Vor der Heimkehr.
I. Nicht gefällt mir Nachtigallenschlag; ein so betrübtes und trauriges Herz habe ich! Indessen wundre ich mich, daß der April mich nicht aufheiterte; denn es gab sonst kein Jahr, das mir nicht zweimal soviel Freude gewährt hätte. Aber heuer gefällt mir der Blumenflor nicht, und die Frucht vom Zweige sagt mir nicht zu.
II. Aus Gram werde ich noch sterben, weil jene Boten mich gesucht haben. Ach, wüßten sie doch, wieviel lieber mir hier ein kleines Gehöft wäre als dort ein großes Herrenhaus! Ihre Unterhaltung ist mir sehr lästig, und es wird mir unpassend erscheinen, wenn ich mit ihnen in meine Heimat zurückkehre.
III. Es hat sich jetzt vieles geändert (
1), und man hat es, glaube ich, noch nicht erlebt, daß jemand in seine Heimat verbannt wird; aber mir ist sie zuwider und verächtlich, und die Heimkehr ist mir eine Pein! Um so mehr dulde ich, je berühmter ich dort (
2) werde, sodaß davon Scham und Furcht bei mir fortwährend zunimmt.
IV. Wer mir das anrät, will mir nicht wohl, und du, unbeständiges Herz (
3), hast, als du wolltest, daß eine so reine Liebe roste, gar nicht edel gehandelt; sah man doch niemals Herzen von zwei treuen Liebenden, die besser zusammenstimmten. Aber wann auch immer die Minne dich überwand, jetzt hast du sie bezwungen!
V. Warum bin ich denn, obgleich sie und die Ihrigen mich aus Anlaß meiner Heimreise nicht umarmen (
4), bange zurückzukehren? Weil es sich dabei um eine äußerst vornehme Geliebte handelt, bei der meine Neigung fest verweilt, eine solche, von welcher mich, weil ich nicht schwanke, keine Gewalt entfernen kann, wenn ich auch zu Grunde gehen sollte.
VI. Aber wegen der festen Schlinge, mit der du (
5) mich ohne weiteres gefangen hast, wache ich in der Nacht und strecke mich, und du solltest nicht hartnäckig und eigensinnig sein! — Liebe, treffliche Herrin, diese Reise gereiche mir nicht zum Schaden; denn ich werde sofort zurückkehren, und ihr, werdet mir nicht untreu!
VII. Nie, bei Christus, beging ein Pate gegen sein Patenkind solchen Fehler noch ein Vater gegen seinen Sohn von da, wo der Nil strömt, bis hierher, wo die Sonne untergeht; dafür soll mein Gesang den der andern Sänger übertreffen für euch, Herrin, die ich (stets) geliebt habe!
VIII. Gesang und Blumen mißfallen mir jetzt um euretwillen, Herrin, die ich verlassen habe.
Fußnoten:
1) ‚Wenig geschieht von dem, was (zu geschehen) pflegte.’ (↑)
2) In der Heimat. (↑)
3) Gemeint ist das Herz der Geliebten bezw. die Geliebte selbst. (↑)
4) Obgleich sie mir jetzt so wenig freundlich gesinnt sind, daß sie mich keines Abschiedsgrußes würdigen werden. (↑)
5) Du, unbeständiges Herz, du, Wankelmütige. (↑)