DIE LIEDER DES PROVENZALISCHEN TROBADORS GUIRAUT VON CALANSO (1)
Von
Willy Ernst.
Vorwort.
Im Vorwort zu seiner kritischen Textausgabe des Fadet joglar zeigt Wilhelm Keller (2) eine „in Vorbereitung stehende Gesamtausgabe der Werke Guirauts de Calanso” an. Diese Mitteilung stammt aus dem Jahre 1905. Es ist aber bislang fast ein Vierteljahrhundert verflossen, ohne daß die versprochene Arbeit erschienen wäre. So wird man von meiner vorliegenden Ausgabe sämtlicher lyrischer Gedichte des Guiraut von Calanso nicht sagen wollen, daß sie einen Eingriff in ältere Rechte an demselben Gegenstand darstelle.
Über Guiraut von Calanso ist bisher in der Hauptsache an folgenden Stellen gehandelt worden:
Crescimbeni, Le vite de’ più celebri poeti provenzali² S. 200; Millot, Histoire Littéraire II, 28 ff.; Histoire littéraire de la France 17, 577 ff. (Eméric-David); Diez, Leben und Werke der Troubadours² S. 427 ff.; Milá y Fontanals, De los trovadores en España S. 122 ff.; Jeanroy, Les troubadours en Espagne (Annales du Midi 27) S. 141, 165; Anglade, Histoire sommaire de la littérature méridionale au moyen-âge S. 68 (und anderswo); Dammann, Die allegorische Canzone des Guiraut de Calanso: „A leis cui am de cor e de saber” und ihre Deutung; Keller, Das Sirventes „Fadet joglar” des Guiraut von Calanso.
Das für die Herstellung einer kritischen Textausgabe vorhandene und benötigte Handschriftenmaterial habe ich vollständig zur Verfügung gehabt. Gedichte unseres Trobadors sind in folgenden Hss. überliefert: ACDEHIKNORSa. Auf Heranziehung von K und D konnte ich unbeschadet der Zuverlässigkeit meiner Textunterlagen verzichten, da beide Hss. bekanntlich aufs engste mit I verwandt sind. Die in Paris befindlichen Hss. CEI(K)R habe ich selbst kollationiert. Für AHOa (a¹, a²) habe ich die bekannten diplomatischen Ausgaben benutzt. Für N und S konsultierte ich die diplomatischen Abdrücke, die Jeanroy,Jongleurs et troubadours gascons des XII. et XIII. siècles, bietet; diese nachahmenswerte Materialsammlung hat mir auch sonst vortreffliche Dienste geleistet. Die neue diplomatische Ausgabe der Hs. S durch Shepard (The Oxford Provençal Chansonnier, diplomatic Edition of the Manuscript of the Bodleian Library Douce 269) war mir dagegen leider nicht zugänglich; an der absoluten Zuverlässigkeit des Jeanroy’schen Druckes kann ja aber nicht gezweifelt werden. Bezüglich Jeanroys Wiedergabe des Textes von N ist zu bemerken, daß diese lediglich ein Abdruck des von Mahn mitgeteilten Textes ist; es wäre zu begrüßen, wenn die in Cheltenham befindliche, schwer zu benutzende Hs. durch einen diplomatischen Abdruck bald der Wissenschaft zugänglich gemacht würde.
Der Variantenapparat ist vollständig mitgeteilt bis auf den des Liedes Nr. 7. Hier ist auf ältere kritische Ausgaben verwiesen, die ihn ganz verzeichnen; dies durfte umso eher geschehen, als mein Text mit ihnen im wesentlichen übereinstimmt, — war er doch bei Appel und Koschwitz bereits in besten Händen. — Soweit von den Liedern unseres Trobadors schon kritische oder sonstige Drucke vorlagen, habe ich das jeweils am Kopfe der Texte mitgeteilt.
Die Orthographie habe ich möglichst einheitlich zu gestalten gesucht. Soweit die Lieder in der Hs. C überliefert sind, bin ich dieser in der Schreibung gefolgt, da sie dem Verlangen nach Stetigkeit des Schriftbildes am besten Rechnung trägt. Wenn das Gedicht in nur einer Hs. überliefert ist, gebe ich deren Orthographie wieder; Nr. 8 schreibe ich nach N, da es in der zweiten Hs. S unvollständig erhalten ist. Im ganzen habe ich verschiedene Uniformierungen der Rechtschreibung vorgenommen, die den von Zenker (Die Gedichte des Folquet von Romans, Halle 1896, S. VII) eingeführten und seitdem häufig befolgten Vereinfachungen entsprechen.
Bei der Anordnung der Texte habe ich mich für die nach Gattungen entschieden, während ich innerhalb derselben eine möglichst chronologische Reihenfolge anstrebte. Die so getroffene Placierung der Gedichte wird zum Teil eine hypothetische bleiben müssen in Anbetracht der kargen Ausbeute, die eine biographische Untersuchung über unseren Dichter liefert; doch glaubte ich, sie immerhin jeder anderen Art von Anordnung vorziehen zu sollen. Die Sirventes-Kanzone Nr. 4 habe ich unter die Kanzonen eingereiht, da sie sich inhaltlich vermutlich an Nr. 1-3 anschließt; die allegorische Kanzone Nr. 7 stelle ich ihres besonderen Charakters wegen den übrigen Kanzonen nach.
Die beigegebenen Übersetzungen haben lediglich den Zweck, im Verein mit den Anmerkungen meine Auffassung der Texte eindeutig darzulegen. Sie erheben mithin in keiner Weise Anspruch auf künstlerische Wiedergabe der provenzalischen Dichtungen. Dabei ist allerdings in Kauf zu nehmen, daß die nüchtern-philologische Übersetzung dem Nichtprovenzalisten nur einen ungenügenden Eindruck von den Originalen vermittelt.
Im Glossar ist der gesamte Wortschatz des Dichters aufgeführt. Das Verzeichnis der Eigennamen enthält die in der Lebensnachricht und den Gedichten vorkommenden Namen.
Die Anregung zu der vorliegenden Arbeit habe ich durch Herrn Professor Dr. Zenker empfangen. Er hat mir in stets entgegenkommender Weise seine reiche Erfahrung in jeder Hinsicht zur Verfügung gestellt, wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen Dank ausspreche. (↑)
Einleitung.
I. Guirauts literarischer Nachlaß.
Das für den Entwurf eines Lebensbildes unseres Dichters zur Verfügung stehende Material ist, wie das bei den Trobadors häufig der Fall zu sein pflegt, recht spärlich. Abgesehen von den knappen Mitteilungen einer provenzalischen Lebensnachricht (3) und einer kurzen Bemerkung von Guiraut Riquier (4) sind wir ausschließlich darauf angewiesen, schwache Spuren vom Lebensgange Guirauts aus seinen Gedichten herauszulesen. Um das tun zu können, gilt es zunächst, seinen literarischen Nachlaß zu sichten und zu ordnen.
Die Zahl der erhaltenen Gedichte Guirauts ist nach Millot, Histoire littéraire II, 28, fünfzehn; nach Raynouard, Choix 5, 168, „dix-sept pièces, dont quelques-unes sont attribuées à d’autres troubadours”; nach Histoire littéraire de la France 17, 578, (im Anschluß an Raynouard?) siebzehn; nach Bartsch, Grundriss (Verzeichnis Nr. 243), elf; nach Chabaneau, Histoire Générale de Languedoc 10, 352, „une douzaine environ”.
Diesen differierenden Angaben gegenüber ist festzustellen, daß die Handschriften fünfzehn lyrische Gedichte (5) überliefern, für die einstimmig oder teilweise Guiraut von Calanso als Verfasser genannt wird. Keine Übereinstimmung bezüglich der Attribution besteht in den Hss. bei folgenden Gedichten:
Gr. 243, 2:
Celeis cui am de cor e de saber. CDEIKR¹R²a² Guiraut de Calanso, Aa¹ Gaucelm Faidit, O anonym.
Gr. 243, 3:
(= Gr. 404, 12): Vas vos soplei en cui ai mes m’entensa. ABCDIKRT Raimon Jordan, E Guiraut de Calanso, M Gui d’Uisel.
Gr. 243, 9:
Si tot l’aura s’es amara. CEIKd Guiraut de Calanso, (Creg R (6)) Peire Vidal.
Gr. 243, 10:
Tan doussamen mi ven al cor ferir. IKRa²d (und Creg) Guiraut de Calanso, C Ademar de Rocaficha, Creg auch Arnaut de Maruelh.
Gr. 205, 5:
Ses alegratge. R Guillem Augier, IK Ogiers, D Ogiers Novella, C Augier de Sant Donat, Creg Guillem Mogier, Creg auch Guiraut de Calanso, Sc Peire Raimon, MNW anonym.
Gr. 234, 13:
Los grieus dezirs. IKd Guillem de Saint Leidier, CR Guiraut de Calanso.
Gr. 242, 23:
Molt era dolz e plazens. M Giraut de Bornelh, R¹R² Guiraut de Calanso.
Gr. 245, 1:
Ges si tot n’ai ma voluntat fellona. ADIK Giraut de Luc, C Guiraut de Calanso, Creg Prebost de Valensa.
Die Autorschaft Guirauts von Calanso für die Gedichte Gr. 243, 2, 9, 10 ist durch das Majoritätszeugnis der Hss. einwandfrei gesichert. Aus demselben Grunde ist Gr. 243, 3 für Raimon Jordan in Anspruch zu nehmen (H. Kjellman, Le troubadour Raimon-Jordan, Uppsala-Paris 1922, Nr. IX; s. auch Jeanroy, Jongleurs S. VII (7)); ebenso Gr. 205, 5 für Guillem Augier Novella (J. Müller, Die Gedichte des G. Augier Novella, Halle 1898, Nr. 6). Gr. 242, 23 gehört dem Giraut von Bornelh (Kolsen, Sämtliche Lieder des Trobadors G. de Bornelh I, Halle 1910, Nr. 64). Gr. 245, 1 ist nach Ausweis der Hss. dem Giraut von Luc zuzuschreiben (Kolsen, Dichtungen der Troubadours, Halle 1916 ff., S. 193; Ausgabe nur nach AD).
Gr. 234, 13 spricht Bartsch dem Guillem von Saint Leidier zu, indem er der Attribution von IKd folgt. Dieser Hss.-Gruppe, die bekanntlich nur die Stimme einer einzigen Hs. beanspruchen kann, stehen C und R gegenüber, die das Gedicht dem Guiraut von Calanso beilegen. Über die Attributionsfrage äußert sich Fabre, Annales du Midi 23, 175; er entscheidet sich für G. von St. Leidier mit Bartsch, neben dessen Urteil er auch das von Raynouard (Lex. Rom. III, 388 und V, 277) und Mahn (Werke II, 56) anführt, die das Gedicht gleichfalls G. von St. Leidier zuteilen. Dazu ist zu bemerken, daß Raynouard a. a. O. nach I zitiert, also natürlich G. von St. Leidier als Verfasser nennt; Mahn, Werke, druckt ebenfalls nach I, dagegen steht das nämliche Gedicht Mahn, Gedichte 368, nach C naturgemäß unter Guiraut von Calanso. Die Attributionen von Raynouard und Mahn dürfen demnach bei der Entscheidung der Verfasserfrage nicht als maßgebend angesehen werden. Für die Autorschaft des G. von St. Leidier führt Fabre weiterhin folgende Gründe an:
1. Das Geleit entspricht den in den razos über G. von St. Leidier gegebenen Tatsachen.
2. Arnaut Daniel scheint bei der Abfassung seines Gedichtes (Gr. 29, 4), das unserer Kanzone entspricht, diese als Vorbild gehabt zu haben. Es „constitue une critique très fine ainsi qu’une imitation heureuse de la chanson de notre troubadour : Guillem avait célébré sa dame par des comparaisons outrées ; le poète de Ribérac avoue ironiquement qu’il ne peut en faire autant pour la sienne, tant ses mérites sont au-dessus de toute expression.”
3. Arnaut Daniel hat, um sein Vorbild zu übertreffen, noch einen neuen schweren Reim noigandres (es muß wohl heißen: d’enoi gandres; vgl. Lavaud, A. d. M. 22, 322) eingeführt, den andererseits G. von Calanso, falls er der Verfasser und also Nachahmer A. Daniels wäre, sich sicher nicht als einzigen Reim auf -andres hätte entgehen lassen.
4. G. von St. Leidier ist auf den Namen Elis (v. 35) gekommen wegen der Ähnlichkeit mit dem Namen der von ihm besungenen Dame Alix (= Aelis, Elis) von Rossilhon.
Zu diesen Argumentationen ist folgendes zu sagen:
ad 1: Der Grund ist zu allgemeinen Charakters. Fabre leitet ihn ab aus den Stellen v. 5-6: „Le poète rappelle les maux d’amour qui le faisaient languir près de la mort quand il aimait ailleurs” und v. 46 (tornada), wo der Dichter sagt, „qu’il laisse les maux qu’il a éprouvés ailleurs”. Diese Äußerungen ohne weiteres auf den Bruch des G. von St. Leidier mit der Marquise von Polignac beziehen zu wollen, erscheint zum mindesten gewagt und kann ohne sichere Stütze nicht zur Entscheidung der Autorfrage geltend gemacht werden.
ad 2: Die Beziehungen inhaltlicher Natur zwischen unserer Kanzone und der des A. Daniel sind wiederum so allgemeiner Natur, daß sie nicht von ausschlaggebender Beweiskraft sein können; die formalen Übereinstimmungen beschränken sich einzig auf den schweren Reim -andres (8). Im übrigen hat
A. Daniel:
6 coblas unisonans von je 7 Versen + tornada von 3 Versen;
Schema: 8a 8b 8c 8d 10e 10f 10g’ (g’ = andres);
unser Gedicht:
5 coblas unisonans von je 9 Versen + tornada von 4 Versen;
Diese geringfügige formale Übereinstimmung berechtigt nicht zu dem Schluß, daß A. Daniel unser Gedicht als Vorlage benutzt habe. Es scheint vielmehr umgekehrt glaubwürdiger, daß dieses dem berühmten Meister der schweren Reime den Reim -andres nachgeahmt hat. (Unser Gedicht hat nur diesen einen rim car, während A. Daniel noch solche auf -uec und -int verwendet.) Vgl. ad 3.
Man sieht zunächst, daß gandres nicht der einzige Reim wäre, den sich G. von Calanso hätte entgehen lassen, sondern daß auch blandres nicht wiederkehrt; andererseits aber tritt ein neues Reimwort remandres auf. Da könnte man, wenn G. von St. Leidier der Verfasser wäre, mit demselben Recht, wie Fabre den Ausfall von gandres ins Feld führt, es auch bedenklich finden, daß A. Daniel den Reim remandres nicht übernommen habe. Es ist vielmehr wahrscheinlicher, daß G. von Calanso die Kanzone Arnaut Daniels gekannt hat und sie insoweit als Vorbild benutzt hat, als sie ihm als Rimarium für den schweren Reim -andres diente.
ad 4: Es wäre ebensogut denkbar, daß der Verfasser unseres Gedichtes durch das ihm vorliegende Reimwort Flandres darauf geführt ist, die Anspielung auf Elis von Flandern zu machen. Vgl. Crescini, Nuove postille al trattato amoroso d’Andrea Cappellano S. 43.
Sind somit die von Fabre für die Autorschaft des G. von St. Leidier angeführten Gründe als nicht beweiskräftig zu bezeichnen, so läßt sich nun m. E. folgendes für die des G. von Calanso (9) geltend machen:
1. Die Aussage der Hss. CR, die dem Zeugnis von I(Kd) im Stimmverhältnis 2 : 1 gegenübersteht.
2. In v. 19 wird die besungene Dame „Belhs Diamans” genannt; mit dem gleichen Verstecknamen bezeichnet G. von Calanso seine Geliebte in der Kanzone Nr. 2 (s. unter „Biographisches" u. Anm. zu Nr. 2, 71). Es erscheint nicht unmöglich, daß mit ihm Maria von Ventadorn gemeint ist, der auch Guirauts Lied Nr. 3 gewidmet ist (10). Somit würden diese drei Gedichte einem Zyklus angehören, den offenbar das vorliegende eröffnet. Hier spricht Guiraut von den Leiden der Liebe, die er anderswo erlitten habe, und gibt seiner neuen Dame den senhal „Belhs Diamans”, den er durch ein Wortspiel mit bels dias erläutert. Das Gedicht bietet also einen interessanten Beleg für das Entstehen eines Verstecknamens (11).
3. Bezüglich der Reimschemata ist zu sagen, daß die des G. von St. Leidier häufig eine große Anzahl von Parallelen bei anderen älteren (und jüngeren) Trobadors haben. Vgl. Etwa
Gr. 234
4
bei Maus Nr.
397
“
6
“
535, 21
“
9
“
535, 20
“
10
“
579, 3
“
11
“
397
“
14
“
353, 4
“
15
“
579, 3
Dagegen zeigt eine Betrachtung der Gedichte Guirauts von Calanso (s. unter „Metrisches”), daß er durchaus nach Originalität strebt; so ist auch das Schema unserer Kanzone ein Unikum (Maus Nr. 588), das, obwohl natürlich leicht abzuleiten aus der achtzeiligen Zehn-silbner-Strophe, doch die formal schöpferische Tätigkeit des Verfassers zeigt.
4. Unter den 17 Gedichten des G. von St. Leidier befinden sich nur zwei mit Coblen von mehr als acht Versen; G. von Calanso zeigt aber gerade eine Vorliebe für längere Strophen (von acht Gedichten haben sechs solche von mehr als acht Versen; s. „Metrisches”). Unser Lied hat neunzeilige Strophen.
5. Es könnte etwa noch angeführt werden, daß sich in den Gedichten des G. von St. Leidier niemals Anspielungen auf bekannte Gestalten der Geschichte oder Literatur finden, während in unserer Kanzone die Gegenüberstellung von Caesar und Alexander oder die Erwähnung der Elis von Flandern eher sprechen für die Autorschaft des gelehrten Verfassers von Fadet joglar und eines Klageliedes auf den Tod des Infanten Ferdinand (Nr. 11), wo von Artus und ertrunkenen Riesen die Rede ist.
So spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß G. von Calanso der Verfasser von Gr. 234, 13 ist.
Es bleibt nun noch übrig, diejenigen Gedichte zu betrachten, die nur in einer einzigen Hs. überliefert sind und von ihr G. von Calanso zugeschrieben werden, womit natürlich seine Autorschaft keineswegs erwiesen ist. Es handelt sich um Gr. 243, 4 und Gr. 243, 5, beide Descorts und nur in Hs. E enthalten. Es war festzustellen, daß das Zeugnis dieser Hs. für Gr. 243, 3 = Gr. 404, 12 versagt. Mit einigem Mißtrauen möchte man daher auch ihre Glaubwürdigkeit für die beiden genannten Gedichte betrachten. Die Reihenfolge sämtlicher in Hs. E unter Guiraut von Calanso überlieferten Gedichte ist:
Man sieht, daß die beiden fraglichen Gedichte untereinander stehen und daß sie zusammen mit dem falsch attribuierten Amor, ben faitz den Schluß der Kategorie bilden. Gegen die Verfasserschaft Guirauts lassen sich aber, soweit ich sehe, keine Gründe geltend machen; dafür könnte natürlich ebensowenig die Tatsache sprechen, daß Gr. 243, 5 an König Alfons VIII. von Kastilien gerichtet ist, den Guiraut auch in seinen Gedichten Nr. 6 und Nr. 11 nennt, wie die Feststellung, daß beide Lieder Descorts sind (13) und unser Dichter in der provenzalischen Lebensnachricht ausdrücklich als Verfasser von solchen bezeichnet wird. Die Verwendung des grammatischen Reimes in Gr. 243, 4 könnte eher für als gegen Guiraut sprechen, der sich selbst in Nr. 4 als Freund der rimscars bekennt, die er auch in Nr. 1 gebraucht. Der Inhalt der beiden Gedichte gibt keine Anhaltspunkte für die Identifizierung ihres Verfassers. Die in Gr. 243, 4 genannte Dame „Papagei” ist möglicherweise Azalais von Boissazon (14), der auch Guillem Augier Novella und Raimon von Miraval gehuldigt haben, doch kann diese eventuelle Beziehung kein Licht in das Dunkel bringen. Wenn somit weder für noch gegen die Autorschaft Guirauts beweiskräftige Gründe anzuführen sind, so bleibt nichts anderes übrig, als sich dann doch, wenn auch nicht ohne Bedenken, der Aussage der Hs. anzuschließen und die Gedichte unter die unseres Trobadors zu rechnen. —
Im Verzeichnis von Bartsch, Grundriss, sind nach dem Gesagten folgende Änderungen vorzunehmen:
ist zu ändern: Gaucelm Faidit Aa¹, anonym O; das Gedicht steht unter dem Namen Guirauts von Calanso noch in a²;
243, 3
ist zu streichen; es ist identisch mit Gr. 404, 12;
243, 8
ist zu schreiben: CEHRa²;
243, 9
ist zu schreiben: Peire Vidal Creg R;
243, 10
ist zu schreiben: Creg IKR²d
Der literarische Nachlaß Guirauts von Calanso beläuft sich demnach auf elf lyrische Gedichte und ein Ensenhamen. (↑)
II. Biographisches.
„Guiraut von Calanso war ein Spielmann der Gascogne. Er kannte die Wissenschaften gut und war ein geschickter Dichter. Er verfaßte kunstvolle Kanzonen, Desplazers und Descorts zu jener Zeit. In der Provence war er unbeliebt mit seinen Gedichten, und er hatte wenig Ruf bei den höfischen Menschen.”
So berichtet uns kurz die provenzalische Lebensnachricht (16), welche den Gedichten unseres Trobadors in den Hss. I und K vorangestellt wird. Sie ist die einzige Prosamitteilung, die wir über ihn haben, und es ist leider herzlich wenig, was aus ihr zu entnehmen ist. Doch unterscheidet sie sich in ihrer Knappheit nicht von der Mehrzahl der provenzalischen „Biographien”, wenigstens nicht, soweit diese die kleineren Trobadors betreffen.
Wir haben gelernt, die Zeugnisse der „Biographien” und razos mit der nötigen Kritik aufzunehmen. Häufig sind sie zum großen Teil nichts weiter als phantasiedurchsetzte Extrakte aus den Gedichten der betreffenden Trobadors. Solche Mitteilungen können natürlich nur ganz vorsichtig gewertet werden. Anders aber ist es in der Regel mit „certains renseignements que ne fournissent pas les textes et qu’il était difficile et sans intérêt d’imaginer : ce sont ceux qui concernent l’origine, le rang social des troubadours, l’accueil qu’ils reçurentdu public, la façon dont se termina leur carrière” (17). Über den historischen Wert derartiger Angaben urteilt Jeanroy (18) folgendermaßen: „Les historiettes concernant la vie amoureuse des troubadours sont sorties de l’imagination des biographes interprétant très librement les textes et rattachant à leurs héros des thèmes connus, pour des raisons qui souvent nous échappent ; néanmoins, en ce qui concerne la patrie, la famille, la condition sociale (19) de ceux-ci, ces chroniqueurs, si peu scrupuleux par ailleurs, ont essayé (et ils y ont souvent réussi) à se procurer des informations précises qu’il serait téméraire de rejeter sans examen”. Und so scheint in der Tat auch unsere Lebensnachricht glaubwürdig in Bezug auf das, was sie über Guirauts Unbeliebtheit und seinen geringen künstlerischen Erfolg in der Provence mitteilt, der uns allerdings um so verwunderlicher ist, als er ein Meister der Form und des Ausdrucks war. Was über seine dichterische Tätigkeit überhaupt und seine Bildung gesagt wird („ben saup letras”), mag mehr oder weniger formelhaft aufzufassen sein, doch zeigen seine Gedichte, speziell der Fadet joglar, daß er zum mindesten kein ungebildeter Sänger war.
Erscheint somit die Lebensnachricht bezüglich dieser Angaben unverdächtig, so stellt sie uns vor eine Schwierigkeit, wenn sie besagt, daß Guiraut von Calanso „fo uns joglars de Gascoingna”. In der naheliegenden Auffassung, daß damit die Gascogne als Heimat Guirauts bezeichnet werden soll, hat schon Chabaneau (20) festgestellt, daß es in der Gascogne kein Calanso oder einen Ort ähnlichen Namens gibt, der als Geburtsort unseres Trobadors angesehen werden könnte. Wohl aber weist er nach: Chalançon im Dep. Ardèche (Arr. Tournon) (21) und Chalançon im Dep. Drôme (Arr. Die) (22), also im Gebiet von Languedoc bezw. Dauphiné. Weiter findet sich noch (Le) Chalançon im Dep. Haute-Loire als Name eines „ancien petit pays de France (Velay), dont les lieux principaux étaient: Saint-Pal-de-Ch. et Saint-André-de-Ch. (Haute Loire)” (23) es liegt also gleichfalls in Languedoc.
Ich weiß keine Einigung in diesen Widerspruch zwischen der Biographie und den geographischen Tatsachen zu bringen. Die Reime Guirauts bieten, soweit ich sehe, keinen Anhalt zu dialektischer Lokalisierung. Gegen die Möglichkeit, den Geburtsort des Dichters mit einem der genannten Chalançon zu identifizieren, scheint auch die Tatsache zu sprechen, daß die Hss. die Ortsnamen nur in Formen mit k-Anlaut überliefern; wir finden Calanson (DEIK), Calanso (C Creg HRS), Calenzon (a), Calenso (Creg). Das weist darauf hin, daß er in dem Gebiete südlich der Grenze zwischen den Lauten ca – ga einerseits und cha – ja andererseits (24) zu suchen ist, zu dem ja in der Tat die Gascogne gehört. Sollten aber die Spuren dieser Ortschaft so restlos verloren gegangen sein, daß sie nicht wieder aufzufinden sind? – Könnte man nicht vielmehr doch annehmen, daß der Geburtsort Guirauts im nördlichen Teile des provenzalischen Sprachgebietes zu suchen ist (d. h. in einem der genannten Chalançon)? Es wäre wohl denkbar, daß er in jungen Jahren schon aus der Heimat fortgezogen ist, ohne je für längere Zeit wieder dorthin zurückzukehren (25). Aus irgendwelchen, für uns nicht mehr erkennbaren Gründen mag er dort keine Anerkennung seiner poetischen Leistungen gefunden haben; wir hören ja in der Biographie: „mal abelivols fo en Proensa”. So könnte der Dichter die Hauptzeit seines Lebens in der Gascogne zugebracht haben. Wir finden ihn in seinen besten Jahren als Schützling eines Herrn Peire von Gavaret (vgl. weiter unten im Text), d. h. auf gascognischem Boden. Daher ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ihm die Mundart dieser Gegend so geläufig wurde, – obwohl das in seinen Gedichten nicht zutage tritt und auch nicht zutage zu treten braucht, da sie als literarische Erzeugnisse ja einer gewissen einheitlichen Kunstsprache sich annähern mußten –, daß er selbst später seinen Geburtsort Calanso (mit k-Anlaut) ausgesprochen hat statt Chalanso. Und damit ließe sich sowohl die Schreibung der Hss. erklären wie auch die Mitteilung der Biographie, daß der Dichter ,,fo uns joglars de Gascoingna”. Diese Angabe nötigt uns keineswegs zu dem Schluß, daß Guiraut aus der Gascogne gebürtig war; es könnte einfach zu verstehen sein: „ein Spielmann der Gascogne” (26). Bei dieser Auffassung wäre der Gegensatz zwischen Biographie und Geographie beseitigt. Immerhin muß sie hypothetisch bleiben. – Ich stelle nur fest, daß über die Heimat unseres Dichters nichts Bestimmtes auszumachen ist und daß die Worte der Lebensnachricht, er sei ein Jongleur „de Gascoingna”, nicht unbedingt dahin zu deuten sind, daß er aus dieser Gegend gebürtig sei (27).
Der Name Guiraut ist durch Majoritätszeugnis der Hss. gesichert. Es haben: C: Grz, Creg: Guiraut und Gr (fol. 11 vº), D: Gir, E: Guiraut, IK: Guiraut(z) (28), R: Gr, a: Giraut. Creg (fol. 16 rº) hat bloßes G, das aber mit Rücksicht auf das Zeugnis desselben Registers fol. 11 vº als Abkürzung von Guiraut anzusehen ist. Abweichend finden sich nur in H: Guiellms (29) und in S: Girard (30); an beiden Stellen liegen offenbar Irrtümer der Schreiber vor.
Bezüglich der Orthographie des Namens unseres Dichters sind zwei Möglichkeiten gegeben. Stammte er aus dem nördlichen Sprachgebiet, so müßte man schreiben Giraut von Chalanso, wäre er aus der südlichen Gegend: Guiraut von Calanso (31). Mit Rücksicht darauf, daß die Heimat des Dichters nicht festgestellt ist, behalte ich die Schreibung der Hss. bei und entscheide mich für Calanso, wodurch der Personenname in der Form Guiraut bedingt ist. —
Die Biographie bietet zur Feststellung der Lebenszeit unseres Trobadors und zu näherer Kenntnis seines Lebenslaufes keine Handhabe. So bleiben uns zur Feststellung von biographischen Einzelheiten nur Guiraut Riquiers flüchtige Bemerkung über ihn und seine eigenen Lieder als unmittelbare Zeugen seiner dichterischen Tätigkeit.
In Guiraut Riquiers bekanntem poetischen Kommentar (32) zu unseres Trobadors allegorischer Kanzone Celeis cui am de cor e de saber (Nr. 7) hören wir v. 186 ff.:
Danach hätte also Guiraut von Calanso sein Lied „en la cort gentil del Puey” persönlich vorgetragen. Es handelt sich um den Hof in Le Puy-en-Velay (35). Somit liegt hier eine zuverlässige Angabe über unseren Trobador vor (36), die jedoch keinerlei Anhalt zur Datierung des Gedichtes bietet, von dem wir nur wissen, daß es vor dem Jahre 1202 entstanden sein muß (37).
In Guirauts Gedichten finden sich nur schwache biographische Spuren. Das kann nicht verwunderlich sein, da es sich fast ausschließlich um Kanzonen handelt, die ja meist einen unhistorischen und oft ganz unpersönlichen Charakter haben. Dennoch scheint es möglich, aus einigen Liedern gewisse Daten zu gewinnen.
Einen Anhalt zu genauerer Festlegung der Entstehungszeit bietet das Gedicht Nr. 11. Es ist ein Klagelied auf den Tod des Infanten Ferdinand von Kastilien, der am 14. Oktober 1211 erfolgte (38). Der Thronfolger, Sohn König Alfons’ VIII. und Eleonores, der Tochter Heinrichs II. von England, war am 9. November 1189 geboren (39). Im Frühjahr 1211 beteiligte er sich in hervorragendem Maße an den Kämpfen gegen die Ungläubigen unter Führung von En-nâsir, die die Vergeltung für die schwere Niederlage der christlichen Waffen bei Alarcos (1195) bringen sollten. Der Sieg wurde 1212 errungen bei Navas de Tolosa, doch war es dem kampfesmutigen Infanten nicht mehr vergönnt, ihn zu erleben. Im Vorjahre hatte er sich in kleineren Unternehmungen gegen die mohammedanischen Scharen und bei den weiteren Rüstungsvorbereitungen für den entscheidenden Schlag eifrig und leidenschaftlich hervorgetan, so daß er die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich gelenkt hatte, das mit Recht Großes von ihm erhoffte. Da ergriff ihn, wohl infolge der Anstrengungen während der Kriegszüge, ein heftiges Fieber, dem er am Freitag, den 14. Oktober 1211, zu Madrid erlag. Die Beisetzung erfolgte im Kloster St. Mariä zu Burgos „im Beisein der älteren Schwester, der Königin Berenguela, vieler Bischöfe, geistlicher und weltlicher Magnaten” (40). Wenn Guiraut von Calanso seinen Tod in leidenschaftlichen Worten beklagt, so gibt er damit die Stimmung des Volkes wieder, das sich seines Lieblings, des einzigen männlichen Erben des kastilischen Thrones, so plötzlich beraubt sah, von dem es heißt, daß er „eratspectatio populorum” (41). Nach dem Gesagten ergibt sich, daß das Klagelied nach dem 14. Oktober 1211 entstanden ist. Nun hören wir in v. 42–43 Guiraut mit Bezug auf den Verstorbenen klagen: „si visques mais un an servir a Dieu”. Diese Worte beziehe ich auf den Sieg bei Navas de Tolosa am 16. Juli 1212. Er bedeutete höchsten Ruhm für die Waffen des Christentums unter Führung des Königs von Kastilien und wurde im ganzen christlichen Europa entsprechend gewürdigt (42). Die Siegesfeier in Toledo war ein Triumph Alfons’ VIII.; um so schmerzlicher mußte er den Tod seines Nachfolgers empfinden, der nicht mehr an dem Feste teilnehmen konnte, das ihn, wie Guiraut sagt, gezeigt hätte als den, der „era sobre totz elegitz el melhor loc”, wenn er eben noch ein Jahr gelebt hätte. So ist die Entstehung des Liedes bald nach dem 16. Juli 1212 anzusetzen, und in der Tat mußte nach dem Siege der planh weit größere Wirkung haben als während der unruhigen, nach Ferdinands Tod zunächst noch herrschenden Kriegszeiten, in denen nur Hoffen und Bangen um den Erfolg des Glaubenskampfes eine Stimme hatten (43).
Die Möglichkeit einer ungefähren Datierung gibt vielleicht weiter das Descort Nr. 8 (44). Hier spricht der Dichter davon, daß er im Falle einer Erhörung durch die geliebte Dame keine Pilgerfahrt zur Rettung seiner Seele zu unternehmen brauche. Wir hören v. 67–70:
E si’m crezia
Ja mais no·m calria
Faire romaria
Per m’arma guerir.
Und in demselben Gedicht heißt es v. 50–53:
Ai en leis m’esperansa
Con pelegri
Outramari
Crezon en l’om de perdonansa.
Solche Gedanken erinnern an eine Stelle bei Gaucelm Faidit (Gr. 167, 15), wo dieser seine Dame wegen eines begangenen Unrechts zur Verzeihung zu bewegen sucht mit den Worten:
. . . ges non puesc far leyal romavia
Si en abans non era adrechuratz (M. W. II, 104).
Dies Gedicht ist Anfang Sommer 1202 entstanden (45). Es liegt nahe, auch die Entstehung unseres Liedes in die Zeit vor dem Beginn des vierten Kreuzzuges zu legen. Mag sich Guiraut, wie Gaucelm Faidit, ernstlich mit dem Gedanken getragen haben, übers Meer zu wallfahrten, oder nicht, die Verse lassen doch immerhin darauf schließen, daß sie in einer Zeit entstanden sind, wo Kreuzzugsgedanken alle Welt bewegten. Ich nehme daher an, daß das Gedicht vor dem Beginn des vierten Kreuzzuges und, da die Eingangsverse vom „temps qui meillura” sprechen, wahrscheinlich im Frühjahr 1202 verfaßt ist.
Die Entstehung von Guirauts Ensenhamen „Fadet joglar” fällt, wie Keller (46) in überzeugender Weise dargelegt hat, „ans äußerste Ende des 12. Jahrhunderts”, bestimmt nach 1195. Ich halte es für wahrscheinlich, daß dieses Gedicht eines der ersten poetischen Erzeugnisse Guirauts ist, von den erhaltenen wohl das älteste. Denn es ist dasjenige, welches am meisten die Hand des Anfängers verrät. Formal geht es offenbar auf den Cabra joglar des Guiraut von Cabreira zurück, während unser Dichter in den meisten seiner späteren Lieder eine bemerkenswerte Originalität zeigt (47). Auch die inhaltliche Beeinflussung und Anregung von seiten des älteren Ensenhamen ist unverkennbar. Die Leistung Guirauts besteht nur darin, daß er „sozusagen ohne Ausnahme nichts aufzählt, was schon in dem Cabra joglar enthalten ist” (48). Zweifellos kann man feststellen, daß der Ausdruck oft wenig geschickt ist, was sicher nur zum geringen Teil auf die mangelhafte Überlieferung zurückgeführt werden dürfte. Ich erblicke im Fadet joglar einen vielleicht ersten poetischen Versuch, in dem der Verfasser die Kenntnisse verbreiten möchte, die er im Laufe seiner Ausbildung und bisherigen Tätigkeit im Spielmannsberuf gewonnen hat (49). Der angehende Poet mußte sich nun natürlich nach einem Gönner umsehen, den er in der Person Peters II. von Aragon (50) erblickte; und so beauftragt er denn den Spielmann Fadet, mag er nun eine historische oder eine erfundene Gestalt sein, v. 230–34:
tu t’en iras
en Arago, senes falhir,
al jove rei,
qu’autre non vei
mielhs sapcha bos mestiers grazir.
Als der „junge König” 1196 den Thron bestieg, war er 20 Jahre alt und mochte wohl schon „einiges Verdienst um die provenzalische Poesie und speziell durch die Fürsorge für die Joglars, besonders in den Augen eines offenbar um seine Gunst buhlenden Schmeichlers, sich erworben haben” (51). Und es erscheint natürlich, daß ein junger Dichter sich keinen günstigeren Augenblick für den Erwerb der Gönnerschaft eines Fürsten aussuchen konnte als die Zeit der Thronbesteigung. Ich halte es daher für wahrscheinlich, daß innerhalb des von Keller bezeichneten Zeitraumes das Jahr 1196, bald nach dem am 26. April erfolgten Tode Alfons II. von Aragon, als Entstehungszeit des Gedichtes anzusetzen ist.
Vielleicht ist noch aus dem Lied Nr. 1 ein Datum für sein Entstehen zu gewinnen. Es wendet sich an eine Dame, an die der Dichter offenbar zum ersten Male seine Liebesverse richtet (52). Der neuen Herrin gibt er den Namen „Belhs Diamans” (53), den er in einem hübschen Wortspiel mit bels dias begründet (54). Nun finden wir den Verstecknamen „Belhs Diamans” außer in einem weiteren Gedicht Guirauts (Nr. 2) noch bei Gaucelm Faidit (Gr. 167, 56). Die Verse (2. tornada) lauten hier:
Belh Diamanz, belh m’es vostra beutatz,
e bel lo pretz on quascun jorn pauzatz.
(zitiert nach M. G. 445 = Hs. C). Der senhal bezeichnet vermutlich Maria von Ventadorn (55), der G. Faidit viele andere Kanzonen gewidmet hat. Daß diese Beziehung auch in unserem Falle mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, möchte die Tatsache bestärken, daß Guiraut sein Gedicht Nr. 3 unter offener Namensnennung an Maria von Ventadorn (56) schickt. Dafür, daß zwei Dichter die gleiche Dame unter demselben senhal besungen haben, finden sich ja Beispiele. Nun ist Gaucelms Gedicht einem Liederzyklus zuzurechnen, der in den Jahren 1195 – 97 entstanden ist (57); es ist in diesem Kreise das achte von zehn Liedern, stammt daher wohl aus dem Jahre 1197. Da der Name „Belhs Diamans” in Guirauts Kanzone seinen Ursprung hat, muß Gaucelm Faidit ihn übernommen haben, d. h. unser Gedicht muß vor 1197 entstanden sein. Bedenkt man, daß immerhin eine gewisse Zeit zwischen Abfassung und Bekanntwerden eines Liedes verstreichen muß und daß der Fadet joglar nach dem 26. April 1196 anzusetzen ist, so dürfte die Entstehung unserer Kanzone in die zweite Hälfte des Jahres 1196 fallen.
Damit ist die kurze Reihe der einigermaßen datierbaren Gedichte beendet. Zur Einordnung anderer Lieder in einen größeren Rahmen mögen folgende Betrachtungen dienen:
Nr. 1, 2 und 3 sind, wie wir sahen (58), der Maria von Ventadorn gewidmet; sie gehören offenbar einem Zyklus an, dessen Entstehung in die Jahre 1196 (in dem Nr. 1 verfaßt wurde) und folgende fällt. Zu diesem terminus a quo stimmt auch die Tatsache, daß Nr. 3 zugleich an Peter II. gerichtet ist, der erst seit 1196 König war. An denselben wendet sich auch Nr. 4, so daß sich dieses Gedicht vielleicht ebenfalls an die genannten drei Lieder anschließt. Einen terminus ad quem für ihre Entstehung anzugeben, dafür bieten sich schwerlich Anhaltspunkte, wenn sie natürlich auch sicherlich nicht nach 1213, dem Todesjahr Peters II., entstanden sein können (59).
Innerhalb der vier Maria von Ventadorn-Lieder (60) dürfte sich nun eine chronologische Reihenfolge herstellen lassen aus inhaltlichen und metrischen Erwägungen heraus. In Nr. 1 zeigt der Dichter sich als hoffnungsvoller Liebhaber, der soeben die Fessel einer unerwiderten Liebe abgeschüttelt hat (v. 1–6 u. v. 47) und sich nun voll guten Mutes seiner neuen Dame zuwendet. Nr. 4 spricht von der Geliebten als von einer „flors blanch’ e clara”, die dem Dichter sein Herz „alques franc” erhält (v. 29–30). Sie ist ihm der erfreuliche Gegenpol zu den verdrießlichen Dingen des Alltags. Allzuweit ist er aber noch nicht mit ihr gekommen: er schilt auf die „malvatz entendedor” (v. 20), die loben, was Tadel verdient hätte. Als entendedor bezeichnete man die Liebhaber, die von den vier zum allegorischen Liebespalast führenden Stufen bis zur dritten gelangt sind (61). Wenn also Guiraut auf sie schlecht zu sprechen ist, indem er sie zu den lauzenjador rechnet, so heißt das, er selbst hat es bei seinen Annäherungsversuchen an die Dame noch nicht bis zum entendedor gebracht. Wir hören, daß sie ihn nicht wohl aufnimmt (v. 43); er bittet sie, seine Qual abzukürzen (v. 33); er hofft sehnsüchtig auf Erhörung (v. 41) und beteuert trotz aller bisherigen negativen Erfolge seine aufrichtige Liebe (v. 42, 45–49), beklagt sich aber andererseits offen über die Zurückhaltung der Dame (v. 36–39). Solche Klagen hören wir noch nicht in Nr. 2, wo der Dichter das uneingeschränkte Lob der Geliebten singt, und auch nicht in Nr. 3, wo uns aber deutlich gesagt wird, daß Guiraut sich der Dame „en loc de prejador” (v. 17) ergeben hat (62), und diese Äußerung stimmt zu den lamentierenden Betrachtungen in Nr. 4. Demnach würde der inneren Entwicklung eine Anordnung der Lieder in der (von mir auch gewählten) Reihenfolge Nr. 1, 2, 3, 4 entsprechen.
Unter metrischem Gesichtspunkt ließe sich eine Parallele hierzu ziehen (63). Nr. 1 liegt ein bekanntes, einfaches Reimschema zugrunde, das sich leicht aus einem Vorbild a b b a c d d c ableiten läßt, dem die formschöpfende Tätigkeit des Dichters einen neuen, schweren Reim e’ hinzufügte, für den er ein nachweisbares Rimarium bei Arnaut Daniel fand. Dieses verhältnismäßig einfache und unselbständige Schema macht in Nr. 2 einem etwas komplizierteren Unikum Platz, das aus zwölf Sechssilbnern eigenartiger Reimstellung besteht, denen ein Viersilbner und ein Zehnsilbner neuer Reime angehängt sind. Noch geschickter ist Nr. 3 als originelle Mischung von Vier-, Acht- und Zehnsilbnern. Und Nr. 4 ist ein Kunstwerk Guirauts, das einen deutlichen Beweis für seinen Formsinn liefert: sieben coblas unisonans von je sieben Zeilen, deren jede ein Siebensilbner ist; von den fünf Reimen sind drei oder vier als „schwer” anzusprechen. Diese Aufwärtsentwicklung der Formbeherrschung entspricht der nach dem Inhalt getroffenen Anordnung der vier Lieder, die demnach einigermaßen evident sein dürfte.
Im Jahre 1212 finden wir Guiraut am Hofe König Alfons’ VIII. von Kastilien (64). Es ist festzustellen, daß auch die Lieder Nr. 6 und 10 an diesen bekannten Gönner der Trobadors und Spielleute gerichtet sind. Wann unser Dichter sich an ihn gewandt hat, ist wohl nicht mit Gewißheit auszumachen. Möglich ist, daß Nr. 6 auf die Übersiedlung nach Kastilien anspielt. Der Verfasser spricht hier zu seiner Dame (v. 57–60):
E doncs, si·m vir
Vas lo bon rei valen
De pretz manen,
De Castella, no·us tir . . .
Ich glaube, daß se virar rein örtlich aufzufassen ist; die Verse wären also kurz vor Antritt der Reise nach Kastilien verfaßt worden. Welches die angeredete Geliebte Guirauts war, wo sie ihren Wohnsitz hatte, von wo der Dichter aufbrach, das wissen wir nicht.
Daß er inzwischen nicht ständig Peter II. von Aragon als einzigen Gönner gehabt hat, zeigen uns andere Lieder. Die allegorische Kanzone Nr. 7 ist an den Markgrafen Wilhelm VIII. von Montpellier gerichtet. Dieser Fürst, der auch von anderen Trobadors genannt wird, starb im Jahre 1202, wodurch sich dies Datum als terminus ad quem für die Entstehung des Liedes ergibt (65). Ein terminus a quo findet sich mit dem Jahre 1196, da Keller (66) überzeugend dargelegt hat, daß die Kanzone nach dem Fadet joglar entstanden sein muß. Wir sahen, daß Guiraut das Gedicht am Hofe von Le Puy-en-Velay vorgetragen hat (s. weiter oben im Text). Andererseits nehmen wir an, daß er sich verhältnismäßig bald nach Beginn seiner poetischen Tätigkeit in die Gascogne gewandt hat, denn „mal abelivols fo en Proensa” (s. weiter oben im Text). Da nun seine ersten Gedichte etwa ins Jahr 1196 zu setzen sind, werden wir nicht fehlgehen, wenn wir sagen, daß die Kanzone nach 1196 in den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts entstanden sei (67).
Das Gedicht Nr. 5 ist an einen Peire von Gavaret gerichtet. Er wird erwähnt in der zweiten in Hs. R enthaltenen Lebensnachricht des Savaric von Malleo (68). Dieser „avia amada et onrada lonc temps una dona gentil de Gascuenha, ma dona Guillerma de Benaujas (69), molher que fo d’en P. de Gavaret, qu’era vescoms de Benaujes (70) e senher de S. Macari (71) e de Lengo (72)”. Der Name ist weiter erhalten in Urkunden von 1219 und 1228 (73). Gavaret kann (nach Hist. Gén. X, 371) sowohl Gabarret, Landes, Arr. Mont-de-Marsan, wie Gavarret, Gers, Arr. Lectoure, Kanton Fleurance, sein. Der Vicomte Peire von Gavaret ist selber dichterisch tätig gewesen. Uns ist von ihm ein Sirventes (Gr. 343) erhalten, das er an Peire Durban gerichtet hat, der ihm darauf seinerseits ein solches zugeschickt hat (Gr. 340), welches beginnt:
Peironet, ben vos es pres,
Carsai, vos a faich venir
Gavaretz. . . (Archiv 34, 193.)
Der Überbringer beider Gedichte ist Peironet, vermutlich der Joglar des Peire von Gavaret, gewesen (74). Der Name Peironet findet sich auch sonst (75).
Diese Feststellungen über Peire von Gavaret geben keinen Anhalt zur Chronologisierung des Gedichtes Nr. 5; wir sehen nur, daß es in der Gascogne entstanden ist. Sehr wahrscheinlich aber ist, daß es vor die am Hofe von Kastilien verfaßten zu setzen ist, denn im Jahre 1214, dem Todesjahr Alfons’ VIII., das also terminus ad quem für die letzteren ist, war Guiraut etwa 50 Jahre alt. Daß er da noch wieder umhergezogen sei und Liebesgedichte gemacht habe, ist schwerlich anzunehmen; und gar im südlichen Frankreich herrschten seit 1209 die Unruhen der Albigenserkriege, die so manchen Sänger aus der Heimat vertrieben hatten über die Alpen und Pyrenäen (76). Sollte auch Guiraut vor ihnen ausgewandert sein, um nach Kastilien zu ziehen, wo gute Aufnahme ihm gewiß sein durfte? Diese Annahme läßt sich nicht beweisen, könnte aber Guirauts Fortgang aus der Heimat erklären. So möchte ich die Entstehungszeit der Gedichte Nr. 6 und 10 durch die Jahre 1209 und 1214 umgrenzen. Dadurch verschiebt sich vielleicht der terminus ad quem für Nr. 1–4 nach rückwärts von 1213 auf 1209 (77), denn wir nehmen an, daß Guiraut diese Gedichte als Schützling Peters II. von Aragon verfaßt hat (78) und sich damals in der Gascogne, zum mindesten aber nördlich der Pyrenäen befunden hat (79). Es ist wahrscheinlich, daß die Entstehung weit früher als 1209 anzusetzen ist, da man kaum glauben möchte, daß sich die Schöpfung von vier Liedern, die derselben Dame gelten und innerlich zusammenhängen, über einen Zeitraum von mehr als 12 Jahren (1196–1209) verteilt habe. Außerdem sahen wir, daß unser Dichter noch vor 1209 auch das Lob anderer Herren als Peters II. gesungen hat (80); und vermutlich hat er auch vor dieser Zeit noch anderen Damen als der Maria von Ventadorn gehuldigt, denen die Verstecknamen „Papagei” (s. u.) und „Mon Sen” (81) gelten.
Keine Möglichkeit der Datierung bietet das Descort Nr. 9. In ihm sagt sich Guiraut von einer unerbittlichen Dame los, die er mit dem (eben genannten) senhal „Papagei” bezeichnet. Denselben Verstecknamen finden wir noch in zwei Liedern des G. Augier Novella (Gr. 242, 61 und Gr. 205, 2 = ed. Müller Nr. 5 und Nr. 3). Er bezeichnet hier Azalais von Boissazon, die Gattin eines Bernart von Boissezon (82), Herrn von Lombers (83) (beide Ortschaften im Dep. Tarn gelegen), dessen Name urkundlich zu den Jahren 1156 und 1202 belegt ist. Der Name der Dame ist nur aus der Dichtung bekannt; ihr huldigte auch Raimon von Miraval eine Zeitlang (84). Bergert hält eine Identität des „Papagei” unseres Dichters mit Azalais von Boissazon für nicht ausgeschlossen, zumal G. Augier Novella (nach Müller: um 1185 bis nach 1231) ein Zeitgenosse Guirauts war und des öfteren zwei verschiedene Trobadors dieselbe Dame unter dem gleichen Verstecknamen besungen haben. In Ermangelung näherer Hinweise muß aber die Lösung der Frage dahingestellt bleiben.
Ich gebe in der nun folgenden Tafel eine Übersicht über die aus den chronologischen Betrachtungen gewonnenen Resultate, wobei ich mich im wesentlichen auf Angabe von terminus a quo und terminus ad quem beschränken muß, da eben das vorliegende Material leider gar zu dürftig ist:
Nach diesen Feststellungen soll nunmehr versucht werden, die ungefähre Geburtszeit Guirauts zu ermitteln. Dazu können natürlich nur die einigermaßen sicher datierbaren Gedichte benutzt werden; ich glaube, aus Nr. 1 und 11 ein ziemlich zuverlässiges Ergebnis gewinnen zu können.
Nr. 1 stammt, wie wir sahen, vermutlich aus der zweiten Hälfte des Jahres 1196; wir wissen, daß in diesem Liede die Rede ist von abgeschüttelten Fesseln einer unglücklichen Liebe, die den Dichter dem Tode nahe schmachten ließ, die er aber jetzt überwunden hat. Wenn bereits ein solches Liebeserlebnis hinter ihm lag, ist billigerweise anzunehmen, daß Guiraut kein Jüngling mehr, sondern, sagen wir, mindestens 25 bis 30 Jahre alt war. Wenn wir andererseits feststellten, daß der Fadet joglar, ebenfalls 1196 verfaßt, wohl des Dichters frühestes poetisches Erzeugnis ist, das er gewissermaßen als Krone seiner Ausbildung und ersten Tätigkeit im Spielmannsberuf schmiedete, so mag auch diese Annahme mit dem genannten Alter in Einklang stehen. Wir würden also auf die Zeit 1165–1170 zurückgeführt. Dieser Vermutung gilt es aber eine weitere Stütze zu geben.
Das Klagelied Nr. 11 ist im Jahre 1212 entstanden. Nun hören wir, daß der verstorbene Infant Ferdinand den drei Söhnen Heinrichs II. von England, nämlich Heinrich III., Richard Löwenherz und Gottfried von der Bretagne, „semblava de cors e de faissos” (85). Aus diesen Worten schließt Eméric-David, daß Guiraut die drei persönlich gekannt haben müsse (86). Das ist ein Schluß, der überzeugend erscheint (87). Wo freilich diese Bekanntschaft stattgefunden haben mag, das bleibt unerfindlich. Doch bot sich dazu während der Züge der unruhigen Prinzen durch Frankreichs Gaue wohl Gelegenheit; und es mag sein, daß sich die Bekanntschaft auf ein ein- oder mehrmaliges bloßes Sehen beschränkte. Da nun Jung-Heinrich (III.) schon am 11. Juni 1183 starb, kann die Begegnung spätestens zu dieser Zeit stattgefunden haben; und wenn Guiraut noch nach fast dreißig Jahren ein so lebendiges Bild vom Aussehen der drei Brüder in sich trug, daß er ihre Ähnlichkeit mit dem gestorbenen kastilischen Thronfolger glaubte feststellen zu können, so muß er zur Zeit, da er dieses Bild in sich aufnahm, doch mindestens ein Alter von 10 bis 15 Jahren gehabt haben. Daß er kaum viel älter und wohl noch nicht über 20 Jahre alt sein konnte, ist anzunehmen, weil wir ihn rund dreißig Jahre später noch als Verfasser von Kanzonen finden, die man einem in den Fünfzigern stehenden oder noch älteren Sänger billigerweise nicht mehr wird zumuten wollen. So kommen wir mit 1168–1173 auf einen Termin, der ungefähr mit dem auf anderem Wege ermittelten Zeitraum 1165–1170 zusammenfällt, so daß die Geburt des Dichters mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Zeit rund um 1170 gesetzt werden darf (88). ―
Die Möglichkeit, nunmehr trotz der recht dürftigen Hilfsmittel eine Lebensskizze unseres Trobadors zu entwerfen, ist nur in geringem Umfang gegeben. Wenn es dennoch versucht wird, so geschieht das immer mit dem nötigen Vorbehalt und unter möglichster Vermeidung von bloßen Vermutungen, obwohl natürlich zugegeben werden muß, daß es nicht angeht, ein Gesamtbild herzustellen ohne eine gewisse hypothetische Kombination der gegebenen Einzelzüge.
Guiraut von Calanso wurde um 1170 geboren, seine Heimat ist nicht festzustellen. Wir nehmen an, daß er eine gute Schulausbildung genossen hat, die er in gründlicher Vorbereitung zum Spielmannsberuf verwerten und erweitern konnte; denn die Lebensbeschreibung sagt uns: „ben saup letras” (89). Ob er zum Joglar von vornherein bestimmt war oder zunächst einen anderen Beruf versah, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls sehen wir ihn im Alter von etwa 25–30 Jahren seine ersten Gedichte verfassen; seine erste unglückliche Liebe hat er in dieser Zeit bereits hinter sich, ― wem sie galt, wissen wir nicht; daß sie Lieder zeugte, ist nicht nachzuweisen und auch kaum wahrscheinlich. Zum Gönner erwählt Guiraut sich den als Freund der Trobadors und Joglars bekannten König Peter II. von Aragon, wohl um die Zeit, als dieser den Thron bestieg (1196). Ob er am Hofe von Aragon geweilt hat oder aber dem Könige als Herrn nördlich der Pyrenäen gelegener Territorien huldigte, muß ungewiß bleiben. Im Fadet joglar sagt er zum Spielmann (v. 230–31): „tu t’en iras en Arago”; daraus möchte auf lokale Trennung zu schließen sein. Und wir wissen: „les troubadours n’avaient pas besoin de passer les ports pour offrir leurs hommages à ces deux princes (nämlich Alfons II. und Peter II. von Aragon) qui eurent mille occasions de visiter leurs domaines transpyrénéens et de les parcourir en tous sens, d’Aix à Perpignan” (90). So ist sehr wohl anzunehmen, daß Guiraut damals nicht in Spanien war, zumal wir ihn vor 1200 am Hofe zu Le Puy-en-Velay und noch vor 1202 auch als Schützling des Markgrafen von Montpellier finden (91). In diesen ersten Jahren gelten seine Lieder vermutlich der edlen Maria von Ventadorn; ob Guiraut an ihrem Hofe in Limousin geweilt hat oder ihr nur aus der Ferne huldigte, bleibt ungewiß. Wie sich sein Verhältnis zu ihr gestaltete, ist nicht ersichtlich. Doch hören wir aus den bestimmt an sie gerichteten Liedern keine Töne klingen, die auf irgendwelche Erfolge schließen lassen. Im Frühjahr 1202 hat sich Guiraut vielleicht mit Kreuzzugsgedanken getragen; ob sie theoretisch blieben oder zur Ausführung gelangten, wissen wir nicht. Die von ihm damals besungene, uns unbekannte Dame benannte er vielleicht mit dem Verstecknamen „Mon Sen”. Nachdem Guiraut sich von Montpellier fortgewandt hat, verlieren wir seine Spuren auf einige Zeit. In der Provence wird er sich nicht viel aufgehalten haben, da er dort nicht beliebt war, wie die Biographie mitteilt; wir finden ihn aber in der Gascogne bei Herrn Peire von Gavaret, einem Edlen, dessen Wohnort im heutigen Departement Gironde lag. Und in der Gascogne wird er hauptsächlich geweilt haben, weshalb ihn die Lebensnachricht auch als „joglar de Gascoingna” bezeichnet. Vielleicht ist er auch im südlichen Languedoc gewesen als Verehrer der Azalais von Boissazon, doch ist das nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die ausbrechenden Unruhen der Albigenserkriege (1209) treiben Guiraut dann wie so viele seiner Kunstgenossen aus der Heimat. Er zieht nach jenseits der Pyrenäen an den gastfreien Hof zu Kastilien, wo König Alfons VIII. gar manchem Sänger ein wohlwollender, verständnisvoller Schutzherr war. In der Heimat hat Guiraut inzwischen noch einer, vielleicht auch mehreren nicht bekannten Damen gehuldigt. Jetzt in Kastilien gelten seine Lieder wiederum einer unbekannten Schönen diesseits oder jenseits der Berge. Hier wird er Zeuge des großartigen Triumphes der christlichen Sache über die Mohammedaner im Jahre 1212, wo unter Alfons’ VIII. siegreicher Führung der mächtige Erfolg bei Navas de Tolosa errungen wurde. Mit dem Volke aber nimmt er an dem unglückseligen Tod des hoffnungsvollen Thronfolgers Ferdinand teil in einem tiefempfundenen Klageliede. Dann verlieren sich seine Spuren für immer im Dunkel der weiteren Geschichte. Wenn Guiraut den Tod seines Schutzherrn (1214) erlebte, war er damals etwa 50 Jahre alt. Nach Liebesabenteuern stand ihm wohl der Sinn nicht mehr, um von Hof zu Hof zu ziehen, und in der Heimat sah es trostlos aus. Weitere Lieder von ihm kennen wir denn auch nicht, und vielleicht mag er in diesen Jahren gestorben sein. Doch ist zur Bestimmung der Zeit seines Todes keinerlei Anhalt gegeben.
Die Lieder Guirauts „zeigen, daß er kein unberufener Sänger war” (92). Wir können in seiner künstlerischen Entwicklung ein ständiges Wachsen der Form- und Sprachbeherrschung beobachten, vor allem in der ersten Zeit seiner dichterischen Tätigkeit. In der Formgebung zeigt er offensichtlich ein Streben nach Originalität, und wenn sich, was die Sprache angeht, eine gewisse Neigung zum trobar clus auch nicht verkennen läßt, als dessen Anhänger sich Guiraut selbst bekennt und das ihn manchmal den Gedanken zugunsten der Form vernachlässigen läßt, so begegnen doch andererseits kräftige Bilder und Vergleiche, die zweifellos eine große sprachliche Begabung erkennen lassen. Das eigentliche Gebiet Guirauts ist die Kanzone, die er, abgesehen von der Ausbildung der eben genannten eigenen Züge, in der herkömmlichen Weise pflegt. Sein besonderes Interesse gilt in der ersten Zeit dem Studium der Allegorien der Liebe. In einer Sirventes-Kanzone zeigt er sich als unzufriedener Kritiker der verfallenden hohen Tradition seiner Kunst. Gegenüber seinen Gönnern ist er ein schmeichelnder, manchmal stark übertreibender Sänger, der auch zuweilen eine mehr oder weniger deutliche Anspielung auf Belohnung nicht verschmäht. (Darin standen ihm seine Kunstgenossen um nichts nach, das war allgemeine Sitte. Und Guiraut mag als Spielmann vielleicht nicht in den besten Verhältnissen gelebt haben.) Als Liebhaber ist er der zuversichtliche, schmachtende, klagende, verzweifelnde, konventionelle Trobador. In seiner Totenklage kommt ein wahrer, großer Schmerz zu kunstvollem, tiefem Ausdruck. – Über seine dichterischen Erfolge berichtet uns die Lebensnachricht, daß seine Lieder in der Provence nicht beliebt waren und er wenig Ruf hatte, eine Mitteilung, die zu bezweifeln wir kein Recht haben, die uns aber verwundern muß in Anbetracht seines durchaus nicht unbedeutenden dichterischen Könnens und der ausdrücklichen Angabe der Biographie, er sei ein gewandter Dichter gewesen: suptils fo de trobar. (↑)
III. Metrisches.
Nr. 1.
Das Gedicht (Kanzone) besteht aus 5 cobl. unis. und einer tornada.
Schema: 10a 10b 10b 10a 10c 10d 10d 10c 10e’.
Reime: e.r, e.ns, ir, o.r, andres.
Maus Nr. 588 verzeichnet das Schema als Unikum. Es ist zurückzuführen auf das vielverwandte Schema a b b a c d d c (Maus Nr. 579), dem ein neuer Reim e (weiblich) hinzugefügt wurde. Vorbild für die Anwendung dieses schweren Reimes war in unserem Falle Arnaut Daniel, Gr. 29, 4 (vgl. Einleitung, I. Guirauts literarischer Nachlaß), mit dem das Gedicht aber sonst nichts gemein hat.
Das Gedicht (Kanzone) besteht aus 5 cobl. unis. und einer tornada.
Schema: 6a 6b 6b 6c 6a 6c 6d 6d 6e 6e 6f 6f 4g 10h’ (g und h sind Körner).
Reime: e.r, o.ry atz, o.s, ęns, itz, art, atges.
Maus Nr. 621 führt das Beispiel als Unikum an.
Reicher Reim: dormens : eisamens (65 : 66).
Reimwortwiederholung: valor (31 u. 58), guitz (49 u. 54).
Nr. 3.
Das Gedicht (Kanzone; oder Halbkanzone?) besteht aus 5 (4?) cobl. unis. und einer tornada. (Vgl. die Anm. zu v. 34.)
Schema: 8a 4a 8b 4c 8c 4d 8e 4e 8d 10f 10f.
b ist Korn bei Zugrundelegung des mitgeteilten Schemas. Doch ist darauf hinzuweisen, daß ursprünglich vielleicht in dem ersten Verse jeder Strophe in der fünften Silbe eine Bindung des Reimes -es stattgefunden hat. Es entsprechen an den betreffenden Stellen in Cobla I, II res : bes, m’es : conques. In Cobla III würde nach der Lesart von Hs. R diesem Verhältnis merces (aus merce !) : promes entsprechen und sich demnach vielleicht als besser erweisen. In Cobla V ist ein Nachweis nicht möglich, doch ist die Überlieferung der ganzen Kanzone (in nur 2 Hss.) wohl ziemlich mangelhaft (vgl. Anm. zu v. 34), so daß hier durchaus Textverderbnis vorliegen könnte. Eine Rekonstruktion der ursprünglich demnach vielleicht vorliegenden Reimverhältnisse ist beim Stande der Überlieferung nicht möglich, so daß ich mich mit den gegebenen Hinweisen begnügen muß.
Reime: an, e.s, o.rs, ar, e.rs, ir.
Maus Nr. 192 verzeichnet das Schema als Unikum.
Nr. 4.
Das Gedicht (Sirventes-Kanzone) hat 7 cobl. unis. und eine tornada.
Maus verzeichnet das Schema unter Nr. 704, 2. Es findet sich demnach außerdem bei G. Riquier 46, der wohl G. von Calanso als Vorbild benutzt haben mag. Daß er ihn kannte, beweist sein poetischer Kommentar Als subtils aprimatz.
Das Gedicht (Kanzone) besteht aus 5 cobl. unis. und einer tornada.
Schema: 4a 6b 4b 6a 4a 6c 4c 10d 10d 10e 10e.
Reime: ęn, ir, o.r, atz, e.r.
Maus verzeichnet das Schema unter Anm. 2, 38 (S. 89).
Chabaneau und Jeanroy (Jongleurs) drucken unter Annahme von Binnenreimen das Gedicht in folgender Gestalt:
Tan doussamen – mi ven al cor ferir
D’ungran dezir – Amors que·m te jauzen,
Qu’ieu muer planhen – d’una doussa dolor
Que·m ve d’amor ;
Per o si am e crei que sia amatz,
Que plus destrenh, on om n’es plus privatz,
Lo mals d’amor, quant om non pot aver
Lo domnejar – ni·l baizar ni·l jazer.
Es läge demnach zugrunde das Schema:
10a 10b 10c 4c 10d 10d 10e 10e,
das Maus unter Nr. 766 aufführt; es kommt vor bei Arnaut von Maruelh 23 und Peire Duran 1 (93). Ich habe mich nicht entschließen können, diese Anordnung beizubehalten, zumal auch die Hss. in der Versbezeichnung recht unterschiedlich verfahren. Eine genauere schematische Darstellung der Strophen mit Binnenreim wäre folgende (kl. Buchst. = Binnenreim, gr. Buchst. = Endreim):
10a
B
10b
A
10a
C
4
C
10
D
10
D
10
E
10f
E
Ich glaube, daß diese Binnenreime in ihrer Beziehung zum Endreim, vor allem durch das Verhältnis a : A : a (in v. 1–3), kaum als solche zu rechtfertigen sind, während die Reime in der von mir angenommenen Folge deutlich hervortreten. „Von Binnenreim kann .... nur da die Rede sein, wo ein bestimmtes Versschema, z. B. der Zehn- oder Zwölfsilbner, vorherrscht..... Jedenfalls lassen sich in der metabolischen Strophe (d. i. Strophe, in der „kürzere und längere Zeilen vermischt sind”) aus den Texten weder Gründe für noch gegen denselben vorbringen, hier wird nur die musikalische Composition die Frage zur Entscheidung bringen können” (94). In unserem Gedicht kann man aber, meine ich, nicht ohne weiteres von dem Vorherrschen eines bestimmten Versschemas reden. Ich nehme nur im jeweils letzten Vers jeder Cobla einen ungebundenen Binnenreim -ar an, der also als Korn aufzufassen ist (95); im übrigen zerlege ich die Zehnsilbner in Vier- und Sechssilbner und komme so zu dem mitgeteilten Schema. Ich werde hierzu auch veranlaßt durch die Vorliebe Guirauts für lange Coblen, die sich zweifellos in Nr. 2, 3, 6, 11 zeigt, sowie durch die Tatsache, daß er in den Stropheneingängen von Nr. 1, 6, 7, 11 die Reimfolge a b b a ebenfalls verwendet, während sich die Folge a b c sonst nicht bei ihm findet. Mischung von Vier-, Sechs- und Zehnsilbnern findet sich auch in Nr. 2, 5, 6 (96).
Das Reimschema (Maus, Anm. 2, 38; S. 89) ist zurückzuführen auf die sehr beliebte Formel
a b b a a c c d d
(Maus Nr. 471) durch Hinzufügung zweier neuer Reime (e); vgl. Klein, Mönch von Montaudon S. 104. Zuerst verwandt ist es vom Mönch von Montaudon und Raimbaut von Vaqueiras; welchem die Priorität zukommt, ist schwer zu entscheiden; vgl. Maus, S. 56; Klein, a. a. O. S. 104. Jedenfalls ist Raimbauts Gedicht vor 1196 entstanden (Maus, S. 56). Über das Verhältnis unserer Kanzone zu diesen Liedern ist nichts auszumachen; es kann ebensowohl Entlehnung wie selbständige Bildung der Form vorliegen, zum mindesten kann mit Rücksicht auf die Unterschiede im Versmaße (der Mönch hat Zehnsilbner, Raimbaut Achtsilbner durchgehend) von einer direkten Entlehnung unseres Dichters nicht die Rede sein.
Das Gedicht (Kanzone) besteht aus 6 cobl. unis. und 2 tornadas.
Schema: 10a 10b 10b 10a 10c 10c 10d 10d.
Reime: e.r, ir, e.s, at.
Maus Nr. 535, 20 verzeichnet eine sehr große Zahl von Beispielen für dieses auch mit anderen Versen und Verskombinationen häufig angewandte Reimschema.
Reicher Reim: vezer : plazer (9 : 12).
Nr. 8.
Das Gedicht ist ein Descort. Es läßt sich nach den von Appel, Vom Descort, gegebenen Ausführungen einteilen in 10 Strophen.
Jeanroy, Jongleurs S. 58–60, gibt in seinem diplomatischen Abdruck eine Einteilung in ebenfalls sieben Coblen und zwei tornadas; er nimmt Ausfall von einem Vers zwischen 22/24 und von zwei Versen zwischen 38/39 an; so erhält er:
also Str. I: 10 Verse, Str. II–VII: je 8 Verse, torn. VIII–IX: je 4 Verse.
Maus verzeichnet das Gedicht unter Nr. 11 als Unikum:
„a’ a a’ a/ a’ a a’ a Cobl. 1, 3, 5, 7;
a a’ a a’/ a a’ a a Cobl. (2), 4, 6, 8 (7 S.)«
Diese Angaben sind offenbar nicht zutreffend, zumal sie nach Mahn, Gedichte 338, gemacht sind. Maus scheint eine weitgehende Verstümmelung aus acht achtversigen Coblen anzunehmen. Sowohl diese Vermutung als auch die Annahme Jeanroys, daß zwischen v. 38/39 zwei Verse ausgefallen sind, kann ich nicht zu der meinigen machen. Jeanroys Rekonstruktion beruht sichtlich auf dem Wunsche, ein reguläres Kanzonenschema zu bekommen, was aber doch nur für Cobl. II–VII gelingt, während Cobl. I mit 10 Versen aus dem Rahmen fällt (102). Der so getroffenen Einteilung widerspricht aber auch die mit dem Wesen der Kanzone im allgemeinen in Gegensatz stehende Tatsache, daß zwischen Cobl. I/II und VI/VII ein ganz enger syntaktischer Zusammenhang besteht, eine Erscheinung, die andererseits charakteristisch ist für das Descort, das ja auch Ungleichheit der Strophen kennzeichnet. Die überlieferte Form des Gedichtes scheint in der Tat dafür zu sprechen, daß wir es mit einem Descort zu tun haben. Ich vermute den Ausfall eines einzigen Verses zwischen v. 22/24, den auch Jeanroy annimmt, und gelange zu folgendem Schema:
I.
a’ a a’ a a’ a a’ a
II.
b b’
III.
c’ c c’ c c’ c c’ c
IV.
d d’ d d’ (d) d’ d d’
V.
e’ e e’ e e’ e e’ e
VI.
f f’ f f’ f f’
VII.
g’ g g’ g g’ g g’ g
VIII.
h h’ h h’ h h’ h h’
torn. IX.
h h’ h h’
torn. X
h h’ h h’ (alles Siebensilbner).
Für die Auffassung des Gedichtes als Descort läßt sich geltend machen:
1. Die ungleiche Länge der Strophen.
2. Das Übergreifen des syntaktischen Aufbaus von einer Strophe zur anderen in I/II und VII/VIII.
Andererseits ließe sich der mögliche Einwand gegen die Auffassung als Descort, nämlich die Gleichheit der Verse, dadurch beseitigen, daß sich auch für diese Erscheinung Beispiele finden. Metrische Gleichheit von einigen Strophen ist nichts Seltenes beim Descort; das bekannte mehrsprachige Descort des Raimbaut von Vaqueiras hat sogar vier gleiche Coblen von fünf. Überhaupt bezeichnet die Doctrina de compondre dictats die abweichende Gestalt der Strophen nur als etwas Zulässiges, nicht als etwas Notwendiges; und die Leys d’amors besagen: „las . . . coblas . . . devon esser totas d’un compas o de divers” (Appel, Chrest. S. 199). – »Die dritte Besonderheit des Descorts, von welcher die Doctrina spricht, war vielleicht die charakteristischste, ist uns aber noch die mindest greifbare. Die Doctrina sagt: e que en lo cantar lla hon lo so deuria muntar, qu’il baxes. E fe lo contrari de tot l’altre cantar.” Der rechte Sinn der ersten Worte sei ihm nicht klar, meint Appel (103) und fragt sich, ob sie vielleicht so zu deuten sind, daß auch zwischen Inhalt und Singweise eine Diskordanz stattfinden solle (wie zwischen der Strophenform und dem Inhalt). Er fährt dann fort: „Zu erwägen ist schließlich, ob die Weise der Descorte stets eine individuelle war. Isnart d’Entrevenas will Descorte auf eine Weise des Blacatz machen (Gr. 254, 1). Das würde auf eine Benutzung fremder Melodien führen. Aber die Möglichkeit solcher Benutzung, sofern man sich nicht eines anderen Descorts bediente, und das wäre bei Isnart nicht geschehen, ist nicht klar, und von vornherein ist die Benutzung durchaus unwahrscheinlich.” (104) Ich meine, den Worten des Isnart von Entrevenas:
Del sonet d’En Blacatz
Sui tant fort enveios
Que descortz e chansos
E retroenzas i faz . . . (Choix 5, 40)
ist durchaus Beachtung zu schenken. Ich glaube, in unserem Descort eine Bestätigung für die Möglichkeit zu sehen, daß ein Descort nach einer Kanzonenmelodie gesungen werden konnte. Nehmen wir an, Guirauts Vorbild sei eine achtversige Siebensilbnerstrophe gewesen (ohne daß damit gesagt sein soll, daß er nicht vielmehr eine Originalform oder -melodie geschaffen habe) und er habe die dazugehörige Melodie zu seinem Descort gesungen. Wir haben unter Abzug der beiden tornadas 56 Verse, die sich in sieben Abschnitte von 8 Versen teilen lassen; d. h. die als Vorlage dienende, 8 Verse umfassende Melodie ließe sich siebenmal durchsingen ohne Rücksicht auf die Descortstropheneinteilung. Nun würde sich ergeben, daß am Ende der Verse die entsprechenden Noten manchmal auf männlichen, manchmal auf weiblichen Reim fielen. Die Melodie würde nämlich über folgende sieben „künstliche Strophen” sich wiederholen:
I.
a a a’ a a’ a a’ a
II.
b b’ c’ c c’ c c’ c
III.
c’ c d d’ d d’ d d’
IV.
d d’ e’ e e’ e e’ e
V.
e’ e f f’ f f’ f f’
VI.
g’ g g’g g’ g g’g
VII.
h h’ h h’ h h’ h h’.
Über diese rhythmische Erscheinung (Wechsel des Reimgeschlechts in verschiedenen Strophen desselben Liedes) äußert sich Appel, Vom Descort S. 215: „In wie weit eine Abweichung im Reimgeschlecht die Benutzung derselben Singweise verhinderte, ist noch nicht hinreichend untersucht. Für spätere Zeit beweisen die Lieder in der Agnes, daß eine Verhinderung nicht eintrat; auch in älterer Zeit war Wechsel des Geschlechts in den verschiedenen Strophen eines Liedes etwas so seltenes nicht.” Daß tatsächlich die gleiche Melodie in solchem Falle zur Anwendung gelangte, bestätigt Beck, Die Melodien der Troubadours S. 168: „Das Reimgeschlecht übt auf den Modus keinen Einfluß aus, weil die Reimsilbe auf eine gute Taktzeit fallen muß, welcher eine Pause zur Ergänzung des Taktes folgt, wenn der nächstfolgende Vers nicht auftaktig beginnt. Ist der Reim männlich (katalektisch), so füllt er den Zeitraum aus, welcher ihm durch seine Stellung im Modus zukommt, ist er weiblich (akatalektisch), so kann entweder der dem normalen Modusglied entsprechende Dauerwert so geteilt werden, daß die beiden Reimsilben auch nur die Dauer des männlichen Reims ausfüllen oder die überzählige, unbetonte Reimsilbe tritt an Stelle der pausa plana, oder aber, und dies hauptsächlich bei gewissen Kurzversarten, die Reimsilben werden über das durch den Modus festgesetzte Normalmaß hinaus gedehnt (105)”. Es ist demnach ersichtlich, daß vom musikalischen Standpunkt aus der mitgeteilten Auffassung nichts im Wege steht. Daß sich bei dieser Singweise eine Diskordanz zwischen Text und Melodie ergeben würde, ist klar; und auf sie könnten sich wohl die Worte der Doctrina beziehen: lla hon lo so deuria muntar, qu’il baxes. E fe lo contrari de tot l’altre cantar. In unserem Falle würde durch diese Verwendung der regulären Melodie noch ein besonderer Effekt erzielt, indem nur die der verlassenen, mitleidlosen Dame gewidmeten Strophen II–V die Diskordanz zwischen Wort und Ton geben würden, während mit Rekonstitution normaler Kanzonenverhältnisse über Strophe VI in Strophe VII und VIII die neue Geliebte in harmonischer Weise gefeiert wäre. – Beim Mangel jeglichen Notenmaterials als Unterlage für meine Ausführungen muß ich mich mit einem Hinweis auf ihren hypothetischen Charakter begnügen.
Ich fasse zusammen:
Das Gedicht ist ein Descort. Es besteht aus 8 Strophen und 2 tornadas.
Schema: s. oben; alle Verse sind Siebensilbner.
Reime:
a’
a
b
b’
c’
c
d
d’
e’
e
o˛uta
o˛utz
ir
ida
anha
anh
utz
uda
e.nda
ęn
f
f’
g’
g
h
h’
uęlh
uęlha
ęla
ęl
ar
ada
Die Reime sind grammatisch; die Aufeinanderfolge der Reimgeschlechter wechselt von Strophe zu Strophe.
Nr. 10.
Das Gedicht ist ein Descort. Die strophische Einteilung (10 Strophen + tornada) ergibt folgendes Schema, das schon Appel bei seinen Ausführungen Vom Descort (S. 213–14) festgelegt hat (allerdings in abweichender Formel):
Es ist hinzuweisen auf die in Str. I–VIII strikt durchgeführte Vierteilung des Schemas. In Str. IX wird sie durchbrochen, da die q-Verse zweimal dreisilbig, zweimal viersilbig sind. Str. X ließe sich vierteilen, wenn auch in v. 89 und 92 ein ai-Reim an der vierten Silbe aufträte (108). Da das Descort nur in einer Hs. erhalten ist, scheint es nicht unmöglich, daß in Str. IX u. X Textfehler vorliegen.
Zu den bisher zusammengestellten metrischen Erscheinungen sind noch folgende teilweise statistische Bemerkungen hinzuzufügen:
In Guirauts Gedichten beträgt die Zahl der Coblen:
4
in Nr.
3 (?)
5
“
1, 2, 3 (?), 5, 6, 11
6
“
7
7
“
4
8
“
9 (Descort)
10
“
8, 10 (Descorts)
Die Verszahl der einzelnen Cobla beläuft sich auf:
7
in Nr.
4
8
“
7
9
“
1
10
“
11
11
“
3, 5
14
“
2, 6
Folgende Versarten verwendet Guiraut in 9 Gedichten (nicht einbezogen sind die Descorts Nr. 8 u. 10; vgl. Übersicht II):
Übersicht I.
Was die Descorts Nr. 8 und 10 anlangt, so ist es mit Schwierigkeiten verknüpft, die in ihnen auftretenden Versarten mit Sicherheit in eine Statistik zu ordnen. Wie Appel, Vom Descort S. 215, feststellt, kann die Silbenzahl der Verse sehr verschieden sein. „Als Regel kann gelten, daß die Silbenzahl 8, oder selbst 7, nicht überschritten wird. Zehnsilbner oder gar Elfsilbner sind eine seltene Ausnahme. Sehr häufig dagegen sind ganz kurze Verse, von 1, 2, 3, 4 Silben, wobei man sich denn freilich immer wird fragen müssen, inwieweit diese kurzen Abschnitte nicht zu einem längeren Verse zusammengefaßt werden müßten.” Nach der oben schematisch angegebenen Einteilung treten in den beiden Descorts folgende Versarten auf:
Es ist aber darauf hinzuweisen, daß in Nr. 8 Str. V: 4f 4f 8 g’ und Str. VII: 4k 4k 2l 6h’ einander entsprechen könnten; ebenso in Nr. 10 Str. I: 3a 2a 3b und Str. IV: 3g 5b, sowie Str. V: 4h 4h 8b und Str. X: 8r 4s 4r; auch möchte entsprechend Str. VII und X die Formel 2i’ 3i’ 5k der Str. VI in 5i’ 5k zu kontrahieren sein. Es fällt in Nr. 10 überhaupt auf, daß Str. I aus vier Achtsilbern bestehen könnte mit je zweimaligem Binnenreim auf der dritten und fünften Silbe; ebenso aus Achtsilbnern mit teilweise einmaligem Binnenreim: Str. III, IV, V, VII, IX, X, während zu Zehnsilbnern mit ein- bezw. zweimaligem Binnenreim zusammengefaßt werden könnten die Verse in Str. II, VI, VIII, so daß das ganze Descort auf Acht- und Zehnsilbner reduziert werden könnte. Es sind zwar nicht alle Kontraktionen ohne Schwierigkeiten durchzuführen, doch da das Gedicht nur in einer Hs. überliefert ist, muß man mit Textverderbnissen rechnen. – Derartige Differenzen in der Auffassung der Descortverse würden natürlich die mitgeteilte Übersicht II völlig verändern.
Bei dieser Lage der Verhältnisse läßt sich ein sicheres Urteil über die vom Dichter bevorzugten Strophenzahlen und Versarten nicht fällen. Es wäre nur festzustellen, daß von 9 Liedern Guirauts 6 (oder 5?) aus je 5 Strophen bestehen (alle Lieder haben coblasunisonans) und daß 4-, 6- und 10-Silbner am häufigsten darin auftreten.
Die vorkommenden Verskombinationen veranschaulicht für 9 Gedichte (ausschl. Descorts Nr. 8 u. 10) folgende
Die Zehnsilbner haben Caesur durchweg nach der vierten Silbe. Caesur nach der sechsten wäre an folgenden Stellen zu konstatieren: Nr. 1, 3, 17; 7, 4; 11, 19. Lyrische Caesur (nach unbetonter vierter) findet sich: Nr. 1, 9; 7, 24, 46; 11, 48. Epische Caesur (nach der vierten Silbe) hat 3, 45.
Verschiedentlich läßt sich Alliteration nachweisen. Dies Kunstmittel ist aber von Guiraut wohl kaum bewußt angewandt worden (dazu tritt es zu wenig hervor), sondern findet sich eher in formelhaften Wendungen, in koordinierten Satzgliedern. Bei Untersuchung dieser metrischen Erscheinung muß immer wieder betont werden, wie es schon Zenker, Peire von Auvergne S. 71, mit Nachdruck tat, daß es „oft ganz unmöglich ist zu entscheiden, ob wirklich beabsichtigter Gleichklang oder vielleicht nur Zufall vorliegt” (113). Ich verzeichne folgende Stellen:
5) Nicht berücksichtigt wird hier und im folgenden Guirauts Ensenhamen„Fadet joglar”. Ausgabe: Wilhelm Keller, Das Sirventes „Fadet joglar” des Guiraut von Calanso, Erlangen 1905; vgl. dazu: Literaturblattf. germ. u. rom. Ph. 28 (1907), S. 205-9 (Schultz); Zeitschr. f. franz. Spr. u. Lit. 31 (1907), Abt. Referate, S. 23-26 (Stengel); Arch. 120 (1908). S. 235-37 (Appel); Zeitschr. f. rom. Ph. 1909, S. 486-91 (Zenker). (↑)
6) Daß das Gedicht auch in R (unter P. Vidal) steht, ist Bartsch entgangen; darauf macht Groeber, Die Liedersammlungen der Troubadours S. 589, aufmerksam; s. auch P. Meyer, Derniers troubadours S. 182. (↑)
7) Die Identität des Gedichtes mit Gr. 404, 12 ist Bartsch aus dem Grunde unerkannt geblieben, weil in E nur knapp vier Strophen der sechs coblasunisonans + tornada enthaltenden Kanzone überliefert werden, und zwar in der Reihenfolge V, IV, III, (II) nach Kjellmans Bezeichnung. (↑)
8) Er ist nachzutragen bei Erdmannsdorffer, Reimwörterbuch, unter „andres”, wo nur die Stelle aus A. Daniel verzeichnet ist. (↑)
9) Ihn bezeichnen als Verfasser des Gedichtes: Meyer, Derniers troubadours S. 27; Canello, La vita e le opere del trovatore Arnaldo Daniello S. 41; dagegen läßt G. Paris, Romania 17 (1888), S. 592, durch Meyer auf die Zweifelhaftigkeit der Autorschaft des G. von St. Leidier hingewiesen, die Entscheidung offen; ebenso Crescini, Nuove postille S. 43. Birch-Hirschfeld, Epische Stoffe S. 77, teilt das Gedicht G. von Calanso zu, zitiert aber offenbar nach Hs. C, so daß dieser Äußerung hier kein Gewicht beizulegen ist. (↑)
11) Gaucelm Faidit mag in der Kanzone S’om pogues partir (Gr. 167, 56) den gleichen Verstecknamen für dieselbe Dame von G. von Calanso übernommen haben; sein Lied entstand 1195-1197 (Robert Meyer, Das Leben des Trobadors Gaucelm Faidit S. 38). Diese Möglichkeit ist für die eventuelle Datierung unseres Gedichtes von Bedeutung. Vgl. „Biographisches". (↑)
12) Vgl. Catalogue des manuscrits français I, 307. (↑)
13) Diese Tatsache verdient höchstens insofern Beachtung, als beide Descorts untereinander stehend nur in der einen Hs. E überliefert sind, während die Lebensnachricht, nur in IK stehend, also unabhängig von E, tatsächlich G. von Calanso als Descortdichter hervorhebt. (↑)
19) Man darf hinzufügen: die dichterischen Erfolge. (↑)
20) Histoire Générale de Languedoc X, 352 Anm. 2. (↑)
21) Hist. Gén. a. a. O.; vgl. auch Ritters Geographisch-statistisches Lexikon; Stielers Handatlas, Blatt 30, H 3 (6/2) u. Blatt 31, A 4 (10/3); (hier findet man im Namenverzeichnis Chalançon und Chalençon, welche aber beide identisch sind!); P. Meyer, Romania 24 (1895), Karte zwischen S. 528/29; Vivien de Saint Martin, Nouveau Dict. de Géogr. (↑)
22) Hist. Gén. a. a. O.; vgl. Eitters Geogr.-stat. Lex.; P. Meyer, a. a. O.; V. de Saint Martin, a. a. O. (↑)
23) Dézobry et Bachelet, Dictionnaire de biographie et d’histoire I (10. Aufl.). Paris 1889; vgl. auch L. Lalanne, Dictionnaire historique de la France (2. Aufl.). Paris 1877: „Chalançon, terre et seigneurie de Velay (Haute-Loire) avec titre de marquisat, possédée par la maison de Polignac”. (↑)
24) Vgl. P. Meyer, Romania 24 (1895), S. 529 ff. (↑)
25) Eins seiner ersten Gedichte soll er in Le Puy vorgetragen haben (vgl. „Biographisches"), das wäre allerdings in „Proensa”, welches im weitesten Sinne des Wortes zu nehmen ist; es stehen sich in der Biographie Gascoingna und Proensa gegenüber. Vgl. etwa Schultz-Gora, Elem. B. § 5; Appel, Prov. Lautlehre § 4. (↑)
26) Ich verweise in diesem Zusammenhange auf W. Mulertt, Peire de Cazals S. 6; hier wird eine handschriftliche Überlieferung: „Guillem peire cazals de caortz” interpretiert: „G. P. de Cazals, der von Cahors, d. h. der in Cahors gelebt hat.” (↑)
27) Jeanroy, Troubadours en Espagne S. 165, spricht von „le bordelais Giraut de Calanson”,– ich weiß nicht, mit welchem Recht. (↑)
28) Die Biographie hat „Giratz”, wohl durch Schreibfehler; oder handelt es sich um eine gascognische Form für Girartz? Schwund von r vor Dental begegnet öfters im Gascognischen; s. Bosdorff, B. v. Rouvenac S. 13, Anm. 3. (Vgl. auch Anm. 3.) (↑)
29) Verwechselung von Guiraut und Guillem war leicht möglich; vgl. Strempel, G. de Salignac S. 11-12. (↑)
30) Appel, Cadenet, verzeichnet in der Eigennamenliste S. 118: Girart de Calanso, offenbar versehentlich, da an der bezogenen Stelle, S. 101, richtig Guiraut de C. zu lesen ist. (↑)
31) Vgl. P. Meyer, Romania 24 (1895), S. 529 ff.; A.Thomas, Romania 35 (1906), S. 107: „Ce n’est qu’au-dessous de la ligne de partage des sons ca et ga, d’une part, cha et ja de l’autre, que le g germanique a conservé le son explosif primitif, et que, pour bien marquer le son explosif, on a pris l’habitude de faire suivre le g d’un u et d’écrire Guiraut”; W. Kalbow, Die germ. Personennamen S. 139. (↑)
32) Mahn, Werke IV, 210—232; vgl. dazu Anglade, Guiraut Riquier S. 254 ff. (↑)
35) Anglade, Rigaut de Barbezieux S. 234 ff., hat zuletzt über die Frage des Cort del Puey gehandelt; hier ist die einschlägige frühere Literatur angegeben; vgl. noch Appel, R. von Orange S. 30. (↑)
36) Dammann, S. 9, Anm., zieht die Glaubwürdigkeit von G. Riquiers Mitteilung in Zweifel, ohne aber seine Ansicht irgendwie zu begründen. Ich sehe keine Veranlassung, seiner Auffassung beizutreten, halte es vielmehr für sehr wahrscheinlich, daß G. Riquier seine Bemerkung durchaus nicht aus der Luft gegriffen hat, sondern die Wahrheit berichtet. – Dieser Ansicht ist auch Suchier (vgl. Suchier–Birch-Hirschfeid, Gesch. d. franz. Lit. I, 77). – Es sei im Vorübergehen darauf hingewiesen, daß in den Jahren 1220–1231 ein gewisser Stephan von Chalançon Bischof von Le Puy-en-Velay war. Um welches Chalançon es sich hierbei handelt, vermag ich nicht zu sagen, immerhin weist das auf Beziehungen zwischen zwei Orten hin, die auch schon zur Zeit, da Guiraut in Le Puy weilte, bestanden haben können. An den genannten Bischof schickt der Trobador Daude von Pradas sein Gedicht über die vier Kardinaltugenden (Ausg. v. A. Stickney, The romance of Daude de Pradas on the four cardinal virtues. Florence 1879). (↑)
38) Vgl. Millot, Histoire littéraire II, 28; Hist. litt, de la France 17, 580; Milá, De los trovadores S. 122; Diez, Leben und Werke S. 427; Jeanroy, Troubadours en Espagne S. 165; Birch-Hirschfeld, Epische Stoffe S. 5; Springer, Klagelied S. 36, 70; Chabaneau, Onomastique S. 124; Reeb, Könige und Kaiser S. 173. (↑)
39) Vgl. Schirrmacher, Gesch. v. Spanien IV, 265, 277. (↑)
43) Den Infanten Ferdinand meinen auch Aimeric von Pegulhan 10, 26: en aquel temps que·l reis moric n’Amfos, e sos bells fills (Reeb, S. 173) und 10, 46 (2. tornada; Springer, S. 70; Reeb, S. 173) – und Ademar lo Negre 3, 2 (ed. Zs. f. frz. Spr. u. Lit. 39, 159 ff.; vgl. Reeb, S. 13). (↑)
44) Die in diesem Descort besungene Dame ist möglicherweise in v. 56 mit dem Verstecknamen „Mon Sen” bezeichnet; vgl. Anm. dazu. Eine Identifizierung ist nicht möglich. (↑)
49) Stimming, Prov. Litteratur (Gr. Gr. II, 2. Abt.), S. 44: „Es ist . . . . kaum anzunehmen, daß diese ‘Unterweisungen’ ernst gemeint gewesen sind; vielmehr wählten die Verfasser diese Form wohl nur, um ihre eigenen Kenntnisse an den Tag zu legen”. (↑)
50) Über die von Peter II. protegierten Trobadors vgl. Milá, S. 133 ff; Jeanroy, Troubadours en Espagne S. 147, Anm. 1; Anglade, Hist. sommaire S. 120. (↑)
53) Bergert, S. 117, verzeichnet ein Vorkommen des senhals in Gr. 243, 13, welche Nummer aber, wie auch im Onomastique S. 97 vermerkt wird, in Bartschs Verzeichnis nicht existiert. Es handelt sich um eine Zahlenumkehrung; es muß heißen Gr. 234, 13. – „Mon Diaman” finde ich noch als Verstecknamen bei Peire Raimon von Toloza (Gr. 355, 3): Mon Diaman, que tenc car, Vuelh de ma chanso pregar Qu’a Toloza la’m retraya. (Appel, Prov. Ined. S. 245.) Hier ist offenbar der Joglar damit gemeint. (↑)
55) Vgl. Rob. Meyer, Gaucelm Faidit S. 31; auch Bergert S. 117. Meyer meint allerdings einschränkend, daß der senhal, der sich auch bei anderen Trobadors finde, „offenbar als allgemeine Bezeichnung der Geliebten ohne individuelle Kraft” aufzufassen sei. Trotzdem dürfte seine Identifizierung das Richtige treffen. (↑)
56) Maria von Ventadorn ist Tochter Raimunds II. von Turenne, Gattin Ebles V., Vizegrafen von Ventadorn, mit dem sie sich 1191 vermählte. Sie starb 1219. Zu ihren Verehrern, die sie gern als Schiedsrichterin in Tenzonen anriefen, gehören auch Gui von Uissel und der Mönch von Montaudon. Sie selbst hat sich dichterisch betätigt, wie eine erhaltene Tenzone mit Gui von Uissel (Gr. 194, 9 = Gr. 295, 1) zeigt. – Vgl. über M. v. V.: Rob. Meyer, G. Faidit S. 21 ff.; Schultz, Die prov. Dichterinnen S. 9; Bergert, S. 15. – Über die Form des Namens Ventadorn (der in C: Ventedorn, in R: Ventadorn überliefert wird) vgl. Appel, B. von Ventadorn S. 396, Anm. 1. (↑)
64) Nr. 11, vgl. „Biographisches". Über die Trobadors, die Alfons VIII. ihre Huldigungen darbrachten, vgl. Milá S. 115 ff.; C. Michaëlis de Vasconcellos und Th. Braga, Gesch. d. portug. Litteratur (Gr. Gr. II, 2. Abt.), S. 174, Anm. 4; Anglade, Hist. sommaire S. 121. (↑)
65) Dammann, S. 9, gibt irrtümlicherweise 1204 als Todesjahr Wilhelms VIII. an, worauf Keller, S. 45, Anm. 2, aufmerksam macht. (↑)
67) Appel (Archiv 120 [1908] S. 237) möchte v. 202–213 des Fadet joglar, die Keller zum Beweis der Posterität der Kanzone verwertet, umgekehrt auf dieselbe beziehen. Die Abweichungen in der Darstellung der Allegorie der Liebe sind für ihn „ohne Belang”. „Der Dichter hatte nicht nötig, im Sirventes alles aufzuzählen, wovon er in der Kanzone gesprochen hatte . . . Der Inhalt seiner Kanzone ist . . . das Letzte und für ihn Wichtigste, was Guiraut dem Joglar ans Herz legt.” Ich vermag nicht, dieser Auffassung zuzustimmen, zumal die Darstellung in der Kanzone eine bedeutend geschicktere ist als im Fadet joglar, der doch wohl als Guirauts Erstlingswerk aufzufassen ist (vgl. „Biographisches"). Wenn man die Schilderung der Kanzone auch nicht gerade als einheitlich bezeichnen kann, so muß man sie doch als Weiterentwicklung des Fadet ansprechen. Aus den Worten Fadet v. 202–3: „sapchas d’amor com vol’ e cor” eine Anspielung auf die bereits fertige Kanzone zu lesen, wie Appel es tut, halte ich für gewagt. Wenn diese schon verfaßt gewesen wäre, hatte wohl ihre spätere Erwähnung im Fadet zum mindesten die Reihenfolge der Darstellung innegehalten. Darin bestehen aber in beiden Gedichten nicht geringe Differenzen. Es entspricht beispielsweise (Fadet: Kanzone) v. 203: v. 10, 20; 204: 46; 205–6: 18; 207–11: 12–15; 218: 29; 220–21: 10; also ist keine Kongruenz festzustellen, v. 214 – 16 will Appel mit D lesen: „commandamens nous, si·l aprenz, i trobaras senes mentir” = „wenn du das (nämlich mein Gedicht) lernst”. Das Pronomen so zu deuten, ist doch recht gezwungen und grammatisch unerklärlich, da man nicht wüßte, worauf es sich beziehen sollte. Die Stelle ist unklar, auch Keller weiß ihr keine rechte Deutung zu geben. Über weitere Unterschiede zwischen beiden Gedichten, die m. E. doch nicht ganz „ohne Belang” sind, vgl. Kellers entsprechende Anmerkungen. Ich schließe mich im Gesamturteil Keller an: in der Kanzone hat Guiraut „verarbeitet, was er seit dem Augenblicke, da er dem Joglar diese verschiedenen Angaben, die sich fast alle in der Kanzone, zum Teil etwas verändert, wiederfinden, mitteilte, neu zu denselben aus anderen Allegorien hinzugelernt hatte” (S. 25). (↑)
76) Über das Verhältnis der Trobadors zu den Albigenserwirren vgl. speziell Eugen Wolff, Der Albigenserkrieg und die Troubadours1209–1229. Königsberg 1922. (↑)
86) Hist. Litt. 17, 580: „Il semble que pour parler ainsi de ces trois frères, il fallait les avoir connus”. (↑)
87) Allerdings nur in dieser Hinsicht. Den von Eméric-David vorgenommenen Weiterungen vermag ich nicht zuzustimmen; vgl. Fußnote 88. (↑)
88) Eméric-David, Hist. Litt. 17, 580, nimmt an, daß Guiraut „florissait vers l’an 1173”. Er schließt das daraus, daß der Dichter sich in dem erwähnten planh so sympathisch über die drei rebellischen englischen Prinzen äußere, als ob er bei ihren Aufständen auf ihrer Seite gestanden habe. Die Empörung Heinrichs III. brach 1173 aus. Wenn Eméric-Davids Annahme richtig wäre, müßte allerdings Guiraut damals schon im Mannesalter gestanden haben; doch ist die dargelegte Argumentierung nicht zwingend. Die Worte über „tug li trei valen fraire” sind doch wohl zu allgemeiner, fast formelhafter Natur, als daß ein so weitgehender Schluß aus ihnen zu ziehen wäre. Dann aber ist auch nicht gut anzunehmen, daß ein Mann von 60 oder noch mehr Jahren noch Liebesgedichte verfaßt habe, wie sie von Guiraut 1202 oder gar noch um 1212 anzusetzen sind ― und so alt wäre nach Eméric-David unser Dichter in diesen Jahren gewesen! (↑)
89) Allerdings äußern sich die Biographen über die Bildung der Trobadors häufig sehr euphemistisch (worauf auch Beck, Die Melodien der Troubadours S. 100, mit Recht hinweist); doch zeigt schon Guirauts frühestes bekanntes Gedicht Fadet joglar in besonderem Maße, daß er über eine gute Bildung verfügte. (↑)
91) Seit 1204 war Peter II. auch Herr von Montpellier; möglicherweise hat Guiraut ihm in dieser Eigenschaft noch gehuldigt als Nachfolger seines früheren Gönners Wilhelms VIII. (↑)
93) Einen Zusammenhang zwischen beiden Gedichten lehnt Appel, Prov. Inedita S. 231 (Anm.), ab. (↑)
94) Vgl. F. Orth, Über Reim und Strophenbau in der altfranzösischen Lyrik, Straßburg 1882, S. 21-22. (↑)
95) Vgl. Peire Bremon 16 (Appel, Inedita, 219) und Guillem Fabre 2 (ebendort, 136) mit demselben Reimschema, wo auch in jedem ersten Vers der Coblen ein Binnenreim -ors auftritt; G. Fabres Gedicht geht direkt auf P. Bremon zurück, dieser auf P. Cardenal 13, wo aber kein Binnenreim vorhanden ist. (↑)
96) Ich weise darauf hin, daß dem Binnenreim far in v. 44 ein amar in v. 43 entspricht, dem mar in v. 33 ein esgar in v. 32, wozu nach Hs. C noch v. 10 amor] amar : v. 11 domnejar kommt. Aus Hs. a ergibt sich v. 21 far : v. 22 car; v. 54 ar : v. 55 prezar; v. 57 far : v. 58 par. Doch scheint a nicht zuverlässig genug, um die Aufnahme aller dieser Stellen in den kritischen Text zu rechtfertigen. Jedenfalls aber ist zu vermuten, daß verstümmelte Überlieferung vorliegt und in den letzten Coblenversen kein Binnenreim auf -ar, sondern ebenfalls ein innerhalb der Cobla gebundener Endreim bestanden hat, daß also in der Tat ein noch anderes Schema zugrunde läge. (↑)
97) Bei Maus ist das Schema nicht verzeichnet, da ihm das damals noch unveröffentlichte Gedicht nicht zugänglich war. (↑)
98) Ein Blick auf das Schema von Strophe X zeigt, daß hier offenbar Übereinstimmung vorliegt. Die auffällige Kürze der Strophe VIII läßt vermuten, daß verderbte Überlieferung vorliegt. Ich glaube, daß Str. VIII u. X ursprünglich in einer Strophe vereinigt waren, doch sehe ich bei dem Stande der Überlieferung keine Möglichkeit zur Rekonstruktion des Textes. (↑)
99) Maus Nr. 817 unter „Descort oder unregelmäßiger Strophenbau”. (↑)
101) Die in eckigen Klammern stehenden Zahlen entsprechen der Verszählung meines Textes. (↑)
102) Sollte das Schema anzuerkennen sein, so müßte man m. E. nach v. 10 den Ausfall von 6 Versen annehmen und aus v. 9, 10 und diesen eine Cobla II rekonstruieren. Es würde dann allerdings zwischen Cobl. I/II enger syntaktischer Zusammenhang bestehen wie zwischen Cobl. VI/VII (s. oben). (↑)
110) Die Verskombination ergibt sich (wie auch in Übersicht IV) durch die jeweilige Beziehung zwischen der ersten senkrechten und der ersten wagerechten Spalte. Es treten also z. B. in Nr. 2, 5, 6 Kombinationen von 4- und 6-Silbnern auf. (↑)
112) Vgl. Anm. zu Übersicht II und Anm. zu Übersicht III. (↑)
113) In gleichem Sinne Martin Scholz, Die Allitteration in der altprovenzalischen Lyrik, Halle 1913, S. 395, 401. Vgl. auch Strempel, G. de Salignac S. 21-22. (↑)