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Deutsch
Adolf Kolsen

Tüchtigkeit, Freigebigkeit und Frauendienst einst und jetzt
 
I. Wer die Gewohnheit hat zu singen und weiß, wovon (1), und glaubt, daß, was ihm gefällt, ihm seine Freuden und seine Lieder fördere, der möge nunmehr, da jetzt an den Zweigen Blatt und Blüte zum Vorschein kommt und da der Frühling die Gärten und Wiesen färbt, singen und sich höfisch zeigen, wenn sein Gegenstand ihm zusagt. Sehe ich doch nichts in der Welt, das Lust und Unterhaltung gleichkäme; denn Krieg und Schlacht, Zank und Streit gelten den Wackeren doch nur als Schurkerei.
 
II. Deshalb — wen ärgert’s, daß es mir Freude macht? — lasse ich, wenn ich auch der Grüße und Aufforderungen entbehre, meine Liedchen ertönen; so sehr liebe ich Tüchtigkeit und Prachtentfaltung, daß meine einseitige Liebe mich unter die Sänger verschlägt und mich für die Kurzweil zurückbehält. Oftmals habe ich mich davon entfernt und dann drohe ich und werde boshaft; wenn ich jedoch närrisch werde*, kehre ich in meiner allzu großen Verliebtheit zurück, um das Stroh zu dreschen, aus dem ich das Korn herausspringen zu sehen hoffe, ohne daß es dabei eine Ernte gäbe (2).
 
III. Wenn ich aber betrübt bin, weil die Liebe, nach der das Verlangen nicht schwindet, mich so flieht und doch wieder festhält, wem wird das zum Schaden gereichen? Mir, den das Leid, der Kummer und die Angst verfolgt; so sehr fürchte ich, daß der Nutzen und Lohn schließlich ausbleibe. Bin ich etwa zu ungestüm, indem ich das sage, was ich nicht sagen sollte? Mag sein; aber ich finde, daß doch, wenn mein Schwert gar nicht schneidet und ich mir mein Ventaculum (3) nicht festbinde (4), meinen wohlgefälligen Liedern gewiß Lohn gebührt.
 
IV. Und wenn man, was sie doch mehr anzieht, Wohlwollen bezeigt, hat sie sich dann über irgendwelche Benachteiligung zu beklagen? Es ist aber sehr schädlich, unrecht und töricht, sich um die Freigebigkeit von Herren zu sehr zu bemühen, nachdem man schon einmal von ihnen abgewiesen worden ist; lieber soll man hoffen und sich dankbar zeigen! Denn ein Narr, der sich dabei schier umbringt und sich unsinnig gebärdet, erlebt da oft mit seinem Benehmen, daß, weil er zu stürmisch ist, Hilfe, Lohn und Freigebigkeit zunichte werden.
 
V. Und wenn mir eine das gestattet, was sie einem andern gewiß nicht gestatten würde, scheint es da, daß Trug in Frage käme? Vielmehr ist es eine treuen Liebhabern wohlanstehende Abmachung, daß man sich mit Ehrenbezeugungen allein zufrieden gebe. Was mich betrifft, so ist es sicher, daß ich mit der Liebe nirgends tändle, die mich erquickt und mich quält, wenn sie mir die anmutige Gestalt einer frohsinnigen, klugen Person meißelt und schnitzt (5).
 
VI. Und wenn jemand das Band zerreißt und vernichtet, das den rechten Drang getreulich leitet, so ist das wahrlich eine Geringschätzung, und er werde treulos und falsch genannt; ist doch Verschwiegenheit und Festigkeit unter Liebhabern das größte Lob. Derjenige werde aus der Zahl der Treuen ausgemerzt und verzichte auf das Beste, was die Minne gewährt, welcher ihr Recht und Gesetz nicht befolgt und sich so vielen zugesellt, ohne daß ihm an einem etwas gelegen wäre; denn sobald eine Dame zwei Liebhaber haben wollte, liebte sie sicherlich keinen von beiden.
 
VII. Von schlechter Art (6) scheint er zu sein, denn, ohne irgendwie Schaden davon zu haben, setzt er den herab, der sein Begehren befriedigt sieht oder sah; fühlte sich doch früher, wer einem andern hätte helfen können, gehoben und glücklich. Jetzt verhält es sich mit Tüchtigkeit und Frauendienst anders; ich höre und sehe nämlich von keinem, daß er darin ein Übriges täte (7); wem jedoch nicht mitunter Nutzen und Schaden einerlei ist (8), der war nach meiner Meinung niemals ein  „Freund“.
 
VIII. Übel verfährt (9), wer das Seine und sich schönen, trefflichen Taten entzieht oder sich nur zweifelnd dazu (10) anschickt. Denn seit Constans ermordet wurde und zu den Ahnen einging, richtete sich Wert nimmer auf,noch hob sich Freigebigkeit, und da ich nun, nachdem ich pflichtgemäß davon gesprochen habe, damit zu Ende bin, mögen sie sich nach Belieben verbessern oder verschlimmern! Wenn aber der Graf Gui da hinter Scoraille (?) seine Gefangenen (*) von Schmutz (*) befreite, würde sein Ruf sich weithin verbreiten.
 
IX. Und da die (üble) Stimmung (?) sich so ausbreitet, so möge sie nur nicht hierher überspringen und zum Verderben Aragons das Gebiet der Gascogner durchziehen!
 
X. Herr Sobre-Totz, Ihr möget stets zu den Wackeren gehören!
 
XI. Und du, Lied, gehe schleunigst (11) hin zu Herrn Rigaut!

 

Fußnoten:

(1) Wovon er singen soll. ()

(2) D.h. ich versuche aufs neue mein Glück bei meiner Dame, aber vergebens. ()

(3) Das V., ein zum Schutz für den unteren Teil des Gesichts dienender Panzerzipfel, wurde festgebunden, sobald man sich zum Kampfe rüstete. ()

(4) D.h. wenn ich in meinen Liedern keinen feindlichen Ton anschlage. ()

(5) Wenn sie mir die Geliebte auf diese oder jene Weise darstellt, vor Augen führt. ()

(6) ‚Von einem gemeinen Ahnen (stammend).‘ ()

(7) ‚Ich höre und sehe niemand, der darin das (übliche) Maß überschritte.‘ ()

(8) ‚Wer nicht . . . gleichstellt.‘ ()

(9) ‚In übler Weise vervollkommnet sich.‘ ()

(10) Zu trefflichen Taten. ()

(11) ‚Eifrig‘. ()

 

 

 

 

 

 

 

 

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