Noblesse oblige
I. Sehr hold und angenehm war die frohe Zeit, als Adel auserwählt und eingesetzt wurde; die Rechtschaffenen nämlich, die Klugen, Treuen, Edelmütigen, Hochherzigen, Gefälligen, Freigebigen, Zuverlässigen, die Aufrichtigen und Gnädigen adelte man, weshalb sich Dienstfertigkeit, Hofleben, Frauendienst, Freigebigkeit, Liebe und jede auf Ehre und großer Gerechtigkeit beruhende Trefflichkeit einfanden.
II. Und Adel und gesunder Menschenverstand sollen Leiter und Führer von allem vorzüglichen, vollkommenen Guten sein; daher gewährten die Alten dem adligen Geschlechte Renten, damit es das dem Adel Geziemende aufrecht erhielt. Und wie will denn derjenige, welcher das Erbe besitzt und sich dem ihm anvertrauten Gute (
1) nicht widmet, den Wackeren gleichen? Vielmehr wird er ganz darauf bedacht sein müssen das zu tun, wodurch sein Wert zunimmt.
III. Und einst hörte man denn auch in der ganzen Welt ebenso von ihrem guten Werte (
2) gegenüber den Damen und man pries ihn, und rühmliche Werke und Taten von großer Ritterlichkeit vollbrachten die ehemaligen starken Geschlechter (
3), die sich jetzt dem Nichtigen zugewandt haben, und sie halten es für eine Torheit, wenn jemand mit ihnen (
4) Umgang pflegen will, da falsches Übelreden und Prahlen ihnen gefällt und Schäkern mit Frauen ihres Schlages.
IV. Und wie ein hinterlistiger, verleumderischer, meineidiger, geiziger, rücksichtsloser, verstockter, falscher Mensch, wenn er, ein Lügner und Missetäter, betrügerisch verfährt, wie denn der, da er jeden Adel verleugnet, dazu kommt, irgend welchen Vorrang haben zu wollen, das möchte ich gern wissen, da er doch nicht an seine Herkunft denkt! Denn guter Wert ist so kostbar, daß solch ein Geizhals ihn sich nicht erwerben mag, vielmehr ist er noch über das Wohltun anderer verdrossen.
V. Und die mit den blinkenden Waffen (?), mit Waffen, welche mit dem, was anderen zusteht, geschmückt sind, sie, die schnell den Kopf dahin wenden, wo sie aufgenommen werden wollen (
5) sind niedrig aus bloßer Gewohnheit, und jeder wackere Mann, der sie unterstützt, schändet den Adel und sich, und obwohl mir daraus keine Unannehmlichkeit erwächst, weil ich mit ihnen nichts gemein habe (
6), so findet doch ihre häßliche Handlungsweise bei mir keinen Anklang, weswegen sie mir ein böses Gesicht machen.
Fußnoten:
(1) ,Dem Leben, womit er belehnt ist.‘ (↑)
(2) Von dem guten Werte der Adligen. (↑)
(3) D.h. die männlichen Mitglieder jener Geschlechter. (↑)
(4) Mit den guten Damen. (↑)
(5) Die unedlen Ritter, welche sich mit Gewalt Aufnahme erzwingen wollen (?). (↑)
(6) ‚Weil ich nicht mit ihnen von dem Regen, der sich ausstreut (der herabfällt), naß geworden bin.‘ (↑)