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Appel, Carl. Bernart von Ventadorn, seine Lieder, mit Einleitung und Glossar. Halle a. S.: Verlag von Max Niemeyer, 1915.

070,045- Bernart de Ventadorn

4. chantes könnte an sich als chante·s d. h. als Konj. Präs. + Reflexivpronomen aufgefaßt werden: „es möge für sich singen, wer da will“. Aber dem steht volria gegenüber. Die Annahme wird in die Vergangenheit gelegt: „es mochte singen wer Veranlassung hatte es zu wollen“. Die Anwendung des Imperfektum Konj. wie des Imp. Futuri ist bemerkenswert. Lies in v. 3 n’aie?
 
5. Die Hdss. schwanken zwischen cap, cham(p) und chan(t). Cap entspricht dem neuprov. pode pas trouba lon cap = je ne puis pas trouver le commencement (Mistral), vgl. apr. ia no saureç cap bei Levy, cap 4. Für die Zusammenstellung mit via vgl. ital. in capo alla strada. Aber cap ist schwach bezeugt. Cham AB werden wir als champ zu verstehen haben, wie in Q auch cāp, in W champ steht: „ich wußte kein Feld dafür noch einen Weg“. Dann haben wir hier campus in ähnlicher Art bildlich verwendet wie in: avoir le champ libre pour faire qch., être à bout de champ etc. Aber no saber ni camp ni via ist offenbar so wenig gebräuchlich gewesen, daß auch die mit AB nächstverwandteu DIKN¹ chan dafür setzen, das keinen Sinn gibt. c(h)ami ni via, an das zu denken naheliegt, steht in keiner Hds. und würde eine Silbe zu viel geben. Das afrz. ne savoir ne vant ne voie (s. Lancelot 6408, Ille et Galeron 3704, 3880, 5694 [s. Anm. zu diesem Vers], 6114) läßt sich paläographisch nicht mit cap, camp, und selbst nicht mit can vereinigen. Am sichersten werden wir uns noch immer für cap entscheiden.
 
8. s. com mor de dezire 27, 49.
 
15. In der ersten Vorlage hat vielleicht, mit Lücke einer Silbe, gestanden vos dic aitan und die Silbe ist von den Abschreibern in verschiedener Art ergänzt worden; vielleicht auch ist dirai aitan RV das Ursprüngliche (freilich mit häßlichem Hiatus) und von den beiden ai ist eines in der Abschrift gefallen.
 
16. aver ist Reimwort v. 30. So bleiben wir hier bei tener und damit bei der Gesamtlesung der Gruppe A.
 
28. espa in Gruppe A wird auf den Limousinismus espaa für espaza zurückgehen. Schwerlich aber hat Bernart aa zu einer Silbe kontrahiert. So hat denn der Vers eine Silbe zu viel. Man kann zu korrekter Silbenzahl kommen, indem man o für ni einführt (für o in negativem Satze s. Zts. 32, 513 ff.). Und A bietet hier wohl die ursprünglichere Lesart, denn jener Limousinismus wurde kaum erst von einem Abschreiber eingeführt.
 
29. Ich nehme prec de mon dan als die ferner liegende Lesart auf: Get a mon dan ist sehr gewöhnlich. Originell aher ist, daß Bernart die Minne um das bittet, was ihm Schaden bringt, daß sie nämlich sich ebenso von ihm fern halte, wie er sich nunmehr von ihr halten will.
 
30. autre pro: etwas anderes als Schaden, nämlich Vorteil. Man kann hier aber sagen, daß, in der Stimmung Bernarts, sein Schaden, sein Loslösen von der Liebe, in der Tat sein einziger Vorteil ist; also im eigentlichen Sinne: anderen Vorteil kann ich da nicht haben.
 
32. Wenn ich Euch auch durch blandir und temer gewonnen hätte, ich würde Euch doch wieder verlieren. W liest einfacheres car tot en perd(r)ie.
 
35. Gruppe A: m’avetz trazit (träit) en fiansa
Gruppe CV: m’avetz trait ses desfiansa.
„In (meinem) Vertrauen habt Ihr mich verraten“, oder „Ohne Herausforderung (sei es ohne Herausforderung, d. h. Vergehen, meinerseits, oder ohne Herausforderung, d. h. Warnung, Eurerseits) habt Ihr mich verraten“. Trait en fiansa „in Vertrauen gezogen“ würde eine Silbe zu wenig bieten. Desfiansa verlangt einsilbiges trait für träit. Diese, sonst wohlbekannte, Form kommt bei Bernart nicht vor. Er gebraucht trazit bez. träit, wie träis als Indik. Präs. und Konj. Prät., s. Glossar. Natürlich wäre es leicht eine Änderung vorzunehmen, etwa me träitz ses desfiansa (und nun vielleicht mit dem Limousinismus der Orthographie me trait geschrieben, so daß wir dem ma trait der Hds. M nahekommen) oder, wie W, sui träiz ses desfiansa. Aber träir ses desfiansa ist ein Widerspruch in sich. Wie kann man denn „mit Herausforderung“ verraten? So wird ses desfiansa von einem Schreiber bei einsilbig gelesenem träit zur Ergänzung des Verses gebildet sein. Freilich steht fiansa v. 48 im Reim. Diese Strophe kann aber, ihrer Anrede an Lemozi nach, als Tornadenstrophe gelten.
 
45-47. Die Verse weisen offenbar auf Lied 43, 55 f. In v. 47 ist fraglich, ob man lesen soll qu’en terra estranha·m n’iria oder qu’en t. estr. morria. Das erste entspricht dem vau m’en v. 55 des Lerchenliedes, morria dem vorhergehenden Verse: mort m’a, e per mort li respon. S. Fußnote).
 
50. Da die verlassene Dame ihm nichts Gutes erwies, ist es nicht niedrig gehandelt, wenn der Dichter sein Hoffen einer anderen zuwendet.
 
54. far semblansa hier nicht „den Anschein erwecken, so tun als ob“, sondern „zur Erscheinung bringen, erkennen lassen daß“. Dem entspricht auch der Indikativ ai, vgl. Yvain 3395: Oez que fist li lions donques! Con fist que frans et de bon’ eire, Que il li comança a feire sanblant que a lui se randoit.

 

 

 

 

 

 

 

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