Tantalusqualen.
I. Freudig und bestimmt richte ich meinen Sinn darauf, ein treffliches Lied zu dichten; ist mir doch von da Hilfe erwachsen, wo diejenige weilt, die ich über alles liebe! Nicht einmal mich liebe ich so sehr, weshalb ich erwäge, wie ich ihr singend sagen könnte, was ihr gefallen sollte; anders wage ich ihr nämlich nicht zu sagen, wie sie mich lustig schmachten läßt, der ich übles empfinde lediglich von der Sorge, die mich quält. Wenn sie mir jedoch die mir zugesagte Unterstützung nicht zu teil werden läßt, so entfernt und verdrängt sie mich von Glück und Freude.
II. Denn von Anfang an machte sie durch ihre Heiterkeit auf mich den Eindruck einer schätzenswerten Freundin, sodaß ich durch sie wegen der Freude, die ich an ihr habe, keine Unruhe und kein Leid erfahre. Glaube ich doch immer, die Hoffnung und das Glück werde fürder noch wachsen, und da ich die ehrliche Absicht habe, ihr, wenn sie mich aufzunehmen geruht und freundlich behandelt, zu dienen, so soll man mich hängen (
1), wenn ich je Bedenken trage, nach Kräften in ihrem Sinne zu handeln, sobald ich erkenne, daß von Arglist* bei ihr keine Rede ist!
III. Dann* bringe ich sicherlich noch die Betreffende durch allzu große Verwegenheit ins Gerede; zieht es mich doch hin zu solchem Tun, daß ich wahrlich zu meinem Schaden mich zu bemühen glaube, so töricht bin ich! Und wie wäre es möglich, daß ich singen und dabei imstande sein soll, die zu verbergen, die doch daran Gefallen finden soll? Oft fehle und irre ich und rege mich dann nicht darüber auf und halte es nicht für schädlich, wenn die Minne mich bedrängt und demütigt; denn dereinst werde ich doch noch guten Erfolg darin haben!
IV. Nur zögernd gewährt sie mir alles, was sie mir darbietet, da sie leichtfertig ihre Gesinnung ändert; denn offenkundig entzieht sie mir, was mich froh machte, und läßt mich darin im Stich. Um Gnade bitte ich sie nicht, sondern zeige mich heiter, damit man mein Leid nicht bemerke und nicht kenne, und nehme mir vor, sie zu verlassen. Wenn ich sie dann aber sehe, dann denke ich an die große Freude, die ich bald durch sie haben werde, und kehre wieder um wegen des günstigen Wahrzeichens, welches mich leitet und — mir die Rinder des Bertalai zuführt (
2)! Denn mehr erreiche ich dabei nicht.
V. Oftmals denke ich geradezu: Ob sie wohl Reue empfindet? Kommt es doch vor, daß man einen veralteten, aufgegebenen (
3) Gedanken wieder aufnimmt und darauf zurückkommt; darum verschiebe ich den Streit und die Beschwerde und bin so höflich, daß ich mein Ziel nur dadurch zu erreichen gedenke, daß ich um Gnadenbeweise bitte, indem ich mich mit Gewalt zurückhalte, sodaß ich mich darin als wirklichen Besiegten hinstelle. Jedoch werde ich, so wahr sie mich je segnen möge, es so lange ertragen, bis ich alles versucht haben werde, gleichviel ob zu meinem Schaden oder Nutzen.
VI. So bedrängt es mir das Herz, daß ich den Verstand, den ich (bis jetzt) hatte, verlieren werde, wenn ich nicht, noch bevor ich den Mai erlebe, das Meiste erreiche.
VII. Mit größerem Recht glaube ich, daß ich schwerlich den Mai durchmachen werde, ohne zuvor euretwegen büßen zu müssen (?)!
Fußnoten:
(1) „Weh dem*, der mich nicht hängt.” (↑)
(2) Mich durch ein Trugbild täuscht (?). (↑)
(3) ‚Der in Trümmern liegt.‘ (↑)