10. Da sowohl corpus wie cor mit einem Possessivum in den alten Sprachen Frankreichs Personenbezeichnungen umschreiben, ohne Rücksicht auf die eigentliche Bedeutung der Wörter (s. Tobler, Verm. Beitr. I², 32, 34), kann man im Prov. bisweilen zwischen cors und cor-s zweifeln. Bernart scheint jene rein mechanische Art der Umschreibung aber nicht gebraucht zu haben. Wir dürfen hier, wie anderwärts (10, 6; 24, 32; 40,46; 41,42) cors = cor·s verstehen. Ernstliche Zweifel bleiben nur 4, 45, wo corpus neben dormir, pauzar, en un loc estar näher zu liegen scheint. Aber angesichts jener Stellen, wo Bernart von seinem Herzen wie von einer Person redet, möchte ich auch da cor-s annehmen.
14. atendre hier wie in atendre un covinen, una promeza (vgl. Mönch von Montaudon, Be m’enueja per Saint-Salvaire v. 28: E qui·m promet e no m’aten. Raynouard bringt V, 323b atendre sa paraula aus Bernart; in unserem Text ist diese Lesart von CEMN aber in die Varianten verwiesen s. 4, 32).
15. Das Subjekt scheint das der letzten Verse sein zu müssen: amors. Dann müßte der Sinn des Wortes von „Minne“ plötzlich übergegangen sein zu „Geliebte“, wie ja das Wort bei Bernart oft die geliebte Dame bezeichnet. Besser wird es aber sein auf das im Text freilich fernstehende, dem Gedanken des Dichters aber doch stets vorschwebende, celeis v. 9 zurückzugreifen.
17. Die Hdss. schwanken zwischen me truanda DIKN und matruanda CG (Q hat ma reuanda, schließt sich also an CG an). Raynouard las atruandaund übersetzte das Verbum „allécher, affriander“: V, 436a „bien doucement m’allèche“. Dieselbe Bedeutung „affriander, allécher“ gibt Mistral dem npr. atruanda im bas limousin. Aber ist das nicht erst aus Raynouard entnommen? Wie gelangt das Wort zu diesem Sinn? Es scheint heißen zu müssen: „zum truan, zum Landstreicher, Lumpen, Bettler machen“. So übersetzt denn auch Mistral zuerst „acoquiner, rendre paresseux“. Also hier: „auf gar süße Weise macht sie mich zum truan, bringt sie mich ins Elend, auf daß sie mich mit schönem Schein vernichte“.
Besser aber wird man aus den anderen Hdss. me truanda aufnehmen. Freilich nicht im Sinne von „mendier, gueuser“ (Raynouard) oder „traiter en truand“ (Levy), sondern „betrügen (wie ein truan, also ungefähr agir comme un truand, das Levy auch, mit einem Fragezeichen, ansetzt). truandar ist synonym mit mentir, neben dem es z. B. bei Bertran de Born steht, s. Chr. 67, 15 puois en Peitau lor men e los truanda Noi er mais tan amatz, wie truan „lügnerisch, betrügerisch“ neben messongier und fals, vgl. Chr. 29, 40 (Richart de Berbezil): E mos fals digz mensongiers e truans Resorsera en sospirs et en plors, Folq. de Marselha 155, 24 v. 19: non aya cor truan c’ab bels plazers me cug traire (= träir), Croisade 4151: baros de la terra que so fals e truans, Flamenca 4265: s’amors es falsa e truans etc. So auch hier truandar neben engenh und ganda „betrügen“.
19. Nur IK haben so nous es; die anderen conoisses oder Ähnliches. In der gemeinsamen Quelle scheint also cono . . ses gestanden zu haben. Daß IK das Richtige erkannt haben, ist aber nicht zweifelhaft.
23. Die Rede, welche sich in v. 19 an die Dame gewendet hat, spricht jetzt wieder in 3. Person von ihr. Nach Toblers Grundsatz müßte also Str. III nach IV und V stehen. Das ist nicht unmöglich. Aber die Schwierigkeit von der wir zu v. 15 zu reden hatten, wird hierdurch nicht beseitigt. Und dem Gedanken nach schließt sich III sonst sehr gut an Str. II an. Man wird jenem Prinzip Toblers doch nicht für alle Fälle Gültigkeit zusprechen.
24. „Nahrung nützt mir nichts“, so sehr zehre ich mich in Furcht und Liebe ab.
32. pres del leih oder de leis? Beides entspricht der Situation, und beides wird durch die Umgebung eigentlich überflüssig. Für leih entscheidet aber Ovid, der hier mit größerer Sicherheit als sonst als die Quelle Bernarts zu bezeichnen ist: Ars amat. II, 211 Nec dubita tereti scamnum producere lecto, Et tenero soleam deme vel adde pedi.
37. capdolhar heißt „emporragen“, descapdolhar also „unter das Maß hinabgehen, minderwertig sein“.
43. IKQ zeigen in duz, duç eine Form, die auf ducem zurückgehen würde; CDGN haben das in den Wörterbüchern allein verzeichnete duc-s. Natürlich würde auch duz ein Lehnwort sein; es ist aber nicht abzusehen, weshalb die so natürlich und dem venezianischen doge neben duca ungefähr entsprechende Form nicht gebildet worden sein soll. In den Text habe ich indes die durch Reime gesicherte Form aufgenommen. |