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Appel, Carl. Bernart von Ventadorn, seine Lieder, mit Einleitung und Glossar. Halle a. S.: Verlag von Max Niemeyer, 1915.

070,037- Bernart de Ventadorn

1 f. Drei Handschriften haben freid’aura bez. freidura gegen sieben dauss’aura (oder aura doussa); im zweiten Verse sechs nostre gegen vier uostre. Bartsch hat douss’aura in seinen Text aufgenommen, und wie sollte auch ein kalter Wind als ein Hauch des Paradieses erscheinen? Aber gerade deshalb: wie sollte ein Schreiber dazu kommen in diesem Zusammenhang freid’aura für douss’aura zu setzen? Und wenn nun die Dame im Norden wohnte und Bernart vielleicht gar sein Lied im Winter erfand und vortrug, wie sollte er dann seinen Hörern versichern, daß er vom Lande der Geliebten her einen süßen Wind fühlte? Die freid’aura hier ist offenbar der freidura ähnlich, die ihm 44, 3 als flor blancha, vermelh’e groya erscheint. Gerade, daß ihm der kalte Wind ans jenem Lande wie ein Hauch des Paradieses ist, ist das Wunder der Liebe. Die Dame du Fael kannte den Vers als Can la douss’ aura venta (s. P. Meyer, Recueil d’anciens textes p. 368, v. 39). Das zeigt aber nur die frühe Verbreitung dieser Lesart.
 
vostre v. 2 redet natürlich nicht die Dame an, von der ja unmittelbar darauf in 3. Person gesprochen wird. Der Dichter spricht zu seinen Hörern, mit denen er, wenn vostre richtig ist, wohl zusammen das Land der Geliebten verlassen haben muß. Er kann z. B. zu Herren und Damen des englischen Hofes singen, mit denen er nach Frankreich gekommen ist, oder zu festländischen Hörern, mit denen er sich am englischen Königshof befindet. Über nostre oder vostre entscheiden natürlich die Hdss. nicht. So naheliegend es erscheint, bei einem Provenzalen, von dem wir wissen, daß er an einem nordischen Hofe gesungen hat, zu vermuten, daß er sehnsüchtig gerufen habe: Quan la douss’aura venta Deves nostre päis, läßt sich ohne genauere Kenntnis der Umstände doch nichts Sicheres sagen.
 
7. Um das Nebeneinander von vas cui und en cui zu vermeiden, bin ich den Gruppen M und V gefolgt.
 
11. Alle Hdss. außer Dba haben ben oder joi im Obliquus, also mit der Attraktion des Kasus durch das Relativpronomen, welche von Tobler, Verm. Beitr. I², 240 ff. besprochen worden ist.
 
12. francs vis oder clars vis? franc wird im allgemeinen nur von inneren Eigenschaften gesagt, während clars vis auch 1, 51 begegnet. Aber ich mag doch von ACG auch hier nicht abgehen. Vielleicht trifft das vereinzelte fres vis in Db das Richtige ; vgl. 30, 52 ; 40, 30.
 
14. deu läßt die Eroberung als eingetreten annehmen, degra stellt sie nur als zu erwarten hin.
 
15 f. „Ich weiß nicht, weshalb ich Euch darin etwas vorlügen soll (nämlich, daß sie mir etwa mehr gewähren werde, s. v. 13), denn ich bin von ihrer Seite in nichts sicher. Aber doch ....“
 
25. Vielleicht hat die Quelle beider Gruppen nur gehabt eu no dei retraire (- 1). Jedenfalls kann nicht hier und in v. 26 und 27 mas im Anfang des Verses gestanden haben. Vers 27 aber ist es besser am Platz als hier. So folge ich wieder der Gruppe A.
 
28. Nach greu m’es erwartet man den Konjunktiv, und der steht in G als ait. Das Provenzalische aber verlangt doch die zweisilbige Form, und so finden wir in OV Ai’ amor, in C D’amor aj’, in R Aja joi. Wir werden aber mit A(Ma) den Indikativ aufnehmen dürfen, der die leidvolle Überzeugung des Dichters als zutreffend ausspricht. Da ai in der ersten Vorlage aller Hdss. gestanden zu haben scheint, ist vielleicht eine französische Form ihres Schreibers (ait wie in G) zu vermuten.
 
31. Tobler sagt zu diesem Vers (Ein Lied Bernarts von Ventadorn, S. 4 - bez. S. 944 - Anm.): „Der auch hier entgegentretende Übelstand, daß der Dichter nach der Anrede an die Dame sich wieder an die Zuhörer wendet und von ihr spricht, schwindet, wenn man in der 4. Strophe statt Domna:Domnas mit der Hds. M und hernach franchas schreibt, so daß die Bitte an sämtliche Frauen ergeht, wie unmittelbar zuvor über sämtliche geklagt worden ist“. Aber hier hat eben nur M den Plural, und in v. 35 gar keine Hds. Und wir wissen, daß M in diesem Gedicht, wie oft, mit Oa zusammengeht, die beide hier den Singular haben. So ist der Plural schwerlich der Quelle entnommen. Darf man denn auch annehmen, daß der Dichter, der eben die Treue seiner Liebe beteuert hat, jetzt die Damen alle um ihre Huld bitten wird? (übrigens mit den Worten fezetz m’un bel semblan?). Wir werden beim Singular bleiben müssen. Die Durchbrechung des von Tobler vorausgesetzten, allerdings natürlicheren, Verhaltens kann hier um so leichter eintreten, da der Anruf sich ja nicht an die wirklich gegenwärtige, sondern, nur in der Phantasie, an die abwesende Dame richtet.
 
44. In sieben Hdss. haben wir fünf verschiedene Lesarten. Das spricht dafür, daß in der Vorlage etwas nicht in Ordnung war. Vielleicht stand dort: Mas so m’en reirai (-1) „aber das zieht mich davon (von der amor certana) zurück. Gegen Mais aisso men retrai ist natürlich an sich nichts einzuwenden. Vielleicht aber hat A die Vorlage richtig wiedergegeben: mas so m’en reiretrai, oder aber ·m hinter en reire: mas so en reire·m trai, „aber das zieht mich (in meinem Glück bei der Geliebten) zurück“. Die Anschaulichkeit des en reire würde Bernart’s Art wohl entsprechen.
 
47. sai spricht sehr starke Zuversicht aus, ist aber gerade deshalb schwerlich erst für cre eingetreten.
Andresens Vorschlag (Roman. Forsch. I, 450) assatz mana „genug Manna“ für a sotzmana zu lesen, ist natürlich ohne weiteres abzulehnen.
 
49. sojornar würde hier gut in der Bedeutung „verweilen = geduldig sein“ passen (und hernach liegt er), aber kann es das heißen?
 
53. en aquella (oder en eissa la) setmana ist nicht eben poetisch, aber deutet deshalb um so bestimmter auf eine wahrhafte Begebenheit hin.
 
60. Das grammatisch natürlichste Subjekt zu vana ist, der Umgebung nach, die Dame (s. v. 61). Zieht also die Dame Eitelkeit aus dem Gesange Bernarts, der ihr Lob verkündet? Doch wohl nicht. Das Subjekt muß wohl cantar sein: „daß er (mein Gesang) sich auch nur dessen rühmt“, daß er ihr gefällt. Ich sollte ihm noch mehr zu danken haben, daß er mir nämlich ihre Liebe gewinnt; aber auch mit ihrem Lobe bin ich schon froh.
 
61. Bartsch schreibt Si d’aisso m’es certana, Antra vetz la’n creirai. Das soll doch wohl heißen: „wenn sie mir dessen sicher ist, werde ich ihr ein anderes Mal darin glauben“. Aber ist das befriedigend? Für m’es certana wird man vielleicht besser m’essertana oder me certana (s. N) lesen „wenn sie mich dessen sicher macht (nicht bloß mit Worten, sondern mit Taten)“. Encertar ist vorhanden, gegen encertanar, essertanar gewiß nichts einzuwenden. — In v. 62 haben ADbG, die besseren Handschriften, d’autra vetz, nur CN autra vetz. Kann d’autra vetz heißen: „ein anderes Mal“? Das andere vetz „habitude, manière, conduite“ (Rayn. Levy): „wenn sie mich dessen durch anderes Benehmen vergewissert, werde ich ihr glauben“ ist mask., und alle Hdss. haben autra. Ein Subst. avvezzo (*d’autr’ avetz) existiert wohl italienisch, aber m. W. nicht provenzalisch.

 

 

 

 

 

 

 

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