I. Nichts hilft gegen die Minne, wo ihre Macht sich festsetzt ; verlangt sie doch keine andere Massnahme, als dass man allen ihren Wünschen nachkomme ; denn derartig ist ihre Herrschaft ! Aber jeder, der sich darin spröde zeigt, muss sich ihr auf Gnade und Ungnade ergeben, wenn er sich nicht etwa der Liebe enthalten will.
II. Deshalb haben die Schlechten Angst, dem Liebesglück nachzugehen ; wer aber um guten Wert besorgt ist, der ist durch Minne dienst wackerer, edler und erhabener und er will sich daher im Geben und Dienen, in Mut und Aufwand hervortun.
III. So bin ICH denn lange ein treuer Liebhaber gewesen, ohne Falsch solcher Dame gegenüber, die mich, je gehorsamer ich ihr bin, um so mehr beunruhigt, und obwohl ich mich deswegen zornig stelle, erkennt sie wohl, dass ich mich wegen des Leids, das ich dadurch erdulden müsste, von ihr, so lange ich lebe, nie trennen könnte.
IV. So ärgerlich ist mir der Aufschub, dass ich vor Verdruss beinahe sterbe ; aber so lange habe ich nach ihr geschmachtet, dass sich künftig ihr gegenüber nur noch eine Rache mit SCHÖNEN, GEFÄLLIGEN Worten ziemt, und nie wird irgend ein übler Händelsucher sagen (können), dass ich mich je über sie erzürne und dass ich dieses und jenes Gute, das ich von ihr gesagt habe, wieder zurücknehme.
V. Liebe, holde, anmutige Herrin, die ihr edel seid und von treflicher Art, hübscher als irgend ein anderes Geschöpf, seid nachsichtig gegen mich ; denn mein Herz glüht wie eine Kohlenglut, und andererseits bin ich (infolge der kühlen Behandlung) eisiger als ein (zugefrorener) Bach, und lasset mich, den Liebenden, nicht vergehen, wenn ihr mich nicht vollends töten wollt !
VI. So lange das Wetter schön ist und das Laub frisch bleibt, brauchte ich jetzt, bevor die Kälte wiederkehrt, von euch einigen Liebesgenuss ; denn das Ungestüm der Liebe geht schnell dahin, und wenn man (schon) einige Sommer ohne Belohnungen oder Genuss verbringt, kann ein Verleumder (schliesslich) das ALLES zunichte machen !