Bescheidener Wunsch.
I. Kaum vermag ich einen leichten Vers, den ich machen will, anzufangen und ich habe doch seit gestern darüber nachgedacht, ihn so zu machen, daß alle Leute ihn verstehen und daß er leicht zu singen sei; dichte ich ihn doch lediglich zum Vergnügen.
II. Wohl könnte ich ihn dunkler machen; aber ein Sang hat keinen vollkommenen Wert, wenn nicht alle seiner teilhaftig werden. Mag man sich auch darüber ärgern, mir gefällt es, wenn ich mein Lied mit rauher und heller Stimme (
1) um die Wette vortragen höre und vernehme, daß man es zur Quelle trägt (
2).
III. Wenn ich in schwerverständlicher Weise dichten werde, glaube ich gewiß keinen Auftrag dafür (
3) zu bekommen, sodaß ich wohl gezwungen bin ein leichtes Lied zu machen; glaube ich doch, daß in vernünftiger Weise zu dichten von ebenso großem Verstande zeugt wie die Worte überkünstlich zu verknüpfen.
IV. An anderes muß ich denken; ich liebe nämlich eine Dame, die ich deshalb nicht um Liebesgunst bitte, weil ich wohl weiß, daß ich mit diesem Sinnen einen Fehler begehe. Was soll ich tun? Denn einerseits erwacht in mir der Mut hinzugehn und mit ihr zu sprechen und andrerseits hält Furcht mich davon zurück.
V. Wohl würde ich, wenn ich einen Boten (
4) fände, es ihr melden, aber ich fürchte, daß sie, wenn ich einen andern darin zum Vermittler mache, es mir übelnehme; denn es ist unangemessen, einen andern je davon sprechen zu lassen, was man für sich allein geheim halten will.
VI. So gut kann mein Herz (
5) mir ihre Schönheit und ihren außerordentlichen Wert schildern, daß ich einen großen (inneren) Kampf erdulde, weshalb ich denn nicht schleunigst zu ihr gehe. Dann erfaßt mich ein Schrecken, der mich darin schwankend und mutlos macht.
VII. Keineswegs kann ich sie vergessen, so große Sehnsucht erweckt sie in mir, und Schlimmeres als meinem Feinde wünsche ich dem, der mir zu anderem rät; denn ihr gilt all mein Sinnen, und, wenn sie mir nur gestattet an sie zu denken, so gibt es für mich keine bessere Freude.
VIII. Das Denken an sie gereicht mir zum Heil; denn seit ich sie sah, konnte ich nie ein Wesen so sehr lieben und werthalten.
Fußnoten:
1) Von schlechten und guten Sängern, von allen ohne Unterschied. (↑)
2) Daß auch die Wasserträger, d.h. die Angehörigen der unteren Volksklassen, es singen. (↑)
3) ‚Keine damit übereinstimmende, dem entsprechende Aufforderung’, keinen Auftrag zur Anfertigung eines dunklen Gedichtes. (↑)
4) Einen zuverlässigen Boten. (↑)
5) Das Herz als Sitz des Gedächtnisses und der Liebe zugleich. (↑)