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Appel, Carl. Bernart von Ventadorn, seine Lieder, mit Einleitung und Glossar. Halle a. S.: Verlag von Max Niemeyer, 1915.

070,022- Bernart de Ventadorn

8. Die Abschreiber scheinen, wenigstens zum Teil, verstanden zu haben: „mein Vers soll über alle Lieder verlangt und gesungen werden“ oder „soll über alle verlangten und gesungenen Lieder erhaben sein“, und daher haben TVa den Text geändert. Bernart meint aber jedenfalls, mit freilich ungewöhnlicher Anwendung von voler, sein Vers solle über alle Lieder erhaben sein, die gesungen oder auch nur geplant worden sind.
 
11. Daß hier enveyos zu lesen ist, obwohl die Hdss. meist enoios haben oder nahelegen, geht aus v. 19 hervor, wo man bei enoyos bleiben muß.
 
15. Die vielfachen Schreibungen des Wortes im Anfang der Zeile lassen vermuten, daß in der Vorlage Fat gestanden hat, welches aber, in der bekannten altlimousinischen Art, als Fatz zu verstehen ist (s. § 23 des Kapitels über die Sprache). Und so werden wir auch annehmen, daß das semblan der Hdss. für ursprüngliches semblant geschrieben ist, das neben amistatz als Plural zu verstehen ist. Im Reim ist ja -atz sicher, und trotzdem hat R hier und im folgenden Vers amistat, ensenhat geschrieben, vielleicht noch in Anlehnung an die Ortographie der Vorlage, vielleicht auch nur als Folge des semblan(t).
Der Sinn des Verses ist, wie der folgende Vers zeigt, nicht etwa: „Du lässest die Neider (freundliche) Mienen und Freundschaft treuer Liebender erkennen und verrätst daher diese“, wie man etwa nach v. 9-12 erwarten könnte. Wie sollte Cortezia imstande sein, ihnen diese Kenntnis zu geben? Sondern: „Du gibst den Niedriggesinnten so viel von Dir, daß sie sich die Formen guten Benehmens und der Liebe aneignen, so daß ein äußerer Unterschied zwischen cortes und vilas nicht mehr besteht (Ai Deus ! car si fosson trian D’entrels fals li fin amador, E·lh lauzenger e·lh trichador Portesson corns el fron denan ! 31, 33-36). Bernart hat den im Anfang der Strophe ausgesprochenen Gedanken scheinbar fallen gelassen. Wie er von diesem zum neuen Gedanken kommt, zeigt sich erst v. 23 f.: Die Geliebte hat sich Einem anvertraut, der ein cortes schien, es aber nicht war. Nun verliert der Dichter per falsa laus umana (das geht auf die lauzenger, die seine Geliebte in falsches Vertrauen gelockt haben) seine Liebesfreude.
Die Hdss. Na, welche dem Original relativ nahe zu stehen scheinen, haben conoistre für conoisser. Die Form kunétre gehört jetzt, dem Atlas linguistique zufolge, der Hte Vienne (auch Dordogne und Puy de Dôme) an, gegenüber der allgemein südfranzösischen Form kuneise, welche auch die des Dep. Corrèze ist. Vielleicht hat Bernart mit der Hauptstadt des Limousin conoistre gesagt.
 
22. Die abweichenden Lesarten deuten auf einen zu kurzen Vers der Vorlage. Ich habe die Ergänzung von AC aufgenommen.
 
25 ff. Der Anfang der Strophe ist schwierig. Zwar die Lesart ist kaum zweifelhaft (RV haben in v. 26 blasmamen d’Amor, was ich nicht verstehe; vielleicht meinte ihre Quelle blasma m’en(d) Amors „Minne tadelt mich dafür“). Aber was wird von Amor getadelt und welches Lob ist kein Vorteil? Ich glaube, daß diese Strophe sich ursprünglich an I angeschlossen hat. Blasmat (oder vielmehr in der zu v. 15 bemerkten Art gelesen: blasmatz) m’er bezieht sich auf vers v. 7, lauzar v. 27 auf das von Bernart in v. 5-8 für sein Lied in Anspruch genommene Lob: Obwohl mein Vers so trefflich ist (oder: sich erweisen sollte deuria), wie ich eben gesagt habe, wird er mir, zu meiner Beschämung, von der Minne getadelt werden, denn die Geliebte wird doch nicht menschlich gegen mich sein wollen, und so erweist sich, was ich so lobe, als nutzlos.
 
26. pes ist wohl nicht Form von pezar: „aber wohl mag es mir leid sein“ (in Parenthese, so daß car unmittelbar an blasmatz m’er anschließt), sondern 1. präs. von pesar: „denn ich denke es, weil das Lob mir nicht nützt“. In v. 18 steht zwar auch pes von pesar im Reim, aber als 3. Konj. Präs., hier als 1. Ind. Präs.
 
28. Man würde mit e pois einen neuen Satz anfangen lassen können: E pois mos conortz non es res (qu’eu vei que de nien m’apana Cilh que no·m vol esser umana) E car no·n posc aver jois ni solatz, Chan per conort cen vetz que sui iratz, wenn nicht die Strophe deutlich in 4 + 4 Verse zerfiele. So wird zu verstehen sein: „und dann (wenn mir mein Lied nichts nützt) wird es keinen Trost dafür für mich geben“ (l. no·n er res?). Conortz wird hier, wie noch deutlicher v. 32, im Wortspiel mit dem Verstecknamen stehen.
 
33. Die Übereinstimmung von CNa spricht dafür, daß Chauzit die richtige Lesart ist, umsomehr, da DIKT im Anfang der nächsten Zeile wenigstens ungefähr mit a zusammengehen. Vielleicht kann man dort bei der Lesung von a bleiben: tot lo melhs, die sich unserem Ohr empfiehlt. —  Für die Anwendung des Neutrums in Beziehung auf eine Person s. so im Glossar.
 
36. Die Lesung Qu’era l’ai, era no l’ai ges ist durch Ca schwach bezeugt. Ich würde sie sonst, wenigstens für den ersten Teil des Verses vorziehen, da ein Anlaß für das betonte Pronomen nicht vorliegt.
 
43. Die Mehrzahl der Hdss. läßt den Kummer durch die Freude erkennen, RV die Freude durch den Kummer. Der letzte Gedanke entspricht ja der üblichen Anschauung: erst wer den Kummer kennt, weiß die Freude recht zu würdigen. Vielleicht aber hat Bernart gerade in geistreichem Spiel das gewöhnliche Wort so umkehren wollen, daß es seiner Lage entspricht: „nur wer die Freude kennt, kann einen Kummer wie den meinen ermessen“. Weshalb aber dann die tröstliche Zeile 42, die eher für die Fassung RV spricht? Es wäre wohl zu geistreich, diese Zeile als zweifelnde Frage hinzustellen.
 
45. Vgl. die Anmerkung zu v. 15.
 
57 ff. Von den beiden Tornaden muß natürlich, vorausgesetzt, daß beide echt sind (und das zu bezweifeln, ist kaum Anlaß), die an Amor gerichtete voranstehen. Aber der Wortlaut dieser Tornada ist sehr unsicher. Nur die letzte Zeile stimmt in den drei überliefernden Hdss. überein. Durch diese letzte wird in v. 59 wohl V, gegenüber CR, ausgeschaltet. Für 57, 58 stimmt R zu V gegen C. C ist richtig in der Silbenzahl und verständlich im Text:
 
     Mas d’aisso fai trop que vilana
     ma dona, qar aissi·m soana,
car de l’afan ...
 
 
RV haben zu kurze Verse, und sind in ihrer Lesung unsicher:
 
     Amors, be faitz (Mais bem fais R) que vilana
     per (car V) midons, c’aissi m’afana,
car de l’afan ...
 
 
Stehen sie aber nicht dem Ursprünglichen näher, während C die verderbte Vorlage korrigiert hat? Es wäre leicht aus CRV eine genügende Fassung herzustellen:
 
     Mas Amors fai trop (oderbe) que vilana
     per ma domna, c’aissi m’afana,
car de l’afan ...,
 
 
aber das Original würde schwerlich damit getroffen sein (etwas anders stellt Zingarelli die Verse her, s. S. 34).
 
64. m’agues oder l’agues? Ohne die genauere Kenntnis der Verhältnisse scheint es unmöglich, sich mit Sicherheit zu entscheiden.

 

 

 

 

 

 

 

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