Zweites Kreuzlied
I. Freude zugleich mit guter Hoffnung sei Anfang und Ende eines neuen Gesanges, den ich jetzt beginne; denn mein Gegenstand ist äußerst zeitgemäß und gut! Vom Dichten pflegt man zu sagen, es sei ein Unrecht, und doch ist es gut und verständig, daß ein jeder singe und singend sage und zeige, wie reichen Lohn dafür zu erwarten habe, wer Gott auf gute Weise dient.
II. Daher kann ich, der ich darin einigermaßen träge war, nicht umhin, schriftlicher Aufforderung zufolge mich freudig dem Singen wieder zuzuwenden; so hübsch und erhaben scheint mir die Beschäftigung! Denn in Gesängen will ich Ermahnungen und Bitten an die Gleichgültigen richten, denen eher Mut als Geld fehlt, weshalb sie es unterlassen, im Dienste Gottes von Heiden und gemeinem Volk das heilige Grab zu befreien.
III. Und wer betreffs der falschen Ungläubigen nicht darauf bedacht und darum besorgt ist, daß ihre Kühnheit unterliege, lebt als Feigling; denn nie, glaube ich, gab es eine bessere Gelegenheit, die Tüchtigen zu erproben, die, mit schönen Rüstungen ausgestattet, auf ihren schnellen Streitrossen viel Glück und Ruhm erwerben werden, woran sie dann reich sein werden bei Lebzeiten und ebenso nach dem Tode.
IV. Aber was nützt Ausgelassenheit dem Körper, wenn der Kopf darüber verdrossen ist, und was nützen Tatkraft und Verstand, wenn sie nicht sichtbar werden? An unserm Körper ist Gott das Haupt, von dem uns hienieden Tugend, Gesittung und das rechte Benehmen zuteil wird! Denn Betrug, Pein, Ärger und das gemeine Benehmen sind Früchte (
1) der wachsenden Wollust.
V. Da es nun ein strenges Gebot ist, so muß man, solange man lebt und besteht, Gott gehorsam sein; denn ein Freund, ein Verwandter, ausgedehnter Besitz, Eroberungen und Freigebigkeit werden beim Weltgericht (
2) ganz und gar nichts (
3) wert sein. Aber je nachdem sie (Gott) dienen werden, wird immer und ewig den Guten Heil und den Bösen Qual zuteil werden.
VI. Ach Gott, wie wenig hält doch Jugend stand, in welcher der Körper wächst und gedeiht, wenn das Gedeihen vernichtet wird! Allmächtiger König, einigermaßen hat die Zeit sich geändert, in welcher der Mensch gut war! Denn gering und nichtig wird der Vorteil sein, wenn man seine Schuld nicht reuig sühnt, Gott dienend und das Herz bezwingend; denn so wird man wahrlich zu seinem früheren Zustand (
4) kommen.
VII. Weshalb erscheint es mir, wenn doch der höchste König die Übel und Schäden duldet, als Feigheit, daß ein gesunder und starker Mensch sich vor der Fahrt fürchte? Weil Hoffnung- vorhanden ist, daß er (
5) in der Not helfen wird, und die davon herrührenden Mühen und Qualen wird Gott lindern; wenn es ihm beliebt, mischt er, rächend und verzeihend, Gnade mit Schrecken.
VIII. Mögen andere immerhin ihre Versprechungen vernachlässigen (?) oder einschränken, Gott erfüllt die seinigen gut und gewährt seinerseits reichlich als freigebiger Herr den Opferwilligen ein reiches Geschenk.
IX. Und wollte er doch den Seinigen dorthin nach dem Osten seine Liebe bekunden!
Fußnoten:
(1) ,Ernten wir von.‘ (↑)
(2) ,Beim Zähneklappern.‘ (↑)
(3) ,Nicht zwei Hagebutten.‘ (↑)
(4) Dem Zustand der kindlichen Unschuld. (↑)
(5) Der höchste König, Gott. (↑)