I |
1 |
„Herr Peironet, es ist mir in den Sinn gekommen, |
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Euch in Bezug auf eine Angelegenheit der Liebe zu fragen; |
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Und wenn Ihr den (rechten) Brauch der Minne kennt, |
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Sagt mir darüber die Wahrheit, und hütet Euch vor Torheit: |
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5 |
Was unterstützt nach Eurer Meinung die Liebe besser, |
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Die Augen oder das Herz desjenigen, der seine Herrin |
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Aufrichtig liebt; und was auch immer Euch davon gefallen mag, |
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Ich werde Euch (doch) besiegen, sofern der Hof nur billig urteilt (unbefangen ist.)“ |
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II |
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„Herr Giraut, es gibt in der Welt keinen Gelehrten, |
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Den ich nicht besiegen könnte im Streit mit Bezug auf Liebe; |
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Denn die Augen sind allzeit des Herzens Boten |
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Und machen den verliebt, der (sonst) nicht lieben würde; |
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Denn die Liebe hat nichts, was so gefällt, |
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Wie die Augen, welche auf sie gerichtet sind, nach der sie trachten |
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15 |
Und das Herz lenkt sein Denken nirgends anders |
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Als dahin, wo die Augen ihm zeigen, daß es richtig sei.“ |
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III |
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„Herr Peironet, Ihr behauptet eine Torheit, |
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Denn dies ist gar nicht zum Vorteil der Geliebten, |
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Daß einer, wenn er sie sieht, in verliebtem Zustande ist, |
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20 |
Und er sich ihrer hernach weder bei Tag noch bei Nacht erinnert; |
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Darum betätigt das Herz Jugendsinn viel besser, |
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Der aus der Ferne sieht, aber das Auge sieht nur aus der Nähe. |
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Was mich betrifft, so sage ich Euch, daß ich sie, die mich glücklich erhält, |
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Mit treuem Herzen fern und nahe liebe, wo sie auch sein mag.“ |
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IV |
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„Herr Giraut, alles Gute und aller Schade der Liebe |
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Geht aus durch die Augen, was man Euch auch sagen mag; |
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Denn sie brachten Andrivet solche Verzweiflung ins Herz, |
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Daß er in Folge davon starb wegen ihrer, die Gott verfluche! |
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Wenn er sie mit den Augen nicht so freundlich angeschaut hätte, |
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Würde er sie in seinem Herzen nie geliebt haben; |
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Denn das Herz hat kein anderes Mittel, |
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Daß es irgendwo liebe, bis die Augen ihm den Weg zeigen.“ |
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V |
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„Herr Peironet, jedermann von edlem Geschlecht |
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Weiß, daß Ihr das Schlechtere in dieser Streitfrage gewählt habt; |
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Denn alle wissen, daß das Herz Herrschaft über die Augen |
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Besitzt, und höret, in welcher Weise: |
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Durch die Augen geht Liebe nicht, wenn das Herz sie nicht fühlt, |
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Und ohne die Augen kann das Herz (doch) diejenige |
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Lieben, die es nie in Person sah, |
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So wie Jaufre Rudels es mit seiner Freundin getan hat.“ |
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VI |
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„Herr Giraut, wenn die Augen meiner Herrin |
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Mir unfreundlich sind, wird mir ihr Herz nimmermehr zugetan sein, |
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Und wenn sie mir eine wohlwollende Miene erzeigt |
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Nimmt sie mir das Herz und setzt es in ihre Hut. |
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45 |
Seht da die Macht des Herzens und den Mut! |
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Denn durch die Augen steigt die Liebe in das Herz hinab, |
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Und die Augen sagen mit anmutigem Aussehen das, |
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Was das Herz nicht (sagen) kann noch wagen würde.“ |
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VII |
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„Nach Peirafuoc übersende ich mein Partimen, |
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Wo die Schöne ihren wohlunterrichteten Hof hält; |
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Denn Schönheit hat die Edle, Frohe auserlesen; |
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Was auch immer sie für das Beste erklären mag das (werde) ich für gut halte(n).“ |
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VIII |
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„Und ich begehre für mich für den Urteilsspruch |
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Das ehrenreiche und treffliche Schloß von Signa, |
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55 |
Denn dort befindet sich die, die Jugendsinn fördert, |
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Und sie wird (es) verstehen zu entscheiden, welche Sache mehr wert ist.“ |