INDEX:
VORREDE
BIOGRAPHIE
METRUM UND REIM
REIHENFOLGE DER LIEDER IN DEN HANDSCHRIFTEN
DIE PROVENZALISCHEN LEBENSNACHRICHTEN
FUßNOTEN
DER TROUBADOUR BERTOLOME ZORZI
HERAUSGEGEBEN
VON
EMIL LEVY.
VORREDE.
Ueber Bertolome Zorzi ist bisher an folgenden Stellen gehandelt worden: Tiraboschi, Storia della let. ital. IV, 367; Millot Hist. litt. des troub. II, 344; Hist. litt. de la France XIX, 566; Diez Leb. und Werke der Troub., S. 492; Balaguer Hist. pol. y litt. de los trov. II, 139. Nur zwei seiner Gedichte waren bisher ungedruckt; ich habe bei jedem Gedichte angegeben, ob und wo es schon publiciert ist.
Die Lieder Zorzis sind uns nur in 3 Hss., in A, I und K, (1) aufbewahrt. Die Lieder in A hat Herr Alfredo Monaci in Rom copiert, respective collationiert, die Lieder in I und K habe ich selbst abgeschrieben. Ich bin auch dieses Mal wieder Stimmings Weise in Bezug auf die Orthographie gefolgt und habe die Schreibart der besten hs. zu Grunde gelegt, d. h. die von A, und wo A nicht vorliegt, von I. Ich gebe zu, dass diese Art und Weise viel gegen sich hat. Bei Zorzi, wo nur zwei verschiedene Schreibarten angewandt worden sind, mag es noch weniger in’s Auge fallen, als bei anderen Troubadours, die in vielen hss. überliefert sind, und wo nun die bunteste Orthographie uns entgegentritt; hier wird der Nachtheil nur zu klar: wie immer der Troubadour geschrieben hat, wenn er überhaupt schreiben konnte, in solcher Art hat er sicher nicht geschrieben. Aber auf welche Weise ist Remedur zu schaffen? Soll man die Orthographie einer hs., sei es der ältesten, sei es der besten, zu Grunde legen, und danach die von den anderen hss. gelieferte Schreibart ummodeln? Ja, wenn wir wirklich in den hss. eine stabile, gleichmässige Orthographie vorfänden! Aber das ist ja nicht der Fall. Und welche hs. sollte man wählen? Und hätte man eine gewählt, wäre sie für alle Troubadours gleichmässig anzuwenden?
Ich meine, man wird allerdings darauf hinarbeiten müssen eine gleichmässige und bei allen Troubadours einzuführende Orthographie herzustellen. Haben sich die aus den verschiedensten Landestheilen stammenden Sänger doch alle eines und desselben Dialectes bedient, einer und derselben Litterarsprache, so haben wir auch das Recht eine gemeinsame Orthographie durchzuführen. Aber die Gesetze, die bei der Festsetzung einer allgemeinen, gleichmassigen Orthographie in Anwendung zu bringen wären, sind noch nicht festgestellt. Für das Erste also muss man davon absehen, und da scheint mir der von Stimming eingeschlagene Weg ebenso brauchbar wie ein andrer. Plus tard, on pourra faire mieux, schrieb Paul Meyer Romania X, 267 in Bezug auf diese Frage.
Ich habe die Lieder nach ihrem Metrum geordnet. — Die Stellen, wo ich von der handschriftlichen Ueberlieferung abgewichen bin, im Text besonders hervorzuheben (durch Cursivdruck), hielt ich nicht für nöthig, da bei der geringen Zahl der Varianten jede Abweichung im Text ja deutlich hervortritt.
E. L.
BIOGRAPHIE.
Es sind uns von Bertolome Zorzi zwei provenzalische Biographien erhalten, die eine in der Handschrift A (Vatic. 5232), die andere in den Handschriften I (Bibl. Nat. fr. 854) und K (B. Nat. fr. 12473). Die erste meldet das Folgende: Bertolome Zorzi war ein venezianischer Kaufmann aus angesehener Familie und ein guter Dichter. Auf einer Reise nach Romanien, die er in Gesellschaft vieler anderer Kaufleute aus Venedig unternahm, wurde er mit seinen Gefährten von den Genuesern, die damals mit Venedig heftigen Krieg führten, gefangen genommen und nach Genua gebracht, wo er in Haft blieb, bis die beiden Staaten mit einander Frieden schlossen. Während seiner Gefangenschaft dichtete er viele gute Canzonen und verfasste viele Tenzonen mit Bonifaci Calvo. Nach dem Friedensschluss kehrte er mit seinen Gefährten nach Venedig zurück und wurde vom Dogen zum Castellan von Koron und Modon ernannt. Dort verliebte er sich in eine Dame jenes Landes, und dort starb er.
Die in den Hss. I K enthaltene Biographie weicht von der, die uns in A überliefert ist, in Einzelheiten ab. Sie erzählt nicht, dass Zorzi Kaufmann gewesen sei, und statt ihn eine Handelsreise machen zu lassen sagt sie nur allgemein, Zorzi sei von den Genuesern gefangen genommen worden, als er „anet per lo mon”. Auch erwähnt sie nichts von den vielen Liedern, die Zorzi nach der Biographie der hs. A während seiner Haft gedichtet hat, noch von den vielen Tenzonen mit Bonifaci Calvo, sondern sie spricht nur, allerdings ziemlich ausführlich, von dem Sirventes „Mout fort me sui d’un chant meravilhatz” (Nr. 14) (2) auf das ich weiter unten zurückkomme, in welchem Zorzi auf Calvos Gedicht „Ges no m’es greu” antwortete. Dagegen giebt Biographie II (I K), die Biographie I (A) ergänzend, die Dauer von Zorzis Gefangenschaft auf sieben Jahre an. Nach ihr wurde Zorzi zum Castellan von Koron ernannt, doch erwähnt sie Modon nicht und weiss auch nichts von einer Dame jenes Landes, in die Zorzi sich verliebt hätte.
Die beiden Biographien stehen einander ergänzend zur Seite, es findet sich in ihnen kein Widerspruch. Sie sind kurz, ohne phantastische Ausschmückung, sie melden einfach ohne, wie es so oft in den Lebensnachrichten geschieht, aus den Liedern heraus die Abenteuer des Sängers sich zu construiren, wir haben also keinen Grund an der Wahrheit ihrer Angaben zu zweifeln.
Diese Angaben erlauben uns einen Schluss zu ziehen auf die Zeit seiner Geburt. Zorzi wurde, so heisst es, zum Castellan von Koron und Modon ernannt. Modon kam (cf. Daru, Histoire de la république de Venise I, 456) während der Regierung des Dogen Jacob Contarini (1274 — 80) in Venedigs Besitz. Zorzi hat sich, so heisst es weiter, in eine Dame jener Gegend verliebt, er kann also nicht in zu vorgerücktem Alter gewesen sein, und seine Geburt ist demnach wol nicht vor das Jahr 1230 zu setzen. Da er andrerseits auf einer Reise, die, wie wir gleich sehen werden, in das Jahr 1263 fällt, von den Genuesen gefangen genommen wurde und es doch nicht anzunehmen ist, dass er seine Fahrt in gar zu jungen Jahren unternommen hat, so ist der Schluss erlaubt, dass er nicht später als 1240 geboren ist. Zorzis Geburt fällt also zwischen die Jahre 1230 und 1240.
Dass die Gefangennahme Zorzis in das Jahr 1263 fällt, ergibt sich daraus, dass die Haft, die nach Angabe von Biographie II sieben Jahre dauerte, im Jahre 1270 ihr Ende erreichte, denn er kehrte in seine Heimath erst zurück, nachdem ein Friedensschluss zwischen Venedig und Genua stattgefunden hatte, und dieser kam 1270 durch Vermittlung des Papstes und des Königs Philipp des Kühnen von Frankreich zu Stande (Art de vérifier les Dates III, 732).
Das ist alles, was die Biographien und die Gedichte Zorzis über seine äusseren Schicksale melden. Da er ein öffentliches Amt bekleidete, und als Vertreter seines Staates nach Koron gesandt wurde, so ist anzunehmen, dass sich in den venezianischen Archiven noch nähere Angaben finden, wann sein Castellanat begonnen, wann es geendet, wer sein Vorgänger, wer sein Nachfolger im Amte gewesen. Meine Bemühungen, darüber etwas Näheres zu erfahren, sind jedoch ohne Erfolg geblieben, und auch in den mir zugänglichen von der Geschichte Venedigs handelnden Werken habe ich Bertolome Zorzi nicht erwähnt gefunden.
Ebensowenig vermag ich über seine Familie Näheres anzugeben. Zwar finden sich mehrfach Männer in hochangesehener Stellung, die den Namen Zorzi führen, aber der Name ist ein zu gewöhnlicher, zu häufig vorkommender um daraus auf Familienzusammengehörigkeit schliessen zu können. (3)
Zorzis Lieder, wenig ergiebig an Andeutungen in Bezug auf seine äusseren Geschicke, geben mehrfach Anhaltspunkte zur Charakterisierung ihres Verfassers.
Ein Sohn des mächtigen Venedig war Zorzi seiner Vaterstadt treu zugethan. Als er in Genua in Gefangenschaft war, verfasste der Genuese Bonifaci Calvo ein Sirventes, in welchem er seine Landsleute, die in der damals zwischen Genua und Venedig herrschenden Fehde mehrere schwere Niederlagen erlitten hatten (cf. Daru, Hist. de la républ. de Venise I, 412 ff.), wegen ihrer Uneinigkeit heftig tadelte. Jener Zwietracht allein hätten die Venetianer ihre Siege zu verdanken, denn früher wären sie so oft und dergestalt von den Genuesern gedemüthigt worden, dass man überall davon erzähle. „Dreissig von ihnen wagten nicht drei der Euren zu erwarten; darum möchte man Gott Vorwürfe machen, der euch den Verstand so sehr benommen hat, dass ihr euch von Leuten, die nichts taugen, besiegen lasst. — Venetianer, wisset, Gottes Beistand thut euch noth gegen die Genueser: denn wie sehr er euch auch hilft, so haben sie euch doch so viel entrissen, dass es euch zum Jammer gereicht” (Diez, Leben und Werke, S. 491). Als dieses Lied zur Kenntnis Zorzis gelangte, trat er mannhaft für seine Vaterstadt ein und antwortete auf Calvos Anklagen in einem Sirventes, das gleichen Bau und gleiche Reime aufweist, wie das Gedicht des Genuesen (Nr. 14). Gar sehr habe ich mich über ein Lied gewundert, so beginnt er, um seines Verfassers willen, obgleich es Recht ist, dass er mir wohl gefalle; denn ein Mann von Verdienst und Kenntnissen muss wohl überlegen, was er sagt und nicht Unrecht als Recht hinstellen (Str. 1). Hätte Calvo, der die Genueser rechtfertigen wolle, sich zuvor wohl bedacht, dann hätte er manches Wort nicht in sein Lied gesetzt, das an ihre mehr als tödtliche Wunde erinnere, denn er gäbe zu, dass sie durch die Venetianer geschlagen und vernichtet seien (Str. 2). Er sage, die Genueser hätten früher die Venetianer im Zaume gehalten, aber er möge nicht vergessen, dass die Genueser stets die Macht der Venetianer gefürchtet haben, denn ein venezianisches Schiff führte drei genuesische gefangen fort (Str. 4). Wenn Calvo aber behaupte, drei Feiglinge kämen dreissig Tapferen gleich, so bedürfe eine solche Behauptung überhaupt keiner Widerlegung (Str. 5). Calvo solle sich nur erkundigen nach den ehrenvollen Thaten der Venetianer, nach ihren grossen Eroberungen, er solle sich nur sagen lassen, wie die Genueser besiegt wurden und der griechische Kaiser in Schande gerieth; dann möge er urtheilen, ob die Venetianer wirklich nichts werth seien (Str. 6). — Das Gedicht ist während der Gefangenschaft Zorzis und offenbar nach der Seeschlacht bei Trapani (1264) verfasst, in der die Venetianer einen glänzenden Sieg über die Genuesen davontrugen, und die den griechischen Kaiser Michael Paloeologus veranlasste einen fünfjährigen Waffenstillstand mit den Venetianern abzuschliessen (Art de vérifier les dates III, 715). Das Sirventes ist also zwischen 1264 und 1270 entstanden. Zorzi sandte dasselbe an Calvo, die beiden Dichter lernten sich näher kennen und wurden fortan, so meldet die Biographie II, die besten Freunde.
Hatte Zorzi, als er die Ausfälle Calvos zurückwies, auch mit berechtigtem Stolze die Niederlage hervorgehoben, die die Genuesen durch die Venetianer erlitten hatten, so war er doch zu gerechten Sinnes um nicht auch den Werth der Gegner willig anzuerkennen, und so sagt er von den Genuesern, dass auch sie reich an Ruhm seien (Nr. 8 Zle 9—10).
Derselbe Gerechtigkeitssinn hiess ihn auch seine Stimme erheben, als die Kunde von dem unseligen Geschicke des letzten Hohenstaufen nach Genua drang (No. 18). Mit warmen Worten beklagt er den Tod Konradins und Friedrichs von Oesterreich und hoch preist er ihre Tugenden. Sie überragten alle anderen an Trefflichkeit (24—8), denn Konradin war gottesfürchtig und gerecht und kam an Weisheit fast Salomo gleich; er wusste die Waffen trefflich zu führen und war über alle Massen freigebig. Dazu war er schön von Gestalt und von hohem Geschlecht (33—48). Herzog Friedrich aber war gerecht in seinen Worten, und seine Thaten waren wohlgefällig (51—52). Der Dichter fordert die Deutschen auf die ihnen zugefügte Schmach an Karl von Anjou zu rächen, durch den sie ihr Bestes verloren haben (65—71) und der den Prinzen Heinrich von Castilien in tödtlicher Pein und Schmach leben lasse (71—76), und der König Alfons von Castilien möge seinen Bruder aus so schimpflicher Lage befreien (85—88). Die Welt habe durch den Tod der beiden Fürsten grossen Schaden erlitten, und man müsse sie (die Welt) hassen, da Verdienst und hohe Geburt durch Hochmuth beschimpft seien (12—16). Der Dichter wundert sich, dass er selbst noch Kraft finde das Unglück zu melden, denn die Erinnerung allein müsste ihn gerechter Weise schon tödten (17—20). Das Unglück, das ihn veranlasst sein Klagelied zu erheben, ist so gewaltig, dass er zu seinen trauernden Worten eine heitere und angenehme Melodie verfasst hat, sonst könnte man den Planh (wie der Dichter selbst Zeile 91 sein Gedicht nennt) nicht singen, ja nicht einmal anhören (89—96), Die Entstehung des Gedichtes ist in das Jahr 1268, das Todesjahr Konradins, zu setzen.
Die beiden eben besprochenen Gedichte Zorzis sind, wie wir sahen, während seiner Haft entstanden. Mich will bedünken, dass diese eine gar zu strenge nicht gewesen sein kann. Erhielt Zorzi doch Kunde nicht nur von politischen Ereignissen, wie der Planh beweist, sondern auch von den Liedern anderer Troubadours, so von dem Sirventese Calvos, fand doch seine Antwort ihren Weg zu dem genuesischen Sänger, und die beiden Dichter kamen doch zusammen und wurden gute Freunde („e per so torneron l’us a l’autre e foron gran amic” Biogr. II). Ja, Zorzi hat sogar während seiner Gefangenschaft ein Liebeslied gedichtet (Nr. 4, das mit den Worten beginnt „Si tot m’estauc en cadena” und dessen Entstehung mithin in den Zeitraum zwischen 1263 und 1270 zu setzen ist), und noch mehr, er hat auch von einer fernen Freundin schriftlichen Gruss empfangen, wie aus den Zeilen 6—8 desselben Gedichtes hervorgeht. Ich glaube demnach, dass die „cadena” in der ersten Zeile dieses Gedichtes eine poetische Hyperbel ist und dass die „preiso” der Biographie nicht, wie Diez (Leb. u. Wke. S. 494) es gethan, mit „Kerker”, sondern mit „Haft” zu übersetzen ist.
Mag Zorzis Haft aber auch noch so gelinde gewesen sein, er war doch immer der goldenen Freiheit beraubt, in Gewalt des Feindes, fern von der Vaterstadt, der er so treu ergeben war. Freudig musste er daher, wie Diez Leb. u. Wke. S. 497 mit Recht bemerkt, den zweiten Kreuzzug Ludwigs des Heiligen begrüssen, der ihm Befreiung zu bringen schien, denn Ludwig, der der Unterstützung Genuas und Venedigs zu seinem Unternehmen bedurfte, suchte die Kriegsführenden zu versöhnen und brachte auch in der That einen Waffenstillstand zu Stande. (Cf. Daru, Hist. de Venise I, 419). „Nicht werde ich unterlassen”, so beginnt Zorzi sein Gedicht (Nr. 16), „von dem zu singen, was mich froh und betrübt zugleich macht”. Er ist betrübt, wenn er an die Schmach des heiligen Landes denkt, froh, weil König Ludwig Rache nehmen will (5—9). Preisend hebt er hervor, dass der König keine Kosten, keine Mühe scheue (21—23), und er rühmt das stattliche, wohlausgerüstete Heer, dessen Anblick schon die Gegner veranlassen wird jeden Widerstand aufzugeben (28—36). Wenn der Hochmuth sie aber doch verleiten sollte sich zu widersetzen, wenn es zum Kampfe kommen sollte, so möge jeder eingedenk sein, dass derjenige, der aus diesem Kampfe lebend zurückkehre, hohen Preis erwerbe, wer aber falle, dessen Seele geniesse vollkommene Glückseligkeit (37—45). Deshalb haben sich auch der König von Navarra und der Graf von Toulouse dem König Ludwig angeschlossen (46—54), und wenn der König von England noch ein wenig zögere, so solle man ihn deshalb nicht tadeln, denn er werde seinem Versprechen nachkommen und sich durch seine Thaten Lob gewinnen (54—58). — Das Gedicht ist, wie aus Zeile 10 (don s’es mogutz ab gran esfortz de Fransa) hervorgeht, nach dem Aufbruch Ludwigs nach dem heiligen Lande und vor seinem Tode verfasst. Er begann seinen Zug am 16. März 1270 (cf. Henri Martin, Hist de France IV, 578) und starb am 25. August desselben Jahres (ib. IV, 584). Bringt man die Zeit in Anschlag, die verstrich, ehe die Nachricht der beiden Ereignisse nach Genua gelangte, so ergiebt sich, dass die Entstehung des Liedes in die Zeit zwischen April und September oder October 1270 zu setzen ist.
Die Hoffnung Zorzis in Folge des Waffenstillstandes aus seiner Haft entlassen zu werden, erwies sich als trügerisch; beide Staaten gaben ihre Gefangenen nicht frei. Seinem Unmuthe darüber gab Zorzi in einem Sirventese Ausdruck (No. 8), in welchem er sich gegen Genua, Venedig und König Ludwig wendet. „Je höher der Mensch gestiegen ist”, so beginnt er, „um so tiefer kann er fallen, wenn er vom rechten Pfade abweicht, und deshalb müssen die Venetianer, die auf die hohe Stufe reichsten Ruhmes emporgestiegen sind, und die ebenfalls ruhmreichen Genueser sich zu fallen fürchten, denn früher pflegten sie alles mit Gott zu thun, jetzt aber handeln sie schlimmer, als wenn sie Juden wären (1—12). Denn weder ein Jude noch ein Renegat würde, nachdem er mit seinen Feinden Frieden geschlossen, Gefangene zurückbehalten wollen (13—16), sie aber behalten beinahe tausend zurück (16—18), die schmählich umkommen werden (21). „Deshalb bitte ich den Allmächtigen, dass Kummer und Schmerz allezeit ihr Theil sein möge, wenn sie die Gefangenen nicht bald frei geben (34—37)”. Dann wendet sich der Dichter gegen Ludwig den Heiligen, der die Macht, aber nicht den Willen gehabt habe die Gefangenen zu befreien (41—44). Er wundere sich, dass der König, der alles aufwendet um Gott zu dienen und dadurch überall Lob gewinnt, solches thun konnte (39—54). Er möge bald sein Vergehen gut machen und die Gefangenen befreien, eine einfache Bitte seinerseits würde das ja leicht bewirken (61—66). „Bevor ich noch”, so schliesst Zorzi, „mein Lied gefeilt habe, hat Gott deswegen den König zum Tode und vieles Volk hier und dort zu grosser Qual verurtheilt; deshalb möge der neue König daran denken bald Besserung zu schaffen”, — Das Gedicht ist durch die letzten Zeilen genau datiert. Der Dichter hatte noch nicht die letzte Hand an dasselbe gelegt, als die Kunde von Ludwigs Tode in Genua eintraf; es muss also im September oder Oktober 1270 entstanden sein.
Dass Zorzis Sehnen endlich erfüllt wurde und er 1270 nach Venedig zurückkehrte, haben wir schon oben besprochen.
In einem andern Sirventese klagt Zorzi über die Schlechtigkeit der Welt (No. 2), die keine Hand voll Asche werth sei (Zle. 19), Falschheit und Masslosigkeit habe die Oberhand gewonnen, man lasse die Seinigen hülflos im Stich und fördere diejenigen, die den Strang verdienen (21—27), Der Mensch aber müsse freigebig sein, denn so könne er reiche Ehre gewinnen, andrerseits müsse jeder sich hüten das rechte Mass zu überschreiten, denn es sei ein grösserer Fehler zu viel auszugeben als zusammenzuhalten und aufzuspeichern (27—36). Darüber aber will der Dichter sich nicht weiter auslassen, denn derjenige, der ihn zu reden veranlasst habe, werde ihn schon verstehen; er sei es sehr zufrieden, dass jener grosse Ausgaben machen könne, dann aber solle er seinen Joglar nicht vergessen (37—45). „Joglar”, sagt er weiter, „ich habe mein Lied vollendet, aber da ich deine „razo” verloren habe, so will ich es nicht an Mon Astruc senden, der da meint, man könne ihn nicht tadeln” (64—68). — Worauf der Dichter anspielt ist nicht ersichtlich, und wer Mon Astruc sei — der Versteckname findet sich nur in diesem Gedichte — vermag ich nicht anzugeben. Die Entstehungszeit dieses Gedichtes ist nicht zu ermitteln, oder erlauben die Zeilen 46—47 „elh volh un plag far aprendre qu’aug del joven rei coindar” den Schluss, dass das Sirventes vor 1268 verfasst sei?
Ebensowenig lässt sich bestimmen, wann das Gedicht No. 9 „Mout fai sobreira folia” entstanden ist. Der Dichter beginnt mit einer Vertheidigung Peire Vidals; dieser habe grossen natürlichen Verstand besessen, und dafür gelte als Beweis sein Ausspruch: Quant hom es en autrui poder etc. (1—9). Aber doch wolle er (Zorzi) nicht sagen, dass er nicht Gutes von Bösem unterscheiden könne, und dass er den nicht für käuflich halte, der in Bezug darauf der Meinung anderer folge. Mehr dürfe er aber nicht sagen, denn man müsse oft Misfälliges dulden und doch sich den Anschein geben, als ob man sich nichts daraus mache (11—18), Er beklagt sich dann über die schlechte Behandlung, die ihn von einer Person zu Theil geworden sei, die ihn treu erfunden (19—22), denn sie könne ihm beistehen, aber der Wille dazu fehle ihr (28—32). Fortan aber will er nicht darüber reden, denn mit ungerechten, schlechten Dingen solle sich ein gerechter Mann nicht abgeben (36—40). Er wolle deshalb einen andern Weg einschlagen, Ehre und Ruhm aufrecht erhalten, guten Frauen gehorchen, er kümmere sich aber nicht sehr um Besitz (37—45). Dann wendet sich der Dichter an seine Dame; er könne ihr nicht sagen, wie treue Liebe er für sie im Herzen trage und wie unglücklich er sei, seit er sie nicht mehr wie früher sehe (46—49). Gar herben Schmerz habe er empfunden, als er ihr Lebewohl gesagt habe (56 ff.). — Das Gedicht leidet an grosser Unklarheit. Zorzi bezieht Peire Vidals Wort (Zeile 6—9) augenscheinlich auf sich, auch er muss gequir per autrui grat lo sieu voler. Er kann aber noch Gutes vom Bösen unterscheiden (11) d. h, doch wohl, er erkennt, dass das was der andre thut, nicht gut sei. Mehr darf er nicht sagen, denn der Mensch müsse oft so quelh desplai ab gen cubrir per semblanza de non-caler (14—18). Er thut aber in Wirklichkeit gerade das Gegentheil, denn er begnügt sich nicht mit diesen allgemein gehaltenen Worten, die immerhin schon von dem, für den das Gedicht bestimmt war, deutlich genug verstanden worden wären, sondern er fügt noch zwei gegen denselben gerichtete Strophen hinzu, in denen er seine Meinung klar ausspricht. — Wer ist ferner der „tals”, über den Zorzi sich beschwert (Zle. 22)? Ein Herr? Eine Herrin? Dieselbe vielleicht, der er in Lied Nr. 15 (cf. siehe weiter unten im Text) den Dienst aufsagt? — Wenn nach Strophe 1 der Dichter seinen Willen dem eines andern unterordnen muss, wie stimmt dazu, dass er Str. 5 sagt, er wolle die schlechte Sache verlassen und einen neuen Weg einschlagen, dass er also doch entschieden seinen Willen zur Geltung bringt? Ich muss gestehen, dass mir nicht klar geworden ist, was Zorzi mit diesem Gedichte bezweckt, was der Sinn des Liedes ist. Zwar sagt der Dichter in der Tornada:
En mon dimei chant fatz saber
Qu’om deu ben son sen descobrir,
Mas grans sciens’ es sen cobrir
Lai on no-senz pot plus valer,
aber mich will es dünken, als wäre ihm das „sen cobrir” nur gar zu gut gelungen.
In dem eben besprochenen Gedichte wendet sich Zorzi, wie wir sahen, auch an seine Dame und klagt, dass er ferne von ihr sein müsse. Ich vermag nicht zu sagen, welche von den Damen gemeint ist, denen Zorzi seine Huldigung darbrachte. Seine Liebeslieder lassen sich, mit Ausnahme von Nr. 4, das wie wir sahen (cf. siehe weiter unten im Text) zwischen 1263 und 1270 entstanden ist, weder datieren noch lässt sich aus ihrem Inhalte heraus bestimmen, in welcher Reihenfolge sie verfasst worden sind. Ein klares Bild von Zorzis Frauendienst lässt sich aus ihnen nicht gewinnen.
Die Lieder Nr. 15 und 6 sind wol als zusammengehörig zu betrachten; aus dem ersten erfahren wir, dass der Dichter den Dienst einer stolzen Herrin verlässt, aus dem zweiten, dass er eine neue Freundin gefunden hat. Der Dienende, so heisst es im Lied Nr. 15, müsse mehr darauf sehen einen guten Herrn zu finden, als der Herr darauf sehen muss, ob der Diener gut sei (1—4). Hat der letztere einen guten Herrn zu finden gehofft, und es stellt sich das Gegentheil heraus, so muss er ihn verlassen (10—14). Darum verlässt der Dichter seine Dame, die seine treuen Dienste nicht lohne (Str. 3). Sie möge aber nicht vergessen, dass fünf Jahre hindurch seine Wünsche auf sie gerichtet gewesen seien, dass er ihren Ruhm erhöht habe und dass eine Dame, die sich ungerechter Weise schlecht gegen den, der ihr dient, benehme, in so schlechten Ruf komme, dass sie ohne ein weiteres Vergehen Ruhm und Lob verliere (28—36). Habe er etwas gesagt oder gethan, was ihr gefiel, so gräme er sich nicht darüber, obgleich es ihm schlecht dafür ergangen sei; habe er etwas gesagt und gethan was ihr unlieb war, so thue es ihm leid, doch wolle er darüber nicht weiter mit ihr streiten noch sie um Verzeihung bitten, denn fortan wolle er weder, dass sie ihn sehr liebe noch dass sie ihm sehr feindlich sei (36—45). Er will sich anderswohin wenden und bittet die Liebe ihn einem guten Herrn zuzuführen (48—50).
Dem Preise der neuen Herrin gilt das Lied Nr. 6. Der Dichter kann der Liebe nicht Feind sein, da sie das Leid, das er durch sie erlitten habe, dadurch wieder gut mache, dass sie ihn für eine Feindin eine Freundin habe eintauschen lassen (l —10). Er habe alles Leid erduldet, das einen Liebenden treffen könne, da er einer Hochmüthigen wahrhaft diente, und er hat sich erst geändert, als die Liebe ihn die beste der Frauen lieben liess (11—26). Sie ist so vortrefflich, dass er, und wäre er dreissig Mal so viel werth, noch nicht berechtigt wäre auf ihre Liebe sein Sinnen zu richten, aber ihr freundliches, leutseliges Wesen gibt ihm Trost (31 — 36). Er ist frohen Sinnes, da sie ihm versprochen hat, was er nicht sagen will (41—43). Sein Bote soll ihr das Lied bringen und ihr melden, dass der Dichter fürchte, seine Sehnsucht werde ihn tödten, noch ehe das Versprechen erfüllt sei, dass er ihr treu sei (65—66), und dass er gerne ihr Lob verkünde (71—72). Wenn der Bote aber der Hochmüthigen begegne, so solle er ihr sagen, dass es verlorene Mühe wäre, wollte sie ihn wieder zu gewinnen suchen, da eine so Herrliche ihn für das erlittene Leid entschädige (81—90).
Hatte Zorzi eine Dame freiwillig verlassen, so wurde ihm eine andere durch den Tod entrissen. Dieser Verlust hielt den Sänger eine Zeit lang vom Dichten ab, im folgenden Jahre aber wandte er sich einer neuen Geliebten zu und brachte ihr seine Huldigung dar (No. 17). Wie das Feuer alles verzehrt, so beginnt er, so verzehrt die Liebe in dem Herzen, in dem sie sich eingenistet hat, jeden Widerstand (1—3). Deshalb müsse er lieben und singen, obgleich er sich vorgenommen habe, wegen des Verlustes, den er im vorhergehenden Jahre durch den grausamen Tod erlitten habe, Sang und Liebeslust zu meiden (5—10). Seine neue Geliebte ist durch alle guten Eigenschaften ausgezeichnet (14), wie die Frucht den Garten schmückt, so erhöht sie den Werth der Welt (16—17). Sein Sinnen und Trachten ist so zu handeln, dass sie bewogen werde ihn per lo sieu retener. Geschähe dies, so würde er ohne Gleichen im Glücke sein wie sie in der Schönheit (41—50). Seine Sehnsucht ist so gross, dass er wird sterben müssen, wenn Huld und Nachsicht ihm nicht beistehen, und Furcht quält ihn so arg wie den Fasan, der über sich im Baum den Habicht sieht (54—60). Seine Dame möge ihm nicht zürnen, dass er ihr seine Liebe entdecke, denn sonst wäre er vor Sehnsucht gestorben; sie könne ihn retten, wenn sie freundlich gegen ihn sei (61—66). Trotzdem ihm Schande mehr als der Tod misfalle, so habe er doch seiner Dame halber sein Wort gebrochen, (d. h. wohl, er ist seinem Vorsatze nach dem Tode der früheren Geliebten nicht mehr zu singen, untreu geworden), da sie aber so vortrefflich sei, sei er nicht zu tadeln (76—80).
Ein anderes Lied (No. 3) ist an eine mit dem Verstecknamen Na Gaug de Cor bezeichnete Dame gerichtet. Wie das Kameel dem Menschen, der ihm wenig Nahrung, aber grosse Lasten zu tragen gebe, doch treu sei, so ist der Dichter der Liebe gehorsam, obgleich sie ihm nur wenig Genuss gewährt (1—7). Er wird ihr alle Zeit ergeben sein, und mehr als Abel auf Gottes Befehl wird er auf den ihrigen achten; sie zu fördern, ist all sein Streben, dankt er ihr doch die Zuneigung der lieblichsten Frau (33—48). Er liebt sie heisser als Tristan Isolde liebte (50—53) und hat durch sie mehr Freude und Heil erfahren als Roland durch Alda (59—60); sie möge ihm daher ohne weitere Bitte geben was ihm von Rechtswegen zukomme (65—69). Dieses Wort aber möge ihm nicht als Hochmuth angerechnet werden; seine Sehnsucht habe ihn so überwältigt, dass er die Hülfe seines guten Rechtes in Anspruch nehmen müsse. Sei das aber zu viel verlangt, so möge Mitleid ihm beistehen, durch welches ja auch dem sündigen Adam Freude zu Theil geworden sei (81—96). Die Schönheit seiner Dame sei so gross, dass man sie nicht beschreiben könne, deshalb habe er in seinem Liede auch gar nicht unternommen sie zu loben (96—103). Er hofft, dass er durch seine Bitte das erlangen werde, was er erwartet, doch stellt er die Entscheidung der Dame anheim und will auch den Tod, wenn sie es wünscht, geduldig erleiden, denn er liebt sie mehr als Abraham Sara geliebt hat (113—121).
Zwei andere Damen, denen Zorzi seine Huldigung dargebracht hat, treten uns in No. 4 entgegen: Noms Verais und Na Flors Vermelha. Obgleich er gefangen sei, will der Dichter doch ein Lied singen aus Freude über ein frohes Wort, das Noms Verais ihm geschrieben. Durch seinen frohen Sang hofft er (wenn anders ich die Stelle richtig verstanden habe) diejenige wiederzugewinnen, die Kummer von ihm fern hält (1—12), Na Flors Vermelha, deren Feindschaft ihm allen Frohsinn raubt (85—89). Sie hat falschem Gerede Gehör geschenkt (23—24), aber auf solche Lügen solle man nicht achten (25—28), sondern man müsse sich bestreben einen treuen Diener glücklich zu machen und alles Leid von ihm fem zu halten; erst dann dürfe man sich von ihm wenden, wenn er sich so vergangen habe, dass keine Entschuldigung statthaft sei (49—60), Sein Lied aber möge geraden Weges sich zu derjenigen begeben, die gesagt habe, dass sie ihn gerne sehen wolle (das ist also wohl das „gais motz” der Noms Verais Zle. 7) und ihr Glück und Freude wünschen, die sie ihm leicht zu Theil werden lasse könne und, ihrem Versprechen gemäss, auch werde. Nimmer werde er aus ihrer Herrschaft scheiden (72—84). Er würde beiden Damen für das ihm gesandte Wort danken, wenn er seinen Dank in passender Weise auszudrücken verstünde. Das Gedicht ist, wie wir oben sahen, zwischen 1263 und 1270 entstanden.
Der Versteckname Noms Verais findet sich auch in dem Gedichte Nr. 10, dessen Entstehung also auch wol, wie die des eben besprochenen Gedichtes, in die Zeit von Zorzis Gefangenschaft zu setzen ist. Der Dichter berichtet in dieser Romanze von einem Gericht der Liebesgöttin. Er wandelt voll Liebespein die Blume zu suchen, die ihm Heilung bringen könne, da findet er im Schatten einer Abtei ein Mädchen, die ihrem Freund versprochen hat all sein Begehren zu erfüllen, statt dessen aber ihm Schmerz und Leid bereitet hat. Weinend klagt nun der Freund die Liebe an, sie habe ungerecht gehandelt, da sie ihn ohne seine Vertheidigung zu hören zum Tode verurtheilt habe, blos weil seine Geliebte dies für recht befunden (1—19). Die Liebe antwortet, sie habe der Klage gemäss geurtheilt, doch wolle sie ihr Unheil widerrufen und beide Theile hören. Das Mädchen möge also den Grund ihres Hasses angeben, da ihr Freund sich vertheidigen wolle; zum Schluss wolle sie ihre Meinung abgeben (20 —38). Das Mädchen erhebt heftige Klage gegen den falschen Freund, der Schlimmeres als den Tod verdient habe (45); sie habe ihm, ohne sich um anderer Tadel zu kümmern, manche freundliche Gabe gewährt, er aber sei nicht verschwiegen gewesen und habe Gerüchte aufkommen lassen, die ihr Freude und Lust geraubt haben, und manches unangenehme Wort habe sie in Folge dessen hören müssen (51—57). Der Liebende wendet sich vertheidigend ein, dass böse Zungen wol die Freude flauer Liebenden in Thränen zu verwandeln pflege, dass sie aber über treue Liebende keine Macht haben sollten. Deshalb hätte ihr niederträchtiges Gerede ihm, der allezeit seine Dame treu geliebt habe, nicht schaden dürfen, und sie hätte ihn nicht in Verdacht haben dürfen, dass er etwas verrathen hätte, wodurch ihr Schmerz und Leid und ihm Schaden erwachsen könne (58—76). Das Mädchen erhebt nun eine zweite, schwerere Anklage. Wie einer, der die Hand begehre, wenn er nur den Handschuh gesehen, habe der Freund, weil sie ihm freundlich seinen Willen gethan, den ihren überschreiten und Ungeziemendes thun wollen, wodurch er ihre Ehre gefährdet habe. Für solche verrätherische Absicht verdiene er den Tod (77—95). Der Liebende antwortet darauf, dass er, um der Wahrheit treu zu bleiben, allerdings zugeben müsse, dass die Schönheit der schönsten Frau ihn so überwältigt habe, dass er nur nach Genuss getrachtet habe, aber niemals habe er die Absicht gehabt, ihre Ehre zu verletzen (96—112). Die Liebe giebt nun ihr Urtheil dahin ab, dass der Liebende sich durch sein Reden keines Vergehens schuldig gemacht habe, wol aber durch sein übermässiges Begehren, doch müsse ihm diese Schuld um des Leides willen, das er, auf Versöhnung harrend, erduldet habe, verziehen werden. Darum soll er seiner Freundin fürderhin dienen und sie seine Dienste freundlich annehmen (119—133). Die beiden Liebenden gehorchen dem Urtheilsspruch, und der Dichter ist Zeuge ihrer herzlichen Aussöhnung (134—141). Seine Erzählung von dem Streit und dem Urtheil sendet er aber an Noms Verais, sie möge sie derjenigen mittheilen, die er allezeit im Herzen trägt und ihn ihre Meinung wissen lassen (142—149). Diese Dame ist wol die Na Flors Vermelha des vorherbesprochenen Gedichtes. Es scheinen also die beiden Damen zwei Freundinnen gewesen zu sein, denen der Dichter gemeinsam seine Huldigung darbrachte, die wahre Dame seines Herzens Na Flors Vermelha, Noms Verais dagegen die liebenswürdige Vermittlerin, die der Herrin des Sängers Gedichte überbringt, an die er sich wendet und die (siehe Nr. 4, Str. 1) mit ihm in schriftlichem Verkehr stand.
Auf dieselben Damen ist wol auch die erste Tornada des Liedes Nr. 7 zu beziehen, in der Zorzi seinem Gedichte aufträgt „a la plus doussa figura” zu gehen, „quar fassa de ti presen a leis don chant a presen sol per esfortz de verdura.” (Was die letzten Worte bedeuten, ist mir unklar; man möchte meinen, wir hätten es hier mit dem bei den Troubadours so häufig sich findenden Gedanken zu thun, dass die Freude über die Pracht des Frühlings den Dichter zum Singen veranlasst. Aber Zeile 60, wo es heisst „er on mais s’espan freidura” beweisst, dass das nicht sein kann). Ich bin um so mehr geneigt in den beiden in der Tornada von Nr. 7 angeführten Damen Na Flors Vermelha und Noms Verais zu sehen, als auch der Inhalt des Gedichtes vortrefflich zu dem von Nr. 4 passt, der jene beiden Namen bietet. In diesem klagt, wie wir sahen, Zorzi darüber, dass seine Dame lügnerischen Behauptungen Glauben geschenkt und auf falsches Gerede hin ihren Sinn geändert habe (Nr. 4 Str 2 und 3), in jenem wendet er sich heftig gegen die truans enojos (31), denen Schlechtigkeit so wohl gefiele (38), dass sie zu Verläumdern würden, um Freude und Lust zu Grunde zu richten, falsches Gerede zwischen dem Liebenden und der Geliebten aufbrächten und so das Recht der Liebe und die Frauen schädigten (40—48). Derjenige aber, der einem falschen Gerede nicht widerspreche, wenn es einen guten Ruf schädige, vergehe sich schwerer als derjenige, der zwei Unwahrheiten sagt, die nicht solche Folgen haben. Beide aber verdienen Leid und Kummer wegen ihrer Thorheit und Falschheit (65—72). Der Eifer des Dichters ist leicht verständlich, spricht er doch im eigenen Interesse. Er sagt zwar, seine Dame sei so vortrefflich, verständig und schön, dass jeder sich lächerlich machen würde, der nur den Gedanken hegen könnte, dass zwischen ihnen beiden Täuschung oder Hintergehen zu Klagen Veranlassung gäbe, und da er das wisse, sei sein Herz ruhig und voll Freude (73—84), aber gar so überzeugt scheint er doch nicht davon gewesen zu sein, denn er sendet sein Lied dorthin, wo falsche Rede von vielen gesagt und geglaubt würde, zu der Dame, von der er singt (85—90), und er fleht den heiligen Geist an, die Verläumder gebührend zu strafen für ihre Vergehen (93—97). Sein Lied sollte also die Dame vor den Verläumdern warnen; aus Nr. 4 geht hervor, dass ihm dies nicht gelang und dass Na Flors Vermelha den Lügnern Glauben geschenkt und ihm ihre Gunst entzogen hatte. Das Gedicht Nr. 7 würde somit vor Nr. 4 verfasst, aber in dieselbe Entstehungsperiode (1263—1270) zu setzen sein.
Näheres über die beiden Damen erfahren wir nicht. Ist aus Nr. 4 Zle. 13—14 der Schluss zu ziehen erlaubt, dass sie Venezianerinnen waren, dann mag Na Flors Vermelha vielleicht auch die Dame sein, die er in seinem Sirvcntese an Calvo anredet (Nr. 14 Zle. 49 ff.): Treffliche Dame, die ihr in dem Lande wohnt, für das ich streite, um Gnade flehe ich euch an, stehet mir bei! So sehr bin ich in Liebe zu euch entbrannt, dass ich nicht leben kann, wenn ich eure holde Gestalt nicht sehe.
In Nr. 12 erfahren wir von zwei anderen Damen, die der Dichter Mon Plus Car und Na Bels Salutz nennt. An erstere sendet er sein Gedicht, als beste Art das ihr gegebene Versprechen zu erfüllen; der letzteren danke er alles, was er Gutes thue und sage. Welches ist das Versprechen? Ist eine der beiden Damen mit einer der in den besprochenen Gedichten identisch? Ich vermag darüber nichts zu sagen.
Diez meint (Leb. und Wke. S. 501), dass abgesehen von der Romanze die Minnelieder Zorzis von geringer Bedeutung seien. Ich stimme ihm voll und ganz bei. Wenn in den Sirventesen doch zuweilen ein vollerer Ton angeschlagen wird, ein frischerer Klang uns wohlgefällig berührt, so ist das bei den Liebesliedern nicht der Fall; sie zeigen Mangel an Klarheit, schwerfälligen Ausdruck, Weitschweifigkeit und eine zuweilen bis zum Ueberdruss hervortretende Vorliebe für Vergleiche und sind daher von geringem Werthe.
Auf die Vorliebe Zorzis für Vergleiche hat schon Gaspary, Sicil-Dichterschule S. 86 hingewiesen, und Diez wirft (L. u. Wke. S. 501) wegen das in Nr. 3 Str. 2 angewandten Bildes dem Dichter Mangel an Zartgefühl vor. „Nicht zart”, sagt er, „wendet der Dichter einmal einen bekannten Zug aus der fabelhaften Naturgeschichte auf seine Dame an, indem er sie mit einer Schlange vergleicht, die den Nackten fliehe und nur gegen den Bekleideten Muth zeige.” Dieser Vorwurf ist nicht gerechtfertigt, denn erstens weist die bessere Hs. A Zeile 26 statt des in IK sich findenden nutz damanz, das der Diez’schen Anschauung zu Grunde liegt, demans auf, was ich einem Vorschlage des Herrn Chabaneau folgend in d’enjans ändere, wodurch die Stelle einen ganz anderen und, wie mir scheint, erst den richtigen Sinn erhält, zweitens wendet sich der Dichter gar nicht an seine Dame, sondern an die Liebe, und drittens tritt gerade ein würdiges Masshalten, ein schönes Taktgefühl in Zorzis Gedichten in erfreulicher Weise zu Tage. Nicht nur dass er mit energischem Worte die desmezura bekämpft (Nr. 7 Str. 1), sondern er bethätigt auch seine Lehre und beobachtet stets eine massvolle Zurückhaltung. In dem Gedichte (Nr. 15), in dem er seiner stolzen Herrin den Dienst aufsagt, klagt er über ihre schlechte Behandlung ganz im Allgemeinen, vermeidet aber sich näher über ihre Schuld auszulassen (el plus nos tanh qu’e mon chantar espleja Zle. 27); sie hat seine treuen Dienste schlecht gelohnt, deshalb verlässt er sie, aber ohne Hass und Groll, zufrieden mit dem Bewusstsein seine Pflicht gethan zu haben, ja sogar bedauernd, dass er vielleicht etwas gesagt oder gethan habe, was ihr unlieb gewesen sei. Auch in Nr. 2 kleidet er seinen Tadel so ein, dass derjenige, an den er gerichtet war, sich nicht verletzt fühlen konnte. Er hält seine Verse so allgemein, dass das grosse Publikum nicht wissen konnte, auf wen sie gemünzt waren, für den Getadelten selbst aber sind sie deutlich (39—40), und das genügt dem Dichter: „mas ieu nom volh plus atendre en aital plag razonar, quar assatz rai pot entendre cel qu’aisso m’a faig retrar.” — Selbst in dem Sirventes an Calvo (Nr. 14) bewahrt Zorzi seine massvolle Zurückhaltung; er begnügt sich damit Calvos Angriffe zu widerlegen, weist mit Recht auf den grossen Seesieg der Venetianer bei Trapani hin, aber er hält sich fern von heftiger Invective. Dass diese Zurückhaltung keine zufallige, sondern eine bewusste und beabsichtigte ist, ergiebt sich aus den letzten Zeilen des Gedichtes: „e del taisser grat corteziam ren, e majormen dels Genoes l’enten.”
In seltsamem Gegensatz zu der von Zorzi ausgesprochenen und, wie wir sahen, auch befolgten Lehre: „Totz hom qu’enten en valor deu esser amesuratz” (No. 7 Zle. 1—2) steht die das rechte Mass sicherlich überschreitende, ungemein hohe Meinung, die er von seinem dichterischen Schaffen hegt. Sehr wenig bescheiden beginnt er eines seiner Lieder (No. 13) mit den Worten:
Puois ieu mi fenh mest los prims entendenz
Saber un chant primamenz afinar,
und mit einem durch den Werth seiner Gedichte ganz und gar nicht gerechtfertigten Dünkel schliesst er das Sirventes über den Kreuzzug Ludwigs des Heiligen (No. 16) mit den selbstbewussten Worten:
En mon chantar pauzer’en remembranza
Totz los baros qu’er i acoron plazenz,
Quar tostemps mais chascus en fos lauzatz etc.
Nichts ist natürlicher, als dass Zorzi mit dieser Selbstüberschätzung eine grosse Empfindlichkeit vereinte, sobald es seinen Ruf als Dichter galt. So gerieth er denn in hellen Zorn (No. 12), als zwei mit ihm wohlbefreundete Joglars ein Lied von ihm getadelt hatten, an dem doch, wie er stolz hinzusetzt (Zle. 28), kein Wort zu verbessern war. Er verwünscht denjenigen, der ihn das Dichten gelehrt, da er keine Freude dabei finde (1—4), und es wäre ihm gleichgültig, wenn er überhaupt nicht dichten könnte, denn unter tausend gäbe es kaum einen, der ein vorzügliches Lied verstehen oder verfassen könne (11—12). Unverständig sei es zu dichten, da man kein Lob mehr damit erwerbe, denn sei ein Gedicht in dunkler Manier verfasst und von grossem Werthe, so verstehe man es nicht, sei es deutlich, so werde es nicht geschätzt (20—24). In seinem Unmuth bewahrt er nicht wie sonst seine ruhige Mässigung, statt sich zu vertheidigen und den anderen ihren Irrthum nachzuweisen, zieht er es vor sein Lied apodictisch als vollkommen hinzustellen (28) und gegen seine Gegner grob zu werden. Er wolle zwar nichts gegen ihre Ehre sagen, denn sie seien sich gegenseitig zugethan, aber sie möchten doch nachsichtig sein; sie wüssten ja selber beinahe nichts (29—32). Man könnte ihm einwenden, er thue verkehrt, so zu reden, da der Tadler frei von Fehl sein müsse (Str. 5), jedoch solle man nicht glauben, dass er sich einbilde alles zu wissen; aber, fügt er selbstbewusst hinzu, ich will mich weder loben noch tadeln, an seinen Werken erkennt man den Meister, und an meinen Liedern kann man leicht erkennen, wie viel ich in trefflichem Dichten leiste (45—48).
Was aber Zorzi unter der „art de trobar primamen” verstand, wird ersichtlich aus dem Gedichte No. 13; es ist der Tand künstlicher Manier. Die Künsteleien finden sich hier gehäuft, denn erstens hat Zorzi in jeder Strophe die gleichen Reimworte verwandt, zweitens sind die Strophen coblas retrogradadas (Leys I, 176. I, 256), d. h. die zweite Strophe weist die Reime der ersten in umgekehrter Reihenfolge auf, und drittens findet sich in jeder Zeile das Wort prims oder ein von ihm abgeleitetes Wort. Man sieht der Dichter hat es sich nicht leicht gemacht, und ich kenne in der That kein anderes provenzalisches Gedicht, das dem „prim vers” des Zorzi in dieser Beziehung an die Seite zu stellen wäre. Was Wunder aber, dass bei solch unbescheidenem Vordrängen der Aeusserlichkeiten der Inhalt ganz in den Hintergrund treten musste! Für unseren Geschmack ist Zorzis Gedicht gänzlich ungeniessbar.
Fand Zorzi, wie aus No. 12 Zle. 22 hervorgeht, dass der dunkelen Dichtweise grosser Werth beizumessen sei, fand er höchste Kunst in den im eben besprochenen Gedicht angewandten Künsteleien, so musste ein Dichter wie Arnaut Daniel seiner vollen Bewunderung gewiss sein, und so finden wir denn auch unter den Gedichten des Venetianers eine Nachbildung von Arnauts bekanter Sextine (No. 11).
Wir haben endlich noch zwei Lieder (No. 1 und No. 5) zu besprechen, die als die letzten in der Reihe der Gedichte Zorzis anzusehen sind. Sie zeigen uns den Dichter in seinem Alter. Derjenige hat das Beste erwählt, heisst es in No. 1, der in freudiger Erwartung vollkommener Glückseligkeit und um Gott allein zu dienen die eitlen Freuden dieser Welt verlässt und vergisst (1—12); die ewige Freude ersehnend wird er das schwerste irdische Leid leicht finden, und seine Seele wird einst zum ewigen Leben eingehen (19—26). Wer aber irdischer Lust fröhnt und des ewigen Lebens nicht gedenkt, der wandelt auf schlechtem Pfade (43—46). Auch er, Zorzi, habe Höllenpein verdient durch manche Uebelthat (72—74), aber Gott möge ihm verzeihen (60—62) und die heilige Jungfrau ihm beistehen (75—76). Sie möge Fürbitte für ihn einlegen, denn er gehe seinem Ende entgegen, und wenn sie nicht für ihn bitte, werde er des ewigen Lebens nicht theilhaftig werden (85—90).
In gleichem Ton ist das Lied No. 5 abgefasst. Dem Tode nahe (3) ist der Dichter von tiefer Reue erfüllt (20), nur Gottes Gnade könne ihn von ewiger Höllenpein retten (15—8), und um diese Gnade zu erlangen beichtet er demüthig seine Sünden (23 ff). Das Gedicht enthält eine bittere Selbstanklage, und wahrlich tief zerknirscht musste der Dichter sein, wenn er, der einst so überaus stolz auf sein poetisches Schaffen gewesen, jetzt Verzeihung erfleht, weil er gedichtet habe „per laid enjan vers e sirventes e chan d’avol razon deschauzida ab mainta mensonh’ aunida” (41—44). Er zittert bei den Gedanken an die Strafe, die er verdient (53—55), und er bittet Gott ihn seine Schuld durch irdisches Leid büssen zu lassen und Gnade walten zu lassen, damit nach seinem Tode seine Seele in das Paradies eingehe (71—77). —
Der Inhalt der beiden Lieder zeigt, dass Zorzi sie am Ende seines Lebens verfasst hat, datieren lassen sie sich nicht; darf man aber aus den Worten „qu’eu sec ma fi” (1, 87) und „er quant mortz mi te al fre” (5, 3) den Schluss zu ziehen sich erlauben, dass er ein ziemlich hohes Alter erreicht hat, dann würden die beiden Gedichte, da er, wie wir oben sahen, zwischen 1230 und 1240 geboren ist, an das Ende des 13ten oder in die ersten Jahre des 14ten Jahrhunderts zu setzen sein, in welche Zeit denn wohl auch sein Tod fallen würde.
Was wir über Bertolome Zorzi durch die Biographie und seine Lieder erfahren, ist kurz zusammengefasst das Folgende. Er war ein venezianischer Kaufmann und wurde zwischen 1230 und 1240 geboren. Auf einer Reise im Jahre 1263 wurde er von den Genuesen gefangen genommen und blieb bis 1270 in Genua in Haft. Er kehrte darauf in seine Vaterstadt zurück und wurde später zum Castellan von Modon und Koron ernannt, wo er auch gestorben ist. Sein Tod ist wahrscheinlich an das Ende des 13. oder den Anfang des 14. Jhdts. zu setzen. Er war seiner Vaterstadt treu ergeben, massvoll und gerechten Sinnes. Seine Gedichte, besonders die Minnelieder, sind von untergeordnetem Werth; trotzdem hatte er eine ungemein hohe Meinung von seiner dichterischen Begabung und zeigt in dieser Beziehung eine grosse Empfindlichkeit. Nur von wenigen seiner Gedichten lässt sich die Entstehungszeit bestimmen. Es entstand No. 4 zwischen 1263 und 1270, desgleichen No. 10 und wohl auch No. 7, No, 18 1268, No. 16 zwischen April und September 1270, No. 8 im September oder Oktober 1270. Die Gedichte No. 1 und No. 5 schliessen die Reihe der Gedichte ab und sind wahrscheinlich am Ende des 13ten oder in den ersten Jahren des 14ten Jahrhunderts entstanden. (↑)
* * * * *
METRUM UND REIM.
Der Bau der Gedichte Zorzis lässt sich durch die folgenden Formeln veranschaulichen, bei denen die Ziffer die Silbenzahl, der Buchstabe den Reim bezeichnet; ist der Reim weiblich, so ist ein Häkchen ᵕbeigefügt. Die Bogen geben die Gliederung der Strophe an, der Doppelstrich bezeichnet die Diesis. Ich füge bei den Sirventesen hinzu, ob andere Lieder, und welche, gleichen Bau und Reim aufweisen.
Nr. 1. Ben es adregz.
4a 6ᵕb 4c 6d 4a 6ᵕb 4c 6d || 4a 6e 4f 6ᵕg 4h 6ᵕg
Die Reime sind in Str. 1, 3, 5: egz ansa os ir egz ansa os ir egz ors als ida er ida; in Str. 2, 4, 6: ier ina an al ier ina an al ier eu i erna ecs erna. Das Gedicht ist als moralisches oder, legt man auf die letzten beiden Strophen das Hauptgewicht, als persönliches Sirventes zu bezeichnen. Ein anderes Gedicht gleichen Baues kenne ich nicht.
Nr. 2. S’ieu trobes plazer a vendre.
7ᵕa 7b 7ᵕa 7b || 7c 7c 7b 7b 7ᵕa
Das Gedicht ist von Zorzi selbst (Zeile 69) als Sirventes bezeichnet. Die Reime sind: endre ar endre ar o o ar ar endre. Die Strophen sind coblas unisonans. — Gleichen Bau und Reime weisen auf:
1. Guiraut de Bornelh: Onratz es hom per despendre M. G. 844. 5 Strophen, 2 Tornadas.
2. Bertran Carbonel: Savis hom quant vol empendre. Derniers Troub. S. 65, Cobla esparsa.
3. Bernart de la Fon: Leu chansonet’ ad entendre. P. O. 395.
Zorzis Gedicht hat 7 Str. 2 Torn.
Nr. 3 Atressi cum lo camel.
Das Gedicht ist eine Canzone:
7a 7ᵕb 7a 7c 7ᵕb 7c || 7c 7d 7e 7f 7d 7e 7f 7f 3g 7g.
Die Reime sind: el anda el en anda en en ut an atz ut an atz atz am am.
Nr. 4. Si tot m’estauc en cadena.
7ᵕa 7ᵕa 3b 7b 7ᵕa 7ᵕa 3b 7b || 7ᵕa 7ᵕa 3b 7ᵕa
In Str. 1 ist a = ena, b = ais; Str. 2: a = atge, b = ar; Str. 3; a = ura, b= ir; Str. 4: a = ensa, b = es; Str. 5: a = ire, b = an; Str. 6: a = enda, b = e; Str. 7: a = ia, b = ier.
Der Verfasser selbst nennt das Gedicht Sirventes (Zle. 73), obgleich es richtiger als Canzone zu bezeichnen wäre. Ist darin ein Einfluss der italienischen Dichter zu sehen, bei denen der Name Sirventes etwas anderes bedeutete als bei den Provenzalen und sich nicht auf den Gegenstand, sondern auf die Form bezog ? (Siehe Gaspary, Sic. Dichterschule S. 21 Anm, 2). Oder hat, denn dieses Gedicht ist sicherlich einem Liede Bertran de Borns (Stimming Nr. 9) nachgebildet, Zorzi vielleicht die Meinung der Doctrina de compondre dictats (Romania VI, 354) getheilt, dass das Sirventes so heisse „per ço c’om se serveix e es sotsmes a aquell cantar de qui pren lo so e les rimes?” Wenigstens nennt er seine Nachahmung der Arnaut Danielschen Sextine (Nr. 11) ebenfalls Sirventes, und hier ist die Benennung durch den Inhalt ebensowenig gerechtfertigt. — Gleichen Bau zeigen folgende Gedichte:
1. Bertran de Born: Cazutz sui de mal en pena (Stimming Nr. 9) 5. Str. 1.Torn. Das Gedicht weist auch in seinen beiden ersten Strophen dieselben Reime auf wie die Anfangsstrophe von Zorzi. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass das Lied Bertrans dem Venetianer als Muster gedient hat. —
2. Peire Guilhelm de Luzerna: Qui Na Caniza guerreja. Archiv 34, 408. 2 Str.;
3. Uc de San Circ: Tant es de paubr’acoindansa. M. G. 1161 5 Strophen;
4. Uc de San Circ: Guilhem Peire de Luzerna. Archiv 34, 408. 2 Str.
Diese drei Gedichte weichen in den Reimen von Zorzis Gedicht ab. Letzteres hat 7 Str 2 Torn.
Nr. 5. Jesu Crist per sa merce.
Das Gedicht ist als persönliches Sirventes zu bezeichnen:
7a 5b 7a 5b || 7c 3c 7c 7d 7d 7ᵕe 7ᵕe
Die Reime sind: e ansa e ansa al al al an an ida ida. Die Strophen sind Coblas unisonans. Ein Gedicht gleichen Baues habe ich nicht gefunden.
Nr. 6. Entre totz mos cossiriers.
Das Gedicht ist eine Canzone:
7a 7ᵕb 7a 7ᵕb || 7c 7c 7ᵕd 7e 7ᵕd 5e.
Die Reime sind: iers enta iers enta an an ia ar ia ar. Die Strophen sind Coblas unisonans.
Nr. 7. Totz hom qu’enten en valor.
Das Gedicht, vom Verfasser (Zle. 87) „chanzos” genannt, ist wol am Richtigsten als Sirventes-Canzone (vgl. Diez, Poesie der Troub. S. 112) zu bezeichnen. Strophenbau:
7a 7b 7a 7b || 5c 7c 7d 5d 7ᵕe 7f 7f 7ᵕe.
Reime: or atz or atz itz itz os os ura en en ura. Coblas unisonans. Ein Gedicht von gleichem Bau kenne ich nicht.
Nr. 8. On hom plus aut es pujatz.
7a 6b 6b7a 6b 6b || 7c 6c 7d 6d 10e 10e
Das Gedicht ist ein Sirventes. Die Reime sind: atz er er atz er er at at en en eu eu. Die Strophen sind Coblas unisonans. Ein anderes Gedicht von gleichem Bau habe ich nicht gefunden.
Nr. 9. Mout fai sobreira folia.
7ᵕa 8b 8b 7ᵕa 7ᵕa || 8c 8d 8d 8c
Vom Dichter als dimei-chant bezeichnet (Zle. 44), da es die Eigentümlichkeit aufweist, das die letzten 4 Zeilen der Strophen die Anfangsverse der Strophen des Peire Vidal’schen Liedes „Quant hom es en autrui poder” (ed. Bartsch Nr. 23) sind. Etwas Gleiches ist mir in der prov. Lyrik nicht bekannt, höchstens liesse sich hier hinweisen auf das Gedicht des Mönches von Foissan (P. O. 167, M. W. III, 296), wo der Schlussvers jeder Strophe durch den Anfangsvers eines anderen Liedes gebildet wird.
Nr. 10. L’autrier quant mos cors sentia.
7ᵕa 7b 7b 7c 7c 7ᵕa 7ᵕa 7d 7ᵕe 7ᵕe 7d 7f 7f 7ᵕg 7h 7ᵕg 7h 7i 10i
Die Reime sind: ia or or itz itz ia ia an aire aire an en en endre ort endre ort ir ir. Die Strophen sind Coblas unisonans. Das Gedicht ist eine Romanze.
Nr. 11. En tal dezir mos cors intra.
7ᵕa 10ᵕb 10ᵕc 10ᵕd 10ᵕe 10ᵕf
Das Gedicht wird vom Verfasser selbst Sirventes genannt (Zeile 37). Siehe Metrum und Reim Gedicht Nr. 4. Es ist eine Nachbildung der Sextine des Arnaut Daniel „Lo ferm voler qu’el cor m’intra”, Canello Nr. XVIII, und zeigt dieselben Reimwörter intra ongla arma verja oncle cambra. Es findet sich bekanntlich noch eine Nachahmung jener Sextine durch Guilhem de San Gregori: Ben grans avolesa intra. Dies Gedicht hat, wenigstens in dem Abdruck bei Mahn (Gedichte Nr. 940), nur 5 Strophen, wäre also nur unvollständig erhalten. Es fehlt die Strophe, die mit ongla beginnen müsste.
Nr. 12. Mal aja cel que m’apres de trobar.
10a 10b 10b 10a || 10c 10c 10d 10d
Die Reime sind: ar es es ar or or en en. Die Strophen sind Coblas unisonans. Das Gedicht ist ein Sirventes. Von gleichem Bau giebt es eine sehr grosse Anzahl Gedichte, aber keines derselben zeigt dieselben Reime:
1. Guiraut de Bornelh: Non es savis ni garie ben apres. M. G. 869. 5 Str, 1 T.; 2. Pons de Capdolh: Aissi m’es pres cum celui que cercan. von Napolski XI. 5 Str. 2 T.;
3. Pons de Capdolh: Si com celui qu’a pro de valedors. von Napolski XII. 5 Str. 2 T.;
4. Peire Vidal: Anc no mori per amor ni per al. Bartsch Nr. 35. 7 Str. 2 T.;
5. Peire Vidal: Tart mi veiran mei amic en Tolzan. Bartsch Nr. 36. 4 Str.;
6. Peire Vidal: Plus quel paubres que jatz en ric ostal. Bartsch Nr. 37. 7 Str. 2 T.;
7. Peire Vidal: Be m’agrada la covinens sazos. Bartsch Nr. 38, 6 Str.;
8. Peire Vidal (Tenzone): Peire Vidal pos far m’ave tenso. Bartsch Nr. 39. 4 Str.;
9. Peire Bremon: Un sirventes leugier e venassal. M. G. 105. 5 Str. 1 Torn.;
10. Peire Bremon: Us covinens gentils cors plazentiers. M. G. 915. 5 Str. 1 Torn.;
11. Gui d’Uisel: Si bem partetz mala domna de vos. M. G. 149. 6 Str. 2 Torn.;
12. Aimeric de Belenoi: Aissi col pres que s’en cuja fugir. M. G. 194. 6 Str. 1 Torn.;
13. Gaucelm Faidit: Maintas sazos es hom plus volontos. M. G. 347. 5 Str. 1 Torn.;
14. Peire Milo: Pois que del cor m’aven farai chanso. M. G. 289. 5 Str. 1 Torn.;
15. Aimeric de Pegulha: D’avinen sap enganar e trair. M. G. 1190, 5 Str.;
16. Aimeric de Pegulha: Amors a vos meteissam clam de vos. M. G. 739. 5 Str. 3 Torn.;
17. Peire Cardinal: Un sirventes qu’es mieg mals e mieg bos. M. G. 1250, 5 Str. 1 Torn.;
18. Guilhalmet: Senher Prior, lo sains es rancuros. M. G. 533. Tenzone.;
19. Sordel: Atrestan dei ben chantar finamen. Unediert. 5 Str. 2 Torn.;
20. Reforsat de Forcalquier: En aquest son qu’eu trop leugier e pla. Choix V., 429.;
21. Enric: Amics Arver d’una ren vos deman. Choix V. 215.;
22. Serveri de Girona: Baile jutge consellier d’aut senhor. L. R. 479 5 Str. 2 Torn.;
23. Guiraut Riquier: Ja mais non er hom en est mon grazitz. M. W. IV., 67. 7 Str, 3 Torn.;
24. Guiraut Riquier: No cugei mais d’esta razon estar. M. W. IV., 82. 4 Str. — Zorzis Gedicht hat 7 Str. 2 Tornadas.
Nr. 13. Puois ieu mi fenh mest los prims entendenz.
10a 10b 10b 10a || 10c 10d 10d 10c
Das Gedicht wird vom Verfasser selbst als „vers” bezeichnet (Zle. 57). Die Reime sind: enz ar ar enz er ir ir er. Ich habe schon S. 22 die Besonderheiten im Bau dieses Gedichtes bezeichnet: 1° Coblas retrogradadas 2° Beibehaltung der gleichen Reimwörtern durch alle Strophen 3° Erscheinen des Wortes prim oder eines von ihm abgeleiteten Wortes in jeder Zeile. Die Gedichte, die in allen Strophen dieselben Reimwörter aufweisen, hat Appel: Das Leben und die Lieder der Trobadors Peire Rogier S. 19—20 zusammengestellt. Zu den von ihm angeführten Liedern
1. Peire Vidal: Mout m’es bon e bel. Bartsch Nr. 1;
2. Richart de Berbezilh: Pauc sap d’amor qui merce non aten. M. G. 719.
3. Zorzis Gedicht;
4. Guilhem Peire de Cazals: Aras pus vei mon ben astruc. P. O. 237; M. W. 3, 313;
5. Guiraut Riquier: Nom sai d’amor si m’es mala o bona M. W. IV, 10;
6. Raimbaut d’Aurenga: Ara s’espan la flors enversa. M. G. 325; ist noch hinzuzufügen:
7. Americ de Belenoi: Al prim pres dels breus jorns braus. M. G. 206. — Der Reimwechsel in diesem Gedichte ist der folgende:
Str. 1. a bᵕc dᵕe fᵕg hᵕi kᵕ
Str. 2. i kᵕa bᵕc dᵕe fᵕg hᵕ
Str. 3. g hᵕi kᵕa bᵕc dᵕe fᵕ
Str. 4. e fᵕg hᵕc kᵕa bᵕc dᵕ
Die Verse haben 7 Silben, die mit einem ᵕversehenen sind weiblich. Um den Kreis der Reimfolge zu schliessen bedürfte es noch einer fünften, mit c dᵕbeginnenden Strophe; eine solche ist den Abdrücken bei Mahn (Gedichte 206 (hs. C) und 891 (E)) nicht vorhanden.
Ueber die coblas retrogradadas s. Bartsch Jahrbuch I, 182. Die Künstelei ein Wort oder ein von ihm abgeleitetes in jeder Zeile eines ganzen Gedichtes zur Anwendung zu bringen, habe ich nur noch bei Raimbaut d’Aurenga M. W. I, 70 gefunden. Dazu zu stellen ist ein Gedicht von Raimon de Miraval M. G. 38 und ein Gedicht von Raimbaut d’Aurenga M. W. I, 67 wo das in jeder Zeile wiederkehrende Wort mit jeder Strophe wechselt, und ferner ein Gedicht von Arnaut Catalan M. G. 207, wo es nach je zwei Strophen wechselt.
Nr. 14. Mout fort me sui d’un chant meravilhatz.
10a 10ᵕb 10a 10ᵕb || 10c 10c 10d 10d
Dies Sirventes, die Antwort an Calvo, zeigt die Reime: atz aja atz aja es es en en. Gleichen Bau und gleiche Reime hat natürlich Calvos „Ges no m’es greu s’eu no sui ren prezatz” Bartsch Chr.3 S. 273, 5. Str. 1. Torn., sonst aber habe ich, so ungemein einfach auch der Strophenbau ist, nur ein einziges Gedicht gefunden, das ebenso construiert ist aber andere Reime aufweist: Raimon Jorda: D’amor nom posc departir ni sebrar Arch. 33, 466 5 Str. 1 Torn. — Zorzis Sirventes hat 7 Str. 2 Torn. und zwar Coblas unisonans.
Nr. 15. Pron si deu mais pensar al meu semblau.
Das Gedicht ist eine Canzone:
10a 10b 10a 10b || 10ᵕc 10ᵕc 10d 10d 10ᵕc.
Reime: an or an or eja eja on on eja. Die Strophen sind Coblas unisonans.
Nr. 16. Non laissarai qu’en chantar non atenda.
10ᵕa 10b 10ᵕa 10b || 10ᵕc 10d 10b 10d 10ᵕc
Das Gedicht ist ein Sirventes. Die Reime sind: enda atz enda atz ansa ens atz ens ansa in den Strophen 1, 3, 5, 7, und in Str. 2, 4, 6, tritt c an Stelle von a und vice versa, während b und d bleiben. Das Sirventes hat 7 Str. 1 Torn. Ein anderes gleichgebautes Gedicht ist mir nicht bekannt.
Nr. 17. Aissi col fuocx consuma totas res.
Das Gedicht ist eine Canzone:
10a 10ᵕb 10ᵕb 10a || 10a 10c 10d 10c 10d 10d.
Die Reime sind: es ire ire es es ortz atz ortz atz atz. — Die Strophen sind Coblas unisonans.
Nr. 18. Sil mons fondes a maravilha gran.
10a 10ᵕb 10a 10ᵕb || 10c (4+6) 10d 10d 10c (4+2+4) 10ᵕe 10c (4+6) 10ᵕe (4+6)
Das Gedicht ist ein Planh, vom Dichter selbst (Zle. 91) so bezeichnet. Die Verse sind Zehnsilbner, die theilweise Binnenreim (4) aufweisen. Die Reime sind an enza an enza es ics ics es atge es atge. Die Strophen sind Coblas unisonans.
Was die Cäsur anbetrifft, so zeigt der zehnsilbige Vers bei Zorzi meist regelmässig die Cäsur nach betonter vierter Silbe. Daneben aber findet sich ziemlich häufig lyrische Cäsur: 8, 59; 11, 28; 12, 5, 8, 10, 13, 30, 32, 35, 58; 13, 5, 53; 14, 13, 31, 32, 39, 45, 46, 49, 63; 15, 5, 20, 26, 29; 16, 21, 41, 59; 17, 17, 19, 36, 58, 61; 18, 2, 15, 17, 45. Cäsur nach betonter sechster Silbe findet sich: 13, 25; 14, 52; 15, 1, 38; 16, 48. Als Verse ohne Cäsur sind anzusehen: 11, 15; 18, 6, 9; man mag auch wol 13, 11, 15 dazu rechnen.
Die Tornada zeigt fast bei der Hälfte der Gedichte Zorzis ein Abweichen von der bekannten Regel der Leys (I, 338.). Nr. 1 hat 14 zeilige Strophen, die Tornada ist sechszeilig, Nr. 3 hat Strophen von 16 und eine Tornada von 9 Zeilen, Nr. 4, das 12 zeilige Strophen aufweist, wird durch zwei 4 zeilige Tornadas beschlossen, in Nr. 5 haben die Strophen 11, die Tornada nur 2 Verse, auf die 10 zeiligen Strophen von Nr. 6 folgt eine Tornada von 6 Zeilen, Nr. 7 und 10 haben Tornadas von 8 Zeilen, während die Strophen des ersteren Gedichtes 12, die des letzteren 19 Verse aufweisen, und endlich in Nr. 18 haben die Strophen 11 Verse, die beiden Tomadas aber nur 4.
Treffen in der Mitte des Verses ein auslautender und ein anlautender Vocal zusammen, so tritt Elision oder Aphärese oder Synaloephe ein, oder der Hiatus bleibt bestehen.
Elision:
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1, 2, 6, 15, 26, 27, 28, 30 u. ö.
|
Aphaerese:
|
3, 87, 92; 4, 90; 6, 80; 12, 24; 15, 22; 17, 62.
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Synaloephe:
|
3, 3, 37, 75, 97 u. ö.
|
Hiatus findet sich a) bei unelidierbarem auslautenden Vocal: fai en 1, 80; joi el 4, 3; eu ai 5, 14 u. ö.; b) bei elidierbarem auslautenden Vocal: segre autra 9, 41; domna (hss. d’ome) amanz 11, 39; que es 14, 3; que alhors 15, 49. Der auslautende Vocal wird durch die Censur gestützt 13, 5: primeza || es.
Die Reime Zorzis weisen die Eigenthümlichkeit auf, auf die Paul Meyer in seinem Aufsatze: L’imperfait du subjonctif en es (Romania VIII, 155) schon aufmerksam gemacht hat, dass sie offenes und geschlossenes e nicht scheiden. Paul Meyer hat a. a. O. die Stellen aus Zorzi zusammengestellt, wo ẹs und ęs reimen, da es dort nur auf diese Endung ankam. Doch findet sich die Erscheinung auch in anderen Endungen.
Ecs:
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Nr. 1:
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quẹcs Zle. 27 : cęcs Zle 55 : dẹcs (82) : pręcs (89).
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Egz:
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Nr. 1:
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adrẹgz (1) : respęgz (5) : delęgz (9) : estrẹgz (29). Die übrigen Reime zeigen ẹ.
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El.
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Nr. 3:
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camẹl (1) : fidęl (3). Die übrigen Reime weisen alle ę auf.
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Es.
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Nr. 4:
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poguẹs (39) : grevęs (40) : bẹs (43) : rẹs (44): mẹs (47).
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Nr. 12:
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promẹs (50) : restauręs (51).
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Nr. 17:
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restauręs (21) : plaguẹs (24) : degnęs (35); deguẹs (31) : confęs (34) : volguẹs (35); mẹs (41) : s’acordęs (44) : agradęs (45); pẹs (61) : sobreprẹs (64) : adęs (65).
|
|
Nr. 18:
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auciẹs (16) : sobrandęs (19) : conoguẹs (21); mesprẹs (38) : remembręs (41) : trẹs (43); demanẹs (49) : albergęs (52) : gẹs (54); adęs (56) : ẹs (58).
|
Zorzi ist der einzige prov. Lyriker, bei dem sich die Gleichstellung von ẹs und ęs im Reime so regelmässig durchgeführt findet; vereinzelte Beispiele dieser Erscheinung finden sich auch bei anderen Troubadours, vgl. Litt. Blatt für german. und roman. Phil. August 1883. In gleicher Weise wie bei Zorzi findet sich die Gleichstellung von ẹs und ęs in den anonymen religiösen Liedern der Wolfenbüttler Hs., vgl. Paul Meyer Romania VIII, 161. (↑)
REIHENFOLGE DER LIEDER IN DEN HANDSCHRIFTEN.
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IK
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A
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14.
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Mout fort me sui d’un chan meravilhatz
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1
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13.
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Puois ieu mi fenh mest los prims entendenz
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2
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3.
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Atressi cum lo camel
|
3
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1
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7.
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Totz hom qu’enten en valor
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4
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11.
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En tal dezir mos cors intra
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5
|
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1.
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Ben es adregz
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6
|
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9.
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Mout fai sobrieira folia
|
7
|
4
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18.
|
Sil mons fondes a maravilha gran
|
8
|
|
10.
|
L’autrier quan mos cors sentia
|
9
|
|
16.
|
Non laissarai qu’en chantar non atenda
|
10
|
|
8.
|
On hom plus aut es pujatz
|
11
|
6
|
12.
|
Mal aja cel que m’apres de trobar
|
12
|
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2.
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S’ieu trobes plazer a vendre
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13
|
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5.
|
Jesu Crist per sa merce
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14
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|
15.
|
Pron si deu mais pensar al meu semblan
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-
|
2
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6.
|
Entre totz mos cossiriers
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-
|
3
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4.
|
Si tot m’estauc en cadena
|
-
|
5
|
17.
|
Aissi col fuocx consuma totas res
|
-
|
7
|
DIE PROVENZALISCHEN LEBENSNACHRICHTEN.
Biographie I (hs. A fol 172a).
1
|
Bertolomeus Zorzis si fo us gentils hom mercadiers de Ve-
|
|
necia e fo bons trobaires. Et avenc se que quand el anava
|
|
ab moutz d’autres mercadiers qu’erant d’aquella ciutat qu’ieu
|
|
vos ai dicha de Venecia en Romania, el e tuich li autre mer-
|
5
|
cadier qu’eron ab lui foron pres una nuoich de Genoes, car
|
|
adoncs avion mout gran guerra Venecian ab Genoes. E foron
|
|
tuich li homen d’aquella nau qu’ieus ai dicha menat en preison
|
|
a Genoa. Et estan en preison el fetz moutas bonas canssos,
|
|
e moutas tensons fetz ab En Bonifaci Calvo de Genoa. Et
|
10
|
esdevenc se que fon faita patz d’entre Venecians e Genoes,
|
|
e ’N Bertolomieus Zorzis e tuich li autre issiron de preison.
|
|
E quand aquist preisonier foron tornat a Venecia, En Ber-
|
|
tolomeus Zorzis fo faitz per misier lo duc de Venecia castellans
|
|
de Coron e de Mothone, d’un ric loc de Romania qu’es de
|
15
|
Venecians. E lai el s’enamoret d’una gentil dompna d’aquella
|
|
encontrada, e lai el definet e moric.
|
1. Gorgis. — 5. da Genoes. — 10. edeuenc. — 11. Bertolomieu Gorgis. — 12. Gorgis.
1. Der Name findet sich in folgenden Schreibungen: gorgis, çorgi, çorçi, çorzi, zorgi, zorzi. Ich habe mich für die Schreibung Zorzi entschieden um den in beiden Silben des Wortes sich findenden gleichen Laut auch durch den gleichen Buchstaben zum Ausdruck kommen zu lassen.
Biographie II (hss. IK.).
Die Biographie ist überliefert in I 98c und K 82a. Sie ist gedruckt P. O. 209, Choix 5, 57; Mahn, Biogr. d. Troub.² Nr. 50.
1
|
En Bertolome Zorzi si fo uns gentils hom de la ciutat de
|
|
Venecia. Savis hom fo de sen natural e saup ben trobar e
|
|
cantar. E si avenc una sazo qu’el anet per lo mon e li Genoes
|
|
qui guerrejavon ab los Venecians si lo preiron e lo meneron
|
5
|
pres en sa terra. Et estagan la en preison En Bonifaci Calvo
|
|
si fez aquest sirventes qu’es escritz sa desus qui comensa :
|
|
Ges no m’es greu s’ieu non sui ren presatz
|
|
blasman los Genoes, car il se laissavon sobrar pels Venesians,
|
|
dizen gran vilania d’els. De qu’EN Bertolome Zorzi fetz .I.
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10
|
autre sirventes qui es escritz sa desotz, lo qual comensa :
|
|
Molt me sui fort d’un chant meravillatz,
|
|
escusan los Venesians et encolpan los Genoes. De que En Boni-
|
|
faci Calvo si tenc encolpatz de so qu’el n’avia dit. E per so
|
|
torneron l’us a l’autre e foron gran amic. Longa sason estet
|
15
|
En Bertolome Zorzi en preison, entor VII anz; e quant el fo
|
|
issutz for de preison, el s’en anet en Venecia, el seus comuns
|
|
lo mandet per castellan a un castel qui ven apellatz Coron, e lai
|
|
el definet.
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1. bertholome K. çorgi IK. siutat I. — 3. quil IK. li] lo IK. — 4. guerroiauon K. los] lo IK. uenisians I. — 5. soa IK. prison IK. calbo K. — 6. aquestz K. qu’es] q‾sI. que K. escrit IK. sa] ca IK. — 8. lasavon IK. sobrar uenesiā IK. — 9. digan IK. bertholome K. çorgi IK. — 10. altre K. est IK. sai] qa IK. — 11. merueillatz IK. — 12. uenesans K. — 13. calbo I. ten IK. n’avia] auian IK. ditz IK. — 15. çorzi K. çorgi I. prison IK. il fu IK. — 16. issutz fehlt K. prison IK. il IK. en] i K. uenise IK. seu commun IK. — 18. apellat IK. la K. — 19. finet K.
5. Sa terra. Die Grammatik verlangt lor, aber die moderne Sprache setzt sa; es mag also hierin ein frühes Beispiel der jetzigen Redeweise zu sehen sein. Altprov. kenne ich nur noch ein weiteres Beispiel: Ris e Deportz i es vengutz | joglar foron a Fin’ Amor | ab Na Coindia sa seror; Cour d’Amour 886 (Revue des lgs. rom. XX, 212.) — Sa ist allerdings auch nur Conjectur; die hss. lesen soa, d. h. sie zeigen noch einen zweiten Verstoss gegen die Grammatik, indem sie die betonte Form des Pron. vor dem Subst. ohne Artikel anwenden. Diese zwiefache Unregelmässigkeit in den Text aufzunehmen, konnte ich mich nicht entschliessen.
6. Sa desus. In den Hss. I und K, die diese Biographie allein enthalten, finden sich die Gedichte Calvos unmittelbar vor den Liedern Zorzis.
17. Ven apellatz. Ein anderes Beispiel der Bildung des Passivs durch venir ist mir im Prov. nicht bekannt. (↑)
FUßNOTEN.
1) Die in I und K stehenden Lieder sind auch in d erhalten. Da d aber nur eine Abschrift von K ist, so ist es nicht in Betracht zu ziehen. Vgl. Suchier, Litt, Blatt I, 144. (↑)
2) Die angeführten Nummern sind die den Gedichten in vorliegender Arbeit gegebenen. (↑)
3) Giova qui ricordare alcuni de’nomi che più figurarono allora (letztes Drittel des 12. Jh.) nelle publiche faccende . . . . Fantin Zorzi . . . . Romanin, Storia documentata di Venezia II, S. 91. — Nella Cronaca Magno Cod. DXVI p. 79 alla Marciana abbiamo perfino i nomi de’sopracomiti che s’imbarcarono contro la flotta di Federigo . . . . Paolo Zorzi (1176) Ib. II, S. 116 Amkg. 1 — Als Befehlshaber eines Schiffes der vom Dogen Enrico Dandolo (1202) stehenden Flotte wird genannt Franc. Zorzi Ib. II, 157. — Unter den Vorstehern der Quarantia, die beim Tode des Dogen Reniero Zen (1268) einen neuen Wahlmodus ausarbeiteten wird genannt Ruggero Zorzi Ib. II, 289. — Erano i 41 che elessero doge Lorenzo Tiepolo . . . . Jacopo Zorzi Ib. II, 293 Amkg, 3. — Marino Zorzi war 1311—12 Doge von Venedig (Art de ver. les dates III, 717). — (↑)
4) Ich bin im Allgemeinen der Ansicht, dass man so viel wie möglich vermeiden muss, Binnenreime anzunehmen. Weshalb nicht auch für das Auge den Einschnitt deutlich darstellen, der von dem Ohr klar empfunden wird? Es giebt jedoch Fälle, in denen Binnenreime absolut nöthig sind: 1. wenn ohne ihn die Gliederung der Strophe in regelmässig gebaute Theile unmöglich würde z. B. M. G. 810, wo bei angenommenem Binnenreim sich das Schema ergiebt: 10a 10b 10b 10a || 10ᵕc 10ᵕc 8d 8d, wo ohne Binnenreim aber sich statt der ersten 10a 10b — 10a 4a 6b ergäbe, wodurch eine Eintheilung unmöglich würde. Ebenso Paulet de Marseille Nr. 1 (siehe Revue des lgs. rom. XXI, 267—70 und Paul Meyer, Romania XI, 441). Deshalb würde ich z. B. bei Guiraut Riquier „Los bes qu’ieu truep en amor” M. W. IV, 43 in der zweiten Zeile Binnenreim setzen; dadurch ergäbe sich die Formel 7a 7b 7b 7a || 7c 7d 7c 7e 7e. 2. wenn ohne ihn die Reimordnung gestört wurde z. B. bei dem Revue des lgs. rom. XIX, 272 abgedruckten Gedichte Raimbaut d’Aurenga’s „Pos vei quel clars — temps s’abriva.” Die Strophen sind coblas capcaudadas, daher ist das Wort clars in der ersten Zeile jeder Strophe nicht als Endreim anzusehen. Ich habe daher doppelt Unrecht gehabt in meiner Ausgabe der Gedichte des Guilhem Figueira das grosse Sirventes (Nr. 2) in Elfsilbnern abdrucken zu lassen, da auch hier der Umstand, dass die Strophen coblas capcaudadas sind, berücksichtigt werden musste; 3. wenn wir ohne ihn in regelloser Weise eine Anzahl Verse verschiedener Länge erhalten, während bei eingerührtem Binnenreim sich lauter gleich lange Verse ergeben. Hierzu gehört z. B. Arnaut Daniels „L’aur’ amara fals brolhs brancutz” und das in Rede stehende Gedicht Zorgis. Im Anschlusse daran würde ich endlich den Binnenreim auch einführen, wenn in einem Gedichte sämmtliche Verse von gleicher Länge sind mit Ausnahme von zwei oder drei kürzeren, die aber bei angenommenem Binnenreim einen Vers von der Länge der übrigen ergäben z. B. Guiraut Riquier „Razos m’adui — voler qu’ieu chant soven” M. W. IV, 42. — Da Zorzis Gedicht Nr. l nicht unter die oben angeführten Arten fällt, habe ich, abweichend von Bartsch Grundriss S. 114, hier den Binnenreim nicht eingeführt. (↑) (↑) |