deshalb keine reale Persönlichkeit, keine wirkliche Empfindung dahinter stehen? Die Wirklichkeit und die Wärme der dichterischen Liebe war Sache der Persönlichkeit, und wir werden kaum in der Lage sein, heut abzumessen, wieviel Grad die Empfindung eines Dichters vor 700 Jahren maß, ob seine poetische Stimmung vielleicht sein wirkliches Gefühl überhitzte oder ob er durch Konvention oder dichterische Unzulänglichkeit vielleicht auch dahinter zurückblieb, oder ob etwa das Ganze nur ein Spiel seiner Phantasie war. Ich glaube, daß bei Cadenet uns manches, die Lebhaftigkeit in dem einen, die gedämpfte Stimmung des Leides in einem anderen Liede, die Wahrheit einer Neigung verrät.
Im ganzen scheint, daß Cadenet uns eher mehr von sich erzählt, als die meisten seiner Sangesgenossen. Es ist nicht gerade üblich, daß ein Trobador sich selbst der Eifersucht, dieser so verpönten Leidenschaft, bezichtigte (vgl. 8, 1 ff.; 21, 64 f.). Wir gewinnen auch von der Koketterie der angesungenen Dame ein etwas deutlicheres Bild als sonst, der Fall zu sein pflegt (17). Diesem etwas reicheren Inhalt entspricht auch ein größerer Zusammenhang der Gedanken. Es ist eine bekannte Erscheinung, daß uns die Strophen der Trobadors durch die Handschriften oft in buntester Folge überliefert werden und daß es eine schwere, bisweilen unlösbare Aufgabe ist, die richtige Ordnung wieder herzustellen, weil die einzelnen Strophen oft ohne inneres Band nebeneinanderstehen. Auch bei Cadenet kommen Schwankungen vor (siehe die Anm. zum 2. Liede; im 12. wechseln Str. 2 und 3, im 10. die Str. 3 und 4 in einigen Hdss. ihren Platz. Eine besondere Stellung werden wir das 14. Lied hierin einnehmen sehen). Aber bei ihm ist das eine Ausnahme. Im allgemeinen reiht ein sicherer Gedankengang die Strophen aneinander.
Jener lockere Gedankengang der Trobadorlieder ist zum Teil eine Folge ihrer Gebundenheit an die Musik. Gilt die Kanzone als ein vorwiegend musikalisches Kunstwerk, so kommt es auf den Faden, an dem die Strophen sich aufreihen, weniger an. Jede Strophe tritt für sich als eine gewisse Einheit vor den Hörer. Die Lieder unseres Gesangbuches (das in mehr als einer Hinsicht Traditionen des Mittelalters unter uns fortsetzt) können in ihrer Anwendung im Gottesdienst noch heut zeigen, daß der Gesang auf den gedanklichen Zusammenhang der Liederstrophen nur bescheidenen Wert legt, Anders, sobald die Weise vor dem Worte zurückweicht. So läßt sich bei Cadenet der weniger sprunghafte Gedankengang vielleicht als ein Zeichen späterer Entwicklung erkennen. Wir werden aber in ihm auch eine Eigenschaft seines Intellekts und seines Temperamentes sehen dürfen. Cadenet tritt uns an vielen Stellen als eine wohl abgewogene, verständig überlegende Persönlichkeit entgegen. Wiederholt hebt er den Sen hervor, der ihn vor falschem Handeln bewahre (12, 10; 16, 6—10; 18, 9, 14 f., 24, 30 u. a.). Mit wenig Gutem ist er schon zufrieden (3, 1 ff.). Wenn die Geliebte ihm Leid zufügt, läßt er seinem Schmerz nicht ungehemmten Lauf. Ist es doch nicht seine Schuld, wenn die Dame Unrecht tut, und nicht um seinetwillen klagt er, sondern weil sie sich vergißt und sich gegen sich selbst vergeht (12, 8 ff.).
Ist Cadenet so die von ihm wie von anderen Trobadors gepriesene Eigenschaft der Mezura (s. 8, 39; 12, 14) in besonderem Maße eigen, so werden wir ihn deshalb doch nicht als unempfindlich und kalt bezeichnen. Lebhaft, fast stürmisch, tönt sein Preis der geliebten Dame und die Beteuerung seiner Liebe im 5. Liede, und mit großer Keckheit wagt sich sein Werben im 23. hervor. Trefflich kommt die Unruhe des Dichters im 4. und im 17. zum Ausdruck, die uns ein gutes Beispiel der nicht geringen psychologischen Kunst des Trobadors geben. Einem gehaltenen Schmerz leiht das 20. Lied zwar maßvolle, doch bewegende Worte.
Eine merkwürdige Eigenheit Cadenets ist, daß er sich nicht scheut, ja, daß er es geradezu liebt seine Gedanken zu wiederholen. Immer wieder fragt er, ob er sich auf die verheißungsvollen Blicke verlassen könne, ob die bel semblan der Dame mit ihrem Herzen übereinstimmen (3, 41 ff.; 12, 18; 16, 42; 17 passim; 18, 34 ff.; 23, 31 ff.). Daß sein Denken und Wollen zur Geliebten hinstreben, und sich nur widerwillig von ihr lösen, kleidet er viermal in sehr ähnliche Bilder (2, 38 ff.; 3, 57 ff.; 7, 30 ff., 61 ff.; 22, 54 ff.). Die Herrin soll und wird den Dienst ihres treuen Sängers belohnen, wie es ein guter Herr mit seinem Diener tun muß (17, 49 f.; 18ª, 15 f.; 22, 18 ff.; 25, 45 ff.).
Zu einer richtigen Manier wird das Lob der sonst von den Trobadors so heftig geschmähten Lauzengiers. Cadenet weiß nicht genug des Guten von ihnen zu reden, und da dies immer in der Tornada geschieht, kann man sagen, daß das Lob der Späher wie eine Signatur des Dichters zu seinen Liedern wird. Weshalb er mit den Lauzengiers so zufrieden ist, sagt er in aller Ausführlichkeit im 2. Liede v. 67 ff.:
Lausengier, grazida·us sia
l’onors qe·m faitz ab mentir,
car vos faitz cuidar e dir
q’ieu am tal per drudaria
on anc jorn non aic mon esper,
et ab mentir cobretz lo ver,
kürzer 22, 61 ff.:
Totz hom, pois es lausengaire,
volria, fos emperaire,
car si non fos de lausengiers us brutz,
tals parlera de mi, c’ar n’estai mutz,
oder 8, 51 ff.:
Lauzengiers, merces grans !
quar faitz cujar tal messonja per ver
don hom saubra so que no pot saber,
oder 16, 51 ff.:
Lauzengador, mais q’a negunas gens
vos dei grazir, si d’amor sui gauzens,
car plus m’avetz honrat ab gen mentir
e mieills cubert q’ieu no·m saubra cobrir.
vgl. 3, 61 ff.; 4, 51 ff.; 7, 65 ff.; 12, 56 ff.; 17, 64; 18, 56 ff. Die Geliebte allerdings warnt er doch vor ihren Tücken: 4, 48; 19, 28 ff., und wenn er 21, 66 ff. als gleichgültig bezeichnet was die Verläumder sagen, er, und erst recht sein Freund, sei wohl zufrieden mit ihnen, so setzt er 5, 46 ff. dem ironischen, ja höhnischen, Lob denn doch die Verwünschung entgegen:
Deus maudia malamenz
fals lausenjadors savais,
que totz jors pensan com bais
jois e pretz e cortesia ;
e d’als mos cors non s’irais.
Als der Trobador endlich seine Liebe verloren sieht, da freilich ist in der Tat gleichgiltig was sie sagen, 20, 61 ff.:
Lausengador, deserenan
digatz so que·us er a talan,
q’ieu no·i puosc aver pro ni dan.
Einem Vorwurf gegen die so häufige Wiederkehr gleicher Aussprüche würde Cadenet haben entgegenstellen können, daß es sich in seiner Kunst ja nicht darum handele, neue Erlebnisse oder Gedanken mitzuteilen, sondern poetisch-musikalische Stimmungsbilder zu bieten, denen durch die Wiederholung nichts an Wert abgeht. Wir werden aber aus diesen Wiederholungen wohl auch den Schluß ziehen dürfen, daß, wie wir schon oben sagten, die verliebten Lieder Cadenets einer geschlossenen Epoche seines Lebens, also einer relativ kurzen Zeit entstammen.
Die Bilder, deren sich der Dichter bedient, sind nicht sehr zahlreich, aber nur wenige von ihnen bleiben im Konventionellen. Banal ist der Vergleich der Farbe der Geliebten mit der der Rose: sa colors [es] plus fresca, sens mentir,Non es roza 18ª, 30 (vgl. P. Vidal, Ben viu a gran dolors v. 61: roza de pascor Sembla de sa color usw. F. Stössel, Bilder und Vergleiche der altprov. Lyrik § 45, 244—240, 318). Dagegen ist es nicht gewöhnlich, die Geliebte als Blume selbst anzureden: Ai ! dousa flors ben-olenz ! 5, 1 (wenn der Dichter gleich darauf das Leuchten der Geliebten mit dem des Smaragd, des Rubin und des Karfunkelsteins vergleicht, wiederholt er wieder ein übliches Bild, s. MG. 896, 3: De robin ab cristaill Senbla que Deus la fe usw.). Originell im Gedanken und im Ausdruck ist es, wenn der Dichter aus dem immer neuen Erblühen der Natur im Frühling die feste Hoffnung auf den Lohn seiner Liebe gewinnt, 3, 16 ff.: Quan vei las flors venir, Donc me cug enrequir. Et es us conortz granz De flors, quan bon tempz an, Que ja non failliran (die Beziehung zwischen den frisch entsprießenden Blüten und seiner Liebe zu ziehen, überläßt er dabei den Hörern). Später, da er sich in seinem Hoffen betrogen fühlt, kehrt er mit zagenden, rührenden (freilich etwas zu ausgesponnenen) Worten zu seinem Bild zurück, 12, 34 ff.: Dompna, si’naissi pejura Vas me vostra voluntatz E non voletz aver cura Que ab vos mi retengatz, Ja no·m pliurai en flor gaire, Tro qu’en veia lo gran traire, C’om joios ni melhuros En sia, car es delida, E flors, on mieills es florida, Ella se fraing per nien, Qand so que mostra, desmen. Hier tritt uns das Mitleben des Dichters mit der Natur deutlich entgegen. Um so bemerkenswerter ist, als ein Zeichen für die zeitliche Stellung des Dichters, daß die typischen Natureingänge der früheren Trobadors seinen Liedern fehlen.
Die Gefahren der Liebe mit den Gefahren des Meeres zu vergleichen, ist den Trobadors geläufig. Stössel (Die Bilder und Vergleiche der altprovenzalischen Lyrik, Marburg 1886, § 328) hat eine große Zahl dahin gehöriger Stellen zusammengetragen. Seine Liste ist allerdings keineswegs vollzählig. So hat er den, freilich kurzen, aber vielleicht ältesten Vergleich bei Bernart de Ventadorn ausgelassen, 44, 39 f.: atressi·m ten en balansa Com la naus en l’onda, und ebenso das ausgeführteste und wirkungsvollste Bild, bei Bertran de Born, 29 Strophe 5:
Weniger ausführlich und weniger stürmisch ist das Bild bei Cadenet, 18ª, 1 ff.:
Plus que la naus q’es en la mar prionda,
non ha poder de far son dreg viatge
entro qe·l venz socor de fresc auratge
e la condui a port de salvamen,
non ai poder, tant no·m pes ni·m albir,
ni null respeig, vas cela cui dezir,
qe dels malstraigz null guazardo mi renda,
tro que merces el sieu bel cors descenda,
aber es ist beachtenswert, daß es bei ihm fortwirkt und daß er einige Verse weiter zur gleichen maritimen Landschaft zurückkehrt, v. 17 ff.:
Tot atressi com lo venz mena l’onda
lai on li plai, sia·ill bon o salvatge,
mi men’ Amors ab deziron coratge
si qe del tot fos a son mandamen.
Viel ausführlicher wird der Dichter, wenn er schildert, in wie mannigfacher Art man sich gegen jeden anderen Angreifer als die Liebe verteidigen kann, 7, v. 13 ff.:
Do tot autre guerrier cre
que·s pot hom defendr’ ab bran,
o metre l’escut denan
sivals entre lui e se,
o s’estrem’om de sa via,
o·s met en un luec rescos,
o·lh vai fors’ o gualhardia,
o gienhs o defensios
o castelhs o fermetatz
o amics o bon’ajuda,
mas selh que vos guerreiatz,
val menhs, on plus s’esvertuda.
Nicht weniger als viermal bemüht er sich, seiner Herrin die Kraft anschaulich zu machen, welche ihn zu ihr hinzieht. Ohne bildlichen Umweg geschieht es in dem eben zitierten 7. Liede v. 30 ff.: „(Zu Euch) zu gehen bin ich eilig; wie aber wird es mit der Rückkehr stehen? Leicht würde ich zwei aus einem Leide machen. Mehr schadet mir „Behüt Euch Gott“ als ein „Gott grüß Euch“ helfen kann. Wenn, Herrin, nicht der Abschied wäre, dann war’ die Ankunft freilich gut.“ Auch nicht in einem eigentlichem Bilde, aber mit eigentümlich kraftvoller Anschauung sagt er 22, 57: „Wißt Ihr, wie es mir scheint, wann ich dorthin will, wo Ihr seid? Allzeit bis ich zu Euch gekommen bin, ist mir, als nahe sich mir der Ort, von dem ich ausging.“ Einen originellen Vergleich gebraucht er im dritten Liede v. 57 ff.: „wenn ich von Euch gehen will, würde, wenn ich meinem Sinne folgte, ein Kind von zwei Jahren ebenso eilig vorwärts kommen wie ich“. Umgekehrt aber würde, gegenüber seiner Sehnsucht zu ihr zu gelangen, das edelste Roß ihm beim Lauf langsam erscheinen (2, 38 ff.).
An Leben und Anschaulichkeit steht in diesen Bildern, ebenso wie an Ursprünglichkeit, Cadenet hinter seinen Sangesgenossen sicherlich nicht zurück.
Die Lebhaftigkeit und die bisweilen etwas gesuchte Originalität des Ausdrucks führt dabei, wie an anderen Stellen, hier und da zu einer Kürze, die die Verständlichkeit erschwert. Das gilt für die eben angeführte Stelle 3, 57 ff., für die Anwendung der direkten Rede 7, 33, 34, mehr nach für die diesen ähnlich gearteten Verse, welche der genannten Stelle 3, 57 vorangehen: cant parti de lai : „Ab plazers benestanz !“ — „Merce ! quan dei partir ?“, bei denen ich meine Auffassung nicht ohne Weiteres als sicher hinstellen wollte.
In anderer Art wird der Gedanke des Dichters nur sehr kurz, ja unvollständig, in der vierten Strophe des vierten Liedes zum Ausdruck gebrach. In merkwürdiger Abstufung stellt da der Dichter unvermittelt nebeneinander was er von der Geliebten begehren möchte, was er erbittet und was sie ihm zugesteht. Die Strophe beginnt mit dem Gedanken, des kühnsten Wunsches. Was der Dichter auszusprechen wagt, ist sehr bescheiden, und was er erreicht hat, ist so gut wie nichts. Auf die Überhebung, die in den ersten Versen der Strophe liegt, bezieht sich dann der Beginn der folgenden.
Wenn hier die Kürze des Ausdrucks die Klarheit zu beeinträchtigen scheint, ist zu bedenken, daß die Trobadordichtung nicht zum Lesen sondern zum Hören bestimmt war und daß geschickter Vortrag gerade hier zu sehr lebendiger Wirkung führen konnte.
In der 5. Strophe des 20. Liedes aber scheint der Dichter in der Tat nicht dazu gelangt zu sein, seinen Gedanken klar auszusprechen.
Auch noch manch einzelner Ausdruck erfreut durch gedrängten Inhalt und durch eine wenigstens für diese Frühzeit abendländischer Literatur geltende Ursprünglichkeit: lo gaugz etz que·m mante 3, 52, joi ed ira fan repaire de mi 4, 21, . . . cela que·m soli’ atraire Mas chanssos e mos gais sos 12, 6 f., si·m creissia·l cabals de joi, mais m’alegraria 18, 6; prec li . . . qe s’amors ab la mia s’asenda 18ª, 32, quan me vueill, e la vertatz es mia, E quan obs m’es, la mensonja·m defen 19, 18, doi cor fan . . . homes messongiers 21, 27 f., autra no·m pot del cor la dolor traire 23, 20, vostre pretz prezan Abratz baisan ebenda, 45 f.
Es bleiben uns nun noch drei Gedichte Cadenets zu besprechen, welche besonderen Gattungen angehören:
Ein Guionet legt dem Trobador die Partimenfrage vor: Eine Dame wird von zwei Liebhabern umworben. Sie will keinen von beiden zu ihrem Geliebten machen. Darauf verliert der eine von ihnen, der sich vorher durch treffliche Eigenschaften auszeichnete, aus Kummer über die Härte der Dame seine Tüchtigkeit. Der andere taugte bisher nicht. Jetzt aber vermehrt er, um die Gunst der Dame vielleicht doch noch zu gewinnen, seinen Wert. Welcher von beiden liebt besser? Cadenet entscheidet sich in dem schwierigen Dilemma mit feinsinnigen Gründen der Minnekunst für denjenigen, der durch die unglückliche Liebe das Gedächtnis seiner guten Taten einbüßt (Nr. 11): Cadenet, pro domna e gaia.
Wer ist der Dichter Guionet, der unserem Cadenet das Partimen vorlegte? Wir haben unter diesem Namen noch drei andere Gedichte gleicher Gattung: B. Grdr. 238, 2—3 und 191, 1. In dem einen: En Raembaut, pro dompna d’aut parage (Hds. A 532. D Mussafia, del Codice estense p. 441 usw.) fragt Guionet den Herrn Raembaut, welchen von zwei Herren eine Dame lieben soll: den der großen Ruf an Ritterschaft (cavallaria), d. h. an kriegerischen Tugenden, aber nicht an anderen hervorragenden Eigenschaften, besitzt, oder den welcher zwar sonst alle Trefflichkeiten an sich hat, aber feige ist. In einem anderen Partimen: Pomairols, dos baros sai (Suchier, Denkmäler S. 338) will er hören, welcher von zwei Baronen mehr wert ist, derjenige der unter gemeinen Leuten lebend sich als tüchtig erweist, oder der welcher unter guten Leuten weilt, dafür aber auch an Wert ganz ausgezeichnet ist. Im dritten: En Maenard Ros, a saubuda (Henry Carstens, Die Tenzonen aus dem Kreise der Trobadors Gui, Eble, Elias und Peire d’Uisel, Königsberg 1914, S. 104) handelt es sich um die Wahl zwischen zwei Rittern, welche beide freigebig sind; aber dem einen wird die Freigebigkeit leicht, denn er hat zweimal soviel Landbesitz als der andere. Während dies die Anerkennung seiner Freigebigkeit schmälern kann, kommt ihr zu gute, daß dieser Ritter seinen Besitz ohne Raub erworben hat. Der andere dagegen, dessen offene Hand um so mehr gelobt werden muß, als er geringen Besitz hat, ist durch Raub zu ihm gelangt. Welchem von beiden gebührt höhere Anerkennung? Alle vier Partimens stellen, wie man sieht, sehr spitzfindige, aber in ihrer Art verwandte, Alternativen. Immer ist Guionet der Fragsteller. Wir werden alle vier Gedichte dem gleichen Urheber zuschreiben dürfen. Freilich wird im Partimen mit Raembaut dem Namen die Partikel en vorgesetzt, in den anderen nicht. Das braucht uns aber nicht irre zu machen. Wir finden denselben Wechsel oft. Gui d’Uisel z. B. wird in den Partimens, an denen er teilnimmt, bald als en Gui, bald als Gui angeredet. Guionet hatte seinen Gegner höflich En Raembaut genannt, so revanchiert sich dieser mit gleicher Förmlichkeit. Verwickelter aber wird die Frage nach dem Urheber der Partimens dadurch, daß im vierten von ihnen (En Maenard Ros) an die Stelle des Namens Guionet (v. 9) auch (v. 22) Gui tritt. Dürfen wir unseren Guionet mit einem der Trobadors identifizieren, die wir als Gui kennen?
Die Antwort scheint durch die Stellung der beiden Partimens En Raembaut und En Maenard Ros in der Mailänder Handschrift G nahegelegt zu werden. Sie folgen dort, ohne eigene Überschrift, unmittelbar (fol. 95c—96a) auf das Partimen Segner Ponz de Monlaur per vos (B. Grdr. 142, 3). Dieses Partimen wird dort dem Herrn Esperdut als Urheber zugeschrieben. En Esperdut ist aber, wie wir wissen, niemand anderes als der Trobador Gui de Cavaillon. (16) Ihn werden wir auch im Gui und Guionet der anderen Partimens sehen dürfen. Durch diese Gleichstellung wird uns unser Cadenet mit einem Trobador in Verbindung gebracht, der freilich nicht als Dichter durch Fruchtbarkeit und Begabung hervorragt, der aber als Persönlichkeit besonderes Interesse weckt. Wir kennen Gui aus zahlreichen Urkunden als Herrn von Cavaillon, der im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts eine nicht unbedeutende Rolle unter seinen Standesgenossen gespielt hat. Er war Vertrauter Alfons’ II. von der Provence und mehr noch, später, der Grafen Raimon VI. und Raimons VII. von Toulouse. Der Verfasser der Croisade nennt ihn (v. 3870) als ersten der Barone, denen Raimon VI. die Fürsorge für seinen Sohn anvertraut. Raimon VII. schickt ihn in wichtigen Angelegenheiten als seinen Gesandten nach Paris und nach Rom. Der Papst erkennt seine diplomatische Tätigkeit an und ehrt den bloßen Herrn von Cavaillon mit dem Titel Vizegraf. Später muß sich Gui zur Bürgschaft für die Verpflichtungen des Grafen von Toulouse noch einmal nach Paris begeben (vgl. Schultz-Gora in Ztschr. IX, 123—129, Stroński, Revue d. L. rom. Bd. 50, S. 27 Anm.).
Auch in der Dichtung treffen wir Gui als kriegerischen Lehnsmann des toulousanischen Grafen. Er fragt seinen Herrn in kecken Versen (Grdr. 192, 5), ob er sein Land vom Papst lieber in Güte wieder haben wolle oder es mit Waffengewalt zurückgewinnen, und ist gewiß wohl einverstanden damit, daß der Graf sich für das Letztere entscheidet. In Strophen epischen Stils fordert er Herrn Bertran Folco von Avignon auf zu ihm in die Veste Castelnou zurückzukehren, wo er seit drei Monaten von den Franzosen belagert wird (192, 2): am Tage sitzt er bewaffnet auf seinem Streitroß. Im Gedenken seiner Dame spornt er den Renner, entfaltet sein Löwenbanner und erhebt das Feldgeschrei. Abends aber nach dem Essen bezieht er die Wache zwischen Wall und Graben. — Guis dichtende Gegner wollen seine kriegerischen Lorbeeren nicht gelten lassen. Sie halten ihm spottend vor, wie er besiegt und gefangen genommen worden sei. Seinen Löwen möge er nur wieder zusammenfalten. Gar zu sehr habe der seine Haare gesträubt. Und wenn der Löwe sich auch anschicke alle Feinde Guis zu verschlingen, sie fürchten sich nicht vor ihm (209, 2). Und so muß sich der Herr von Cavaillon denn auch von seinen Nachbarn als veill deseritat, als den Alten dem man sein Gut genommen habe, verspotten lassen (330, 20, Archiv 34, 410).
Sollen wir aber erst in die Zeit dieser Ungunst des Geschickes die Verse setzen, in denen Gui seinen abgetragenen Mantel schilt, daß sein übles Aussehen ihn um den Empfang der schönen Galborga gebracht habe (192, 3, Kolsen, Dichtungen der Trobadors S. 81)? Auch in guten Tagen werden wir die Garderobe eines Schloßherrn des 13. Jahrhunderts nicht mit den kritischen Augen der Jetztzeit prüfen dürfen. Jedenfalls trägt Gui seinen alten Mantel mit gutem Humor. Er läßt sich von ihm wünschen, daß er mit Frau Doussana gemeinsam unter ihm geborgen sein möchte. Als Dank für diesen guten Wunsch will er den Mantel, den er eben noch bereit war ins Feuer zu werfen, in Scharlach färben lassen; doch mag der Mantel an dieses versprochene Glück nicht glauben.
Vom Minnedichter Gui hören wir ein zartes, demutvolles Werbelied (142, 1, Pariser Inedita S. 92). Seiner Lebensnachricht zufolge wäre er der Geliebte der Garsenda, der Gattin seines ersten Herrn, Alfons von der Provence, gewesen. Ob das Liebeslied an sie gerichtet war, wissen wir nicht. Eine Strophe, in welcher die Dame Guis ihn in einladenden Worten wegen seiner zu großen Zurückhaltung schilt, wird in der Handschrift der „Gräfin der Provence” zugeschrieben (187, 1, Schultz-Gora, Dichterinnen S. 21). Aber nichts in diesen oder in Guis antwortenden Versen rechtfertigt diese Zuweisung (ob jene Strophe in der Tat von der geliebten Dame herrührt oder etwa vom Dichter fingiert ist, bleibt auch noch in Frage).
So tritt uns das Bild Guis von Cavaillon aus seinen eigenen Versen und denen seiner poetischen Widersacher unter wechselnden Namen (17) und in wechselnder Art, aber immer lebendig, entgegen als ein rechter Typus dieser ritterlichen, leichtlebigen und hochgemuten Zeit. Mit ihm also dürfen wir annehmen, traf unser Cadenet zusammen. Es wird der Dienst ihres gemeinsamen Herrn, des Grafen von Toulouse, gewesen sein, der sie einander nahe brachte. Die ausgetauschten Verse tragen zum dichterischen Lobe weder des einen noch des anderen wesentlich bei. Es ist uns aber von Wert Cadenet mit Gui auf gleichem Fuße verkehren zu sehen.
Für die Chronologie unseres Dichters läßt sich aus dem Coblenwechsel nicht eben viel gewinnen. Gui ist uns von 1202 bis 1229 bekannt. Daß er im Partimen Guionet genannt wird, ist wohl ein Zeichen, daß diese und andere Verse, in denen der gleiche Name erscheint, den jüngeren Jahren des Herrn von Cavaillon angehören. So kommen wir auch hier wieder zu den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts.
Das Gedicht L’autrier lonc un bosc folhos(Nr. 15) ist eine Pastorela, die in den Hdss. DIK unter dem Namen Cadenet, in CR aber unter Tibaut de Blizon steht. Der Trouvère Tibaut de Blizon, von dem die Liste Raynauds neun Lieder aufzählt, ist uns als Teilnehmer am Albigenserkrieg bekannt. (18) Er scheint sich aus Anlaß dieses Aufenthalts in Südfrankreich auch in der provenzalischen Dichtung versucht zu haben. Wenigstens finden wir in den Hdss. C und R ein Lied von ihm (Amors je ne me planh mia, s. Mahn, Gedichte 729—30; Raynaud führt es in seiner Liste nicht auf), dessen sprachliche Form zwar nicht richtig provenzalisch, aber auch nicht französisch ist und das auch nicht ohne Schwierigkeiten in eine dieser beiden Sprachen umgesetzt werden kann. Ein anderes Gedicht, welches wir französisch anonym besitzen (Quant se resjoissent oisel, Bartsch, Romanzen und Pastourellen I, 36, S. 31), wird uns unter seinem Namen von R in einer ganz ähnlichen sprachlichen Mischform überliefert (Bartsch a. a. O. S. 343, Mahn, Gedichte 728). Da wir Tibaut nun auch als Pastourellendichter kennen (Bartsch III, 2, S. 227, vielleicht auch II, 21, S. 134, s. Schultz-Gora, Ztschr. VIII, S. 110), ist es nicht ganz unerklärlich, daß auch unsere Pastorela unter seinem Namen erscheint. Es ist aber kaum ein Zweifel darüber, daß sie dem Cadenet gehört, es sei denn, daß Tibaut dessen Art genau hat nachahmen wollen. Der Trobador erzählt nämlich, daß er an seinem Wege einen Hirten fand, der sich über die Späher seiner Liebe beklagte, die ihm und seiner Freundin das Leben sauer machten. Der Dichter aber ergreift die Partei der Lauzengier: Lauzengier gelos M’onron quascun dia, E dizon qu’ieu soi joios De tal drudaria Don mi creis honors. Es sind also ganz ähnliche Worte wie wir sie Cadenet in seinem zweiten Liede und sonst zum Lobe der Späher (s. weiter oben im Text) gebrauchen sahen. So reiht sich dieses Gedicht den persönlichen Liebesliedern des Trobadors an, denen es insofern eine neue Note hinzufügt, als hier eine von den sogenannten volkstümlichen Gattungen in den Dienst des eigenen Interesses gestellt ist.
Weit interessanter als diese Pastorela ist das letzte der zu besprechenden Stücke. Auch dieses Lied gehört einer der sogenannten volkstümlichen Gattungen an. Es ist eine Alba, die uns in ihrer einfachsten Gestalt in den Hdss. AD (und zweifellos so auch in IK, die mir nicht zur Verfügung stehen) entgegentritt (Nr. 14):
I
1
Eu sui tant cortesa gaita
q’ieu non vuoill, sia desfaita
leials amors a dreig faita,
per qe·m don garda del dia,
si venria,
5
e drutz que jai ab s’amia,
prenda comjat franchamen,
baisan e tenen,
q’ieu vei venir l’alba.
II
10
S’ieu e nuill chastell gaitava
ni falsa amors i reignava,
fals sia ieu, si non celava
lo jorn aitan cum poiria ;
car volria
15
partir falsa drudaria,
et entre la leial gen
gait ieu leialmen,
e crit, qan vei l’alba.
III
Be·m platz longa nueitz escura
20
e mais el temps que plus dura,
e non lais ges per freidura
qu’ieu leials gaita non sia
tota via,
per tal que segurs estia
25
fis drutz, qan pren gauzimen
de dompna valen,
e crit, qan vei l’alba.
IV
Anc non vi gauzen
drut qe·il plagues l’alba.
V
30
Per so no m’es gen
ni·m plai qan vei l’alba.
Hierzu tritt in den Hdss. EGR (und vermutlich C, das mir nicht zur Verfügung steht) eine weitere Strophe:
Ja per gap ni per menassa
que mos mals maritz me fassa,
no mudarai qu’ieu non jassa
ab mon amic tro al dia,
quar seria
desconoissens vilania,
qui partria malamen
son amic valen
de si tro en l’alba.
und nur diese Strophe wird von Hds. P überliefert. CR endlich bringen noch die Strophe:
S’anc fui belha ni prezada,
ar sui d’aut en bas tornada,
qu’a un vilan sui donada
tot per sa gran manentia ;
e murria
s’ieu fin amic non avia
cuy disses mo marrimen,
e guaita plazen
que mi fes son d’alba.
Diese beiden Strophen gehören einer anderen Gattung sogenannt volkstümlicher Dichtung, einer chanson de mal mariée, an. In welchem Verhältnis aber stehen sie zur Alba, die wir zuerst kennen gelernt haben? Ihre Form gibt als unzweifelhaft zu erkennen, daß sie nach Absicht ihres Verfassers mit den Albenstrophen zusammen gehören sollen.
Bestand aber nun die Alba zuerst für sich und sind die anderen beiden Strophen eine spätere Hinzufügung? oder ist die längere Fassung ursprünglich und ist die Alba aus ihr ausgeschieden? Wenn das Erste der Fall sein sollte, dürfen wir die Hinzudichtung Cadenet selbst zuschreiben oder liegt eine spätere Vervollständigung oder Entstellung seines Liedes vor? Und wie hat sich der Verfasser dieser beiden Strophen, sei es Cadenet oder ein anderer, ihre Verbindung mit der Alba gedacht?
Es wird von Wichtigkeit sein festzustellen, wie sich die Handschriften zu diesen Fragen stellen. Wir nennen die Albenstrophen A1-5, die beiden anderen, von denen wir die in CR allein enthaltene natürlich voran stellen müssen: (Ja per gap) M² und (S’anc fui belha) M¹. Die Reihenfolge ist in:
AD:
A1-5
E:
M2 A123 (M1 A45 fehlen
G:
A123 M2 A45 (M1 fehlt)
R:
M1 M2 A13 (A245 fehlen)
C:
M1 . . . . . (nur die Tatsache, daß das Gedicht mit dieser Strophe beginnt, ist mir mit Sicherheit aus dem Catalogue des Manuscits bekannt).
Wir sehen wie unsicher die Überlieferung ist.
Der Gedanke die beiden Gattungen der Chanson de mal mariée und der Alba miteinander zu vereinen, ist ohne Zweifel sehr natürlich und glücklich. Sind doch von vornherein die Personen in ihnen zum Teil als gemeinsam gegeben: die geliebte Frau, der eifersüchtige Gatte, der Geliebte; und fast selbstverständlich stellt sich die nächtliche Szene ein, in welcher sich die Mal-mariée der heimlichen Vereinigung mit dem Geliebten erfreut, der betrogene Gatte im Hintergrunde bleibt:
Soufrés maris, et si ne vos anuit ;
demain m’arés et mes amis anuit.
Je vous deffenc k’un seul mot n’en parlés :
soufrés, maris, et si ne vous mouvés.
La nuis est courte, a par main me rarés,
quant mes amis ara fait sen deduit.
Soufrés, maris, et si ne vous anuit :
demain m’arés et mes amis anuit.
(Bartsch, Rom. u. Past. I, 22.)
Hier ist die Vereinigung mit der Alba zwar vorbereitet, aber noch nicht vollzogen. Einen Schritt weiter geht das Gedicht Rom. u. Past. I, 38: Die Liebenden sind in nächtlichem Gespräch, freilich getrennt voneinander. Die Dame spricht von der Höhe des Turmes, wo sonst der Wächter ruft; der Ritter weilt an seinem Fuß. Die Dame sendet den Geliebten fort, weil der Tag naht:
„Biaus amis, vos en irés,
car je voi le jor.
des ore mais n’i poés
faire lonc sejor.
vostre fin cuer me lairés
et n’aiés paor,
c’aveuc vos en porterés
la plus fine amor.
des ke vos ne me poés
geter de ceste tor,
plus sovent la regardés
por moi par grant douçor.“
et cil s’en part tos irés,
et dist : „las, tant mar fui nes,
quant mes cuers est ci sans moi remes.
dolans m’an part.
a Deu comans je mes amors,
ki les me gart.“
Der Wächter also fehlt, und mit ihm auch der eigentliche Albenrefrain. Diesen letzten Schritt der Vereinigung vollzieht nun unser Gedicht. Natürlich muß die Verschmelzung so erfolgen, daß die Chanson de mal-mariée die Situation exponiert, die Alba sie ausführt. Die Dichtung muß mit der Strophe S’anc fui belha ni prezada beginnen, die wir keinen Anlaß haben für unecht zu halten. In R schließt sich ihr unmittelbar die M2-Strophe: Ja per gap an, so daß Chanson de mal-mariée und Alba aufeinander folgen. In E fehlt M1; sonst verhält sich E wie R (nur daß in R nicht nur A45 sondern auch A3 fehlt). G dagegen, dem M1 fehlt, fügt M2 zwischen A123 und A45 ein. Und ebenso, aber mit M1, verhält sich wohl C, denn so hat Raynouard die Strophen gestellt, dessen Text jedenfalls (mit Benutzung von E?) auf C beruht. Nichts erscheint glücklicher als diese Einfassung der Alba durch die Chanson de mal-mariée. Die Dame erzählt ihre traurige erzwungene Verbindung mit dem ungeliebten Gatten. Ihre Lage wäre unerträglich, wenn sie nicht den Geliebten hätte und den Wächter, der zum Schutz ihrer Liebe sein Wecklied ertönen läßt. Und da antwortet ihrer Klage schon die Alba des Wächters. Von seinem Sange getröstet und in ihrem Wollen bestärkt, erhebt nach ihm die Dame noch einmal ihre Stimme und beteuert, daß sie dem Eifersüchtigen zum Trotz nicht davon lassen wird, den Geliebten nächtlich zu sich zu rufen.
So können wir denn das ganze Gedicht, nur mit geringen Abweichungen vom Text bei Raynouard, folgendermaßen lauten lassen: S’anc fui belha ni prezada.
Bei dem so angeordneten Text bleibt es zweifelhaft, aus welchem Munde die beiden kurzen Tornaden gesprochen sein sollen. Sie scheinen der Dame anzugehören; und das ist ja nicht unmöglich, aber doch wenig ansprechend. In AD gehören sie zur Alba, werden also vom Wächter gesprochen. Das ist natürlicher und könnte dafür sprechen, daß die Alba wie in diesen Handschriften ursprünglich für sich existiert hat, die Chanson de mal-mariée erst später hinzugefügt ist. (19) Aber wenigstens die zweite Tornada scheint doch im Munde des Wächters wenig glücklich. Würde es zu künstlich sein, wenn man auch die Alben auf die beiden Stimmen verteilte, die erste dem Wächter, die zweite der Dame zuspräche, wie in den Tenzonen und Partimens die Tornaden von den beiden Streitenden gesprochen werden? Vielleicht hat aber auch der Dichter gar kein Gewicht darauf gelegt, diese Worte dem einen oder andern zuzuteilen. Es ist seine eigene Reflexion, die, in traditioneller Art nachklingend, das Gedicht beschließt.
Jedenfalls haben wir keinen Anlaß, die wohl überlegte und geschickt durchgeführte Vereinigung der beiden Motive einem anderen zuzuschreiben als Cadenet. Was er damit geschaffen hat, wollen wir nicht überschätzen. Die Betrachtungen des Wächters über die falsche Liebe, die er wohlverdienter Strafe ausliefern will, sind wenig natürlich; und er nimmt sich nicht die Mühe, uns zu sagen, wie er die treue und die falsche Liebe auseinander kennen wird. Und nicht besser angebracht ist die Begründung der Dame (v. 41 bis 45), daß sie den Geliebten aus Rücksicht auf höfisches Benehmen nicht vor dem Morgen von sich lassen wird. Aber die Verschmelzung der beiden Bestandteile ist ein poetisch wertvoller Gedanke gewesen, und durch sie ist ein, trotz, der nicht zu übersehenden Mängel, immerhin graziöses kleines Kunstwerk entstanden.
Und bei diesem Liede haben wir, wie es scheint, Gelegenheit, Cadenet auch als Komponist kennen zu lernen. Die Handschrift R überliefert uns die Melodie der Alba, die Jean Beck durch Umsetzung in moderne Noten allgemein zugänglich gemacht hat (La Musique des Troubadours, p. 99). Es ist eine mit Fiorituren reich verzierte Weise, die nach dem Urteil Becks einen durchaus gelehrten, sequenzenartigen, jedenfalls nicht volkstümlichen, Charakter zeigt. (20) Es ist vielleicht noch nicht an der Zeit sich über den Eindruck der Trobadormusik klare Rechenschaft zu geben. Auch ihre fremdartige Sprache will erst gelernt sein. Wer mit ungeschultem Ohr an die Singweisen der Trobadors herantritt, wird fast stets mehr ein Befremden als einen erhöhten Genuß an ihrer Kunst erfahren. Leider ist diese Melodie die einzige, die uns von Cadenet überliefert ist. Daß er seine Lieder selbst komponierte, geht aus seinen eigenen Worten hervor: 21, 13 Aujatz e chantatz Oi mais novellas chanssos Que farai ab coindetz sos, und so haben wir keinen Anlaß zu bezweifeln, daß wenigstens jene Notenreihe von ihm herrührt.
Wenn wir aber so bei der mangelhaften Überlieferung seines Nachlasses immer nur ein sehr unzulängliches Bild seiner musikalischen Kunst besitzen werden, ist es uns doch vielleicht möglich für seine musikalische Natur einiges aus den Worten seiner Lieder zu erschließen. Wenn ich nicht irre, zeigt sich in ihnen ein lebhaftes Empfinden für die rhythmische Sprachform, die dem Gefühlsinhalt seiner Worte entspricht.
In ruhig und sicher dahin schreitenden Versen drückt das 16. Lied die feste Zuversicht auf die beglückende Kraft der Liebe aus:
Meravill me de tot fin amador
cossi d’amor si pot far malanaus,
e·m meravill cossi·n sent hom dolor,
e·m meravill per que n’es hom clamans,
qu’ieu dic que mais n’a de ben que de mal
cel que meins n’a, mas pero bes non val
ren a celui cui als ops faill sos sens,
c’assatz trob’om d’omes entre las gens
que se sabon, qan ren perdon, marrir,
e del gazaing no·is sabon esbaudir.
Ganz anders das vierte Gedicht, in dem die Unruhe des Dichters sich im Wechsel der sieben- und achtsilbigen Verse, in abgebrochenen Sätzen, mit zahlreichen Enjambements, ausspricht:
Az ops d’una chanso faire,
ses plus ai bona razo ?
pero si dic ieu que no.
no sui amatz ni amaire ;
quar Amors m’a donat poder
d’amar, e, si m’en vueill tener,
atressi ai poder que·m lais.
ve·us tot lo joi c’aurai huei mais :
que far puesc a ma voluntat
e no·m ten destreg ni forsat.
Ara·m vueill d’amar estraire
e partir d’amor ; e so
mal pagatz, dirai vos ho,
e de midons cais clamaire.
anc ilh no·m fes d’amor plazer
de qu’ieu li deia grat saber.
e si fui tant per s’amor gais !
e si·m donet e pueis m’estrais
aco eis que m’avia dat,
razos es qu’ela·n perda·l grat.
Ebenso lebhaft gehen die Gedanken im 17. Liede hin und her. Auch hier die gleiche Unruhe des Versmaßes, ja, in gesteigertem Maße, auch hier die Enjambements, ein Wechsel von Fragen und Antworten (v. 7 f., 20, 29, 35 ff., 46):
Non sai cal conseill mi prenda.
totz sui esbahitz,
si mos astres m’es faillitz
o no, tan fatz long’atenda,
c’ab dir de no mi mescla bel semblan
cill quez ieu blan, e d’aisso vau doptan.
cal creirai mieills : o so quez en l’aug dir
o·l bel semblan qe·m fai qan la remir ?
que·l bels semblans mi loigna del esmai,
e·l dirs de no mi torna sempres lai . . .
Ar cre qe·m fara esmenda
dels mals c’ai sentitz,
midons, c’us esqerns voutitz
mi fai cum mieills m’i enprenda.
per que ni cum mi vau desconfortan ?
dei creire doncs q’ella fassa engan
vas si eissa per cor de mi trahir ?
d’engan, per ver, no·s poiria esdir,
puois ab semblan d’amor a si m’atrai,
si·m faillia del tot ; mas no·ill eschai.
Und auch für den gehaltenen Schmerz des zwanzigsten Liedes fügt sich das Versmaß zur Stimmung des Liedes: neun Sechssilbner mit wechselndem Geschlecht, die vom Sinn oft zu Paaren vereint werden, gefolgt von drei männlichen Achtsilbnern:
S’ieu ar endevenia
en far chansson plazen,
meravilla seria,
tant mi vai malamen.
voluntiers m’en sofrira
de dire cossi·m vai,
q’ieu no m’en descobrira,
mas l’amoros e·il gai
dirian: „e que fai ?
meraviilas n’avem tuich gran,
segon que·s era gais antan,
cossi pot esser que non chan“.
Natürlich trägt auch die Art der Verwendung der Reime zu diesem rhythmisch-musikalischen Eindruck bei: viermal der gleichmäßige Wechsel des weiblichen und männlichen Reims und dann noch einmal der männliche wiederholt; darauf mit dem längeren Versmaß die dreimalige Wiederholung eines männlichen Reims. So fügt sich auch die Strophenform dem Ziel des Liedes. (21)
Die Beispiele, die wir so gegeben haben, lassen sich leicht vermehren. Man beachte, im Verhältnis zu ihrer sprachlich rhythmischen Form, die gleichmäßig ruhige Stimmung des dritten, die still ergebene des zwölften, die prächtige Frische des zweiten Liedes. Es mag nicht ohne Gefahr sein, die klangliche Wirkung der Trobadorgedichte in der melodielosen Unvollständigkeit ihrer Überlieferung, in der Unkenntnis ihrer Vortragsweise, einem modernen Geschmacksurteil zu unterwerfen. Es wird auch nicht bei jedem Sänger die Probe auf seine künstlerischen Absichten verlohnen. Unseren Trobador aber, glaube ich, dürfen wir nicht nur als einen Handwerker seines Faches, sondern auch als einen Künstler ansprechen.
Wie mag es nun mit der Schätzung Cadenets bei seinen Zunft- und Zeitgenossen gestanden haben? Wenig oder nichts besagt uns dafür das banale Lob der Biographie: comenset a far chansos, e fetz las bonas e bellas, und Art und Umfang dieser Biographie lassen auch kein lebhafteres Interesse für den Dichter erkennen. Ein besseres Zeugnis für die Verbreitung seiner Lieder dürfen wir in den Nachahmungen ihrer strophischen Formen finden. Wir haben gesehen (siehe Anfang Einleitung), daß die Weise des 5. Liedes von Peire Cardenal, von Bertran de Gordo und von Eble d’Uisel benutzt worden ist. (22) Unsicher ist die Nachahmung des 16. Liedes durch Aimeric de Pegulhan (s. die Anmerkung 23). Beide Trobadors gehörten dem höfischen Kreise von Toulouse an, so daß ihre persönliche Berührung wahrscheinlich ist. Am gleichen Hofe hat zu gleicher Zeit Arnaut Catalan gesungen, der vielleicht die Weise des 18. Liedes benutzt hat, (23) Erst in späterer Zeit, in der Mitte oder der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, scheint Raimon Bistortz de Rossillo gedichtet zu haben, der in einer Einzelstrophe (395, 1) dem 17. Liede Cadenets gefolgt ist, (24) und sicher so spät ist Bertran Carbonel, der in nicht weniger als drei Strophen (54, 68, 81) die Form des 22. Liedes Cadenets benutzte, welche vielleicht schon vor ihm ein anderer Bertran (Bertran d’Alamano? s. die Ausgabe dieses Trobadors von Salverda de Grave S. 145) verwendet hatte.
So sind es vier oder fünf Lieder Cadenets, von denen wir wissen, daß sie bekannt genug waren, um ihre Form von anderen Trobadors als Träger ihrer Absichten benutzen zu lassen. Diese Zahl gegenüber der Gesamtzahl der von Cadenet überlieferten 23 Gedichte ist nicht gering, wenn wir vergleichen, daß von den 41 Gedichten Bernarts von Ventadorn nur neun Nachahmungen bekannt sind (S. CXII meiner Ausgabe). Eine gewisse Verbreitung Cadenetscher Lieder wird uns so bis gegen das Ende des 13. Jahrhunderts erwiesen.
Damit gelangen wir denn in die Zeit Matfre Ermengaus, des Verfassers des Breviari d’Amor, dessen Perilhos Tractat d’Amor uns zeigt, welche Trobadors dieser Scholastiker der Minne gekannt hat. Wenn ich nicht irre, zitiert Matfre Ermengau unseren Dichter siebenmal mit vier seiner Lieder. (25) Sein Herausgeber hat (Bd. I S. LXXXVI) eine Statistik der Zitate im Perilhos Tractat gegeben. Nach ihr wurde Cadenet mit vier Zitaten nur von wenigen Trobadors übertroffen: von Arnaut von Maruelh (6), Bernart von Ventadorn (9), Uc Brunet (6), vor allem von Aimeric de Pegulhan (19). Aber die Zahlen Azaïs’s sind unzuverlässig. Wenn ich recht zähle, erscheint z. B. Bernart von Ventadorn 15 mal, Gaueelm Faidit, dessen Strophen Azaïs nicht zählt, 9 mal, Aimeric von Pegulhan, der erklärte Liebling Matfres, wenigstens 23 mal. Aber auf alle Fälle gehört Cadenet zu den am häufigsten genannten Dichtern.
Was wir durch diese Zitate kennen lernen, ist freilich nur die persönliche Geschmacksrichtung Matfre Ermengaus, vielleicht auch nur das zufällige Maß seines Kennens, nicht aber ein Maßstab allgemeinerer Wertschätzung, am allerwenigsten derjenigen der klassischen Zeit provenzalischer Dichtung. Das zeigt sich schlagend dadurch, daß Giraut von Bornelh, der „Meister der Trobadors” von Matfre nur einmal angeführt wird (v. 33488).
So bleibt als sicherstes Zeugnis der Beliebtheit unseres Sängers noch immer die Zahl der Handschriften, welche seine Lieder überliefern. Und hieraus scheint sich nun wieder zu ergeben, daß diese eine ziemlich weite Verbreitung besaßen. Die meisten von ihnen stehen in einer größeren Zahl, einige in sehr vielen Manuskripten: Nr. 16 und 17 werden uns 12 mal, Nr. 7 14 mal, Nr. 18 und 22 15 mal, Nr. 2 sogar 19 mal überliefert.
So scheint denn unser Sänger es doch in jeder Hinsicht zu verdienen, daß man ihn aus dem Schatten, in welchem ihn die Forschung bisher gelassen hat, hervortreten läßt. Sein Dichten ist eigenartig und lebensvoll genug um mehr als das manches seiner Sangesgenossen auch den modernen Leser anzusprechen.
Fußnoten:
*) Die Handschriften I und K. Nach I ist das Gedicht bei Mahn, Ged. 303 veröffentlicht, und das ist die Grundlage meines Abdrucks. Auf K zu verzichten, war in diesem Falle nicht schwer. Aber auch sonst habe ich mich meist ohne die nicht abgedruckten Texte der Pariser Handschriften behelfen müssen. Bei der Kündigung des geistigen Verkehrs, die von französischer Seite uns gegenüber ausgesprochen ist, werden wir uns damit abfinden müssen und werden uns damit abzufinden wissen, daß wir einstweilen allein in der grande patrie wohnen, die, nach den berühmten Worten eines größeren Franzosen, aucune guerre ne souille, qu’aucun conquérant ne menace, et où les âmes trouvent le refuge et l’unité que la cité de Dieu leur a donnés en d’autres temps.
Ich gebe die Lieder meines Trobadors nach den mir zugänglichen, und jedesmal von mir bezeichneten, Handschriften. Einem späteren Herausgeber mag überlassen bleiben, diejenigen Verbesserungen anzubringen, welche sich aus der Benutzung des weiteren Materials ergeben. Im Ganzen habe ich das Vertrauen, daß die hier gelieferten Texte leidlich zuverlässig sind. Hier und da war es mir freilich schmerzlich, von weiteren Informationen abstehen zu müssen. Darauf meine Arbeit mit der Angabe der Varianten zu belasten, habe ich unter den vorliegenden Umständen verzichtet. Die benutzten Hdss. sind (mit Ausnahme von D, das mir durch die in Wien vorhandene Kopie Mussafias zugänglich wurde, und wenigen anderen einzelnen Stücken, die ich in Abschrift besitze) alle gedruckt. Die Mitteilung des vollständigen Materials muß ohnehin der Zukunft überlassen bleiben. Zweifelhafte Stellen von einiger Wichtigkeit werden in den Anmerkungen diskutiert.
Die Texte mit Übersetzungen zu versehen, wie es bei provenzalischen Ausgaben üblich geworden ist, war auch bei den Liedern Cadenets angebracht, da ihre lebhafte, schnell wechselnden Gedankengängen folgende Sprache das Verständnis keineswegs immer leicht macht. Da ich über Voßlers wunderbare Gabe dichterischer Übertragung nicht verfüge, habe ich versucht auch die Prosaübersetzung wenigstens lesbar zu machen. Vielleicht führt doch ein Seitenpfad auch einmal einen unseren Studien ferner Stehenden zu diesen Liedern. (↑)
1) Zahlreiche provenzalische Stellen sind von Stimming zu Bertran de Born¹, 9 v. 22 zusammengestellt. Voßler hat zu den Versen Bernarts nicht nur auf italienische Volkslieder hingewiesen, die aus allen Teilen Italiens den gleichen Gedanken herbeibringen:
Se il Papa mi donasse tutta Roma,
E mi dicesse : Lascia andar chi t’ama,
lo gli direi di no, sacra Corona.
(D’Ancona, La Poesia popolare italiana, 2da ediz. 1906, p. 240 ss., vgl. Le Moliériste IX, 129 ff.)
sondern hat sogar den alten Properz anführen können (Der Minnesang des Bernhard von Ventadorn, München 1918, S. 126). (↑)
2) Unter dem Namen Baguas scheint sich kein Lied des Dichters erhalten zu haben. Er soll ja auch, als er ihn führte, zunächst Joglar gewesen sein, brauchte also selbst ein Dichter noch nicht zu sein. Schwerlich hat er diesen Namen sich selbst beigelegt, denn das Wort, das uns sonst altprovenzalisch nicht begegnet, das aber als neuprov. bagas, bagat „garçon, en mauvaise part, grivois“ von Mistral aufgeführt wird, ist das Maskulinum zum wohlbekannten bagassa „prostituée, catin“, dem frz. bagasse. Die altprov. vorhandene Ableitung bagassier heißt der „Liederjahn, Lump“. Bagassa mit frz. „bagatelle“, bagas (über baias „insipidus“ Uc Faidit 45, 25) mit ital. bajazzo in Verbindung zu bringen, wie Suchier will (Zts. 19, 104 f.), liegt wohl genügender Anlaß nicht vor.
Der Beiname mag ein Zeugnis sein, daß auch Cadenet als Joglar einem Leben nicht fern blieb, von dem uns die Zankstrophen eines Guilhem Figueira und seiner Kneip- und Raufgenossen, und andere mit diesen in der Hds. H uns überlieferten Coblen, ein so lebendiges Bild liefern. Aber freilich, auf welcher Grundlage beruht die Nachricht der Biographie über diesen Spottnamen des Dichters? Seine erhaltene Verse geben keinerlei Anhalt, in Cadenet einen früheren Bohémien zu sehen. (↑)
3) Chabaneau, Biographies des Troubadours, p. 93b n. 7, aus Devic et Vaissette t. VI, 558. Den späteren Beschützer des Trobadors, Raimon Leugier de Dosfraires bringt Chabaneau, seiner Familie nach, in Verbindung mit Guilhem del Dui fraire, der in dem soeben erwähnten Tenzonenwechsel Aimerics von Pegulhan und Guilhem Figueiras über einen Wirtshaus- und Spielerskandal ein Rolle spielt (vgl. Emil Levy, Guilhem Figueira S. 57 f.). Doch erfahren wir damit nichts über jenen Raimon Leugier selbst. (↑)
4) Teulet, Layettes du Trésor des Chartes II, 406b, Chabaneau, Biographies des Troubadours p. 94a. (↑)
5) Schultz-Gora datiert, Zts. 9, 121, die Tenzone Bertran de Gordos als vermutlich vor 1209 fallend, „weil Peire Raimon später nach Ober-Italien geht“. Ich sehe aber nicht, daß er bald nach 1209 nach Italien gegangen und daß er nicht etwa von dort wiedergekehrt ist. So scheint mir diese Datierung nicht hinreichend begründet. (↑)
6) Über Blacatz s. Otto Soltau, Blacatz ein Dichter und Dichterfreund der Provence, Berlin 1898, und vor allem Stroński, Notes sur quelques troubadours et protecteurs des troubadours, Rev. d. lgues rom. Bd. L p. 28 ss. (↑)
7) Die in Betracht kommenden Gedichte sind von Maus, Peire Cardenals Strophenbau, S. 44 besprochen. Nicht datierbar sind: Peire Cardenal 26 (Mahn, Ged. 982, 1239—40), Sordel 16 (de Lollis S. 202) und die anonymen B. Grdr. 461, 76 (P. Meyer, Derniers Troubadours p. 111) und 135 (Zts. 38, 292). Eine Spottstrophe des Blacasset (Nr. 8) gegen Bertran d’Alamano wird von Salverda de Grave (S. 157) auf 1241—45 datiert. Ein Kreuzlied Lanfranc Cigala’s (23, s. Bertoni, Trovatori d’Italia p. 350, vgl. 557 ss.) ist von 1244 — 45. Etwa aus der Mitte des Jahrhunderts stammt auch die Strophe des Raimon Bistorz d’Arles (F 143) und noch später jedenfalls ist die Tenzone des Marques mit Giraut Riquier (Grdr. 242, 39; 296, 2, Mahn, Werke 4, 240). (↑)
8) S. V. Crescini, Canzone francese d’un trovatore provenzale, Atti e memorie della R. Accad. di scienze, lettere ed arti in Padova, vol. XXVI. (↑)
9) S. den sehr sorgfältigen Artikel über Raimon d’Agout von S. Stroński, Revue des Langues romanes 50 p. 5 ss. (für das Datum des Todes s. S. 15). (↑)
10) S. Fritz Bergert, S. 20 ff. Sie soll, der Lebensnachricht des Arnaut von Maroill zufolge, diesen Namen erhalten haben, weil sie im Schloß von Burlatz geboren war, s. Devic et Vaissette X, 220. (↑)
12) Das 18. Gedicht wird in seiner Form nachgeahmt durch das Lied B. Grdr. 175, 1, das in C dem Joglar Geneys, in M dem Arnaut Catalan zugesprochen wird. (S. hierüber wie über die Nachahmungen des 17. Stückes die Anmerkungen 46 und 47.) Einen Anhalt für die zeitliche Entstehung des Cadenetschen Gedichts erhalten wir durch diese Nachahmung nicht.
Das 22. Stück wird von einer Tenzone zwischen Bertran und Javare nachgeahmt (75, 4). In Bertran sieht Chabaneau, Biographies 155a, den Bertran d’Alamano, dem auch der Herausgeber dieses Trobadors, Salverda de Grave, die Tenzone zuschreibt (s. S. 144 s.). Aber auch hier erhalten wir keinen weiteren chronologischen Anhalt für das Gedicht Cadenet’s. (↑)
13) Zu ma filla la Comtessa, 17, 61, s. die Anm. 25. Aus den Worten en Alvergne fai son fin pretz grazir geht nicht etwa hervor, daß es sich um eine Gräfin der Auvergne handelt. (↑)
14) S. Meyer Derniers Troubadours p. 144, 145, 149, 151, 153. (↑)
15) Es fehlt bei Stössel ferner Sordel 437, 2 (Chrest. 31, 13 ff.) und gewiß noch manche andere Stelle. Der Vergleich ließe sich natürlich auch weiter in die mittelalterliche (s. Carmina Burana 137: Pre amoris tędio Vulneror in medio Cordis mei telo, Quatior naufragio Quassa rate velo . . . Ergo puella dulcissima, Cum sis formosissima, Adhuc in hac cella Me egenum eripe De ferventi procella) und in die klassische lateinische Literatur verfolgen. (↑)
16) Die Identität des Dichters Esperdut mit Gui de Cavaillon ist, gerade auf Grund jener Stellung der Gedichte in G, zuerst von C. Fabre behauptet worden: Pons de Monlaur dans l’histoire et dans la poésie pro-vençale, Le Puy 1909. Er hat auch schon die Strophen, die im PartimenEn MaenardRos dem Gui angehören, Herrn Gui de Cavaillon zugesprochen. Nun hat freilich Bertoni, Revue des Langues romanes LIV p. 71 gegen die Gründe Fabres Einwendungen erhoben, daß nämlich die Überschrift Esperdut über dem ersten Gedicht für die beiden folgenden keine Gültigkeit mehr habe, hat aber die Gleichung Esperdut = Gui de Cavaillon durch neue Gründe gestützt. Bertonis Einspruch gegen Fabre (dessen Schrift ich freilich leider nicht selbst einsehen kann) ist nur zum Teil berechtigt. Es ist fraglos, daß die Hds. G sich zunächst bemüht, Partimens gleicher Teilnehmer zusammenzustellen. Es folgen von fol. 90b aufeinander (nach den Nummern des Bartschschen Grundrisses bezeichnet): 16, 16 + 167, 25; 432, 2 + 167, 26; 167, 47 + 370,12; 10, 28 + 167, 24; 366, 17 + 167, 23; 366, 10 + 119, 2; 366, 30 + ?; 119, 9.+ 370, 11; 97, 9 + 364, 32; 233, 5 + 97, 9; 97, 4 + 388, 3. Wenn dann vor den Partimens Esperduts auch zwei noch stehen, die wie es scheint, nichts miteinander zu tun haben, ist durch jene Reihe die Absicht des Zusammenstellens doch hinreichend bezeichnet, und wir können für sehr wahrscheinlich halten, daß der Guionet und Gui dieser Gedichte mit Esperdut d. h. mit Gui de Cavaillon identisch ist. (↑)
17) Außer als Gui, Guionet und Esperdut finden wir ihn, in einer Tenzone mit Ricaut de Tarasco, auch als Cabrit wieder (Grdr. 422, 2, Kolsen, Dichtungen der Trobadors S. 208). Ricaut beklagt sich da, daß Cabrit ihn betrogen habe. Dieser aber weist die Herausforderung sich in Versen, oder auch mit den Waffen, zu rechtfertigen, mit höhnischem Spotte ab. Die Hdss. DEIK bezeichnen Cabrit als Gui de Cavaillon, und wir haben keinen Anlaß diese Gleichstellung zu verneinen.
Der poetische Nachlaß Guis setzt sich so für uns aus den folgenden Stücken zusammen:
Den sechs von Bartsch unter seinem Namen verzeichneten Dichtungen Grdr. 192, 1—6.
Dazu treten die betreffenden Strophen der beiden Partimens: En Mainart Ros und Falco, en dire mal, die Bartsch unter Gui 191, 1—2 anführt (über das zweite dieser Partimens s. Schultz-Gora, Zts. IX, 124).
Ferner die bezüglichen Strophen der drei soeben besprochenen Partimens 238, 1—3 unter dem Namen Guionet.
Das im Grdr. als 238, 4 bezeichnete Gedicht ist eine Tenzone zwischen Guigenet und Guillem (s. H. Carstens, Die Tenzonen aus dem Kreise der Trobadors . . . d’Uisel, S. 107). Guillem fragt Guigenet, wie es zwischen ihm und seiner Freundin bestellt sei. Guigenet will von der Liebe nichts mehr wissen. Während Guillem das Trobadordogma von der beseligenden Kraft der Liebe vertritt, die auch die Quelle aller Tüchtigkeit sei, erklärt
Guigenet die Liebe für eine nichtsnutzige Betrügerin. ― An Stelle des zuerst genannten Namens Guigenet finden wir später stets Gui. Es liegt sehr nahe, auch hier Gui de Cavaillon zu erkennen. Ob Guillem aber Wilhelm von Baux ist, mit dem Gui die kriegerischen Strophen Grdr. 192, 4 bez. 209, 2 austauschte, bleibt die Frage. — Die Form dieses Streitgedichtes ist bemerkenswert. Die Rede wechselt nicht, wie es üblich ist, von Strophe zu Strophe, sondern von Zeile zu Zeile, wie bei Aimeric de Pegulhan: Domna, per vos estauc en greu turmen (Bartsch-Koschwitz, Chrest.c Sp. 175) und ähnlich wie bei Albert (von Malaspina? s. Bertoni, Trovatori d’Italia p. 469. Was Bertoni dort p. 159 s. über die angebliche Inkorrektheit der Sprache dieses Stückes sagt, ist unzutreffend). Diese beiden Gedichte sind fingierte Tenzonen. Ob das Gleiche nicht auch bei dem Streit zwischen Guillem und Gui-Guigenet der Fall ist, der sonst ein sehr merkwürdiges Beispiel einer improvisierten Tenzone sein müßte? Natürlich würde dann die gesamte Dichtung diesem Letzteren zuzuschreiben sein.
Im Streit Guis von Cavaillon mit seinem Mantel redet der Mantel seinen Herrn zuerst mit Gui (v. 13), später aber mit Guigo (v. 21) an. In der Tenzone welche Bartsch, Grdr. 196, 1 (Mahn, Ged. 355) unter Guigo stellt, fragt Herr Guigo den Herrn Bernart, ob er lieber einen Mantel haben möchte, der bewirke, daß keine Dame ihm „nein“ sagen könne, oder eine Lanze, der kein Ritter widersteht, wobei sich denn Bernart für den Mantel entscheidet. Dieses Gedicht erinnert durch seinen Gegenstand an Gui-Guigos Streit mit seinem Mantel, und es liegt nahe, auch hier die Strophen Guigos dem Gui von Cavaillon zuzuschreiben. Und damit erhebt sich dann die gleiche Frage auch für das andere Streitgedicht Guigos: Grdr. 196, 2, in welchem Herr Guigo den Herrn Jori fragt, ob er mit seiner Geliebten unter der Bedingung eine Nacht zubringen möchte, daß er ihr nichts antue (s. aber Schultz-Gora, Prov. Studien I, 94 ff.).
Endlich gehören Gui noch die Strophen der erwähnten Tenzone Ricaut-Cabrit an und die drei Stücke (1 Kanzone, 1 Sirventes, 1 Streitgedicht), welche bei Bartsch unter Esperdut stehen, so daß die dichterische Hinterlassenschaft, welche wir von Gui de Cavaillon besitzen oder vielleicht besitzen, zu einem ziemlichen Umfang angewachsen ist. (↑)
18) S. Longnon im Annuaire-bulletin de la Société de l’Histoire de France, 1870, p. 85 ss., Schultz-Gora, Zts. VIII, 110. (↑)
19) Das ist die Meinung, die Stengel in der Zeitschrift IX, 408 ausspricht. Wenn er aber von unserem Gedicht sagt, zwar nicht, daß es selbst volkstümlich gehalten sei, daß es aber deutlich auf ein volkstümliches Lied zurückweise, so werden wir ihm darin kaum folgen können. Die beiden Tornaden hält Stengel für unecht und gibt damit die reine Überlieferung auch der Hdss. AD preis. (↑)
20) „Les notes et le contour sont, par endroits, identiques avec les notes et le dessein de l’aube majestueuse Reis glorios de Giraut de Bornelh)“ p. 100. — „La musique des aubes et des chansons d’histoire est peut-être la plus savante que des troubadours aient composée.“ (p. 96). (↑)
21) Der Stropbenbau Cadenets zeigt alle Merkmale der schon fortgeschrittenen Epoche. In alphabetischer Folge sind dieses die Formen:
Die kürzeren Strophen der Frühzeit sind geschwunden. Die häufigste Zahl der Verse in Cadenets Coblen ist 10, nur ein Gedicht (18ª) hat eine achtzeilige Strophe, dagegen haben acht Gedichte Strophen von 11 und 12, eines sogar, Nr. 21, eine Strophe von 13 Zeilen (dabei wird allerdings der einsilbige Refrainvers mitgezählt, der eigentlich außerhalb der Strophe steht). So hält sich denn die Strophenlänge noch immer in mäßigen Grenzen.
Die alte Form a a b a b findet höchstens eine weit fortgebildete Nachfolge in der Alba: a_ a_ a_ b_ b_ c c D. Dagegen gibt sich die paarweise Anordnung der Verse, welche gleichfalls als eine ursprüngliche Form gelten darf (s. meinen Bernart von Ventadom S. CVII), wenigstens noch in der Reimordnung zu erkennen. Die überwiegende Zahl der Lieder Cadenets beginnt mit einem Vierzeiler gleicher Silbenzahl in der Reimfolge a b b a; der zweite Strophenteil aber schreitet gern, und das ist die besondere Eigenheit Cadenets, in Reimpaaren fort: c c d d e e (siehe Nr. 4, 16, 17, 12, 22 und andere mit verschiedenen Komplikationen). Einmal, im 6. Liede, hat die paarweise Gruppierung die ganze Strophe ergriffen (ein Aufbau in dreizeiligen Pedes kann demgegenüber in Nr. 19 und 23 angenommen werden: das Sirventes 13 [und 24], welches seine Form vermutlich nicht Cadenet verdankt, zeigt eine Strophe von zweimal fünf Versen).
Freilich bestehen aber alle diese Anordnungen nur für das Reimschema. Die Syntax des Textes nimmt keinerlei Rücksicht darauf. So ist also aus dem Reimschema ein Schluß auf die musikalische Gestalt der Strophe, d. h. auf ihren eigentlichen Aufbau, nicht zu ziehen, und die Anordnung in Reimpaaren im zweiten Strophenteil ist bei Cadenet natürlich nicht etwa ein altertümlicher Zug, sondern im Gegenteil ein Zeichen individueller, später Metrik.
Einer Eigenheit der Cadenetschen Verstechnik ist noch zu gedenken: Ein natürlicher, aber freilich nie ganz streng durchgeführter Grundsatz der Trobadors ließ die Wiederkehr des gleichen Reimworts vermeiden. Gegen diese Regel zeigt Cadenet eine merkwürdige Gleichgültigkeit. Es kann nicht auf mangelhafter Überlieferung beruhen, wenn wir bei ihm sehr zahlreiche Reimwörter wiederholt finden. Nur ein paar seiner Lieder sind frei von solcher Wiederkehr (12, 15, 18, 18a), und unter ihnen sind zwei nur so kurz, daß wenige Reimwörter in Betracht kommen. Dafür zeigen die meisten Lieder die Wiederholung von drei, vier, ja fünf und sechs (Nr. 3 und 4) Reimwörtern. Ich lasse dabei die Tornaden unberücksichtigt, bei denen die Wiederkehr ja von vornherein gestattet, ursprünglich sogar wesentlich war. Cadenet zeigt, wie es natürlich ist, nichts mehr von der ursprünglichen Art der Echotornada (vgl. Bernart von Ventadorn CXX ff.), aber in einigen seiner Lieder kann man sich fragen, ob die Wiederholung der Reimwörter im Geleit nicht beabsichtigt ist. In Nr. 10 waren von vier Reimwörtern der Tornada drei schon vorher verwendet, in Nr. 20 sind es alle sechs Reimwörter der beiden Tornaden (und die Wiederkehr von talan v. 62 und 64 erinnert hier doch an das alte Echo). Im zweiten Liede handelt es sich nicht um die Tornada, von deren Reimwörtern nur eines (esper) schon vorher begegnet. Dagegen sind von den 11 Reimwörtern der letzten Strophe acht wiederholt, nur drei neu, und das ist um so auffallender als abgesehen von dieser Strophe nur eine Reimwortwiederholung im Gedicht vorkommt (voler 32, 44). Es wird kaum zu entscheiden sein, ob hier Absicht oder ein merkwürdiger Zufall vorliegt. (↑)
22) Wer von ihnen die Melodie Cadenets zuerst benutzt hat und ob die beiden anderen unmittelbar auf ihn zurückgehen oder den ersten Nachahmer nachgeahmt haben, wird sich mit einiger Sicherheit kaum ausmachen lassen. Einigermaßen wahrscheinlich ist, daß Eble d’Uisel voranging und daß Bertran de Gordos Tenzone der seinen gefolgt ist. Peire Cardenal mag dann später zur Weise Cadenets zurückgekehrt sein. Jedenfalls dürfen wir annehmen, daß dieses frische Liedchen eine gewisse Popularität besessen hat. (↑)
23) Der Form dieses Liedes folgt das bei Bartsch unter 175, 1 genannte Lied, das in C dem Joglar Geneys, im Register dieser Handschrift dem Peire d’Alvergne, in M dem Arnaut Catalan zugeschrieben wird. Zenker hat es in seiner Ausgabe des Peire von Auvergne abgedruckt (S. 152 ff.), obwohl er es diesem Dichter abspricht. Der Grund seiner Ablehnung ist ein rein sprachlicher, daß nämlich der Reim via (<vita) mit Maria, mia usw., der hier begegnet, in der Heimat Peires unmöglich wäre. Ich habe in meinem Bernart de Ventadorn S. CXXXV ausgeführt, daß ein solcher Grund nicht entscheiden kann. Aber das Gedicht folgt ja eben in der Form einer Kanzone Cadenets und kann so der Zeit nach nicht von Peire d’Alvergne herrühren. Arnaut Catalan preist im Gedicht Ben es razos qu’eu retraya (Grdr. 330, 4, dort dem Peire Bremon zugeschrieben, vgl. aber Stroński, Elias de Barjols p. XXIX) Eleonore von Toulouse, die wir als Gönnerin Cadenets kennen, und so mag Arnaut der Verfasser sein. Aber freilich wissen wir nicht, ob nicht auch der Joglar Geneys am Hofe von Toulouse gewesen ist. (↑)
24) S. Rayn. V, 369, Milá y Fontanals² p. 474, Hds. F Nr. 174. Die Strophe des Raimon Bistorz beklagt, daß der Verfasser seit seinem Abschied von Montan keinen Freund mehr besitze, der ihn auf seine Fehler aufmerksam mache (vgl. die erste Strophe von Cadenets 25. Lied, das Raimon Bistorz also vielleicht auch gekannt hat). Von Montan besitzen wir, außer einigen anderen Gedichten, eine Cobla, die besagt, daß man dem Freunde gegenüber mit Lob und Tadel freigebig sein solle. Sie steht in F unmittelbar vor der des Raimon Bistorz. Auf sie bezieht sich also diese, obwohl sie andere Form und Reime zeigt. Die Lebenszeit Montaus wird durch einen an sich interesselosen Coblenwechsel mit Sordel (s. Meraveill me com negus honratz bars 306, 3, De Lollis Sordello p. 163) einigermaßen bestimmt. Eine genauere Datierung ist nicht möglieh. (↑)
25)
Nr.
2
v.
12 – 25
:
v.
32173 ff., 32189 ff.
“
16
“
11 – 20
:
“
29276 ff.
“
18
“
12 – 33
:
“
30600 ff., 31836 ff.
“
22
“
1 – 12, 21 – 24
:
“
27995 ff., 34169 ff.
Verse von Nr. 4 und Nr. 25, die nach Bartsch auch im Breviari stehen sollen, habe ich in der Ausgabe Azaïs’ nicht gefunden. (↑)