Traurige Zustände
I. Die fest eingeschlafene Kurzweil wiederzuerwecken und die verbannte Tüchtigkeit aufzunehmen und zurückzuführen, darum gedachte ich mich zu bemühen; aber ich habe es jetzt aufgegeben! Mißglückt ist es mir deshalb, weil es eben nicht auszuführen ist; denn je mehr Lust und Neigung ich dazu bekomme, umsomehr Verdruß und Leid erwächst (mir) daraus.
II. Es ist kaum zu ertragen; das sage ich euch, die ihr gehört habt, wie sehr Lust und alle Artigkeiten beliebt waren. Nun könnt ihr nicht mehr schwören, daß ihr keine Folterrosse gesehen und es nicht erlebt habt, wie niedriggeborene, alte, hinfällige Leute gezwungen (
1) Ritterdienste taten. Ein häßlicher, schlimmer und unziemlicher Zustand ist das, wodurch man der ewigen Seligkeit verlustig geht und unglücklich wird!
III. Ihr erlebtet es, daß man Turniere ansagte, daß die hübsch Ausgerüsteten folgten, daß man dann von den am besten Getroffenen eine Zeitlang sprach; jetzt besteht die Tüchtigkeit darin, daß man stiehlt und Schafe aus der Herde entwendet. Schmach dem Ritter, der sich dem Frauendienst widmet, nachdem er mit den Händen blökende Hammel eingefangen und Kirchen und Reisende beraubt hat!
IV. Und ihr saht, wie eifrige junge Spielleute, hübsch gestiefelt und gespornt, an den Höfen umherzogen, lediglich zu dem Zwecke, der Damen Lob zu singen; jetzt hört man nicht mehr von ihnen (
2) reden; ist doch ihr (
3) Wert gänzlich vernichtet! — Es ist mir unklar, von wem die Ungerechtigkeit, die Damen zu schmähen, ausging. — Von wem, von den Damen oder den Liebhabern? Ich meine von allen, denn der Betrug hat sie um ihren Wert gebracht!
V. Die Spielleute, die ihr trefflich aufgenommen saht, wohin sind sie entschwunden? Mancher frühere Führer hat nämlich selbst einen Führer nötig, und darum geht jetzt, seitdem guter Wert abnahm, mancher, ohne sich deshalb Vorwürfe zu machen, einsam einher, der eine Schar, ich weiß nicht wie viele, Genossen in schönen prächtigen Kleidern mit sich zu führen pflegte.
VI. Denn ich selbst, der ich als bevorzugter Mann alle Wackeren zu besingen pflegte, bin so bestürzt, daß ich mir nicht zu helfen weiß; höre ich doch jetzt an den Höfen unnützes Geschwätz anstelle von Kurzweil, sodaß die Geschichte von Bretmars Gans bei ihnen (
4) bald ebenso beliebt sein wird wie ein edler Gesang von den erhabenen Dingen, den Zeiten und den Jahren.
VII. Soll man jedoch zur Veredlung des Herzens, das sich zu sehr verhärtet hat, nicht an die vergessenen Dinge und die früheren Begebenheiten erinnern? Denn schlecht ist eine Angelegenheit zu übergehen, wenn sie verbürgt ist, und ein Übel, von dem ich geheilt bin, brauche ich nie gut zu machen; aber was man sieht, das wälze, drehe und wäge man, man fasse es an, lasse es wieder los und ergreife es an beiden Enden (
5)!
VIII. Dessen kann ich mich rühmen, daß mein kleines Haus niemals von ihnen (
6) überfallen worden ist; sehe ich doch, wie alle es mit Scheu behandeln, und jedweder (
7) erwies mir nur Ehre, weshalb mein kluger „Gebieter“ erwägen sollte, daß es ihm durchaus nicht zum Ruhm, Lob und Preis gereiche, wenn ich, der ich von jenen gutes spreche, mich über ihn beklagen muß.
IX. Ich klage jetzt nicht! Weshalb? Frage mich nicht danach; wird es doch ein Jammer sein, wenn mein Gesang so aufhört.
X. Das sagt der Delphin, der die guten Gesänge kennt.
Fußnoten:
(1) Wider Willen. (↑)
(2) Von jenen Spielleuten. (↑)
(3) Der Damen. (↑)
(4) Bei den Mächtigen, den Vornehmen. (↑)
(5) Indem man die Übelstände, deren Zeuge man ist, mutig aufdeckt, nach allen Richtungen bespricht und immer wieder brandmarkt, arbeitet man mit an ihrer Beseitigung. (↑)
(6) Von den in Verfall geratenen Rittern. (↑)
(7) ,Der Feige und der Kühne.‘ (↑)