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Deutsch
Adolf Kolsen

Minuentur atrae carmine curae
 
I. Soeben erholt sich mein Herz von einem Leid und Kummer, denn allein um einer angenehmen Übereinkunft willen hat es jetzt Glück und Freude zu erwarten; deshalb werde ich singen. Sonst würde ich heuer nämlich nicht daran denken (1) da Garten, Wiese und der Gesang in den Hecken, den die Vöglein gegen die Jahreswende anstimmen, mir kein Vergnügen bereitet.
 
II. Und nie würde ich das gemeine Volk ruhig dulden; denn absichtlich zögernd wendet es sich dem Werte zu, weswegen Tüchtigkeit abnimmt. Daher kann ich nur sagen, ich hätte nimmer gedacht, Lust würde so schnell aufgegeben werden! Ihr gereicht mir darin zum Troste, Herrin, derentwegen ich singe und lustig bin.
 
III. Und um Euretwillen bekämpfe ich das, was mich mehr, als mir anzusehen ist, verdrießt, wegen der guten Hoffnung, die ich darin hegte und noch hege, da mir ja mehr nicht zuteil wird. Würde ich doch viel besser singen, wenn Ihr, hübsches, verehrtes Wesen, mir vertrauter wäret. Jedoch wenn Ihr nichts dagegen habt (2), so soll es keine Unannehmlichkeit geben, wenn ich singend um Euch werbe.
 
IV. Denn größerer Kühnheit wäre mein törichtes Herz nicht fähig (3); deswegen mache ich mir keine Sorge! Vielmehr sagt es mir oft, daß ich mir, wenn ich Euch huldige, schaden werde, da Ihr mir gegenüber so unzugänglich seid, weil Ihr, bevor Ihr überhaupt etwas davon wisset, nur daran (4) denket. Wenn Ihr in dieser Hinsicht mehr (5) zu hören bekämt, so würde das mir, wie ich sehr fürchte, das Leid verdoppeln.
 
V. Meiner Ansicht nach würde aber jede andere mir mehr Verwegenheit gestatten. Sprechen wir gemütlich; saget oder soll ich es sagen: Welches Unrecht werde ich Euch tun, wenn ich Euch aus innerem Drange, gefangen und gebunden wie ich bin, lieb habe oder sogar huldige? Glaubt nur nicht, daß man, wenn ich mich auch in Acht nehme, seine Neigung überwinde!
 
VI. Wer nämlich das Gesetz der Liebe beachtet und infolgedessen seufzt, kann, wenn er dabei nicht mit Torheit zu Werke geht, für großen Genuß kein Verständnis haben; denn niemals sah ich einen verständigen Liebhaber lustig — vervollkommnet doch vielmehr die Torheit den Geschmack —, sodaß Ihr jetzt, wenn Ihr lieben und der Vernunft folgen würdet, schon um eines geringen Scheines willen in Angst geraten würdet!
 
VII. Und deshalb hat, wer nicht zuviel bedenkt, zuerst Erfolg, weil er das billigt, was ein anderer tadelt. Es steht daher für mich, wenn ich um Euch werbe, gar nicht gut; sollte ich in gleicher Weise Liebe hegen wie Ihr mit mir gern Krieg führt? Aber nur Geduld; diejenigen werden nämlich siegen, die am besten ausharren werden.
 
VIII. Denn ich merkte schon, daß ich mit Ruhe und Geduld mich einer trefflichen Liebe erfreuen würde, wenn mich infolge törichten, verächtlichen Sinnes dasjenige nicht leicht in Schrecken versetzte, was mir helfen würde, wenn ich schlau wäre; ich stellte mich aber ärgerlich, weshalb ein anderer, der verständig war, als ich zögerte, sich beeilte und den Vorzug erhielt.
 
IX. Und hernach? Ich erdulde jetzt, da ich mich von dort entfernt habe, viel größeres Leid und bin daher verzagt. Deshalb bitte ich Euch (6) und fordere Euch auf, in der Liebe auszuharren.
 
X. Ich wünschte wohl, daß die Liebenden mit Ausdauer lieben.
 
XI. Denn diejenigen werden siegen, welche die rechte Ausdauer haben werden.

 

Fußnoten:

(1) Zu singen. ()

(2) Daß ich um Euch werbe. ()

(3) ‚Denn mit mehr Kühnheit würde man mein törichtes Herz nicht sehen.‘ ()

(4) Daran, daß ich von Euch sogleich die äußerste Gunstbezeugung erwarte. ()

(5) Wenn Ihr mehr als geziemend ist, wenn Ihr Ungebührliches von mir zu hören bekämet.()

(6) Die Liebhaber. ()

 

 

 

 

 

 

 

 

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