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Deutsch
Adolf Kolsen

Liebe und Pflicht
 
I. Wenn Scharfsinn oder rechtes Bemühen nicht dazu verhilft, daß mein leichter Gesang gelte, im Werte steige und sich vervollkommne, scheint es mir durchaus nicht, daß er viel wert sein kann; denn die Erwartung und die Hoffnung, die mir darin zu helfen pflegten, lasse ich schwinden, und doch bezweifle ich, daß ein Gesang trefflich und wertvoll sei wenn Erwartung oder Furcht, Sorge oder Vergnügen mich nicht lehrt, wie ich singen soll, gutheißend oder scheltend.
 
II. Und weil das Glück das Leid nicht überwiegt, wird demjenigen großer Kummer zuteil, der viel duldet, falls (1) er sich immer über die Vernachlässigung seitens des anderen Teils zu beschweren hat. Wollt ihr, daß ich euch die Wahrheit sage, was mir an der Liebe mißfällt? Daß jemand darin  falsch sein kann und übelwollend ist gegen den, der ihm gegenüber offen, wohlwollend und aufrichtig war. Wehe* einer Macht, die darin besteht, daß man seinen Freund hintergeht und sich an seinem Leid ergötzt!
 
III. Und wenn die hübsche Person wankelmütig wird, kümmert mich deshalb eitle, törichte Beunruhigung nicht. Wenn sie nur über Grüße und Botschaften nicht außer sich gerät, glaube ich, daß sie mich auch ohne Beiliegen als Freund behalten könnte; denn oftmals ist, wo Liebe weilt, höfische Unterhaltung sehr zu schätzen und bereitet großes Vergnügen, und für die, welche dabei richtig zu Werke gehen, macht dann ein Abend den Verdruß eines Jahres wieder gut.
 
IV. Wenn ich aber gleichgültig bin, das treue Herz wende und es abbringe von dem, was es wünscht, so suche ich doch schon drei Jahre lang unablässig (2), was ich in meinem Wissen finde! Als mein „Gebieter“ mir ohne vieles Bitten die Erlaubnis zu singen gab und mein Dichten wegen der Liebe zu ihm ausgestreut ward, da raffte ich mich auf und erhob mich, und es wäre wohl töricht von mir, ihn dadurch, daß ich mehr von ihm verlange, zu veranlassen, sie (3) mir wieder zu entziehen.
 
V. Und wenn ich verweile und der König und die Seinen mich festhalten, ist der Nutzen bedeutend, aber ich weiß nicht, wie groß der Schaden sein wird, und wenn sie darüber verdrießlich ist, daß ich auszubleiben wagte (4), so tue sie, was ihr beliebt, um sich gehörig zu rächen. Wenn es mir dann gestattet ist, meine Hoffnung auf die Feldzüge zu setzen, welche die Könige unternehmen werden, ist es besser, sich auf den Weg zu machen als zurückzubleiben, da Trefflichkeit und Wert nicht so sehr steigen können, gesetzt, daß ich dem Aufrufe dazu (5) nicht nachkäme.
 
VI. Und Gott möge uns heuer begünstigen und so fördern (6), daß die schrecklichen Sarazenen Verluste und Schäden erleiden, bis sie gänzlich zu Grunde gehen (7). Und man soll kein Übel scheuen, um Gott zu gewinnen, und sich vor dem Anfang nicht fürchten, denn die gute Hoffnung wird die Gascogner und die Navarresen hinführen, wenn sie Mittel genug besitzen, und Gott wird vorangehen, die Unsrigen beschützend!

 

Fußnoten:

(1) ‚Gesetzt, daß‘. ()

(2) ‚Aber lasse ich denn davon ab?‘ ()

(3) Die gegebene Erlaubnis. ()

(4) ‚Wenn sie wegen meines Kommens verdrießlich ist, weil es wegzufallen wagte.‘ ()

(5) Zum Gehen, zur Teilnahme am Kreuzzuge. ()

(6) ‚Gott möge heuer unsern Vorteil verschönen und ihn uns so fördern.‘ ()

(7) ‚Bis es zum Untergang kommt.‘ ()

 

 

 

 

 

 

 

 

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