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Ernst, Willy. Die Lieder des provenzalischen Trobadors Guiraut von Calanso. "Romanische Forschungen", 44, 2 (1930), pp. 255-406.

243,008- Guiraut de Calanson

8. bes ist schon einmal in der Aufzählung (v. 5) genannt. Es ist auf die unterschiedliche Bedeutung an den beiden Stellen hinzuweisen. In v. 5 hat bes die konkrete Bedeutung von „Gut, Besitztum, Habe”, es gehört eng zu thezaurs. (Vgl. im deutschen Volkslied: „Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut”.) Hier in v. 8 hat es dagegen den abstrakten Sinn „das Gute”, soviel wie „das Glück”.
 
22–28. In der Auffassung des syntaktischen Zusammenhanges dieser Verse weiche ich von Jeanroy ab. J. liest und interpungiert:
                             Adoncx consir e pes,
                                  Tan suy joyos,
                             Que be m’es avengut,
                                 Don’ ab pel blon,
                   Quar tan vos am ni n’ai cor deziron
                   Del gensor cors qu’om sap vestit ni nut :
                   Doncx ben suy folhs s’autra·n quer ni·n demandi.
 
Die Übersetzung lautet: „alors je songe et pense et me réjouis à cause du bien qui m’est échu. Dame aux blonds cheveux, c’est ainsi que je vous aime; mon cœur est avide de ce corps, le plus beau qu’on puisse voir, vêtu ou nu: aussi serais-je bien fou si j’en désirais, si j’en recherchais une autre.” Demnach müßte ein Punkt (oder Semikolon) v. 24 beschließen. Meine Auffassung der Stelle erläutert die beigegebene Übersetzung (S. 339).
 
26. n’ai. En steht pleonastisch vorausweisend auf del gensor cors. Vgl. Schultz-Gora, Elem. B. § 178.
am. Jeanroy verzeichnet sowohl Annales du Midi (a. a. O.) wie Jongleurs, S. 51, als Variante: ami R. Es handelt sich in der Hs. jedoch nicht um ein i, sondern lediglich um ein Füllzeichen für die Zeile, an deren Ende am steht.
 
28. ·n = „infolge davon”, d. h. weil mir das Glück zuteil geworden ist.
 
39–42. Jeanroy liest diese Verse:
                             Quan no sap don
                   Aja mais be, tan l’eis del cor prion
                   Sa grans dolors, quar si l’a esperdut
                   Cest’ ira e tem . . . Mas alhors la comandi.
 
Er übersetzt: „alors qu’il ne sait d’où pourrait lui venir plus de bien, tellement jaillit du fond de son coeur l'immense douleur, car il est si éperdu, si troublé par elle, qu’il craint . . . Mais (quant à moi), je l’envoie (cette douleur) à tous les diables.” Ich vermag dieser Interpretation nicht zuzustimmen (vgl. meine Übersetzung S. 339). Zweifelhaft ist v. 41. Hs. C ist an dieser Stelle, die offenbar allen Abschreibern Schwierigkeiten gemacht hat, m. E. nicht in Ordnung; ich halte HRa hier für zuverlässiger. Durch alle drei ist mein Text: quar si eis a perdut gesichert (s. Varianten).
 
42. alhors mit Jeanroy euphemistisch aufzufassen, erscheint mir recht einleuchtend. Vgl. seine oben (Anm. zu v. 39–42) mitgeteilte Übersetzung.
 
44–46. Zitiert Rayn. Lex. Rom. V, 286.
 
48–49. un dels cent bes majors o dels menors. Ob dieser Lesart nach HR(a) oder der von CE, welche majors und menors umstellt (s. Varianten) der Vorzug zu geben ist, muß dahingestellt bleiben. – Unter „bes menors” verstehe ich die Güter, die vom „menor tertz d’amor” (vgl. unseres Trobadors berühmte allegorische Kanzone Nr. 7) verteilt werden können. Das ist nach Guiraut Riquiers Kommentar (M. W. IV, 210) „amors carnals” (v. 121), und ihr entspricht im Breviari d’amoramors naturals” oder „amors de mascle e de feme” (Brev. 27 790 ff; vgl. den „arbre d’amor” – Abb. bei Azaïs oder Suchier–Birch-Hirschfeld, Franz. Lit. I, 93); s. Dammann, S. 46. Also wären die „bes menors” etwa die Freuden der irdischen Liebe. Was demgegenüber unter „bes majors” zu verstehen ist, scheint nicht ohne weiteres ersichtlich. G. von Calanso versteht darunter offenbar etwas ganz bestimmt von den „bes menors” Unterschiedenes. Nach G. Riquiers Erklärung stehen dem „menor tertz” gegenüber „amors naturals” und „amors celestials” = Verwandtenliebe und Gottesliebe (s. Dammann, S. 46). Von diesen dürfte in unserem Zusammenhang nicht die Rede sein. Im Breviari d’amor nimmt Matfre Ermengaud eine doppelte Zweiteilung der Liebe vor in „dregz de gens” (= „amor de dieu e de prueyme” und „amor de bes temporals”) und „dregz de natura” = „amor de mascle e de feme” und „amor de son effan”); vgl. den „arbre d’amor”. Man könnte (ohne die gezwungene doppelte Zweiteilung zu berücksichtigen) den „bes menors” = „amors de mascle e de feme” (wozu ohne weiteres die Kinderliebe zählen kann) als „bes majors” nun „amor de bes temporals” (indem man die Gottesliebe außer Betracht ziehen dürfte) gegenüberstellen. „Bes majors” würden dann etwa dem entsprechen, was Wechßler (Kulturprobl. S. 148) unter ben (pro) versteht: „Habe, Gewinn, Vorteil, Glück, d. h. tatsächliche Unterstützung und Förderung”, also vielleicht hier in eigentümlichem Sinn: „Geschenk als Liebespfand”. Man könnte in der Tat verstehen, daß diesem Begriffskomplex das Attribut „major”, d. h. „größer, wertvoller, sittlich bedeutender” beigelegt wäre, wenn man bedenkt, daß die rein irdische sinnliche Liebe als „menor” bezeichnet wird. Dem gegenüber steht ja allerdings die Auffassung, daß es höher gilt, um Liebe zu dienen als um materiellen Lohn: in diesem Sinne könnte man die umgekehrte Verteilung der Adjektiva major und menor für richtig halten. Ich glaube aber, daß die erstere Auffassung hier doch als Grundlage angenommen werden darf, zumal beide Gedanken durchaus häufig unklar durcheinander gehen (1). Man mag denken, daß es sich an unserer Stelle um eine den mittelalterlichen Zuhörern wohlverständliche Beziehung auf irgendeine Allegorie der Liebe handelt, was um so wahrscheinlicher werden könnte, wenn man annimmt, daß eindeutig von „den hundert Gütern” die Rede ist. Ich glaube allerdings, daß cent trotz des bestimmten Artikels hier nur eine größere Zahl bezeichnen soll; diese Verwendung findet sich häufig (vgl. Chaytor, The troubadours of Dante S. 185, Anm. zu XLIV, 1016–18: „Provençal, like Latin, uses a hundred to denote a large indefinite number.” Vgl. auch Appel, Chrest. 16, 27; 105, 211; Crescini, Manuale 17, 51, 54). Dann wäre der Sinn: „eines von den Gütern, deren es wohl hundert gibt.” So möchte die Stelle denn zu interpretieren sein: „gebt mir auf irgendeine von den zahlreichen möglichen Arten ein Geschenk als Zeichen eurer Zuneigung oder einen Gunstbeweis eurer Liebe.”
 
60. lo bon rey de Castella ist Alfons VIII. von Kastilien (1158–1214). Schon Milá bezieht diese Verse mit Recht auf ihn (S. 122): „se halla de G. de Calansó esta dedicatoria á Alfonso” (VIII.). Wenn Jeanroy (A. d. M. 17, 488) anmerkt: „Probablement Alphonse IX (1158–1214)”, so liegt offensichtlich nur ein Versehen hinsichtlich der Namenszahl vor, auf das Reeb (a. a. O. S. 8) schon hingewiesen hat. – Dieser macht auf einen ähnlichen die Ergebenheit gegen Alfons VIII. ausdrückenden Gedanken bei Peire Vidal (Gr. 364, 39; ed. Anglade XXXIX, v. 57 ff.) aufmerksam:
                    Domna, per vos am Narbones . . .
                   E Castell’ e·l bon rei N’Anfos,
                   De cui sui cavaliers per vos.
 
61. car et a pres. Ich halte die Lesart von Ha (und E: mas = denn) für richtig. Jeanroy hält an C fest, indem er interpretiert (v. 61–65): „car il emporte le prix sur les empereurs, les rois les plus hauts, les princes et les marquis, (il emporte) les prix et les dons (?) . . .” Er gibt aber selbst zu (Anm. zu v. 65): „Le sens que je donne à ce vers me satisfait médiocrement; mais je n’en vois pas d’autre possible dans l’état actuel du texte
 
65. pretz und dos sind hier natürlich im ursprünglichen Sinne, nicht in dem ihnen meist unterzulegenden höfisch-allegorischen zu fassen. Der Dichter hat etwa die Vorstellung eines Turniers, in dem der König sämtliche Preise und Geschenke erhalten, also seine Überlegenheit über alle Konkurrenten bewiesen hat.
 
68. son hat festes n, da alle anderen Coblen im entsprechenden Reim ein solches aufweisen und die Trobadors niemals festes und bewegliches n miteinander reimen; vgl. Schultz-Gora, Elem. B. § 93; auch Harnisch, Die altprovenzalische Praesens- und Imperfektbildung. Beispiele für son mit festem n gibt Appel, Chrest. S. XL; s. auch Appel, B. von Ventadorn 5, 18; 43, 32.
 
69. Jeanroy liest nach E: Lai on del sieu ha, sol i es mentaugut („dès qu’apparaît quelque chose du sien (2) [sc. mérite], (bien plus) dès qu’on le mentionne”). Ich glaube, i es ist zu lesen: ies = ges, das auch C und H haben, und lese also ohne Komma: lai on del sieu a sol ges mentaugut. (Die Annahme einer Caesur nach der 5. Silbe, die bei Jeanroys Text nötig ist, erscheint mir aus dem Grunde bedenklich, weil alle anderen Zehnsilbner unserer Kanzone mit Caesur nach der vierten gebaut sind.) – H hat: dels sieus; der Plural verbietet sich aber wegen zweimaligem enklitischen bezw. proklitischen le, das sich auf sieu (= pretz) bezieht. – Der Text von a (s. Varianten) gibt wohl Sinn, doch scheint er zu wenig gesichert.
 
71. e·l. Milá hat (nach E) et aiut und versieht den Vers mit einem Fragezeichen, da ihm wohl gerade diese Worte nicht klar waren, indem das Dativpronomen fehlt. Ebenso gibt Jeanroy sowohl in den diplomatischen Abdrücken (Jongleurs, S. 53) wie in der kritischen Ausgabe (wo er übersetzt: „et l’aide”) e ajut als übereinstimmenden Text von C und E an. In der Tat hat aber C richtig: el.
 
 
Fußnoten:
 
1) Wenn G. Riquier meint, G. von Calanso hätte „amor carnal” (= menor tertz) auch ebensogut „maiortertz d’amor nennen können (v. 84; 166 ff.), weil ihr „totz le pus . . . de las gens” untertan sei, so ist darin allerdings nur die spitzfindige Ansicht eines dem Gedankenkreis der Trobadorblütezeit schon etwas fremd gegenüberstehenden pedantischen Kommentators zu erblicken, die wir zur Beleuchtung unserer Stelle nicht benutzen dürfen. ()
 
2) So auch Jeanroy, Les troubadours en Espagne S. 165. ()

 

 

 

 

 

 

 

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