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Appel, Carl. Bernart von Ventadorn, seine Lieder, mit Einleitung und Glossar. Halle a. S.: Verlag von Max Niemeyer, 1915.

070,044- Bernart de Ventadorn

3. groya mit Gruppe A oder bloya mit Gruppe V? Als Fem. zu groc ist zunächst groga zu erwarten, und so heißt die Form auch. Aber gerade im Limousinischen ist vcª zu į geworden, s. sprachliche Einleitung § 20, und so finden wir bei Bernarts Landsmann Bertran de Born coya < *cŏcat gereimt mit poya, enoya etc., s. 80, 37, 6. So ist lautlich gegen groya nichts einzuwenden.
bloi bezeichnet prov. wie afrz. fast immer die Farbe des Haares oder der Haut: „blond“. Aber freilich finden wir auch den marbre bloi Rolant 12 und die enseigne bloie ib. 1578. So ist bloya hier vielleicht nicht unmöglich. Das Wahrscheinlichere ist neben blancha und vermelha aber doch wohl groya.
 
4. Für par gegenüber sembla kann man geltend machen, daß sembla v. 11 in allen Hdss. steht. Aber das Argument ist von fraglichem Wert. — In v. 11 ist der Akkusativ neben sembla gesichert. So kann auch in v. 3 der Akkusativ flor bleiben.
Daß die Kälte dem Dichter als Blume erscheint, ist kein genaues Bild. Vgl. v. 11.
 
6. renvé l’aventura würde für das provenzalische Ohr vielleicht nicht anstößig gewesen sein. Creis hat aber die größere Zahl von Hdss. (freilich ohne V) für sich und paßt besser zu den Verben der beiden folgenden Verse. — Eher möchte man m’aventura für l’aventura aufnehmen; aber es steht nur in CM.
 
7, 8. Klasse A: chans-pretz, Klasse V: pretz-chans. Das Eine ist dem Sinne nach ebenso möglich wie das Andere. Entweder folgt aus dem besseren Gesange höherer Ruhm (pretz = onor e lau wie 21, 4) oder aus dem gestiegenen Wert (pretz = valor wie 2, 45, 48; 13, 14; 27, 39) entspringt besserer Gesang. Auch die Verben passen zum einen wie zum anderen. Melhurar kann natürlich bei beiden stehen (s. 13, 14; 16, 51; - 21, 58), aber auch poyar kann vom Gesang gesagt werden (wenigstens in V 42, 4). Immerhin verbindet sich montar und poyar besser mit pretz als mit chans. So habe ich die Lesung von V eingesetzt.
 
11. l’iverns me sembla flor kann allenfalls durch v. 4 als möglich herausgestellt werden, aber eher ist gels aus Gruppe V, das „Eis“ bedeuten kann, annehmbar, und gels und neus erscheinen als besseres Paar als iverns und neus, s. Grdr. 364, 30, v. 1: Neus ni gels ni ploya ni fanh u. a. So hat in der gemeinsamen Quelle vielleicht gestanden que·l gels me sembla flor, und die fehlende Silbe ist in verschiedener Art korrigiert worden.
 
17 und 20 verdient die Gruppe A den Vorzug. Mas wird auch durch CM bestätigt; totz om ist müßig, deis que kräftiger als pois que.
 
23. tansi que kommt bei Bernart sonst nicht vor; quar in CMV läßt tan ausrufend für sich stehen wie 4, 59; 9, 30; 28, 19. Sehr möglich ist aber, daß in der gemeinsamen Vorlage nur qu’en, in der ursprünglichen Fassung aber die Hiatusform qued en oder quez en gestanden hat. Auch für ma ricor tritt a auf die Seite der Gruppe A; aber ma ricor setzt die Erfüllung der in v. 22 ausgesprochenen Erwartung schon voraus und ist daher hier weniger am Platze als sa ricor: „anstelle des in ihr liegenden Reichtums“.
 
24. Die reiche Stadt Pisa lag der Vorstellung der Trobadors näher als das ferne und für den Südländer unwirtliche Friesland, dessen Herr zu sein, wenigstens dem Peire Vidal, als fragliches Glück erschien, s. 364, 14 v. 13. So ist auch hier die Lesart von CV wahrscheinlicher als die der zahlreicheren Hdss., wobei denn freilich friza die Hdss. Ma mit ADIKN vereinen würde.
 
25.    
ADIKN:
De s’amistat m’enraiza
CV:
De s’amistat me ressiza(resissa)
M:
De s’amistat m’esraiza.
 
RSa weichen in offenbar verdorbenen Lesarten auch untereinander ab.
enräizarist „einwurzeln“, und man könnte wohl verstehen: en s’amistat m’enräiza. Aber de wird durch alle Hdss. bestätigt, und diese Präposition läßt sich mit enräiza schwer vereinigen. Daher hat M wohl geändert m’esräiza „aus ihrer Liebe entwurzelt sie mich“, und so liest Bartsch in seiner Chrestomathie. Schon ihrer Vereinzelung wegen, abgesehen von Anderem, werden wir diese Lesart aber ablehnen. So bleibt me ressiza, auf das auch Hds. a mit ursprünglichem mi reisa zurückzuweisen scheint. Raynouard hatte aus unserer Stelle (V 168a) ein ressizar „séparer, retrancher“ erschlossen: „De son amitié elle me retranche“. Stichel S. 71 lehnt das Wort ab. Levy, VII, 263a, spricht sich nicht näher darüber aus, verweist aber auf das afrz. reciser „retailler, retrancher“ bei Godefroy, das Raynouards Aufstellung stützen kann. Wie paßt jedoch das so verstandene Wort in den Zusammenhang? Das ganze Lied ist, trotz des vorübergehenden Rückschlags der Stimmung in der IV. Strophe, ganz voll jubelnder Hoffnung. Und auch in dieser Strophe beklagt der Dichter sich nur über die wechselnde Laune der Geliebten (39, 40 atressi·m ten en balansa Com la naus en l’onda). Und gleich hinter unserem Vers heißt es: sivals eu n’ai conquiza la bela semblansa. Da ist wenig wahrscheinlich, daß hier der Dichter sagt, die Dame habe ihn von ihrer Liebe abgeschnitten. Aber es ist auch nicht nötig, aus reciza einen Infinitiv recizar zu erschließen. Besser bekannt als das Verb ist uns das Adjektivum recis „zerschnitten, abgeschnitten; schwach, kraftlos, kläglich“ (Levy VII, 262 b). Wir dürfen aus recis und reciza zusammen auf einen Infinitiv * recire < recidere schließen, zu dem reciza der Konjunktiv wie auciza zu aucire ist. Also „sie möge mich von ihrer Liebe abschneiden, mir die Hoffnung auf ihre Liebe versagen“, mas eu n’ai oder mas ben ai fiansa „aber ich habe (doch) das Vertrauen darauf“, und das knüpft an die II. Strophe: Mas es fols qui·s desmezura E no·s te de guiza, Per qu’eu ai pres de me cura.
 
27 f. Vgl. 35, 35, wo dem Dichter auch die bel semblan die Zuversicht auf die Erfüllung seiner Hoffnungen geben.
 
29. Levy II, 204 entscheidet sich in diesem Vers nicht zwischen den Bedeutungen „Meinung“ (Bartsch), „Anteil“ (Raynouard) und „Wunsch“. „Nach meiner Meinung“ würde die Worte des Dichters sehr abschwächen. Ob deviza „Auteil“ in dem hier dann anzunehmenden Sinne heißt, istfraglich. Das Wort bezeichnet die „Teilung“ die man vornimmt, und so „Entscheid“ und weiter „Wille, Wunsch“. So verstehe ich: „nach meinem Wunsche“.
 
33. pres mit CMV, im Gegensatz zu lonh v. 36.
 
34. Über esperit s. Anm. zu 15, 47 und die Kommentare (D’Ancona, Scherillo etc.) zur Vita nova c. XIV.
Mit dieser poetischen Auffassung des oder der spiritus bei Provenzalen und Italienern stimmt nur sehr unvollkommen die naturwissenschaftliche überein, wie sie uns bei Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum, l. III c. 22 (freilich mehr als ein halbes Jahrhundert nach Bernart, aber ebensoviel vor Dante) entgegentritt: Sicut ad regimen naturae exiguntur sensus et virtutes, ita ad perfectionem eiusdem exiguntur necessario spiritus quidam, quorum beneficio et motu continuo tam sensus quam virtutes in animalibus moderantur, ut suas peragant actiones. Dicitur autem spiritus, prout hic sumitur, quaedam substantia subtilis et aerea, virtutes corporis excitans ad suas peragendas actiones ... Spiritus est quoddam corpus subtile, vi caloris generatum, et in humano corpore per venas corporis vivificans, et per arterias pulsabiles anhelitum, vitam atque pulsum animalibus administrans, sensum et motum voluntarium mediantibus nervis et musculis operans in corporibus animatis ... Unus igitur et idem spiritus corporeus, subtilis tamen et aereus, propter diversa officia in diversis membris diversis nominibus est vocatus: nam spiritus naturalis est in epate, spiritus vitalis in corde: sed spiritus dicitur animalis, prout in capite operatur. Hunc quidem spiritum non debemus credere humanam animam sive rationalem animam, sed potius (ut dicit Augustinus) eiusdem vehiculum et proprium instrumentum, mediante enim tali spiritu, anima corpori jungitur, et sine talis spiritus ministerio, nulla animae actio perfecte in corpore exercetur: unde istis spiritibus laesis et in suis effectibus qualitercunque impeditis, resoluta corporis et animae harmonia, rationalis spiritus in cunctis suis operationibus in corde impeditur, ut patet in maniacis, et in phreneticis, et aliis in quibus usus rationis saepius non habet locum, zu welch letzteren denn wohl auch die Verliebten gerechnet werden können. Den Esperit (der an unserer Stelle mit dem cor identisch scheint) vom Körper sich trennen zu lassen, vermag natürlich erst die dichterische Phantasie.
 
36. lui in V müßte auf esperit oder besser noch auf cor gehen, und würde dann sehr gut sein. Vielleicht ist auch hier V allen anderen vorzuziehen.
 
37. atendre ... esperansa wäre eine nachlässige Ausdrucksweise, die wir Bernart nicht ohne Not zuschreiben werden. Ich folge auch hier und v. 38 wieder CMVa.
 
40. naus mit Recht im Nominativ, denn es steht ja doch nicht dem me v. 39 gleich als Objekt zu tener, sondern: die Geliebte hält ihn so in Schwanken wie das Schiff schwankt. — en l’onda, oder, noch anschaulicher, sus l’onda (Gruppe A).
 
41. Nur Va haben mal pe(n)s. Trotzdem vermute ich, daß dies das Ursprüngliche ist, denn maltrach, wie die anderen Hdss. lesen, ist so banal,daß jeder Schreiber es gedankenlos einsetzen konnte. Mal pes gehört der Sprache Bernarts an; es steht 35, 1.
 
44. Wieder bringt V allein die Lesart m’esponda, die sehr möglicherweise einzusetzen ist.
 
45 ff. In den letzten Versen der Strophe ist die Fassung der Gruppe A an sich einwandfrei. Trotzdem werden wir wieder der anderen Gruppe folgen. Im Anfang von 45 stand vermutlich pus für plus. Dieses pus wurde in der gemeinsamen Quelle aller Hdss. zu pueis mißverstanden und gab so Anlaß zu den weiteren Änderungen. Daß auch die Gruppe A ungefähr die Fassung von V vor sich hatte, scheint daraus hervorzugehen, daß v. 47 auch S sofret zeigt. Die Alliteration pus - pena spricht vielleicht dafür, daß schon Bernart selbst pus, nicht plus, gebraucht hat.
 
49. Die Frage „warum bin ich keine Schwalbe?“ ist so viel lebendiger als der Wunsch „ach, wäre ich doch einer Schwalbe ähnlich“, daß auch hier offenbar der Lesart V, freilich mit Änderung von fui zu sui, zu folgen ist (aus ähnlicher Empfindung hat IK zu car me fos geändert). Der Konj. Imperf. voles, vengues neben dem Präsens sui ist dabei nicht störend, denn der Wunsch ist doch auf alle Fälle unrealisierbar.
 
61. Auch hier könnte man V annehmen, aber A hat Strophenenjambement, und das ist etwas, was die Kopisten nicht leicht eingeführt haben werden.
 
63. Dieser Vers bleibt bei den starken Abweichungen der Hdss. wieder unsicher. Der Sinn ist klar: es gibt nichts was die Gedanken des Dichters so stark beschäftigt, daß sein Sinn nicht sogleich abgelenkt würde, wenn er von der Geliebten reden hört. S steht wieder mit ren der Hds. V nahe, und seine Wortstellung ist sogar besser als re retraire. Ob can oder s’en im Anfang steht, ist gleichgiltig.
 
64. no·n vire: von dem in v. 61 genannten afaire weg, oder no i vire: zu dem in v. 63 Genannten, das von der geliebten Dame erzählt wird, hin. Eine sichere Entscheidung ist kaum möglich. Für i spricht das n’ der folgenden Zeile, das sich nur auf das über die Dame Gehörte beziehen kann.
 
66. Zweifellos bringt V wieder die ursprüngliche Fassung. Nicht was der Dichter von der Dame sagen hört, kann ihm gleichgiltig sein (Gruppe A), und er wird nicht daran denken, wer es ihm etwa erzählt (CMa), sondern: was man ihn reden hört, hat keinen Einfluß auf sein Mienenspiel (semblan hier besser als talan V); seine Worte sind rein mechanisch; sein Inneres ist nur mit der Geliebten beschäftigt, und so scheint er lachen zu wollen, was immer er auch spricht. V zeigt noch die altlimousinische Schreibung mit t statt tz, die aber nun auch erklärt, wie der Vers von den Abschreibern mißverstanden wurde.
 
71. Auch hier kann V mit doussa sabor sehr leicht den richtigen Text bewahrt haben.
 
75. Der Hiatus pena e ist kaum annehmbar. Es ist leicht eine Silbe zu ergänzen, etwa La greu pen’, La pesanz’ oder anderes.

 

 

 

 

 

 

 

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