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Ernst, Willy. Die Lieder des provenzalischen Trobadors Guiraut von Calanso. "Romanische Forschungen", 44, 2 (1930), pp. 255-406.

243,007- Guiraut de Calanson

3. que·ls. Raynouard schreibt qu’els = que en los; wie erklärt sich dann aber totz? Es müßte dann doch tot heißen! Hier liegt Enklise des Artikels vor. – Rayn. Lex. Rom. III, 450 zitiert die Stelle und übersetzt: qui ait gagné . . . Ich halte den que- Satz für konzessiv. Que = „wenn auch” belegt Levy SW 6, 610: que 4; auch Appel, Bernart von Ventadorn 5, 28.
 
5. qu’ieu. Es liegt elliptische Konstruktion vor; vollständig wäre etwa: keinen anderen Liebhaber, der, möchte er auch die großen Freuden der Liebe alle errungen haben, so glücklich wäre, daß ich . . .
 
7. quez el (nach C) ist wohl besser als der harte Hiat in que el. Über die Form quez s. Schultz-Gora, Elementarbuch §76.
 
10. leialmens. Das s, welches in beiden Handschriften fehlt, wird durch den Reim gefordert.
 
11. de dopte partitz. Partit de = „entfernt von” hat hier geradezu die Bedeutung von „ohne”. – Zu dem nun folgenden Vergleich bemerkt Stössel § 357: „Guiraut von Calanso fühlt sich in seiner Liebe so frei von Furcht, wie ein gefährdeter Genuese auf ungestümer See, wenn ihn ein günstiger Wind zu sicherem Hafen führt.” Man ist versucht anzunehmen, daß St. gueritz mit „Genuese” (= Genoes, s. Chabaneau, Onomastique S. 143) übersetzt hat! Das Wesentliche des Vergleiches ist gerade gueritz: Der Dichter liebt so ohne Zweifel, wie ein Seemann vertrauensvoll ist, wenn sein Schiff die Gefahren der wilden See bestanden hat und von günstigem Wind in sicheren Hafen geführt wird. Die Interpretation Stössels ist unzutreffend.
 
14. Es scheint Lautmalerei vorzuliegen: nach den vorausgegangenen kurzen Sechssilbnern und dem Viersilbner erweckt der Zehnsilbner den Eindruck des ungehemmten, ebenmäßigen Dahingleitens.
 
15–16. Der Dichter stellt onor über pretz und laus. Onor bezeichnet nach Wechßler, Kulturproblem S. 149, „einen Besitz ideeller Art, entweder einen dauernden oder einen einmaligen: je nachdem wird man . . . (es) mit ‘Ehre, Rang, Würde, Hochschätzung, Ansehen, gesellschaftliche Stellung’ oder mit ‘Ehrung, Anerkennung, Auszeichnung, Aufmerksamkeit’ wiederzugeben haben.” Es entspricht dem mhd. êre. Der materielle Besitz oder Vorteil ist demgegenüber ben oder pro (mhd. guot). Ihm entspricht in v. 28 dos. Onor ist hier wohl als „Ehrung” aufzufassen; vgl. den in Anm. zu v. 17 mitgeteilten Vers: „E s’ella li fai tant d’onor . . .”
 
17. prejador bedeutet „Liebhaber, der der Dame seine Liebe offenbart hat” (Levy SW 6, 497). Der Liebhaber muß in seinem Verhältnis zur Dame vier Stufen durchschreiten bis zur Erhörung. So heißt es in der bekannten allegorischen Kanzone unseres Dichters (Nr. 7) v. 29: e poja i om per quatre gras mout les = „dort hinauf (nämlich in das Palais der Liebe) steigt man auf vier sehr glatten Stufen”. Über diese vier Stufen berichtet ein dompnejaire eines Anonymus (Archiv 34, 425, v. 95 ff.; auch Dammann S. 74 und Levy SW 3, 46):
Qatr’ escalos ha en amor :
                    Lo premiers es de feignedor
                    E·l segon es de prejador
                    E lo tersz es d’entendedor
                    E al qart es drutz apelasz.
 
 Die Stufe des „prejador” wird so erklärt:
                    E s’ella li fai tant d’onor
                    Qu’ella li cresca ardit major
                    Qe·il aus dir sa francha clamor,
                    Pregaires es per dreich clamasz.
 
Näheres s. Dammann S. 73 ff.
 
19. en loc de. Man beachte die unterschiedliche Bedeutung in v. 17! Dort: „als, wie” (Levy SW 4, 419) – hier wörtlich: „an Stelle von, statt” (Rayn. Lex. Rom. IV, 89).
 
23. qu’ieu. Raynouard hat qu’ie·n, was mir zweifelhaft erscheint; worauf sollte en zu beziehen sein? Im übrigen hat Hs. R deutlich qieu, während man in C ebensogut quieu wie quien lesen kann (Jeanroy, Jongleurs, liest auch C eindeutig quieu).
 
25. dos. Es ist hinzuweisen auf den hier m. E. recht deutlichen Doppelsinn des Wortes. Es hat hier einerseits die Bedeutung von ben, pro als Gegensatz zu onor (s. Anm. zu v. 15–16) oder onramen (in v. 24); dann aber auch den ins Erotische gewendeten Sinn: Bewilligung einer Gunst. Dasselbe liegt auch vor bei dos in v. 28. Gerade elegante Zweideutigkeit ist ja ein Charakteristikum des Stils der Trobadorkunst.
 
27. ses trop prejar hat, auf tot om bezogen, geradezu passivische Bedeutung. Über diese grammatische Erscheinung („das Subjekt des Infinitivs ist nicht identisch mit dem Subjekt des regierenden Verbs”) vgl. Schultz-Gora, Elem. B. § 185, Abs. 2.
 
28. quan es sos agradatges = „quand c’est son gré” (Lex. Rom. III, 503).
 
29. plazer = „das, was gefällt, Angenehmes, gefällige That oder Rede” (nach Levy SW 6, 373: plazer 2) ist in der Übersetzung schwer wiederzugeben. Die Interpretation: „ihr habt ein so liebes Wesen und süßes Gebahren” mag etwa dem Sinn entsprechen.
 
31. valor „bezeichnet die Vortrefflichkeit, Tüchtigkeit, . . . die Summe der äußeren und inneren Vorzüge, . . . valor (ist) der objektive Wert, den jemand besitzt.” (Wechßler, Kulturprobl. S. 123).
 
32. vos faitz . . . onrar. Se faire + Inf.; vgl. Rambertino Buvalelli (bei Bertoni, Trovatori d’Italia, IV, 22): „si fai lauzar a tota gen” und Bertonis Anm. hierzu, a. a. O. S. 494, wo weitere Beispiele.
 
33. onrar e car tener ist eine häufig vorkommende Verbindung. Vgl. Bertoni, Trovatori d’Italia S. 495, Anm. zu V, 8.
 
35. man. Beide Hss. haben fehlerhaft mans.
 
36. e dels fällt aus der Konstruktion; es ist abhängig von envejos: „ebenso wie nach den ehrenvollen Antworten”.
 
39. adoncs muß hier wohl folgernd verstanden werden, indem sich die Eigenschaften der Unterhaltung rics und jauzitz aus avinens zu ergeben scheinen: „eine geschickte und daher auch inhaltreiche und fröhliche Unterhaltung.” Hist Litt. 17, 579, wo sich Cobla III zitiert und mit mancherlei Ungenauigkeiten übersetzt findet, interpretiert adoncs mit „toujours”. Ich kann diese Bedeutung nirgends belegen.
 
40. Nach v. 39 ist dem Dichter die Übersicht über die außerordentlich komplizierte Konstruktion der dritten Cobla ganz verloren gegangen. Es ist sinngemäß etwa noch einmal zu verstehen: son de tan gran doussor que vos fan. Que ist also koordiniert dem que in v. 31. –guitz. „Der Anführer von etwas sein, heißt sich durch das, dessen Anführer man ist, vor allen anderen auszeichnen” (Stössel §94; hier Beispiele).
 
41. prezar. Rayn. hat fälschlich preyar.
als pros prezar= in bezug auf das Schätzen der Tüchtigen.
 
44–45. Zitiert Rayn. Lex. Rom. V, 212.
 
48. totz bes. Obliquus für den Nominativ tot be, durch den Reim –atz gesichert.
 
49. sia·n. Rayn. schreibt sian; das Subjekt in v. 50 verlangt aber den Singular. – Jeanroy, Jongleurs S. 46, setzt hinter gelos ein Komma, was nicht zutreffend ist.
 
50. enujos ist Synonym zu lauzengier (s. Anm. zu Nr. 5, 39). Vgl. Mönch von Montaudon, Amics Robertz (Gr. 305, 5; ed. Klein Nr. 6, S. 48) v. 15–16:
                    Li lauzengier e l’enujos
                    M’enuejon molt e li janglos.
 
53. Fällt aus der Konstruktion; es müßte heißen: vielmehr kommt aus meinem Munde guter Gesang, der weithin vernommen wird.
 
54. los guitz. Wiederum Obliquus statt des Nominativs.
 
57. dic. Rayn. hat fälschlich dir.
 
59. no fai. In „komparativischem Satzgefüge” tritt häufig statt des abhängigen que-Satzes ein Hauptsatz ein. Vgl. Schultz-Gora, Elem. B. § 191.
d’alhor= „in Beziehung auf anderswo”, d. h. gegenüber einer anderen, im Dienst einer anderen.
 
60. cum. Rayn. hat mit Hs. C cui, was unmöglich ist, ebenso wie cun in Hs. R. Ich lese: cum.
cum mal gazardonatz= „als ein schlecht Belohnter” d. h. gegen schlechten Lohn.
 
61. caber = être contenu, trouver place (Levy, Petit Dict.) Es liegt übertragene Bedeutung vor wie etwa auch bei Folquet von Marseille (ed. Stroński S. 15, II, 3, wo „trouver place” übersetzt wird):
                    Tant m’abellis l’amoros pessamens
                    que s’es vengutz e mon fin cor assire
                    per que no·i pot nuills autre pes caber . . .
 
62. vertatz: Nominativ statt Obliquus; ist durch den Reim gesichert; man erwartet: de b. vertat.
 
64. leos. Den nun folgenden Vergleich erwähnt Stössel §207 mit anderen Beispielen, die den Löwen als Vergleichsmoment enthalten. Der Löwe „wird vom Dichter als mit offenen Augen schlafend dargestellt, womit auf seine große Wachsamkeit hingewiesen wird. Ihm zur Seite stellt sich der Dichter, insofern er im Schlafen wie im Wachen ein stets wachsames Auge auf seine Dame hat”.
 
68. vellan stört die Prägnanz des Vergleiches. Der Löwe, welcher mit offenen Augen schläft, verträgt als Komparationsglied nur adurmitz. Vellan schwächt auch die Wirkung des nun folgenden Vergleiches ab, der gewissermaßen den Gegensatz zum vorhergehenden bildet. Er zeigt die Verfassung des Dichters „al risidar”, der andere denselben „adurmit”. – Die Interpretation Stössels (s. Anm. zu v. 64) dürfte demnach etwas zu modifizieren sein: nicht die Wachsamkeit ist das tertium comparationis, sondern das Sehen während des Schlafes (beim Löwen tatsächlich angenommen, beim Dichter geistig). adurmitz steht nach Jeanroy, Jongleurs, nur in Hs. C. Ich habe es jedoch in beiden Hss. gefunden (s. Varianten).
 
69–70. Stössel §259 faßt den Vergleich m. E. falsch auf, wenn er umschreibt: „Beim Aufgange springt die Sonne in das Dunkel, in welches die Erde gehüllt war, hinüber, dem Dichter gleich, der beim Erwachen sofort in Gedanken zu seiner Dame hinüberspringt.” Er war doch auch während des Schlafes in Gedanken bei ihr: „Adurmitz . . . vos ve mos esperitz” (v. 68–69); darum braucht er beim Erwachen doch nicht erst wieder hinüberzuspringen! Abgesehen aber hiervon und auch von der Tatsache, daß al rissidar nicht auf solelh, sondern auf den Dichter zu beziehen ist (s. Anm. zu v. 68), ist Stössels Auffassung grammatisch unmöglich. Ich erblicke in lo beider Hss. einen Irrtum der Abschreiber, die den Text mißverstanden und es für el gesetzt haben. So komme ich zu dem Vergleich: ich zittere vor euch wie der Schatten im Sonnenschein, (der etwa durch die windbewegten Zweige eines belaubten Baumes fällt). Damit ist der Gegensatz zwischen Schlafen und Wachen, Träumerei und Wirklichkeit, wie ich meine, recht anschaulich geschildert. Beispiele für das „Zittern vor der Geliebten” brauchen nicht beigebracht zu werden; dieser Gedanke ist ein Gemeinplatz der Trobadorlyrik.
 
71. Belhs. Beide Hss. haben belh, das Endungs-s wird aber durch grazitz gefordert. Belhs Diamans ist senhal (Diamans ist in Hs. C groß geschrieben!), vermutlich für Maria von Ventadorn; s. Einleitung.
Jeanroy, Jongleurs, setzt nach Diamans ein Komma und betrachtet grazitz als Adjektiv zu thezaurs. Ich halte das so entstehende Enjambement für recht hart und möchte lieber der Auffassung von Rayn. folgen, indem ich grazitz als Adjektiv zu Belhs Diamans ziehe.
 
74. Zitiert Rayn. Lex. Rom. V, 391.

 

 

 

 

 

 

 

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