Diese oder keine.
I. Ganz trefflich, angenehm und ruhig lebte ich bis zu dem Tage, wo Liebe in mein Herz eindrang; denn ich liebte nicht und wurde nicht geliebt und fühlte von Liebe kein Leid und keinen Schaden. Jetzt weiß ich nicht, was es damit für eine Bewandtnis hat und was daraus werden soll; liebe ich doch die, welche ihrerseits mich gar nicht lieb hat, und doch habe ich von ihr alles, worüber ich verfüge, und wäre die ganze Welt mein eigen, so hätte ich sie von ihr.
II. Das Herz habe ich von ihr statt andrer Reichtümer (
1), und meine Lieder ersetzen den Ritterdienst, und wäre ich König, Herzog oder Emir, so würde ich aus Liebe zu ihr hohe ritterliche Taten (
2) vollbringen; da ich nun die Macht nicht habe, die ich brauche, um ihr zu dienen, so habe ich doch dafür meine gute Treue, und gute Treue sollte, wer sie wohl erkannte, an Stelle von Reichtum hinnehmen.
III. Wohl bin ich, so wahr Gott mir in dieser Hinsicht Freude gewähren möge, reich an dem Leid, das ihr mich ruhig erdulden lasset, und arm bin ich, wenn ihr mich nicht beachtet und doch den andern rings umher ein freundliches Gesicht macht, und in der Tat seht ihr mich, der ich euch liebe, nicht freundlich an, und ich huldige euch doch mehr als ich sollte*, und wenn ich um das bitte, was sich für mich etwa nicht ziemt, so veranlaßt mich die Macht der Liebe, darin so Törichtes zu reden.
IV. Denn wenn ich eure Reize sehe, gerate ich ebenso außer mir, wie Gaweins Verwandter (?) wegen des Barbaren; als jenem alle seine Söhne wegen des Krieges weggeholt waren und dieser seine Tochter (
3) aufsuchte, um ihr zu nahe zu treten, lieferte er sie ihm am folgenden Tage zugleich mit sich aus, bis Iwein sie (
4) verteidigte, und mich beschütze bei euch Gnade und Freundlichkeit! Und doch wollt ihr nicht, daß diese (
5) mir etwas helfen?
V. Betreffs der Verleumder bin ich — was man niemals ist, dafür stehe ich für mich ein — sehr zufrieden, weil sie mich aus dem Lande, wo ihr wohnt, vertrieben haben! War mir doch der wahrhaftige Gott insofern wohlgefällig, als ich sonst gestorben wäre; denn wenn ein treuer Freund das sehr geliebte Wesen sieht und die andre (
6) ihm nicht entgegenkommt, so stirbt er vor Sehnsucht, weshalb ich lieber will, daß Minne mich hier in der Ferne martere als wenn ich sie (
6) dort nicht besitzen dürfte!
VI. Besitzen? Unmöglich, denn bei ihr ist soviel Glück und Schönheit, daß ich entfliehen muß! Und soll ich mein Leben lang ohne Dame sein? Wenn ich euch nicht habe, so möge ich ohne Dame sein!
VII. Wackere Gräfin, welche die Provence beschützt und alles Übel dort zum Guten lenkt, ihr seid die verkörperte Tüchtigkeit und Höfischkeit, weshalb Savoyen und die Lombardei um so besser daran sind!
Fußnoten:
1) Das Herz in dem durch sie veranlaßten gegenwärtigen Zustande der Verliebtheit, die Liebe, welche mir mehr wert ist als Reichtümer. (↑)
2) ‚Hohe Taten und Ritterlichkeit.‘ (↑)
3) Der Barbar die Tochter des Verwandten Gaweins. (↑)
4) Die beiden Gefangenen. (↑)
5) Die Gnade und Freundlichkeit. (↑)