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Deutsch
Adolf Kolsen

Der Liebe Macht.
 
I. Wenn das Eis, die Kälte und der Schnee schwindet, die Wärme zurückkehrt, der Frühling wieder ergrünt und ich das Gezwitscher der Vögel höre, ist mir die holde Zeit am Ende des März so lieb, daß ich ausgelassener bin als ein Leopard und mutwilliger (1) als ein Reh oder Hirsch. Wenn die Schöne, der ich ergeben bin, mir Ehre erweisen will, insofern sie mir freundlichst gestattet, ihr treuer Liebhaber zu sein, bin ich mehr als alle mächtig und reich.
 
II. So frisch und behende und an schönen Farben vollkommen ist ihr Körper, daß niemals von Rosensträuchen oder von anderen Sträuchen eine frischere Blume herkam, und Bordeaux hatte niemals einen Herrn, der kecker gewesen wäre als ich (sein würde), wenn ich von ihr Ehre erführe und sie insoweit Nachsicht übte, als ich ihr Leibeigener sein dürfte, und ein Tor wollte ich genannt werden, wenn man mich jemals von einem Geheimnis, das sie mir etwa mitteilte, heimlich sprechen hören würde, worüber sich die hübsche Person ärgern müßte.
 
III. Gute Herrin, euer Ring, den ihr mir gabt, leistet mir große Hilfe, denn an ihm lindre ich meine Schmerzen und, wenn ich ihn betrachte, bin ich munterer als ein Star, und um euretwillen bin ich so kühn, daß ich nicht fürchte, Lanze oder Wurfspieß, Stahl oder Eisen könnte mir schaden. Aber andrerseits bin ich infolge übermäßiger Liebe mehr außer Rand und Band als ein Schiff, wenn es, von Wogen und Winden bedrängt, übers Meer hin verschlagen wird; so sehr gefällt es mir (an euch) zu denken.
 
IV. Dame, wie von einer durch mächtige Herren belagerten Burg, wenn die Steinwurfmaschine die Verteidigungstürme, die Geschütze und die Mangen herabwirft und die Feindseligkeit auf allen Seiten so schlimm ist, daß ihnen (den Insassen) List und Schlauheit nichts nützt, und das Jammergeschrei der darin Befindlichen, weil sie große Angst haben, so gewaltig ist, die Bewohner doch höchstwahrscheinlich um Gnade zu bitten sich gezwungen sehen werden, so bitte ich euch (2) demütig um Gnade, gute, wackere und treffliche Herrin.
 
V. Dame, wie ein Lamm gegen einen Bären machtlos ist, ebenso bin ich, wenn mir eure Trefflichkeit nicht zu gute kommt, schwächer als ein Rohr, und mein Leben wird dann kürzer sein; denn um eine Spanne Zeit verringert es sich, wenn mir nunmehr für den Fall, daß ihr mir keine Gerechtigkeit widerfahren lasset (3), irgend welcher Schaden entsteht. Aber du, treffliche Minne, die du mich aufrecht erhältst, mögest, da du ja die treuen Liebhaber vor Torheit bewahren sollst, mich leiten und mich bei meiner Herrin beschützen, da sie mich so unterjocht! 
 
 
Fußnoten:

1) „Mehr geringwertig (der Gesinnung nach), leichtfertig.” ()

2) In meiner großen Liebespein. ()

3) „Gesetzt, daß ihr mir nicht aus dem Unrecht Recht machet.” ()

 

 

 

 

 

 

 

 

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