Traduccions - Übersetzungen - Translations - Traducciones - Traductions - Traduzioni - Reviradas

242,044

Deutsch
Adolf Kolsen

Dichter und Hirtin
 
I. Neulich, am 1. August, kam ich über Alais hinaus in die Provence und ritt, da ich äußerst bekümmert war, mit trauriger Miene, als ich neben einem Gehege den Gesang einer Hirtin hörte, und weil der Ruf, von dem das Ufer ertönte, lieblich war, wandte ich mich ganz erstaunt dahin, wo sie Farnkraut sammelte.
 
II. Und hatte sie sich auch wegen des jungen Gezweiges den Rock, den sie trug, zusammengeschnürt, so war sie mir doch, bevor ich sie nach ihrem Wohnort (1) gefragt hatte, beim Absteigen behilflich (2); dann sagte sie zu mir: „Von wo (3) kamt ihr und wo seid ihr her?“ Wahrlich, es scheint mir, ihr seid betrübt; haltet mich nicht für zu geschwätzig, denn ich habe wohl, da ihr ganz allein und vereinsamt seid, das Recht euch zu befragen.“
 
III. ‚Mädchen, da ihr mich so freundlich danach gefragt habt, werde ich euch, so schwer es mir wird, in der Tat sagen, welches Geschick mich traurig macht: Mir fehlt eine gute, treue, aufrichtige Freundin; denn ich habe mich jetzt von einer falschen Betrügerin getrennt, die mich veranlaßt, meinen Weg zu ändern, und doch könnte sie mich leiten und führen, wenn sie nicht so flatterhaft wäre.‘
 
IV. „Edler Herr, wer nur immer, obgleich er genug Erfahrung hat (4), mit einer hochgestellten Geliebten sich verbindet, wird fürwahr immer Grund zur Klage haben; denn eine vornehme Dame will wohl, daß man ihr ihre Liebenswürdigkeiten mit Taten vergelte und daß ihre Unfreundlichkeit vergessen werde. Wenn (5) ihr nicht sogleich dazu bereit seid, wird sie euch anders behandeln; denn jene wetterwendischen Damen verfolgen schnell einen anderen Weg.“
 
V.  ‚Mädchen, wolle Gott, daß sie Qual empfinde (*) wegen des Übels, das mir so große Pein verursacht, und daß sie den Schlaf und den Appetit verliere; aber Ihr mit dem dunklen Teint glaubet nicht, daß ich mehr von Euch verlange! Weil Ihr mich gütig empfangen habt, werde ich aufrichtig und rücksichtsvoll zu Euch sein, denn ich muß mich Euch gegenüber dankbar dafür erweisen, daß Ihr nicht entflöhet; nahmt Ihr mich doch in der Ferne zuerst wahr.‘
 
VI. „Herr, wohl brauchte ich einen Freund, der sich jetzt allerdings noch des Genusses enthalten müßte; bin ich doch jung und, wenn ich mich Euch auch geneigt zeige, keuschen Sinnes, da ich glaube, daß mir im Verhältnis zu meiner Armut ein guter Mann beschieden sei; weil Ihr aber mir gegenüber so anspruchslos wart, werde ich insofern leichtsinnig handeln, als Ihr meine vollkommene Freundschaft mit treulich verbürgten Eidschwüren haben sollt.“
 
VII. ‚Mädchen, ich dürfte wohl daran verhindert sein (6), da die Wurzel so fest ist (7), daß ich mich schleunigst in die Gegend hinter La Louvière begebe; fürchte ich doch, daß das Leid, nachdem es eingeschlafen ist, mich um so schlimmer treffe.‘
 
VIII. „Herr, Ihr seid gar nicht kühn, denn Ihr fürchtet, daß das Leid, dem Ihr entgangen* seid, Euch noch nachträglich heimsuche; aber da Ihr mir so sehr gefallet, laßt uns an diesem schattigen Orte Kurzweil treiben!“
 
IX.  ‚Mädchen, Frau Escharonha ist Führerin meines Wertes (8), sie ist eine höfische Gefährtin und echte Liebende, weswegen das Leid mich gänzlich (9) flieht.‘
 
X. „Herr, es ist nicht ganz recht von Euch, daß Ihr jetzt von einer anderen Gefährtin sprächet, mit der Ihr versehen wäret, wenngleich diese prachtliebender ist!“

 

Fußnoten:

(1) ‚Woher bist du?‘ ()

(2) ‚Hielt sie mich am Steigbügel.‘ ()

(3) ‚In welcher Richtung.‘ ()

(4) ‚Obgleich er genug gehört und gesehen hat.‘ ()

(5) ‚Gesetzt, daß.‘ ()

(6) Die Freundschaft auzunehmen. ()

(7) Da, wie ich jetzt fühle, die Liebe zu meiner Dame in mir so festgewurzelt ist. ()

(8) ‚Eines Wertes, den sie mir gab.‘ ()

(9) Das Leid, das vorher nur eingeschlafen war, aber wieder zu erwachen drohte, schwindet nunmehr gänzlich, da sich der Dichter, je mehr die Schäferin ihm entgegenkommt, beim Vergleich beider um so klarer wird über alle Vorzüge der Escharonha. ()

 

 

 

 

 

 

 

 

Institut d'Estudis Catalans. Carrer del Carme 47. 08001 Barcelona.
Telèfon +34 932 701 620. Fax +34 932 701 180. informacio@iec.cat - Informació legal

UAI