Alles zu seiner Zeit
I. Mit Singen würde ich mich oftmals aus Mangel an Kurzweil abgegeben haben, wenn ich gesehen hätte, daß man guten Gesang lobte; wenn mir aber Hilfe zuteil würde durch einen trefflichen Gegenstand oder seitens einer trefflichen Geliebten, so würde ich unweigerlich noch singen. So schlimm und schrecklich ist der Verlust und Schaden für mich, da Lust, Gesang, Tüchtigkeit und Prachtentfaltung so ganz aufhören; denn jetzt nennt man es eine Torheit, wenn ich mich belustige, mich erheitere und singe und nicht das tue, was die anderen tun.
II. Und doch kann meines Erachtens niemand höfisch sein, der stets verständig sein will. Mir gefällt liebenswürdige Torheit sehr, die je nach Zeit und Ort entfernt und eingeschränkt wird; läßt sie doch den Verstand zum Vorschein kommen, erhöht und läutert ihn, sodaß ich selbst, der ich singe, die Närrische (
1) wahrlich lieber fördere, als daß ich sänge, wenn Lust Leid wäre und Artigkeit Mühsal. Wer Lust und schöne Art im Stiche läßt für Schlechtigkeit und Trug, dem soll das gewiß nicht zum Nutzen gereichen!
III. Wenn ich könnte — aber ich kann nicht —, würde ich den Grund meiner Betrübnis vergessen wollen, daß ich jetzt nämlich die großen Machthaber auf Kurzweil und Ruhm verzichten sehe, sie, die von einem bedeutenden Mißmut ergriffen sind, welcher Jugendlust entfernt, vertreibt und verscheucht. Man sollte es wirklich nicht für möglich halten, daß Tüchtigkeit und Liebenswürdigkeit in tausend Jahren (
2) derartig in Verfall geraten könnten! Gilt doch selbst Ritterlichkeit weniger, und Liebe brauchte, seit sie ihren Nutzen und Schaden abwog, keinen treuen Liebhaber.
IV. Das muß ich sehr bedauern; aber ich habe insofern Mut gefaßt, als ein wohlerzogener Bote mir meldete, eine gewisse Dame sende mir Grüße; hat sie mir doch Freude damit bereitet, daß sie meinen Gesang beachtet! Für eine andere würde ich auch nicht singen und würde sonst auf Grüße und Botschaften nichts geben; aber dieser werde ich dienen, so sehr wünsche ich ihre Herrschaft. Wenn sie jedoch nur ein wenig mehr Entgegenkommen zeigen (
3) wollte, . . . (
4) ich wünsche ja nichts anderes und verlange nicht mehr von ihr.
V. Da ich nun durch sie wieder zur Freude gelangt bin, müßte ich sie um die Erlaubnis bitten, von unserer guten Freundschaft einem Freunde Mitteilung zu machen; denn sie wird umso mehr wertgehalten werden, da ich ihm oft davon erzählen werde, dessen ich mich, so lange ich es für mich allein geheim halten müßte, nicht erfreuen würde. Es ist nämlich ganz prächtig und angenehm, wenn ein treuer Liebender jemand findet, mit dem er sich unterhalten und lachen kann, und da er seiner Freundin nicht täglich seine Gesinnung offenbaren kann, muß er jemand haben, durch den er ihr davon Kenntnis gibt.
VI. Meine Treue soll mir, weil ich niemals übel beraten war, recht zum Glück gereichen, denn ich liebe treu und wegen meiner Treue möge ich geliebt werden, und sie soll willkommen sein! Liebe ich sie doch so wie ich sie gewollt habe, anmutig, liebenswürdig und lustig, und so wie ich sie mir wünschen würde, sodaß ich an ihr nichts auszusetzen hätte; denn durch ihre schöne Erscheinung, ihren Frohsinn, ihre Artigkeit, Bildung und hübsche Geselligkeit hat sie meine Freundschaft erworben, weshalb ich zugreife und wiederum loslasse und verschmähe, mich erkühne und mich ängstige.
VII. Wahrlich, keinem Menschen in der Welt würde ich glauben, daß ich ihr für ihre Worte und Taten nicht alsbald singend sollte Dank darbringen können, aber ich weiß nicht, wann.
VIII. Für ihre Worte bringe ich ihr singend meinen Dank dar und besonders für ihre Taten, — sobald sie eintreffen werden!
Fußnoten:
(1) D. i. die Torheit. (↑)
(2) Geschweige denn in einem soviel kleineren Zeitraum! (↑)
(3) ‚Vorwärts galoppieren.‘ (↑)
(4) So wäre ich schon ganz zufrieden. (↑)