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Deutsch
Adolf Kolsen

Ein schöner Traum.
 
I. Ich kann nicht umhin, beim Zahnschmerz die Zunge hin und her zu wenden und den Sinn zu ändern beim neuen Blumenflor, wenn ich die Zweige blühen sehe und wenn im Haine die Lieder der verliebten Vöglein erschallen (1), und bin ich auch bekümmert und unglücklich (2), so lebe ich doch angesichts der Lieder, der Gärten und Wiesen wieder auf und erheitere mich.
 
II. Mit andrer Arbeit gebe ich mich nicht ab als damit, daß ich singe und mich belustige; träumte ich doch im Frühling einmal nachts einen Traum, der mich froh stimmte, von einem jungen Sperber (3), der auf meiner Faust saß, und schien er mir auch zahm, so habe ich doch niemals einen gesehen, der so wild gewesen wäre; aber nachher wurde er gefügig und vertraulich und ließ sich zur Jagd gut abrichten (4).
 
III. Den Traum erzählte ich meinem Herrn, denn seinem Freunde soll man davon Mitteilung machen, und er deutete ihn mir ganz und gar vom Standpunkte der Liebe aus und sagte mir, es könne nicht ausbleiben, daß ich, wenn ich mich gehörig darum bemühen werde, eine Freundin von höherem Stande ungestört besitze, eine, die so beschaffen ist, daß nie jemand von meinem Geschlechte und von noch viel höherem Werte als ich eine solche liebte oder von ihr geliebt wurde.
 
IV. Jetzt schäme und fürchte ich mich deshalb, ich werde davon wach, klage und seufze darüber, ich halte den Traum für eine große Dummheit und glaube nicht, daß er eintreffen könne; andrerseits kann sich ein hochfahrender, stolzer und vermessener Gedanke von einem törichten Sinne nicht trennen, sodaß ich mir (trotzdem) einrede, nach unsrer Überfahrt werde der Traum gerade so, wie er mir ausgelegt wurde, in Erfüllung gehen.
 
V. Und dann sollt ihr einen Sänger vernehmen und ihr werdet Gesänge gehen und kommen hören! Will ich doch jetzt, da ich hier gar nicht recht in Schwung komme*, ein wenig mehr Mut fassen und meinen Boten schicken, der uns unsre Liebesgrüße überbringen soll. Was mich betrifft, so ist die Sache ja in Ordnung (5), aber von ihr besitze ich kein Pfand, und nach meiner Meinung wird nie etwas zu Stande gebracht, bevor es in Angriff genommen ist.
 
VI. Denn ich habe gesehen, wie man einen Turm mit einem einzigen Bausteine anfing und wie man ihn allmählich immer höher machte, bis man ihn besetzen konnte. Deshalb bewahre ich nun, wenn ihr mir’s ratet, meine Ritterlichkeit und werde den Vers, sobald er gut in Musik gesetzt sein wird, auf die Reise zu ihr senden, wenn ich jemand finde, der ihn mir schnell hingeleite, auf daß sie sich daran erfreue und ergötze.
 
VII. Und wenn ich einmal zu einem Kaiser oder König gehe, so möge er, wenn er mir ganz ebenso danken will wie seinem Verräter (6), der ihn nicht schützen und verteidigen kann und mag, mich als Geisel in fremde Länder entfernen! Fast ebenso werde ich Strafe erdulden und großen Schadens gewiß sein, wenn die hübsche, geschätzte Person mit dem weißen Teint mir gegenüber spröde und verdrossen bleibt.
 
VIII. Und ihr, die ihr meine Sprache versteht, höret und sehet, ob ich nicht die Worte, wenn ich sie auch einst unverständlich und dunkel machte, jetzt sehr deutlich mache.
 
IX. Und ich habe mir darin solche Mühe gegeben, damit ihr die Lieder, die ich dichte, versteht.
 
 
Fußnoten:
 
1) ‚Vorhanden sind.‘ ()
 
2) ‚Vom Unglück erfaßt, verfolgt.‘ ()
 
3) Von einem Ästling, hier wohl einem Sperber, welcher soeben erst flügge geworden war. ()
 
4) ‚Wurde festgebunden, ließ sich festbinden zwecks guter Würfe, guten Fangs.‘ ()
 
5) ‚Denn hier ist die Hälfte davon erledigt.‘ ()
 
6) D. h. wenn er mir in übler Weise danken, mir Gutes mit Bösem vergelten will. ()

 

 

 

 

 

 

 

 

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