I. Amor, noch würde ich Dich bitten, daß Du mir minniglicher wärest, denn ein wenig Gutes löscht den Schmerz von vielem Übel aus. Und das würde sich zeigen, wenn Du jetzt Mitleid hättest. Weshalb gedenkst Du meiner nicht? Aber ich glaube, daß es mir (jetzt) ebenso ergeht wie am Beginn, als ich mir die Flamme von derjenigen ins Herz setzte (?), die Du träge bleiben ließest (oder: die mich in trägem Bangen ließ?), da Du mir nimmer den Genuß ihrer Liebe gabst.
II. Gar sehr lebt in großer Not und in Schmerz und Angst der, den stets eine übelgesinnte Dame beherrscht; denn ich würde in Frohsinn leben, aber so geschieht es mir, daß die, welche ich begehre, nicht glaubt, daß ich sie so liebe, daß die Ehre und was ich sonst Gutes von ihr erwarte, mir zukomme. Und sie hat Unrecht daran, denn nichts verlangt mein Herz als sie und was ihr gefällt.
III. Immer wäre ich ihres Lobes voll, wenn sie mir nur mehr guten Willen bezeigte, denn Amor, der das Herz mit Liebe erfüllt, gab mir von ihr (mehr würde mir nicht zukommen) nicht Lust, sondern: wißt Ihr was? stetes Sehnen und Begehren! Und wenn ihr beliebt, mich als ihr eigen zu behalten, kann sie mit mir nach ihrem Willen tun, besser als der Wind mit dem Zweige tut, denn so folge ich ihr wie das Blatt dem Winde.
IV. So frisch und schön und hell ist sie, daß Amor furchtsam für mich (?, vor ihr?) ist, denn ihre Schönheit gibt dem schönen Tage Glanz und erhellt die finstere Nacht ... Ich sage von ihr kein Lob, aber der Tod möge mir ankommen, wenn ich sie nicht mit meinem ganzen Sinne liebe; denn, Fraue, Liebe schlägt mich in Banden, die mich oft von Euch manch schöne Wahrheit sagen läßt.
V. Süßes Wesen, freundlich und geizig, mild, edel und hochfahrend, schön und anmutig über alles Maß, Fraue, ich bitte Euch, da ich Euch mehr als irgend etwas liebe, daß Ihr Gnade mit mir habet; denn ich fürchte, daß der Tod mich bedrückt, wenn Euch nicht Mitleid mit mir ergreift. Und wenn ich sterbe, weil ich Euch liebe, gegen die nichts mich schützt, fürchte ich, daß Ihr Euch vergeht.
VI. Oft weine ich so, daß ich das Antlitz bedrückt und voller Scham habe; und das Gesicht wird bleich, weil ich Euch, daran ich mich erfreuen sollte, verliere, denn Ihr gedenkt meiner nicht. Und Gott möge mir nichts Gutes von Euch geben, wenn ich weiß, wie ich mich ohne Euch behelfen soll, denn so in Schmerzen lebe ich wie der, der in den Flammen stirbt, und wenngleich ich es nicht erscheinen lasse, fühlt (doch) kein Mensch weniger an Freude.