I. Wenn die Blüte neben dem grünen Laub erscheint und ich das Wetter hell und klar sehe und der süße Sang des Vogels im Hain mir das Herz mit Süßigkeit erfüllt und erquickt, muß, da die Vögel in ihrer Art singen, ich, der ich mehr Freude in meinem Herzen habe, wohl singen, da all mein Tagewerk Freude und Gesang ist; denn an Anderes denke ich nicht.
II. Die, welche ich von der Welt am meisten begehre (und ich liebe sie von Herzen und in Treue), hört gern meine Worte und nimmt sie auf und horcht meinen Bitten und behält sie. Und wenn je ein Mensch von gutem Lieben starb, werde ich davon sterben, denn in meinem Herzen drinnen trage ich so echte und wahrhafte Liebe, daß die Treuesten im Vergleich mit mir falsch sind.
III. (V.) Manch einer wird übermütig, wenn ihm große Freude und großes Glück begegnet; ich aber bin von besserer Art und werde trefflicher an Gesinnung, wenn Gott mir Gutes tut. Wann immer ich am Saum der Liebe war, jetzt bin ich vom Saum zum Herzen vorgedrungen. Dank, Fraue! Keiner ist mir gleich. Nichts mangelt mir, wenn Gott nur Euch mir erhält!
IV. Wenn ich mich erinnere, wie ich die falsche Unbarmherzige zu lieben pflegte, wisset, so kummervoll wird mir dann zu Mut, beinahe lasse ich bei Lebzeiten Freude im Stich. Fraue, um derentwillen ich singe und fröhlich bin, treffet mir doch durch den Mund ins Herz mit einem süßen Kuß aus echter herzlicher Liebe, der mich wieder der Freude zuwende und mich aus tötlichem Leide ziehe.
V. (III.) Wohl weiß ich, wann ich mich nachts entkleide, daß ich im Bett nicht schlafen werde. Den Schlaf verliere ich, denn ich raube ihn mir um Euretwillen, Herrin, an die ich denke, denn „dort, wo der Mensch seinen Schatz hat, will er auch immer seinen Sinn haben“. Wenn ich Euch nicht sehe, Fraue, die Ihr mir am meisten am Herzen lieget, gilt kein Sehen so viel wie mein schönes Denken.
VI. Fraue, wisset wohl, daß wenn Euch meine Augen nicht sehen, mein Herz Euch sieht. Und Ihr möget keinen größeren Schmerz haben als ich ihn habe, da ich weiß, daß man Euch um meinetwillen bedrängt. Aber, wenn der Eifersüchtige Euch von Außen schlägt, sehet zu, daß er Euch nicht im Herzen treffe. Wenn er Euch Verdruß antut, so (tut) Ihr ihm ein Gleiches, und nimmer gewinne er bei Euch Gutes durch Übles!
VII. Mein Schönes-Schauen behüte Gott vor Kummer und Leid, wenn ich ferne bin, und in der Nähe desgleichen.
VIII. Wenn Gott mir nur meine Herrin und mein Schönes-Schauen bewahrt, habe ich Alles was ich will, denn Anderes begehre ich nicht.