Liebe und Gerechtigkeit.
I. Zu gutem Singen gehört Liebe, Gelegenheit, wohlwollende Aufnahme und günstige Zeit; wenn ich aber von diesen vier zwei hätte, so brauchte ich wahrscheinlich auf die andern gar nicht zu warten (
1). Denn die Gelegenheit verschafft mir stets Liebeslust und, wenn ich erst einmal lustig bin, so gibt der günstige Zeitpunkt, daß die Jahreszeit, in der das Gras wächst, obwohl Laub und Blumen prangen, mir bei meinem Gesange weniger förderlich ist als Wunsch und Wohlwollen von Herren.
II. Und um der Liebe willen ward einst von den Wackeren Gesang willkommen geheißen und Verdienst geschätzt, und es geschah, daß die Hoffnung allein, ohne daß man dabei noch anderes im Sinne gehabt hätte, einem zeigte, wie man sich eifrig aller Artigkeiten befleißigen sollte (
2), und wie einem, gesetzt daß man viele Unternehmungen ins Werk setzte, Verdienst und Wert wüchse, daß man ferner sich vor Mißgriffen hüte und mit geringem Gunstbeweise begnüge (
3).
III. Scheint es jetzt nicht, daß Zurechtweisung, Klage und Schelten mir nützen könnte? Indessen glaube ich nicht, daß die Minne je zuverlässiger wäre, wenn sie solche fände, die verdienten geliebt zu werden; denn wenn jemand sie mit Recht beschuldigte, bessert sie sich dann sofort und hilft sie mehr? Wie sie nämlich den Aufrichtigen gegenüber als zuverlässig (nur) erscheint, erscheint sie gegen die Betrüger (nur) als falsch und, indem sie beide ohne Unterschied behandelt (
4), vertauscht sie ihren Namen; denn da sie doch Unrecht tut, ist sie eben keine ehrliche Minne.
IV. Vom Zurechtweisen habe ich mich gründlich frei gemacht; bin ich doch oftmals bekümmert, weil ich sehe, daß ich auch mit Gewalt (
5) Liebesfreude nicht zu erlangen vermag. Wenn jedoch mein “schöner Gebieter” seine Versprechungen wahr machte, hätte ich statt des Kummers und der Unruhe, die ich durch ihn erlitten habe, Freude, Kraft, Wert und Hilfe, und er sollte sich mehr damit beeilen, denn um anderes bitte ich nicht und ich will auch nichts anderes.
V. Und wenn ich zu ihr (
6) in einer Angelegenheit, in der sie mich etwa durch einen Auftrag oder eine Aufforderung in Anspruch nahm, unfreundlich gewesen wäre, so würde ihr das gar wohl Gründe verschaffen, mir keine Versprechungen zu halten; wenn ich ihr aber eine aufrichtige Gesinnung entgegenbringe, so sollte sie doch erwägen, ob es ihr geziemt, sich zu drehen und Winkelzüge zu machen! Mich nährt die gute Hoffnung und sie begleitet mich zugleich mit Sängern und hat mir gestattet, schnell wieder Freude zu gewinnen am Dichten, dem ich mich entzogen hatte.
VI. Und keineswegs zeugt es von Feindseligkeit, wenn Mühsal und Pein mich nicht hindern, fröhlich zu sein; denn niemals schien mir, daß es demjenigen gut ergehe, dem Lust nicht zusagte, sodaß mir Verstand und Macht, die etwa die Lust unterdrücken, nie gefielen und Geiz und verdrossene Vornehmheit mich nie anzogen. Und mag man immer zu vieles Denken Klugheit nennen, ich sage, daß es eher Torheit ist.
VII. Gegenüber der Bitte um Gnade gehört es sich, daß man Gnade erweise, und den edlen Liebhabern gegenüber ziemt Edelmut, dagegen ist bei den übermütigen Stolzen Stolz und Schlechtigkeit angebracht, sodaß einer Dame, wenn sie die Übertretung, bevor sie sich dieselbe zu schulden kommen ließe, bedächte, nie ein Gemeiner, Übermütiger oder Feiger gefiele; denn sie darf bei solchem Tun nicht sorglos sein, von dem ihr unter den Liebhabern Schande verbliebe, wenn es dazu käme, daß man sie deshalb beschuldigte.
VIII. Herr Sobre-Totz, die Kleider sind bunt, und wer sie zu unterscheiden versteht, begeht eine Dummheit, wenn er (trotzdem) die schlechteren kauft.
Fußnoten:
1) So stellten sich die beiden andern von selbst ein. (↑)
2) ‚Wie man sich hervortun sollte in lebhafter Bewegung nach allem Geziemenden hin.’ (↑)
3) ‚Und daß einem ein geringer Gunstbeweis ein hervorragender sei.’ (↑)
4) ‚Indem sie ihnen (den Aufrichtigen und den Betrügern) gleichmäßig verteilt.’ (↑)
5) ‚Mit Anspornen.’ (↑)
6) Zu der vorher „schöner Gebieter” genannten Angebeteten. (↑)